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Bert Rürup: Konzept zur Altersteilzeit "falsches Signal"

Bert Rürup, Vorsitzender des Sachverständigenrates der Bundesregierung, kritisiert das SPD-Konzept zur Verlängerung der Arbeitsteilzeit. Betriebe könnten sich dadurch auf Kosten der öffentlichen Hand von älteren Arbeitnehmern trennen. Das bislang durch die Agenda 2010 Erreichte drohe, verspielt zu werden, so Rürup.

Moderation: Dirk Müller |
    Dirk Müller: (Bei uns hier im Deutschlandfunk am Telefon ist nun der Wirtschaftsweise Bert Rürup, Vorsitzender des Sachverständigenrates der Bundesregierung.) Guten Morgen!

    Bert Rürup: Guten Morgen!

    Müller: Herr Rürup, freuen Sie sich schon auf neue Frührentner?

    Rürup: Na ja, eigentlich nicht. Das heißt die Betroffenen, besser die Begünstigten werden sich schon darüber freuen, aber wenn man mal versucht, den Standpunkt einer gesamtwirtschaftlichen Vernunft einzunehmen und auch in die Zukunft schaut, so ist das in der Tat, was Herr Röttgen sagt, ein falsches Signal. Man kann es auch interpretieren: Es war ein Anlauf zu einer Rolle rückwärts, nämlich die Rente mit 67 war die letzte wichtige Reform, um die gesetzliche Rentenversicherung gegen die ausgabenseitigen Konsequenzen der Bevölkerung abzusichern. Das war das sozialpolitische Leuchtturmprojekt der Großen Koalition und man kann es drehen und wenden wie man will, das ist eine Distanzierung von diesem Konzept, welches darauf abzielt, dass wir alle länger arbeiten sollen, ja länger arbeiten müssen.

    Müller: Herr Rürup, ist aus Ihrer Sicht die SPD im Moment dazu da, ihre eigene Politik zu konterkarieren?

    Rürup: Sie ist gegenwärtig dabei, das was sie vereinbart hat und was Müntefering durchgesetzt hat, zumindest in Frage zu stellen.

    Müller: Und das wird teuer, wenn es umgesetzt werden sollte?

    Rürup: Es wird teuer. Das heißt diese 1,4 Milliarden bei gut 100.000 sind eine Blitzlichtaufnahme. Die Kosten sind natürlich relevant, aber wichtiger ist eigentlich etwas anderes, nämlich es war das Programm, dass man versuchen sollte, die Lebensarbeitszeit zu verlängern – und zwar nicht nur, was immer wieder übersehen wird, um zu einer Beitragssatzdämpfung der gesetzlichen Rentenversicherung zu kommen. Fast wichtiger ist die makroökonomische Dimension. Es wird ja dadurch für einen sehr, sehr langen Zeitraum das Erwerbspersonenpotenzial erhöht und damit werden die Wachstumschancen verbessert. Das heißt in der Summe kann für etwa 20, 25 Jahre das Potenzial Wachstum – das ist ein langfristiger Wachstumstrend – um bis zu 0,3 Prozent erhöht werden, weil eben mehr Arbeitskräfte zur Verfügung stehen und das ist genau das, was wir in einer alternden Gesellschaft brauchen. Das heißt wir müssen versuchen, dass mehr Leute arbeiten, um hier die reale Güterversorgung, damit den Wohlstand pro Kopf gleichzuhalten. Das geht über den rentenpolitischen Bereich hinaus.

    Müller: Nun hält, Herr Rürup, Kurt Beck dagegen: "Wir wollen auch Platz machen für jüngere".

    Rürup: Ja. Das ist ein völlig falsches Argument. Hier wird ja so getan, als sei das Arbeitsvolumen eine gegebene Größe und dass die Arbeitsplätze, die von den alten frei gemacht werden, von den jungen besetzt werden. Das ist eine völlig falsche Vorstellung. Das Arbeitsvolumen – das ist die Summe aller geleisteten Arbeitsstunden – muss in jedem Jahr neu erwirtschaftet werden und es ist falsch zu glauben, wenn man jetzt den älteren einen früheren Ausstieg ermöglicht, dass die jüngeren bessere Beschäftigungschancen haben.
    Wenn wir mal einen Blick ins Ausland werfen, da gibt es Länder die haben deutlich höhere Beschäftigungsquoten älterer, wenngleich in Deutschland die Zunahmen der Beschäftigung älterer eine Erfolgsstory ist. Aber in diesen Ländern, wo wir noch viel höhere Beschäftigungsquoten haben, ist die Arbeitswelt nicht humaner. Der Rationalisierungsdruck ist nicht geringer und dennoch sind gleichzeitig die Beschäftigungschancen der jüngeren auch höher. Auch da haben wir höhere Beschäftigung. Es ist eben nicht so, dass wir hier eine Konkurrenz zwischen jung und alt haben und dass die Verlängerung der Altersteilzeit eine Brücke zwischen jung und alt eröffnen würde. Das ist ein falsches Bild. Das ist suggestiv, aber ökonomisch falsch.

    Müller: Herr Rürup, ein weiteres Argument der Sozialdemokraten ist ja: wir machen es nicht ganz so streng und nicht ganz so kostspielig wie beim letzten Mal, denn das Eintrittsalter in diese Altersteilzeit, das wird verschoben von 55 auf 57 Jahre. Macht das etwas besser?

    Rürup: Ja. Das ist eine Synchronisation zu der Rente mit 67. Das ist eben ein Hochrollen. Das macht es vielleicht etwas besser, aber es geht hier um die Substanz und es geht hier meines Erachtens um das völlig falsche Signal, was damit gesetzt wird.

    Müller: Macht damit die SPD eine schlechte Politik für ältere Arbeitnehmer?

    Rürup: Das kommt jetzt wieder darauf an. Klassische Examensantwort: möglicherweise aus der Sicht der Klientel, die sie im Auge hat, macht sie eine richtige Richtung. Aber sie muss natürlich sehen: eine Partei, die in der Regierung ist, muss das Ganze im Auge haben. Wenn die Rente mit 67 ein Fehler gewesen wäre, hätten sie sie in der Vergangenheit nicht machen dürfen. Ich glaube, hier lässt der Wahlkampf grüßen.

    Müller:I ch muss Sie noch mal konkret dazu befragen. Sie haben ja schon viele Examina auch ausgestellt und Fragen entwickelt, Herr Rürup. Wie ist denn Ihre klare Antwort auf diese Frage?

    Rürup: Auf welche Frage?

    Müller: Auf die Frage, inwieweit das jetzt nun Sinn macht aus Arbeitnehmersicht?

    Rürup: Es macht meines Erachtens keinen Sinn. Hier wird ja letztlich auch wieder eine Subvention damit gegeben, dass sich Betriebe auf Kosten der öffentlichen Hand von älteren Arbeitnehmern trennen können. Man kann nicht gleichzeitig den Fachkräftemangel beklagen und dann wiederum hier quasi einen Subventionstatbestand aufbauen. Nein, das ist eine falsche Entscheidung.

    Müller: Ist es aus Ihrer Sicht immer schwieriger innerhalb der Großen Koalition - gerade auch mit Blick auf der SPD -, dass offenbar Parteipolitik immer weder ökonomischer Vernunft gemacht wird?

    Rürup: Das gilt möglicherweise bei beiden Parteien, aber leider ist es gegenwärtig bei der SPD etwas ausgeprägter, da sie anders als die Unionsparteien auf der linken Seite einen Konkurrenten hat. Man darf nicht vergessen: Gerhard Schröder hat gegen viele Widerstände und auch mit hohen Wählerverlusten einen deutlichen Modernisierungsschub für dieses Land eingeleitet. Die "Agenda 2010" war ein wichtiger und richtiger Schritt nach vorne in ein leistungsfähiges ökonomisches Deutschland. Die gegenwärtige Regierung beginnt jetzt, die Früchte zu ernten. Diese Verlängerung der Altersteilzeit – ja, man kann das unterschreiben -, man beginnt das Erreichte zu verspielen.

    Müller: Kurt Beck hört nicht auf Sie?

    Rürup: Nach Lage der Dinge wohl nicht.

    Müller: Der Wirtschaftsweise Bert Rürup war das bei uns im Deutschlandfunk, Vorsitzender des Sachverständigenrates der Bundesregierung. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören!

    Rürup: Bitte schön!