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Berliner Schüler benoten Lehrer

In Berlin müssen sich alle Lehrerinnen und Lehrer im Internet von ihren Schülern bewerten lassen - allerdings anonym und passwortgeschützt. Nur der evaluierte Lehrer erhält das Ergebnis. Die Senatsbildungsverwaltung erhofft sich dadurch langfristig einen besseren Unterricht.

Von Claudia van Laak |
    "Das sollte in jeder Schule, in jedem Unterrichtsfach gemacht werden, weil so ein Feedback von Schülern für den Lehrer sehr vorteilhaft sein kann."

    Marie-Louise Marchand macht gerade ihr Fachabi am Berliner Oberstufenzentrum Körperpflege. Ihr Lehrer Christian Jensen hat vor Kurzem die ganze Klasse eingeladen, ihn online zu bewerten. "Herr Jensen gestaltet den Unterrichtet richtig spannend, er behandelt mich fair, ich traue mich, mich im Unterricht zu melden," – die Schüler sollten diesen Aussagen zustimmen – oder sie ablehnen.

    "War ne coole Stunde."

    "Ja, wir sind durchaus daran interessiert, Rückmeldungen zu bekommen, Bildung ist keine Einbahnstraße."

    Das berlin-brandenburgische Institut für Schulqualität hat das Bewertungsportal entwickelt, Berufsschullehrer Jensen hat es schon viermal genutzt. Damit ist er eher die Ausnahme, das Interesse von Berlins Lehrern war bislang eher verhalten. Ein Grund dürfte die fehlende Ausstattung von Schulen mit Computern sein, ein anderer die Scheu von Pädagogen, den Spieß umzudrehen und sich plötzlich von den Schülern benoten zu lassen.

    "Es ist wahrscheinlich eine gewisse Überwindung, dass sich ein Lehrer seiner Schülerschaft stellt. Er muss ganz klar machen, es geht jetzt um meinen Unterricht, und ihr dürft mich bewerten, Und das ist etwas, was bei vielen Kollegen vielleicht zu einer Abwehrreaktion führt."

    Christian Jensen hat das Ergebnis gleich im Anschluss mit der Klasse besprochen. Wer unsicher ist oder eine schwierige Klasse hat, kann das Ganze auch erst im stillen Kämmerlein auswerten, rät er skeptischen Kolleginnen und Kollegen.

    "Ursachenforschung betreiben und dann in das Gespräch mit der Klasse sehr gut vorbereitet rein zu gehen und auf die möglichen Fragen sich schon mal geistig einzustellen."

    Weder Schulaufsicht noch Schulleitung erhalten das Ergebnis der Online-Bewertung, allein die Lehrerin oder der Lehrer erfahren, wie ihr Unterricht von den Schülern gesehen wird. Bildungsstaatssekretär Mark Rackless bekräftigt: Die Bewertung soll nicht zum Pranger werden wie bei "Spick mich".

    "Die Schüler sollen die Gelegenheit haben, die Lehrkraft zu evaluieren, aber auch nur für die Lehrkraft, nicht für die Schulleitung oder die Verwaltung, sondern dass die Lehrkraft eine regelmäßiges Feedback bekommt aus den Lehrgruppen heraus."

    Weil zu wenige Berliner Lehrer freiwillig mitgemacht haben, hat die Senatsbildungsverwaltung die Online-Bewertung nun zur Pflicht gemacht.
    Sie müssen sich nun alle zwei Jahre von einer selbst gewählten Klasse evaluieren lassen, in der Grundschule ab der dritten Klasse. Wir sind überzeugt davon, dass dies helfen kann, den Unterricht zu verbessern, sagt SPD-Bildungsstaatssekretär Rackles.

    "Weil man eben doch, selbst wenn man gut ist, in den Alltag verfällt, in einen Mechanismus verfällt. Und für die Schüler ist es gut, wenn man mal was Neues denkt. Und das soll das mit unterstützen. Nicht erzwingen, aber mit unterstützen."

    Nicht alle Lehrerinnen und Lehrer sind glücklich über diesen Zwang zur Bewertung durch die Schüler, glauben nicht daran, dass der Unterricht dadurch besser wird. Man sollte keine zu hohen Erwartungen haben, meint zum Beispiel der Leiter der Bergius-Sekundarschule Michael Rudolph.

    "Wer sich davon verspricht, dass grundsätzlich jetzt ein Lehrer, ich unterstelle mal, er macht schlechten Unterricht, dass er sich dann ändert, da bin ich zumindest skeptisch. Weil die Lebenserfahrung dagegen spricht, wenn ein Mensch ein bestimmtes Alter erreicht hat, ist er nur mühsam bereit, sich zu ändern."

    Berlins Senatsbildungsverwaltung ist da optimistischer und will die Online-Evaluierung ausweiten. Künftig soll auch die Schulaufsicht von den Schulen bewertet werden können und die Schulleitungen von den Lehrerkollegien.