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Besatzungskinder
Keine Hilfe, nur Verachtung

Zehntausende Kinder wurden im Nachkriegsdeutschland geboren, deren Väter Besatzungssoldaten waren. Die Mütter litten schwer unter dem Stigma, freiwillig oder unfreiwillig ein Kind mit dem "Feind" gezeugt zu haben. Einfach aber war das Leben für diese Kinder nie – und ist es bis heute nicht.

Von Henry Bernhard | 27.07.2015
    Drei farbige Besatzungskinder und Mitschüler an Tischen im Klassenzimmer, vor ihnen große, glitzernde Schultüten.
    Drei farbige Besatzungskinder sitzen an ihrem ersten Schultag erwartungsvoll im Klassenzimmer (undatierte Aufnahme). (dpa / Koll)
    Die Autorin und mich, den Rezensenten, eint eine Erfahrung. Beide in Weimar aufgewachsen, kannten wir einen Mann, dunkelhäutig, mit krausen, dunkelblonden, später grauen Haaren. Ein stadtbekanntes Original. Er war immer allein.
    "Na ja, er war erst mal ein Schwarzer, von einem amerikanischen Besatzungssoldaten. Ich kann mich, ehrlich gesagt, nur einsam an ihn erinnern. Er war eine extrem tragische Außenseiterfigur in Weimar. Ich kannte ihn immer, ich wusste, wer das ist, und ich glaube, ganz viele Weimarer wussten das, aber zu tun hatte niemand mit dem, und wollte auch niemand, soweit ich das gesehen habe."
    Klaus Beyer war das einzige dunkelhäutige Kind seiner Generation in Weimar; die amerikanische Besatzung in Thüringen 1945 dauerte nur ein Vierteljahr. Aber sein Schicksal, das eines Gemiedenen und Geschmähten, steht beispielhaft für Hunderttausende Kinder in Deutschland, deren Väter Besatzungssoldaten waren - Amerikaner, Franzosen, Russen, Briten.
    Die Historiker Silke Satjukow und Rainer Gries haben sich mit den Besatzungskindern in allen vier Besatzungszonen beschäftigt und eine vielschichtige Studie dazu vorgelegt. Dutzende Archive haben sie nach Hunderttausenden Fällen durchsucht, viele Zeitzeugen interviewt.
    "Ich habe auch vorher schon oft Zeitzeugeninterviews geführt. Aber das Ausmaß der Verletztheit dieser "Kinder", die heute keine Kinder mehr sind, war uns überhaupt nicht bewusst. Wir sind jetzt bass erstaunt darüber, welche tiefgreifenden bis heute dauernden Folgen diese ganzen Verletzungen haben. Und sie weinten im Gespräch, sie suchten nach Worten, sie wussten überhaupt nicht, wie sie ihre Geschichte erzählen sollen; und wir wussten gar nicht, wie wir auf diese Geschichte reagieren sollen."
    "Bankerte. Besatzungskinder in Deutschland nach 1945" ist ein Dokument des Versagens, des Versagens der Männer auf ganzer Linie. Der erste Kontakt zwischen deutschen Frauen und den vorrückenden alliierten Truppen ist oft die Vergewaltigung.
    "Da sind Amerikaner, Briten, Franzosen und Russen. Und denen erzählt man natürlich, 'ihr kämpft für das Gute in der Welt; ihr zieht in den Krieg, um das Böse zu besiegen!', aber man verspricht ihnen auch etwas. Man verspricht ihnen eine Art Abenteuerland. Plündereien sind die Folge; aber sie bekommen auch die Frauen des Gegners. Das wird ihnen versprochen. 'Nehmt sie euch, die deutsche Frau!', steht auf Flugblättern, bei den Amerikanern ganz genauso wie bei den Franzosen und den Russen. Und das tun sie eben auch."
    Das Versagen der Männer setzt sich nach den Vergewaltigungen 1944/45 fort: Ärzte, denen die vergewaltigten Frauen nachweisen müssen, dass sie einen züchtigen Lebenswandel führen, dass sie die Vergewaltigung nicht selbst verschuldet haben; Ärzte, die gegen das deutsche Recht Feindeskinder abtreiben; Väter, die ihre schwangeren Töchter aus dem Haus werfen; die Besatzungsmächte, die ihre Soldaten davor schützen, finanzielle Verantwortung für ihre Kinder zu übernehmen; die Besatzungssoldaten selbst, die fast ohne Ausnahme nicht für ihre Kinder sorgen. Ebenso versagen deutsche Politiker, die die Frauen mit deren Nöten und Sorgen allein lassen; Beamte in Versorgungsämtern, die noch in den 50er-Jahren von Frauen einen Beweis dafür fordern, dass sie zehn Jahre zuvor vergewaltigt worden waren.
    Ausgegrenzt und stigmatisiert
    Porträt von Silke Satjukow.
    Die Magdeburger Historikerin Silke Satjukow. (dpa / Hamish John Appleby)
    "Für sie sind diese Frauen Verräterinnen, im Grunde die Dolchstoßvariante in modern im Zweiten Weltkrieg. Und die eigenen Männer, wenn sie wiederkommen, haben natürlich auch wenig Verständnis für ihre Frauen oder ihre Nachbarinnen oder Schwester, die sich mit dem Feind eingelassen haben. Sie haben nicht zur Nation gestanden, sondern gegen die Nation gearbeitet, gegen den sogenannten Volkskörper. Und so bekommen sie eigentlich von keiner dieser Seiten in den 40er-Jahren Hilfe. Nur Verachtung. Und es gibt schlimmste Schmähkampagnen, auch von den Politikern, die jetzt diese Frauen beschimpfen, und die sagen, 'Diese Brut, diese Bastarde, diese Bankerte', wie man sie damals im Wortlaut nannte, 'die gehören nicht zu uns nach Deutschland, die müssen in die Herkunftsländer der Väter transportiert werden.' Nur: Die Väter wollen sie auch nicht haben."
    Entsprechend werden die Söhne und Töchter der Besatzer ausgegrenzt, stigmatisiert, verprügelt, gemobbt, müssen die vermeintliche "Schuld" ihrer Mütter abtragen. Einzig Frankreich interessiert sich für die Kinder seiner Soldaten. Die kleinen Franzosen werden ihren oft verzweifelten Müttern von Rechercheoffizieren noch am Wochenbett abgeschwatzt und in Kinderheime gebracht. Dort werden sie einer strengen Auslese unterworfen, gewogen, vermessen. Babys, die zu klein oder behindert waren oder in Frankreich zur Adoption nicht vermittelbar, konnten keine Franzosen werden und wurden - mitunter nach Jahren - den deutschen Müttern zurückgegeben. Die Autoren erläutern:
    "Die Ausgesonderten wurden den Deutschen zurückgegeben, mit dem Hinweis darauf, dass ihre französische Abstammung nicht hinreichend nachgewiesen werden konnte. Ohne Zweifel wurden diese Kinder aufgrund eugenischer Implikationen vom Programm der 'Repatriierung' ausgeschlossen."
    Drei Kinder mit Schultasche und Schultüte blicken über die Schulter - der schwarze Wolfgang, Brünhilde und die schwarze Sylvia.
    Die Besatzungskinder Wolfgang, Brünhilde und Sylvia an ihrem ersten Schultag (undatierte Aufnahme). (dpa / Koll)
    Silke Satjukow und Rainer Gries haben eine äußerst profunde und umfassende Studie zu Besatzungskindern im Deutschland der Nachkriegszeit vorgelegt. Gemeinsamkeiten wie Unterschiede der vier Besatzungsmächte arbeiten sie präzise heraus. So wird deutlich, dass im Westen ab 1952, als die ersten Besatzerkinder zur Schule kamen, über ihre Schicksale gesprochen wurde, ja dass der Gedanke aufkam, dass man am freundlichen Umgang mit ihnen, den "Fremden", die deutsche Schuld abtragen sollte. In der DDR jedoch waren Vergewaltigungen durch Rotarmisten ein Tabuthema - bis 1989. Die sogenannten "Russenkinder" wurden jedoch oft ähnlich diskriminiert wie die sogenannten "Negerkinder" im Westen. Nüchtern, aber mit großer Empathie beschreiben die Autoren souverän das Schicksal Hunderttausender Besatzungskinder, deren genaue Zahl nicht annähernd bekannt ist, von denen viele in den letzten Jahren nach oft jahrzehntelanger Verdrängung angefangen haben, nach ihren Vätern zu suchen. Die Autoren streuen immer wieder biografische Skizzen aus Interviews und Akten in ihre systematische Untersuchung ein.
    Leiden in der Adoptionsfamilie
    Von der Vätersuche berichtet auch ein anderes Buch zum Thema, "Besatzungskinder. Die vergessene Generation nach 1945", von Sonya Winterberg. Eine Sammlung herzzerreißender Lebensgeschichten von Kindern, deren Väter Besatzungssoldaten waren, meist Amerikaner, zwischen 1945 und den 60er-Jahren. Winterberg berichtet fast ausschließlich über Besatzungskinder, die von dänischen beziehungsweise amerikanischen Familien adoptiert wurden, die dort unterdrückt, misshandelt, missbraucht und sogar getötet wurden. Zudem beschreibt sie die Praktiken illegaler Adoptionen von afro-deutschen Besatzungskindern nach Dänemark und in die USA und das Schicksal einiger prominenter Besatzungskinder. So systematisch Satjukow und Gries in ihrem Buch "Bankerte" vorgehen, so zufällig und einseitig erscheint Winterbergs Auswahl ihrer Protagonisten und Schwerpunkte.
    Ein wenig strukturiertes Sammelsurium von zweifellos berührenden Geschichten, mag man meinen; aber vielleicht ist nur der Titel falsch gewählt, da er zu umfassend daherkommt. Wer verlässlich, analytisch und faktensatt über Besatzungskinder in Deutschland informiert werden will, dem sei "Bankerte" von Silke Satjukow und Rainer Gries wärmstens ans Herz gelegt.
    Sonya Winterberg: "Besatzungskinder. Die vergessene Generation nach 1945", Rotbuch, 224 Seiten, 19,95 Euro. ISBN: 978-3-867-89199-8
    Silke Satjukow; Rainer Gries: "''Bankerte!' Besatzungskinder in Deutschland nach 1945", Campus, 415 Seiten, 29,90 Euro.ISBN: 978-3-593-50286-1