Kössler: Herr Wiesehügel, die Opposition feixt, mit Hans Eichel und Reinhard Klimmt mutiert das neue Schröder-Team zu einer Art Altenteil abgewählter Ministerpräsidenten. War das eine glückliche Personalentscheidung?
Wiesehügel: Ja, ich halte sie für außerordentlich glücklich aufgrund der Diskussionen, die wir auch innerhalb der SPD und innerhalb der Fraktion in den letzten Wochen gehabt haben. Auch ansetzend an der Kritik, die ich geäußert habe, dass die SPD eindeutig Profil zeigen muss in alle Bereiche, ist es gut, dass wir jetzt wirklich alle Bereiche oder alle Flügel der Partei im Kabinett vereinen. Ich halte die Entscheidung für außerordentlich glücklich.
Kössler: Aber offensichtlich sehen das nicht alle Fraktionskollegen so. Es wird davon berichtet, dass es Unruhe gegeben habe.
Wiesehügel: Ich habe diese Unruhe gestern nicht verspürt. Ich war gestern den ganzen Tag im Parlament, habe mit vielen Abgeordneten geredet. Ich habe dort an keiner Stelle Kritik in dieser Form bekommen.
Kössler: Wie lässt sich denn diese Entscheidung mit dem angekündigten neuen Stil vereinbaren: mehr Transparenz, bessere Abstimmung zwischen Kanzleramt und Partei?
Wiesehügel: Dies ist zunächst eine Entscheidung des Bundeskanzlers, nicht nur de jure, sondern auch von der Akzeptanz durch uns. Er muss sich entscheiden. Das ist immer schwierig. Es ist immer schwierig, wenn er die Entscheidung praktisch bevor er sie überhaupt bekannt gibt erst mal öffentlich diskutieren lässt, dann ist derjenige, der Minister werden soll, beschädigt bevor er im Amt ist. Es ist nun mal in unserer heutigen Medienlandschaft so, dass der eine oder andere durchaus das Geschäft nur dann machen kann, wenn es auch ein bisschen reißerisch und auch schon mal ein bisschen ehrverletzend ist. Daran habe ich mich gewöhnt, daran müssen viele sich gewöhnen. Dazu gehört dann auch, dass man Personalentscheidungen bis zum Schluss nicht öffentlich macht und wenn man sie rundherum nach allen Seiten abgeklärt hat, da wo man es für erforderlich hält, erst dann in der Öffentlichkeit bekannt gibt.
Kössler: Wie schätzen Sie denn die Außenwirkung ein, Herr Wiesehügel? Das Kabinett als Versorgungsinstitut gescheiterter Ministerpräsidenten. Ist das Erscheinungsbild der SPD mit diesem Schritt denn wirklich besser geworden?
Wiesehügel: Ich würde das überhaupt nicht so sagen, dass es gescheitert ist. Reinhard Klimmt hat in seiner sehr schweren Zeit die SPD an der Saar angeführt, hat ein Ergebnis bekommen, was deutlich besser war als zum Beispiel in Brandenburg, was über dem Durchschnitt dessen lag, was die Partei zur Zeit auf der Bundesebene erreicht, und was auch besser gewesen ist als die Europawahl vorher. Er hat zugelegt, er hat Profil bewiesen. Ich bin davon überzeugt, hätte er noch vier Wochen gehabt, hätte er die Wahl sogar gewonnen. Es waren letztlich nur sechs Stimmen. Da kann man nicht von abgemagert reden.
Kössler: Aber gewonnen hat er ja nun auch, weil er sich als Kritiker exponiert hat, als Kritiker an diesem Sparprogramm. Wie interpretieren Sie die Berufung ins Kabinett? Was wollte der Kanzler bezwecken?
Wiesehügel: Der Kanzler will bezwecken, dass alle Strömungen in der Partei eingebunden sind, dass dort nicht Funktionäre, Mitglieder, Wähler der Partei sich ausgegrenzt fühlen. Er hat offensichtlich auch verstanden, dass er die gesamte Partei mitnehmen muss, dass er nicht Einzelbereiche im wahrsten Sinne des Wortes links liegen lassen kann. Dies ist ein deutliches Zeichen, wozu ich ihm gratuliere und über das ich mich freue.
Kössler: Der Kanzler hat verstanden, sagen Sie, Herr Wiesehügel. Ist das ein Signal an die Parteilinke und an die Gegner des Reformprogramms?
Wiesehügel: Ich würde nicht damit verbinden, dass sich aktuell in der jetzigen politischen Frage dadurch etwas ändert. Es ist aber zumindest, was für mich auch eigentlich immer der entscheidende Punkt war, eine deutliche Ansage: wir wollen euch alle, wir wollen mit euch allen gemeinsam nicht nur diskutieren, sondern euch auch integrieren.
Kössler: Wenn ich Sie richtig verstehe, Herr Wiesehügel, dann geht der taktische Schachzug des Kanzlers auf, die Kritiker einzubinden und ruhigzustellen?
Wiesehügel: Ruhiggestellt wird man sicherlich nicht durch eine personelle Maßnahme, sondern ruhiggestellt im gut gemeinten Sinne, nicht im negativen Sinne, wird man dadurch, dass die Diskussionen miteinander geführt werden können, dass die Gespräche geführt werden können. Was viele auf die Palme gebracht hat war die Aussage, wir werden eine bestimmte Politik machen, die wird zum sparen führen, und es gibt Inhalte, die werden wir irgendwann mal bekanntgeben, und dann sind sie bekanntgegeben worden. Gleichzeitig wurde gesagt, jetzt wird darüber nicht mehr diskutiert und ohne zu wackeln ziehen wir das durch. Ich sage es jetzt einmal für mich, auf meine Person als Abgeordneter bezogen. Das ist nicht meine Aufgabe. Meine Aufgabe ist, den Haushalt zu kontrollieren, die Regierung zu kontrollieren, mit ihr zu debattieren und den richtigen Weg zu suchen. Ich hoffe, dass das auch zukünftig so sein wird, und bin auch ermuntert durch die personelle Maßnahme, die jetzt eingeleitet wurde.
Kössler: Jetzt muss ich aber doch noch mal nachfragen: Ist diese personelle Maßnahme, die Berufung Reinhard Klimmts ins Kabinett, eher eine Stärkung oder eine Schwächung der Parteilinken?
Wiesehügel: Es ist eine Stärkung von allen. Es ist eine Stärkung der SPD, es ist eine Stärkung von Gerhard Schröder und es wird auch eine Stärkung der Politik für Deutschland sein.
Kössler: Im Kabinett ist Reinhard Klimmt zur Loyalität verpflichtet. Als SPD-Chef an der Saar steht er zu seiner Kritik am Sparprogramm. Wie passt das zusammen?
Wiesehügel: Da müssen Sie ihn selbst fragen. Ich habe auch noch keine Chance gehabt, mit ihm zu reden. Ich werde so schnell wie möglich versuchen, mit ihm Kontakt aufzunehmen. Ich habe ja nun mit Bau und Verkehr sehr viel zu tun. Viele Mitglieder der Gewerkschaft, der ich vorsitze, sind in diesem Bereich tätig. Ich werde das mit ihm in verschiedenen Punkten ganz ernsthaft debattieren: was hat er vor, wie werden wir es halten mit investiven Bereichen. Das ist wichtig für Arbeitsplätze. Dieses Gespräch muss ich bitte aber erst noch führen. Ich konnte jetzt nicht in 24 Stunden diesen Termin herbeiführen. Ich kann auch nicht für Reinhard Klimmt sprechen, wie er sich zukünftig positionieren wird.
Kössler: Glauben Sie, Herr Wiesehügel, dass Gerhard Schröder in Sachen sozialer Gerechtigkeit in der Bringschuld bleibt? Bisher hat es ja nur personelle Signale gegeben.
Wiesehügel: Ich bin fest davon überzeugt, dass es auch andere Signale geben wird. Das ist nicht nur meine Überzeugung, sondern ich vermute das auch, weil es notwendig ist. Die Diskussionen waren zwar ein bisschen heftig, haben aber schon gezeigt, dass die SPD eine breite Basis hat, dass es nicht schmal um eine Gruppe zu reduzieren ist. Wir haben ja auch die Wahlen nicht gewonnen nur mit der neuen Mitte oder nur mit Arbeitnehmern, sondern durch die Doppelspitze, durch die Einbindung wirklich vieler, vieler Bereiche. Die vielen Bereiche müssen auch wieder gemeinsam angesprochen werden. Wir können jetzt nicht einen Teil der Stammwähler draußen vorlassen, uns nur um einen kümmern. Dann werden wir Wahlen verlieren. Wir müssen wieder zurückkommen zu dem Erfolg, den wir vor der Bundestagswahl gehabt haben, und unser Erfolg war ein breites Bündnis von vielen, vielen Menschen für eine moderne Politik.
Kössler: Herr Wiesehügel, die letzten Wahlen haben Sie aber ganz klar verloren wegen des janusköpfigen Erscheinungsbildes der SPD. Die Wähler wissen offenbar nicht mehr wo es langgeht.
Wiesehügel: Das sehe ich nicht so. Wir haben nicht janusköpfig, sondern in dieser Doppelerscheinung bezüglich "wir binden viele, viele Bereiche ein" gewonnen. Dass wir jetzt nicht so gut herüberkommen ist nicht wegen der Zerstrittenheit, sondern weil wir teilweise eine hervorragende Politik gemacht haben, aber nicht alle Bereiche der Partei zu dieser Politik gestanden haben. Das ist das Problem, dass man teilweise nicht wusste, was wollen die denn überhaupt machen. Dann ist in der Öffentlichkeit die Diskussion oft geführt worden. Da müssen wir wohl alle zukünftig ein Stück lernen.
Kössler: Herr Wiesehügel, noch eine kurze Frage: Der Kanzler hat gesagt, er will absolut Kurs halten, er geht nicht von seinem Sparprogramm ab. Wird die Partei, werden die Gewerkschaften ihm tatsächlich noch Kompromisse abringen können?
Wiesehügel: Die Diskussion ist für mich erst dann zu Ende, wenn die Abstimmungen gelaufen sind. Ich glaube, dass noch einiges zu diskutieren sein wird. Im übrigen stelle ich auch fest, dass all das, was oftmals dort hineininterpretiert wird, nicht ganz so der Wahrheit entspricht. Man muss natürlich ankündigen, wenn man ein so wichtiges Zukunftsprogramm durchsetzen will. Hier wird nicht viel gewackelt. Wenn man dort hineinginge und sagte, ich habe mal einen Vorschlag gemacht, mal gucken, was er davon hält, dann wird daraus nicht viel. Dennoch muss die Kompromissbereitschaft zum Diskutieren mit der Fraktion und mit vielen anderen Verbänden vorhanden sein, und ich glaube, im Grunde ist sie auch da.
Kössler: Aus Ihren Worten schließe ich, dass auch die Gewerkschaften bereit sind zu Kompromissen?
Wiesehügel: Natürlich! Die Gewerkschaften leben von Kompromissen. Tarifverhandlungen sind immer die Vorstufe eines Kompromisses. Der Kompromiss ist das Ende eines guten Tarifvertrages. Dies ist eine Welt, in der ich mich schon seit vielen Jahren befinde.
Kössler: In den "Informationen am Morgen" war das Klaus Wiesehügel, SPD-Bundestagsabgeordneter und Vorsitzender der IG Bau, Agrar, Umwelt. - Haben Sie vielen Dank für dieses Gespräch!
Link: (Klaus Wiesehügel: Mindestlöhne am Bau (13.7.99)==>/cgi-bin/es/neu-interview/327.html)