Jürgen Liminski: Das deutsch-russische Verhältnis scheint nach dem Gipfel von Samara etwas ramponiert zu sein, nicht ganz konfliktfrei heißt es in der Sprache der westlichen Diplomaten, und kompliziert nennen die Russen ein Verhältnis, in dem die Positionen sich mehr oder weniger kompromissunfähig gegenüberstehen. Das ist die Stunde von Institutionen, die im vorpolitischen Raum tätig sind, also Stiftungen, Kirchen, Verbände. Da ist es ein glücklicher Zufall, dass die Konrad-Adenauer-Stiftung gerade in diesen Tagen in Moskau ein Symposium abhält unter dem Titel "Perspektiven der europäisch-russischen Kooperation bei der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik". Hinter dem etwas sperrigen Titel verbirgt sich ein Treffen mit hochkarätigen Experten, an dem auch der Vorsitzende der Adenauer-Stiftung, Bernhard Vogel, früher viele Jahre Ministerpräsident in Rheinland-Pfalz und in Thüringen, teilnimmt, und der die Gelegenheit nutzt, um am Rande der Tagung darüber hinaus auch mit Politikern und einflussreichen Persönlichkeiten in der russischen Hauptstadt Gespräche zu führen. Ihn haben wir nun am Telefon. Guten Morgen, Herr Vogel.
Bernhard Vogel: Guten Morgen.
Liminski: Herr Vogel, merken Sie in Ihren Gesprächen etwas von der deutsch-russischen Verstimmung an der Spitze?
Vogel: Dominierend ist das sehr große Interesse an Deutschland und an dem, was wir hier zu sagen haben, auch zu den gewissen Schwierigkeiten, die es in letzter Zeit gegeben hat. Über die wird gesprochen. Aber eines scheint mir klar zu sein: Europa braucht Russland. Wenn ich es recht interpretiere, weiß Russland auch, dass es Europa braucht. Es ist also ein vitales Interesse vorhanden, aber nebenbei auch eine Herzenssache, dass wir endlich auch zu Freundschaft und gutem Einvernehmen mit dem wichtigsten europäischen Nachbarn der EU kommen.
Liminski: Bei den Russen sieht man das, was wir unter Demokratie verstehen, doch etwas anders und beschwert sich darüber, dass wir das nicht verstehen, was sie nun darunter meinen. Ist das nur ein psychologisches Phänomen, oder will man in Russland nicht sehen, dass Pressefreiheit, Versammlungsfreiheit und der Primat des Rechts unabdingbar zur Demokratie gehören?
Vogel: Zunächst muss man, glaube ich, ein bisschen mehr und intensiver aufeinander hören und sehen, dass Russland auch unter Putin bei aller Kritik, die natürlich auch berechtigt ist, Fortschritte gemacht hat, dass das Land sich stabilisiert hat, und dass, ich bin ein paar Jahre nicht hier gewesen, beispielsweise Moskau in einem ganz anderen Licht erscheint wie vor fünf oder gar vor zehn oder 15 Jahren. Das muss man zur Kenntnis nehmen. Man muss zur Kenntnis nehmen, dass die Duma-Wahlen im Dezember und die Wahlen des Präsidenten wenige Wochen danach jetzt hier im Mittelpunkt stehen. Es ist unsere Sache, dabei auch immer wieder Menschenrechte und Demokratie anzusprechen, aber nicht als eine abweisende Forderung, sondern als einen hilfreichen Beitrag.
Liminski: Was sagen Sie denn Ihren Gesprächspartnern, wenn es um die Frage der Menschenrechte geht?
Vogel: Dass es ohne Menschenrechte nicht geht und dass Demokratie Freiheit heißt - übrigens auch Presse und Demonstrationsfreiheit - aber natürlich auch Menschrechte enthält. Ich habe mehreren Gesprächspartnern gesagt, dass ich bei der Stärke, die der gegenwärtige Präsident in Russland hat, eigentlich nicht verstehe, dass die öffentliche Hand hier auf Demonstrationen so nervös reagiert.
Liminski: Eine ganz unterschiedliche Wahrnehmung, Herr Vogel, gibt es auch beim Thema Raketenabwehr. Moskau fühlt sich angeblich bedroht, einige Europäer bieten ihr Land als Basis für den Schutz an, Washington will Moskau sogar einbeziehen in den Schutzschirm. Kommt man da noch auf einen gemeinsamen Nenner?
Vogel: Das stand zwar nicht im ersten Mittelpunkt hier, aber es ist gar keine Frage, Russland fühlt sich auf dem Weg zurück zu einer Großmacht neben den Vereinigten Staaten. Es ist aber auch keine Frage, dass eine wirkliche Bedrohung von diesen Sicherheitsraketen, die da aufgestellt werden sollen, nicht ausgeht. Nur muss zunächst einmal die Europäische Union in dieser Frage zu einer einheitlichen Meinung kommen und darf sich nicht, wie das gegenwärtig der Fall ist, auseinander dividieren lassen.
Liminski: Für ein rohstoffarmes Land wie Deutschland ist die Versorgung mit Energie überlebenswichtig. Auch hier erweist sich Russland als sagen wir mal unsicherer Kantonist, wenn man an die Krisen mit der Ukraine und Weißrussland denkt. Sieht man die Bedenken der Europäer in diesem Bereich, oder muss man die Energieversorgung hierzulande auf eine breitere Grundlage stellen?
Vogel: Breite Grundlage ist unabhängig davon natürlich immer gut, aber man muss sehen, dass das keine einseitige Abhängigkeit Europas von den russischen Energiequellen ist, sondern dass Russlands weiterer wirtschaftlicher Aufstieg davon abhängt, dass unbehindert diese Lieferung in den Westen erfolgen. Denn wenn man ein bescheidenes Wachstum des Wohlstandes und insbesondere Ansätze für die Entwicklung eines Mittelstandes hier beobachtet, dann geht das nur wegen der Einnahmen aus den Energieexporten. Wir haben es hier nicht mehr mit einer einseitigen Abhängigkeit, sondern mit einem beidseitigen Interesse zu tun.
Liminski: Sie sprachen vorhin von Fortschritten auch in den demokratischen Verhältnissen. Wie würden Sie denn die demokratischen Verhältnisse in Russland konkret einschätzen? Handelt es sich um eine Oligarchie, um eine Diktatur mit freier Wirtschaft, um ein autoritäres System?
Vogel: Es handelt sich um ein System, dass in deutlichem Maße zu mehr Ordnung gefunden hat, um ein System, dass an der Stabilisierung und dem wirtschaftlichen Fortschritt interessiert ist und dass für uns diesen Fortschritt zur Voraussetzung hat, damit eine Demokratisierung nicht auf Armut, sondern auf langsam zunehmendem bescheidenen Wohlstand beruht. Man kann Demokratie von Wohlstand nicht trennen. Armut ist immer auch die Voraussetzung für nicht mit unseren Vorstellungen vereinbare Regierungsformen.
Liminski: Glauben Sie denn, dass die Verhältnisse im Dezember, wenn die Parlamentswahlen und wenn die Präsidentschaftswahlen dann anstehen, so weit gediehen sind, dass man wirklich freie Wahlen erleben wird?
Vogel: Das hoffe ich. Und ich hoffe, dass das auch einer internationalen Beobachtung zugänglich ist. Ich bin im Moment in Moskau, aber ich werde bewusst morgen nach Wolgograd weiterreisen, einem Punkt, der für die Geschichte beider Länder - dem früheren Stalingrad - gewichtig ist. Und ich werde auch nach Wladiwostok gehen. Russland ist ein europäisches, aber ist auch asiatisches Land. Und wenn Sie mir die Frage nach meinem Besuch in Wladiwostok noch mal stellen, kann ich sie umfassender beantworten als hier von Moskau aus.
Liminski: Das war aus Moskau Bernhard Vogel, Vorsitzender der Konrad-Adenauer-Stiftung und früherer Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz und Thüringen. Besten Dank für das Gespräch, Herr Vogel.
Vogel: Bitte schön.
Bernhard Vogel: Guten Morgen.
Liminski: Herr Vogel, merken Sie in Ihren Gesprächen etwas von der deutsch-russischen Verstimmung an der Spitze?
Vogel: Dominierend ist das sehr große Interesse an Deutschland und an dem, was wir hier zu sagen haben, auch zu den gewissen Schwierigkeiten, die es in letzter Zeit gegeben hat. Über die wird gesprochen. Aber eines scheint mir klar zu sein: Europa braucht Russland. Wenn ich es recht interpretiere, weiß Russland auch, dass es Europa braucht. Es ist also ein vitales Interesse vorhanden, aber nebenbei auch eine Herzenssache, dass wir endlich auch zu Freundschaft und gutem Einvernehmen mit dem wichtigsten europäischen Nachbarn der EU kommen.
Liminski: Bei den Russen sieht man das, was wir unter Demokratie verstehen, doch etwas anders und beschwert sich darüber, dass wir das nicht verstehen, was sie nun darunter meinen. Ist das nur ein psychologisches Phänomen, oder will man in Russland nicht sehen, dass Pressefreiheit, Versammlungsfreiheit und der Primat des Rechts unabdingbar zur Demokratie gehören?
Vogel: Zunächst muss man, glaube ich, ein bisschen mehr und intensiver aufeinander hören und sehen, dass Russland auch unter Putin bei aller Kritik, die natürlich auch berechtigt ist, Fortschritte gemacht hat, dass das Land sich stabilisiert hat, und dass, ich bin ein paar Jahre nicht hier gewesen, beispielsweise Moskau in einem ganz anderen Licht erscheint wie vor fünf oder gar vor zehn oder 15 Jahren. Das muss man zur Kenntnis nehmen. Man muss zur Kenntnis nehmen, dass die Duma-Wahlen im Dezember und die Wahlen des Präsidenten wenige Wochen danach jetzt hier im Mittelpunkt stehen. Es ist unsere Sache, dabei auch immer wieder Menschenrechte und Demokratie anzusprechen, aber nicht als eine abweisende Forderung, sondern als einen hilfreichen Beitrag.
Liminski: Was sagen Sie denn Ihren Gesprächspartnern, wenn es um die Frage der Menschenrechte geht?
Vogel: Dass es ohne Menschenrechte nicht geht und dass Demokratie Freiheit heißt - übrigens auch Presse und Demonstrationsfreiheit - aber natürlich auch Menschrechte enthält. Ich habe mehreren Gesprächspartnern gesagt, dass ich bei der Stärke, die der gegenwärtige Präsident in Russland hat, eigentlich nicht verstehe, dass die öffentliche Hand hier auf Demonstrationen so nervös reagiert.
Liminski: Eine ganz unterschiedliche Wahrnehmung, Herr Vogel, gibt es auch beim Thema Raketenabwehr. Moskau fühlt sich angeblich bedroht, einige Europäer bieten ihr Land als Basis für den Schutz an, Washington will Moskau sogar einbeziehen in den Schutzschirm. Kommt man da noch auf einen gemeinsamen Nenner?
Vogel: Das stand zwar nicht im ersten Mittelpunkt hier, aber es ist gar keine Frage, Russland fühlt sich auf dem Weg zurück zu einer Großmacht neben den Vereinigten Staaten. Es ist aber auch keine Frage, dass eine wirkliche Bedrohung von diesen Sicherheitsraketen, die da aufgestellt werden sollen, nicht ausgeht. Nur muss zunächst einmal die Europäische Union in dieser Frage zu einer einheitlichen Meinung kommen und darf sich nicht, wie das gegenwärtig der Fall ist, auseinander dividieren lassen.
Liminski: Für ein rohstoffarmes Land wie Deutschland ist die Versorgung mit Energie überlebenswichtig. Auch hier erweist sich Russland als sagen wir mal unsicherer Kantonist, wenn man an die Krisen mit der Ukraine und Weißrussland denkt. Sieht man die Bedenken der Europäer in diesem Bereich, oder muss man die Energieversorgung hierzulande auf eine breitere Grundlage stellen?
Vogel: Breite Grundlage ist unabhängig davon natürlich immer gut, aber man muss sehen, dass das keine einseitige Abhängigkeit Europas von den russischen Energiequellen ist, sondern dass Russlands weiterer wirtschaftlicher Aufstieg davon abhängt, dass unbehindert diese Lieferung in den Westen erfolgen. Denn wenn man ein bescheidenes Wachstum des Wohlstandes und insbesondere Ansätze für die Entwicklung eines Mittelstandes hier beobachtet, dann geht das nur wegen der Einnahmen aus den Energieexporten. Wir haben es hier nicht mehr mit einer einseitigen Abhängigkeit, sondern mit einem beidseitigen Interesse zu tun.
Liminski: Sie sprachen vorhin von Fortschritten auch in den demokratischen Verhältnissen. Wie würden Sie denn die demokratischen Verhältnisse in Russland konkret einschätzen? Handelt es sich um eine Oligarchie, um eine Diktatur mit freier Wirtschaft, um ein autoritäres System?
Vogel: Es handelt sich um ein System, dass in deutlichem Maße zu mehr Ordnung gefunden hat, um ein System, dass an der Stabilisierung und dem wirtschaftlichen Fortschritt interessiert ist und dass für uns diesen Fortschritt zur Voraussetzung hat, damit eine Demokratisierung nicht auf Armut, sondern auf langsam zunehmendem bescheidenen Wohlstand beruht. Man kann Demokratie von Wohlstand nicht trennen. Armut ist immer auch die Voraussetzung für nicht mit unseren Vorstellungen vereinbare Regierungsformen.
Liminski: Glauben Sie denn, dass die Verhältnisse im Dezember, wenn die Parlamentswahlen und wenn die Präsidentschaftswahlen dann anstehen, so weit gediehen sind, dass man wirklich freie Wahlen erleben wird?
Vogel: Das hoffe ich. Und ich hoffe, dass das auch einer internationalen Beobachtung zugänglich ist. Ich bin im Moment in Moskau, aber ich werde bewusst morgen nach Wolgograd weiterreisen, einem Punkt, der für die Geschichte beider Länder - dem früheren Stalingrad - gewichtig ist. Und ich werde auch nach Wladiwostok gehen. Russland ist ein europäisches, aber ist auch asiatisches Land. Und wenn Sie mir die Frage nach meinem Besuch in Wladiwostok noch mal stellen, kann ich sie umfassender beantworten als hier von Moskau aus.
Liminski: Das war aus Moskau Bernhard Vogel, Vorsitzender der Konrad-Adenauer-Stiftung und früherer Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz und Thüringen. Besten Dank für das Gespräch, Herr Vogel.
Vogel: Bitte schön.