
"Angenommen Sie haben eine Million Bilder, die Sie kategorisieren müssen. Wenn Sie da jetzt Ihre Mitarbeiter dransetzen, sind die Mitarbeiter bald weg, weil die sagen, ich werde hier verrückt. Wenn Sie aber diese eine Million Bilder auf 10.000 Crowdworker verteilen, dann haben sie das nicht nur erledigt, sondern auch sehr schnell, weil sie parallel arbeiten."
Sagt Martin Krzywdzinski vom Wissenschaftszentrum Berlin, kurz WZB. Der Soziologe arbeitet an einer Studie über das Phänomen Crowdwork. Dahinter steht ein großes Versprechen: egal, wie groß die Aufgabe auch ist, da draußen wartet ein Heer an bereitwilligen Arbeitskräften nur darauf, sie schnell und günstig zu erledigen. Die Crowdworker andererseits werden mit einem Freiheitsversprechen gelockt: nicht mehr zu festen Zeiten in einem Büro sitzen zu müssen, sondern zu arbeiten, wo und wann sie wollen. Das wirkt offenbar. Zumindest würden das die Rückmeldungen der bei ihm registrierten User zeigen, sagt Hans Speidel, Chef der Berliner Plattform CrowdGuru.
"Das finden sie am tollsten. Das ist eine der Hauptmotivationen für die, für uns zu arbeiten, weil sie einfach komplett in ihrer Selbstbestimmung frei sind."

"Crowdwork steckt bisher vielleicht noch in den Kinderschuhen, hat aber das Potenzial, den Arbeitsmarkt gründlich durcheinanderzubringen. Wenn die Plattformökonomie mit ihrem Modell des selbstständigen Auftragnehmers weiter wächst, werden immer mehr Menschen arbeiten, ohne die Rechte, den Schutz und die Leistungen des Angestelltendaseins zu haben."
Die US-amerikanische Juristin Wilma Liebman von der Rutgers Univerity in New Jersey ist ehemalige Vorsitzende des National Labour Relations Board, der Arbeitsaufsichtsbehörde der USA. Sie hat die Auswirkungen von Crowdwork auf den US-Arbeitsmarkt für eine Studie des gewerkschaftsnahen Hugo Sinzheimer Instituts für Arbeitsrecht in Frankfurt am Main untersucht. In den USA ist das Phänomen bereits weitverbreitet. Vorreiter war die Crowdsourcing-Plattform des Onlineversandhauses Amazon. Das Bundesarbeitsministerium versucht derzeit über Studien herauszufinden, wie viele Crowdworker in Deutschland arbeiten, und gibt als Zwischenstand an, dass es rund ein Prozent der Erwerbstätigen in Deutschland sind. CrowdGuru zum Beispiel zählt 50.000 registrierte "Gurus", wie man dort die Zuarbeiter kumpelhaft nennt.
Der IG Metall zufolge haben 32 Crowdsourcing-Plattformen wie CrowdGuru einen Geschäftssitz in Deutschland. Die Gewerkschaft setzt sich besonders für Crowdworker ein. Die IG Metall hat 2016 eigens die Satzung geändert, damit auch sogenannte Soloselbstständige Mitglied werden können. Die Gewerkschaft erwartet, dass Crowdwork einen erheblichen Einfluss darauf haben wird, wie Unternehmen Arbeit künftig organisieren, sagt Christiane Benner, zweite Vorsitzende der IG Metall.
"Crowdworking ist in verschiedener Hinsicht der Nukleus neuer Beschäftigungsformen im digitalen Zeitalter."
"Da gibt es Leute, die sagen, in Zukunft haben wir keinen Arbeitsplatz mehr, sondern nur noch einen Arbeitseinsatz. Und das ist dann das höchste Maß der Flexibilisierung von Arbeit."
"Sie haben dann in einem Test 15 bis 20 Andere, die testen. Und jeder Fehler wird natürlich nur einmal angenommen. Also, wenn Sie jetzt die Suchfunktion haben, die nicht funktioniert, und da war aber jemand eine Minute schneller, haben Sie Pech gehabt."
Auch dieses Risiko trägt Drewitz als Auftragnehmer: Er wird meist nicht pauschal etwa nach Zeit oder Volumen der getesteten Website bezahlt, sondern erhält lediglich eine Erfolgsprämie pro erstmalig gemeldetem Fehler.
"Je länger der Test schon läuft, desto größer ist das Risiko, leer auszugehen und nichts Neues mehr zu finden."
Ganz so frei in der Wahl seiner Arbeitszeit, wie es viele Plattformanbieter suggerieren, ist Drewitz also nicht, zumindest dann nicht, wenn die Arbeit sich lohnen soll.
"Also optimal ist es wirklich, wenn man denn kann zeitlich, dass man dann anfängt, wenn auch der Test startet."
Mit dieser Erfahrung komme er mittlerweile auf einen durchschnittlichen Stundenlohn von rund 16 Euro, sagt der der Ingenieurstudent. Genug, um die Miete zu bezahlen und sein Studium zu finanzieren – und ein guter Schnitt für einen Crowdworker. Für viele der Kleinstaufgaben auf anderen Plattformen, die in wenigen Minuten zu erledigen sind, gibt es lediglich einige Cent. Daneben gibt es in der Online-Community der Plattformen Ranglisten oder Auszeichnungen für besonders fleißige Mitarbeiter. Daniel Drewitz steht im Ranking bei Test IO unter den Besten.
"Aber das wird halt auch als Ersatzwährung benutzt, um nicht mehr zu zahlen, so sehe ich das dann manchmal, und das ist dann schon kritisch."
"Aber dennoch ist es so ein bisschen Gutdünken der Plattformen. Es sind keine Rechte, die die Crowdworker haben. Und da ist eben der Punkt, der in Zukunft die Auseinandersetzung sein wird."
"Wenn zum Beispiel eine Plattform sagt, ich biete Dienstleistungen im Haushalt an oder Handwerksdienstleistungen und ich bestimme die Preise. Ich zahle aber für die Beschäftigten gar nichts an Sozialversicherung, an Steuern etc., weil die sind ja alle selbstständig. Damit löst man natürlich Dumpingprozesse aus, die andere Handwerks- oder Dienstleistungsbetriebe, die normale Angestellte haben, wahnsinnig unter Druck setzt."

"Wenn sie nämlich für eine Plattform quasi ausschließlich arbeiten, wenn sie die Preise nicht selbst bestimmen können, wenn sie kontrolliert werden, über Technik gesteuert werden, bewertet, gerankt, gescreent werden, all diese Umstände zeigen eigentlich, dass es mit wirklich selbstständiger Arbeit, wie wir sie kennen, wenig zu tun hat."
"Also Leute, die einfach so öfter im Internet unterwegs sind, da Spaß haben, auch am Computer zu sitzen und mal Freiräume haben, Freizeiten und sich noch ein paar Euro dazuverdienen wollen."
CrowdGuru gehört allerdings zu den Plattformen, die sich bemühen, Mitarbeitern und Gewerkschaften entgegenzukommen. Speidel ist seit einiger Zeit im Gespräch mit der IG Metall und hat einen mit deren Hilfe erstellten Verhaltenskodex unterzeichnet, der dem Umgang mit Crowdworkern regeln soll. Dieser Kodex hält zum Beispiel fest, dass Auftragnehmer regelmäßig – mindestens einmal im Monat – ihr Honorar erhalten und dass in einem fairen Prozess auf deren etwaige Beschwerden reagiert werden soll.
Kerstin Eschrich ist eine derer, die regelmäßig für CrowdGuru arbeiten. Die gebürtige Thüringerin hat Soziologie studiert, sich danach aber auf Suchmaschinenoptimierung und Webdesign spezialisiert. In ihrer Potsdamer Wohnung hat sie sich einen Arbeitsplatz auf dem Flur eingerichtet.
"Das ist so mein kleiner Bereich. Und dann habe ich hier das Lämpchen immer an."
Seitdem sie arbeitslos ist, verdient Eschrich sich mit Crowdwork 300 bis 400 Euro monatlich zum Arbeitslosengeld dazu.
"Ich finde, es ist eine gute Form, auf dem Arbeitsmarkt zu bleiben und dran zu bleiben an seinem Tätigkeitsfeld. Und diese Flexibilität finde ich ganz schön, dass man sich einloggen kann ins System und schaut sich die Jobs an, ich schreibe hauptsächlich Texte."
Eschrich mag auch, dass CrowdGuru persönlichen Kontakt zu den Auftragnehmern hält und nach der Qualitätskontrolle Feedback zu den Texten gibt. Sie hofft aber, dass sie bald wieder einen festen Job hat, denn richtig wertgeschätzt fühlt die junge Frau ihre Arbeit zumindest finanziell nicht. Sie hat einen Vergleich, weil sie auch für einen festen Kunden direkt Texte schreibt.
"Für dieselbe Menge, die ich dort schreibe, kriege ich das, was preislich eigentlich angemessen ist, was man eigentlich für so einen Text kriegen müsste. Aber ich glaube, da würde keiner mehr diese Portale buchen, wenn jeder das verlangen würde. Es würde sich nicht mehr rentieren, für die Kunden nicht und nicht mehr für die Portale."
"Eine Plattform, die, weil sie eine neue Dienstleistung anbietet oder die innovativer oder passgenauer anbieten kann, weil sie als Plattform anders agieren kann als ein stationäres Unternehmen, das ist gerechtfertigt, wenn es nur darüber geht, dass man den Preis von anderen unterbieten kann, dann ist Plattform, glaube ich, nicht das Modell der Zukunft."
"Man muss sich vielleicht um die Lebenssituation einzelner Crowdworker Gedanken machen, aber dass dadurch die Erwerbstätigkeit, wie wir sie traditionell kennen, verschwindet, da sehe ich im Moment überhaupt keine Anzeichen."
Aber Folgen für Unternehmen und Beschäftigte hat diese Arbeitsvermittlung über die Online-Netzwerke womöglich doch – wenn sie sich auch nicht immer gleich anhand von Beschäftigtenzahlen ablesen lassen, zumal flexibleres Arbeiten mit der Abkehr von Kernarbeitszeit und Anwesenheitspflicht im Büro in vielen Betrieben diskutiert wird. Die IG Metall will bei den anstehenden Tarifverhandlungen durchsetzen, dass Arbeitnehmer mehr über ihre Arbeitszeiten mitbestimmen können. Darüber hinaus glaubt Christine Gerber vom Wissenschaftszentrum Berlin, dass Crowdwork für die Wirtschaft ein großes Experimentierfeld ist.
"Ich denke, dass da einfach Organisationsformen und Regulationsformen von Arbeit geübt werden, die anwendbar sind auf Betriebe."
"Ich glaube trotzdem, dass es uns auch in Zukunft begleiten wird, dass Teams vielleicht auch grenzübergreifend in großen Konzernen so miteinander Projekte machen werden oder auch gegen Freelancer von außen ins Verhältnis gestellt werden."
Crowdwork mag sich bislang nicht gravierend auf dem Arbeitsmarkt niederschlagen. Angestellte müssen nicht in großer Zahl ihr eigener Unternehmer werden, wenn sie nicht wollen. Aber was in der Crowd geübt wird, das dürfte künftig in der einen oder anderen Form auch in manch herkömmlichem Unternehmen zu spüren sein.