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Berlins Opferbeauftragter
Viel zu tun nach dem Terroranschlag am Breitscheidplatz

Roland Weber ist seit 2012 Berlins Opferbeauftragter und berät Betroffene von Straftaten beim Beantragen von Hilfen. Dass die Gerichte seit kurzem Zeugenladungen in verständlicher Sprache formulieren, ist sein Verdienst. Seit dem Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt ist der 50-Jährige noch mehr als sonst gefordert.

Von Daniela Siebert | 09.02.2017
    Mit Flatterband ist am 21.12.2016 am Friedrich-Krause-Ufer im Westhafen in Berlin der Ort abgesperrt, an dem der LKW vor seiner Fahrt auf den Breitscheidplatz zuletzt geparkt haben soll.
    Berlins Opferbeauftragter ist seit dem Attentat in Berlin viel unterwegs - an ihn können sich Betroffene und Hinterbliebene wenden und sich beraten lassen. (picture alliance / Michael Kappeler / dpa)
    Roland Weber drückt zur Begrüßung warm und verbindlich die Hand, er trägt Jeans und ein hellblaues Hemd, die Ärmel hochgeschlagen. Berlins Opferbeauftragter ist Rechtsanwalt. Strafverteidiger. Typ: adrett, schnörkellos. Seine kleine Sozietät liegt in der Nähe vom Checkpoint Charlie.
    Seit dem 19. Dezember, dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt, ist der 50-Jährige permanent in seinem Ehrenamt gefordert: Als Berlins Opferbeauftragter, der den Betroffenen und Hinterbliebenen aufzeigt, wo sie welche Hilfe bekommen. Die aktuellste Herausforderung für ihn:
    "Es zeigt sich in Einzelfällen, dass die Leute vielleicht nicht so bedürftig sind, wie sie es darstellen oder vielleicht auch gar nicht so krank sind, wie sie sagen. Das ist natürlich dann immer ein bisschen problematisch für die, die Spendengelder verteilen, denn die möchten ja von mir genau wissen, wie ist die Hintergrundsituation und ich kann das ja schlecht überprüfen."
    Aufklärung der Abgeordneten nach dem Terroranschlag
    Noch vor ein paar Tagen hatte er mit einer anderen Facette des Terroranschlages zu tun. Im Rechtsausschuss des Abgeordnetenhauses klärte er die versammelten Landespolitiker über die katastrophalen Schwächen in der Kommunikation am Abend des Lkw-Anschlags und in den Tagen nach der Tat auf. Etwa bei der eigens eingerichteten Hotline für Angehörige, die wissen wollten, ob ihre Liebsten verletzt oder tot sind und wo sie sie finden:
    "Sie hatten eine Personenauskunftsstelle eingerichtet, die war in den ersten beiden Tagen völlig überlastet und danach ging phasenweise niemand mehr dran oder die Mitarbeiter wussten dort nicht Bescheid."
    Berlin leistet sich seit 2012 als einziges Bundesland diesen Posten
    Damit sich so was in Zukunft nicht wiederholt, arbeitet Roland Weber an einem neuen Konzept, das er in Kürze dem Berliner Justizsenator vorlegen will.
    Als Berlin 2012 erstmals und als bis dato einziges Bundesland den Posten eines Opferbeauftragten einführte, waren die Motive dafür nicht so dramatisch. Der damalige Justizsenator Thomas Heilmann von der CDU wollte einfach einen Ansprechpartner haben, der sich mit Opferbelangen auskennt, erinnert sich Roland Weber. Und er fühlte sich berufen dafür, schließlich hatte sich schon als junger Strafverteidiger für die Opfer interessiert.
    Umfassende Aufklärungsarbeit und Klinken putzen
    Zusätzlich zu seiner Verteidiger-Tätigkeit für Täter und Beschuldigte, setzte er sich schon bald auch für die Opfer ein, etwa als Zeugenbetreuer oder als Nebenkläger.
    Als Opferbeauftragter des Landes Berlin setzt er heute auf umfassende Aufklärungsarbeit: Das Opferentschädigungsgesetz, Hilfsorganisationen, juristischer, menschlicher und therapeutischer Beistand – solche Optionen sollen bekannter werden. Dafür hat Weber viele Klinken geputzt: bei Botschaften, Verwaltungen, Behörden, Vereinen, Hilfsorganisationen, Medien usw.
    "In erster Linie denke ich, konnte ich eine andere Struktur erreichen, auch ein anderes Denken bei vielen, dass es gelungen ist mit dieser Stelle, sehr viel stärker auf die Opferthemen hinzuweisen und dass darüber auch eine andere Sensibilisierung erreicht wurde."
    Videoaufzeichnung bei der Vernehmung von Kindern zu deren Schutz
    Auch ganz konkret konnte er schon Änderungen herbeiführen, etwa bei Zeugenladungen von Gerichten. Die seien jetzt nicht mehr im Behördenjargon, sondern in verständlicher Sprache formuliert.
    An anderen dicken Brettern bohrt Roland Weber noch. Beispiel: Kinder, die Opfer von Verbrechen wurden und dazu aussagen müssen. Am schonendsten sei für sie die einmalige gründliche Vernehmung mit Video-Aufzeichnung, die wiederholte Befragungen vermeidet. Polizei, Justiz und Politik seien auch willig, dieses Instrument einzusetzen, aber:
    "Als ich dann letzten Sommer eruierte, warum steigen die Zahlen der Video-Vernehmungen nicht, zeigte sich, dass die Anlage bei der Polizei defekt war, dass eine neue Anlage eingebaut wurde, dass nur eine Mitarbeiterin dafür zuständig war, die war dann längere Zeit erkrankt und im Urlaub und so lag dann die Video-Vernehmung monatelang darnieder."
    Schaut man sich die jährlichen Tätigkeitsberichte des Berliner Opferbeauftragten an, dann wird aber auch schnell klar: Viele der Anfragen, die er bekommt, haben mit seiner eigentlichen Aufgabe gar nichts zu tun.
    Lotse für Opfer
    "Es gibt viele Menschen, die betrachten sich als Opfer. Von Behördenwillkür, unangenehmen Nachbarn und dergleichen mehr. Viele von denen versuchen, irgendwo Hilfe als Opfer zu finden, irgendwann finden sie mich."
    Auch für andere Bundesländer ist Roland Weber nicht zuständig. Er kümmert sich um Opfer von Straftaten im Stadtstaat Berlin. Für sie fungiert er als Lotse, der diesen Menschen die Strukturen erklärt und Ansprechpartner vermittelt.
    Wie er denn Herz und Hirn wieder freibekäme von den traurigen Opfer-Geschichten frage ich zum Abschied? Damit habe er noch keine Probleme sagt er:
    "Also ich habe bisher an mir keine Belastungsspuren feststellen können."