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Berliner Pop-Kultur-Festival
"Das Festival zeigt in Sachen BDS klar Haltung"

Die israelkritische BDS-Kampagne hat auch in diesem Jahr zum Boykott des Berliner Pop-Kultur-Festivals aufgerufen. Dieses Mal war es nicht überraschend für die Macher. Diskutiert wird das Thema zwar auf einem Podium, aber es geht vor allem um spannende Künstler - wie "Plunderphonia" aka Hendrik Schwarz oder Islamiq Grrrls.

Christoph Reimann im Gespräch mit Anja Buchmann |
    Reflektieren, kontextualisieren, feiern: Auf der Suche nach einem diskursiven Raum, der Spaß macht
    Reflektieren, kontextualisieren, feiern: Auf der Suche nach einem diskursiven Raum, der Spaß macht (Copyright: Pop-Kultur-Festival)
    Anja Buchmann: Heute beginnt das Pop-Kultur-Festival in Berlin - sicher das diskursstärkste Festival für Popmusik, das es in Deutschland gibt. Es gibt Diskussionsveranstaltungen, Auftragsarbeiten - darüber haben wir vor der Sendung mit dem Musikjournalisten Christoph Reimann gesprochen.
    Stichwort Diskussionsrunden: Die sind ja seit Jahren schon Bestandteil vieler Festivals. Sie sollen einen Mehrwert schaffen, wo das Line-up auswechselbar geworden ist. Mittlerweile hat man aber das Gefühl, die Themen doppeln sich: Clubsterben, faire Bezahlungen für Musiker, Untergang der alten Musikindustrie. Vielleicht auch mehr Musikerinnen auf die Bühne, wobei das Berliner Festival da ja zahlenmäßig wirklich vorbildlich ist. Gelingt es dem Pop-Kultur-Festival, wirklich neue Aspekte aufzugreifen?
    Zwei Musikerinnengenerationen treffen aufeinander
    Christoph Reimann: Es ist ihnen gelungen, tolle Gesprächspartner zu gewinnen. Da werden dann auch nicht mehr ganz neue Themen interessant, zum Beispiel Pop und Protest oder Pop und Kritik. Unter diesem Schwerpunkt diskutieren zum Beispiel Kat Frankie - eine junge Musikerin, Australierin, die seit einigen Jahren in Berlin lebt - und Vivien Goldman, eine verdiente britische Sängerin und Journalistin. Beide verbindet eine Antihaltung: Kat Frankie wurde im Umfeld des Antifolk in den Nullerjahren bekannt. Vivien Goldman zu Zeiten von Punk. Wie sich das Dagegen-Sein zu unterschiedlichen Zeiten äußerst, welche Möglichkeiten Pop hat, die Gegenwart zu kritisiere, wo doch alle sagen: Heute hat Pop keine Kraft mehr. Das finde ich im direkten Austausch zweier Künstlerinnen sehr spannend.
    Buchmann: Das Festival ist im vergangenen Jahr ins Visier der Anti-Israel-Kampagne geraten. Die BDS-Unterstützer Young Fathers zum Beispiel sagten kurzfristig ihren Auftritt ab. Das dominierte dann bei der Berichterstattung zum Festival. Auch in diesem Jahr gab es ein paar Absagen. Aber: Wie groß ist das Problem BDS wirklich?
    Reimann: Kleiner als im letzten Jahr. In diesem Jahr sind dem Boykott-Aufruf fünf Acts gefolgt - von insgesamt 150. Der bekannteste Künstler darunter war John Maus, um den es allerdings in musikalischer Hinsicht nicht wirklich schade ist. Anders als im letzten Jahr wussten die Macher, dass die BDS-Bewegung versuchen würde, Künstler dazu zu bringen, ihren Auftritt abzusagen. Man hat deshalb gleich bei der Akquise versucht, auf die finanzielle Unterstützung von der israelischen Botschaft hinzuweisen. Das hat die Zusammenstellung des Line-ups - das haben die Macher gesagt - nicht einfacher gemacht, gerade mit Bands aus Großbritannien, wo es viel Unterstützung für die BDS-Bewegung gibt. Aber das hat den BDSlern durchaus Wind aus den Segeln genommen. Denn die Berichterstattung zu dominieren, das ist ja eines ihrer Ziele.
    "Positionen auszutauschen ist der richtige Weg"
    Buchmann: Die Veranstalter beugen sich also nicht dem Boykott-Aufruf, haben trotzdem Künstler aus Israel zu Gast?
    Reimann: Ja. Und ich finde, dass das Pop-Kultur-Festival damit in Sachen BDS klar Haltung zeigt, anders als die Ruhrtriennale. Es gibt weiter Unterstützung aus Israel, so wie das Festival Unterstützung aus allen Ländern zulässt, zu denen Deutschland diplomatische Beziehungen pflegt. Und das Thema BDS wird jetzt auf einem Panel verhandelt: Da reden dann Klaus Lederer, also der Berliner Kultursenator, und die israelische Autorin Lizzi Doron, die ja ihr letztes Buch, das hat den Namen "Sweet Occupation", einer palästinensisch-israelischen Graswurzebewegung gewidmet hat. Und ich finde, miteinander sprechen, Positionen austauschen - das ist der richtige Weg und das war im letzten Jahr nicht möglich.
    Buchmann: Pop-Kultur - es gilt als distinguiertes Musikfestival für Hornbrillen-Träger und Pop-Spezialisten. Diesem Ruf müssen die Veranstalter jedes Jahr aufs Neue gerecht werden - und Bands für das Festival gewinnen, die vielleicht nicht das allergrößte Publikum ziehen, aber nischig und spannend sind. Christoph Reimann, auf wen kann man sich in diesem Jahr besonders freuen?
    Reimann: Um das Festival besonders zu machen, gibt es sogenannte "Commissioned Works", also Auftragsarbeiten. Die gab es im vergangenen Jahr schon, aber 2017, da musste schon mal ein Kostümwechsel herhalten als Commissioned Work. Das ist in diesem Jahr ein bisschen anders, da klingt es dieses Mal ein bisschen mehr nach Anspruch. Ein Beispiel hört sich sehr spannend an, nämlich "Plunderphonia" von Hendrik Schwarz. Der kommt aus der elektronischen Musik, beschäftigt sich bei Plunderphonia aber mit Streicher-Quartetten – zunächst mit vorhandenem Material, Stücke, die bis zu 350 Jahre zurückliegen.
    Hednrik Schwarz: "Ich komme da an so einer Stelle, die Beethoven geschrieben hat oder Ravel oder so. Und das läuft für vier Takte. Und ich denke mir: Wieso nur vier Takte. Wieso sofort woanders hin? Ich verstehe es natürlich aus kompositorischer Perspektive von damals - die hätten das niemals machen können, etwas zu loopen - aber heute können wir das machen, und ich will diese Stellen öfter hören."
    Reimann: Hendrik Schwarz hat also seine Lieblingsstellen isoliert, wild zusammengewürfelt, sodass es für ihn Sinn ergibt und dann wieder in Noten aufgeschrieben. Und beim Pop-Kultur-Festival spielt das dann das Alma-Quartett, hoffentlich weit weg von der langweiligen Neoklassik.
    Islamiq Grrrls aus Berlin
    Buchmann: "Plunderphonia" ist gleich heute Abend zu sehen. Worauf freuen Sie sich noch?
    Reimann: Ein zweiter Auftritt, auf den ich mich sehr freue, ist der Auftritt des Produzenten oOoOO zusammen mit Islamiq Grrrls. Und was ich interessant finde an der Musik: dass sie so referenzstark ist. Also, erst mal wird da der Jazz-Standard "All of me" zitiert, textlich am Anfang - und dann greift das Duo auf Trip-Hop aus den 90ern zurück. Dass sich die Wahlberlinerin Fatma, die hinter Islamiq Grrrls steckt, dann in den namensgebenden Grrrls auch noch auf auf die Riot Grrrls der 90er bezieht und den Islam in Namen einbaut, finde ich so spannend, dass ich es mir den Auftritt noch gar nicht so recht vorstellen kann.
    Buchmann: Vielen Dank, Christoph Reimann.
    Reimann: Gern.