Mario Dobovisek: In den USA ringt die Politik also weiter um ihren Rettungsplan und alles ist im Moment noch offen. Klar ist jedoch, dass die Banken in den USA und Europa schwer angeschlagen sind und damit auch die gesamte Wirtschaft. Am Telefon begrüße ich Eberhard Sandschneider. Er ist Forschungsdirektor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik und ein ausgewiesener Asien-Kenner. Guten Tag, Herr Sandschneider.
Eberhard Sandschneider: Schönen guten Tag!
Dobovisek: Wie schwer ist Asien von der Finanzmarktkrise betroffen?
Sandschneider: Die Wellen dieser Finanzmarktkrise sind erst dabei, sich auszubreiten, und natürlich wird auch Asien in Mitleidenschaft gezogen. Das gilt insbesondere dann, wenn das, was sich im Moment auf den Finanzmärkten abspielt, sich dann auch auswirkt auf das, was man im Englischen "real economy", also reale Wirtschaft nennt. Dann macht man sich natürlich auch aus der Sicht vieler asiatischer Länder - China und Indien allen voran - Sorgen, dass das bisherige Wirtschaftswachstum, das uns so sehr beeindruckt hat, dann vielleicht gefährdet sein könnte. Das wird in diesen Ländern auch erhebliche innenpolitische Folgen nach sich ziehen. Also die Sorge ist in Asien genauso groß wie etwa in Europa oder in den Vereinigten Staaten.
Dobovisek: Die Investoren und Analysten scheinen in der Frage gespalten zu sein. Die einen sagen, das hohe Wirtschaftswachstum hält Asien weiter auf Kurs. Andere sehen den Boom im Strudel der Krise am Ende. Wie reagiert die Politik in Asien auf die Krise an den Finanzmärkten?
Sandschneider: Im Augenblick eigentlich noch besonnen und zurückhaltend, vielleicht auch ein Stückchen abwartend. Natürlich sind in vielen Ländern - wahrscheinlich muss man China wieder als besonders wichtiges Land nennen - die politischen Reaktionen entscheidend, weil Wirtschafts- und Finanzmärkte dort noch sehr viel enger mit der Politik verzahnt sind als bei uns, und natürlich ist es nicht im Interesse etwa der chinesischen Regierung oder auch anderer asiatischer Regierungen, dass in irgendeiner Weise größere Destabilisierungstendenzen auch nach Asien und auf die asiatische Wirtschaft überschwappen könnten. Aber wenn man weiß, wie sehr die Weltwirtschaft mittlerweile miteinander verwoben ist, dann muss man schon ein ausgesprochener Optimist sein, um anzunehmen, dass Asien frei bleibt von diesen Auswirkungen.
Dobovisek: China zum Beispiel hält auch Währungsreserven, und zwar in US-Dollar, umgerechnet insgesamt im Wert von rund 1,2 Billionen Euro. Kann China damit Macht auf die krisengeschüttelten USA ausüben?
Sandschneider: Nicht wirklich. Das ist eine Befürchtung, die immer wieder geäußert worden ist. Aber beispielsweise ein Werteverfall des Dollar ist natürlich nicht im Interesse der chinesischen Regierung. Mit der Gründung des Staatsfonds, der hierzulande ja nun auch große Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat, hat China eher signalisiert, es sitzt zwar auf gewaltigen Devisenreserven, aber es muss auch sehen, dass es diese Devisenreserven halbwegs sinnvoll und mit möglichst hohen Renditen anlegen kann. Also auch aus diesem Grund ist es sicherlich nicht im Interesse der chinesischen Regierung, jetzt noch zusätzlichen Druck auf die USA auszuüben. Da sitzen beide, die Geldnehmer und die Geldgeber, irgendwo im gleichen Boot. Und man muss auch hinzufügen: Bislang ist China eher ein Stabilitätsanker in dieser Frage und hilft, wo es helfen kann, um zu stabilisieren, was von außen in der amerikanischen Finanzsituation möglich ist.
Dobovisek: Das bringt mich auch zur nächsten Frage. Wie wichtig ist China für die USA und Europa, um aus der Krise möglicherweise herauszukommen?
Sandschneider: Enorm wichtig, weil Globalisierung, so wie sie in den letzten Jahren verlaufen ist, dazu geführt hat, dass China ein integraler Bestandteil der Weltwirtschaft ist - der realen Wirtschaft genauso wie der Finanzsysteme. Es geht an diesem Land schließlich und endlich kein Weg vorbei, wenn es an Stabilisierungsmaßnahmen geht. Und man muss sich in Erinnerung rufen: Es hat vor zehn Jahren in Südostasien die berühmte asiatische Finanzkrise gegeben. Auch damals schon hat China sich mit einer sehr zurückhaltenden und besonnenen Politik letztendlich als Stabilisierungshilfe erwiesen. Nichts anderes wird man jetzt von dem Land erwarten können.
Dobovisek: Auf der anderen Seite haben die Machthaber in China in der vergangenen Woche bewiesen, dass sie nicht untätig bleiben, und haben Kredite zurückgefordert, die wiederum China mehreren angeschlagenen US-Banken gewährt hatte. Was passiert da gerade politisch zwischen China und den USA?
Sandschneider: Ich bin mir gar nicht so sicher, ob das unbedingt jetzt primär auf der bilateralen Ebene zwischen China und den USA angesiedelt ist. Eines darf man nicht vergessen, bei all den Hinweisen auf die enormen Devisensummen, die China hat. China selbst verfügt über ein na ja problematisches, manche sagen angeschlagenes, einige gehen sogar so weit zu sagen marodes Bankensystem, und auch die chinesischen Banken sind von Liquiditätsengpässen nicht gefeit. In solchen Situationen, wo das Vertrauen unter den Banken offensichtlich gegen null geht, darf man sich nicht wundern, wenn auch eine chinesische Bank einmal auf sicher spielt und gegebene Kredite zurückfordert.
Dobovisek: Aber gibt es freie Banken in China, oder sind das alles Staatsbanken?
Sandschneider: Da gibt es nichts, was nicht mit staatlicher Regelung arbeitet. Entweder sind es Staatsbanken, oder sie stehen unter staatlicher Kontrolle. Ein freies Bankensystem, wie wir es kennen, gibt es in China nicht.
Dobovisek: Also ist das auch immer eine politische Entscheidung?
Sandschneider: Aber selbstverständlich. Wirtschaft, Politik, gerade das Finanzwesen, das lässt sich in China auch heutzutage trotz aller Reformbemühungen, die es gegeben hat, und aller Wirtschaftsentwicklung nicht ohne den Staat denken.
Dobovisek: Immer mehr Staaten distanzieren sich im Moment von den USA. Wut und Hohn äußerten mehrere asiatische Länder auch vor den Vereinten Nationen. Was bedeutet die Finanzmarktkrise für die geopolitische Ordnung, Herr Sandschneider?
Sandschneider: Da werden sich Trends, über die wir seit Jahren schon reden, jetzt mit beachtlicher Geschwindigkeit und mit ganz großer Offensichtlichkeit fortsetzen. Einer der wesentlichen Trends, den man auch aus der strategischen Perspektive der USA längst wahrgenommen hat, heißt, es wird massive Wohlstandsverschiebungen von West nach Ost geben. Nichts anderes passiert in diesen Tagen. Wenn Sie sich anschauen, dass manch eine auch amerikanische Großbank oder große internationale Finanzinstitutionen nur noch mit Hilfe von Geldern aus China, aus Kuwait, generell aus dem Golf-Kooperationsrat letztendlich liquide gehalten werden können, dann sieht man, dass die Verschiebung in den Finanzwerten sich auch direkt übersetzt in die Verschiebung politischer Bedeutung. Zusätzlich zu dem Image-Verlust, den die USA in den letzten Jahren erlitten haben, kommt jetzt eben auch noch der Verlust des Ansehens, die wirtschaftliche Führungsmacht in der Welt zu sein. Das wird die Situation, wer immer ins Weiße Haus gewählt wird, für den nächsten Präsidenten nicht einfacher machen.
Dobovisek: Ist die Krise also im Moment eine Chance für Schwellenländer wie China oder Indien, um die Lücke zwischen ihnen und den westlichen Industriestaaten zu schließen?
Sandschneider: Dieser Prozess ist ja eigentlich sowieso schon die ganze Zeit im Gange. Im Augenblick wird er sich, bevor es zumindest zu nennenswerten Stabilisierungen kommt, sicherlich noch einmal beschleunigen. Letztendlich ist das aber eine Frage der relativen Geschwindigkeiten. Wenn man auf die nächsten 20 oder 30 Jahre nach jetziger Kenntnis der Weltwirtschaft schaut, wird dieser Prozess ohnehin einsetzen. Im Augenblick ist allerdings das Schließen der Lücke, wie Sie es genannt haben, sicherlich eher beschleunigt.
Dobovisek: Die Bundesregierung zum Beispiel stellt in Kürze ihre Entwicklungshilfe für China offiziell ein. Können wir heute bei China und Indien überhaupt noch von Schwellenländern sprechen?
Sandschneider: Ja. Es sind schon noch Schwellenländer, weil es sehr auf die Perspektive ankommt, die man wählt. Sie können China, aber auch Indien als ein Land darstellen, das jedes Jahr einige Hundert Dollar-Millionäre produziert und insofern längst nicht mehr in die Kategorie Schwellenland gehört. Auf der anderen Seite gibt es in beiden Ländern, sowohl in China als auch in Indien, noch Hunderte von Millionen Menschen, die an oder sogar unter der Armutsgrenze leben. Es ist aus meiner Sicht völlig richtig, dass Entwicklungshilfe in der Summe von 68 Millionen Euro pro Jahr für China eingestellt wird. Diese Form von Finanzierung kann das Land Kraft seiner eigenen Finanzmöglichkeiten längst selbst in die Hand nehmen. Es bleibt aber wichtig, dass wir mit China in den Projekten zusammenarbeiten, wo es in unserem Interesse ist, dass China sich noch verändert. Das gilt für die Menschenrechtspolitik, das gilt für die Rechtsstaatspolitik, das gilt überhaupt für die Frage, wie China seine Gesetze nicht nur einführt, sondern auch umsetzt. Dafür muss es aber keine Entwicklungshilfe geben. Ich glaube, das wichtigste, was wir lernen müssen, ist, dass es völlig legitim ist, wenn Deutschland mit China oder auch anderen Teilen der Welt entwicklungspolitisch zusammenarbeitet, um seine eigenen Interessen zu fördern, und nicht so tut, als würde man den Menschen dort mit unserer Entwicklungshilfe ausgesprochen Gutes tun.
Dobovisek: Eberhard Sandschneider, Forschungsdirektor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik und Politikprofessor in Berlin. Vielen Dank für das Gespräch.
Eberhard Sandschneider: Schönen guten Tag!
Dobovisek: Wie schwer ist Asien von der Finanzmarktkrise betroffen?
Sandschneider: Die Wellen dieser Finanzmarktkrise sind erst dabei, sich auszubreiten, und natürlich wird auch Asien in Mitleidenschaft gezogen. Das gilt insbesondere dann, wenn das, was sich im Moment auf den Finanzmärkten abspielt, sich dann auch auswirkt auf das, was man im Englischen "real economy", also reale Wirtschaft nennt. Dann macht man sich natürlich auch aus der Sicht vieler asiatischer Länder - China und Indien allen voran - Sorgen, dass das bisherige Wirtschaftswachstum, das uns so sehr beeindruckt hat, dann vielleicht gefährdet sein könnte. Das wird in diesen Ländern auch erhebliche innenpolitische Folgen nach sich ziehen. Also die Sorge ist in Asien genauso groß wie etwa in Europa oder in den Vereinigten Staaten.
Dobovisek: Die Investoren und Analysten scheinen in der Frage gespalten zu sein. Die einen sagen, das hohe Wirtschaftswachstum hält Asien weiter auf Kurs. Andere sehen den Boom im Strudel der Krise am Ende. Wie reagiert die Politik in Asien auf die Krise an den Finanzmärkten?
Sandschneider: Im Augenblick eigentlich noch besonnen und zurückhaltend, vielleicht auch ein Stückchen abwartend. Natürlich sind in vielen Ländern - wahrscheinlich muss man China wieder als besonders wichtiges Land nennen - die politischen Reaktionen entscheidend, weil Wirtschafts- und Finanzmärkte dort noch sehr viel enger mit der Politik verzahnt sind als bei uns, und natürlich ist es nicht im Interesse etwa der chinesischen Regierung oder auch anderer asiatischer Regierungen, dass in irgendeiner Weise größere Destabilisierungstendenzen auch nach Asien und auf die asiatische Wirtschaft überschwappen könnten. Aber wenn man weiß, wie sehr die Weltwirtschaft mittlerweile miteinander verwoben ist, dann muss man schon ein ausgesprochener Optimist sein, um anzunehmen, dass Asien frei bleibt von diesen Auswirkungen.
Dobovisek: China zum Beispiel hält auch Währungsreserven, und zwar in US-Dollar, umgerechnet insgesamt im Wert von rund 1,2 Billionen Euro. Kann China damit Macht auf die krisengeschüttelten USA ausüben?
Sandschneider: Nicht wirklich. Das ist eine Befürchtung, die immer wieder geäußert worden ist. Aber beispielsweise ein Werteverfall des Dollar ist natürlich nicht im Interesse der chinesischen Regierung. Mit der Gründung des Staatsfonds, der hierzulande ja nun auch große Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat, hat China eher signalisiert, es sitzt zwar auf gewaltigen Devisenreserven, aber es muss auch sehen, dass es diese Devisenreserven halbwegs sinnvoll und mit möglichst hohen Renditen anlegen kann. Also auch aus diesem Grund ist es sicherlich nicht im Interesse der chinesischen Regierung, jetzt noch zusätzlichen Druck auf die USA auszuüben. Da sitzen beide, die Geldnehmer und die Geldgeber, irgendwo im gleichen Boot. Und man muss auch hinzufügen: Bislang ist China eher ein Stabilitätsanker in dieser Frage und hilft, wo es helfen kann, um zu stabilisieren, was von außen in der amerikanischen Finanzsituation möglich ist.
Dobovisek: Das bringt mich auch zur nächsten Frage. Wie wichtig ist China für die USA und Europa, um aus der Krise möglicherweise herauszukommen?
Sandschneider: Enorm wichtig, weil Globalisierung, so wie sie in den letzten Jahren verlaufen ist, dazu geführt hat, dass China ein integraler Bestandteil der Weltwirtschaft ist - der realen Wirtschaft genauso wie der Finanzsysteme. Es geht an diesem Land schließlich und endlich kein Weg vorbei, wenn es an Stabilisierungsmaßnahmen geht. Und man muss sich in Erinnerung rufen: Es hat vor zehn Jahren in Südostasien die berühmte asiatische Finanzkrise gegeben. Auch damals schon hat China sich mit einer sehr zurückhaltenden und besonnenen Politik letztendlich als Stabilisierungshilfe erwiesen. Nichts anderes wird man jetzt von dem Land erwarten können.
Dobovisek: Auf der anderen Seite haben die Machthaber in China in der vergangenen Woche bewiesen, dass sie nicht untätig bleiben, und haben Kredite zurückgefordert, die wiederum China mehreren angeschlagenen US-Banken gewährt hatte. Was passiert da gerade politisch zwischen China und den USA?
Sandschneider: Ich bin mir gar nicht so sicher, ob das unbedingt jetzt primär auf der bilateralen Ebene zwischen China und den USA angesiedelt ist. Eines darf man nicht vergessen, bei all den Hinweisen auf die enormen Devisensummen, die China hat. China selbst verfügt über ein na ja problematisches, manche sagen angeschlagenes, einige gehen sogar so weit zu sagen marodes Bankensystem, und auch die chinesischen Banken sind von Liquiditätsengpässen nicht gefeit. In solchen Situationen, wo das Vertrauen unter den Banken offensichtlich gegen null geht, darf man sich nicht wundern, wenn auch eine chinesische Bank einmal auf sicher spielt und gegebene Kredite zurückfordert.
Dobovisek: Aber gibt es freie Banken in China, oder sind das alles Staatsbanken?
Sandschneider: Da gibt es nichts, was nicht mit staatlicher Regelung arbeitet. Entweder sind es Staatsbanken, oder sie stehen unter staatlicher Kontrolle. Ein freies Bankensystem, wie wir es kennen, gibt es in China nicht.
Dobovisek: Also ist das auch immer eine politische Entscheidung?
Sandschneider: Aber selbstverständlich. Wirtschaft, Politik, gerade das Finanzwesen, das lässt sich in China auch heutzutage trotz aller Reformbemühungen, die es gegeben hat, und aller Wirtschaftsentwicklung nicht ohne den Staat denken.
Dobovisek: Immer mehr Staaten distanzieren sich im Moment von den USA. Wut und Hohn äußerten mehrere asiatische Länder auch vor den Vereinten Nationen. Was bedeutet die Finanzmarktkrise für die geopolitische Ordnung, Herr Sandschneider?
Sandschneider: Da werden sich Trends, über die wir seit Jahren schon reden, jetzt mit beachtlicher Geschwindigkeit und mit ganz großer Offensichtlichkeit fortsetzen. Einer der wesentlichen Trends, den man auch aus der strategischen Perspektive der USA längst wahrgenommen hat, heißt, es wird massive Wohlstandsverschiebungen von West nach Ost geben. Nichts anderes passiert in diesen Tagen. Wenn Sie sich anschauen, dass manch eine auch amerikanische Großbank oder große internationale Finanzinstitutionen nur noch mit Hilfe von Geldern aus China, aus Kuwait, generell aus dem Golf-Kooperationsrat letztendlich liquide gehalten werden können, dann sieht man, dass die Verschiebung in den Finanzwerten sich auch direkt übersetzt in die Verschiebung politischer Bedeutung. Zusätzlich zu dem Image-Verlust, den die USA in den letzten Jahren erlitten haben, kommt jetzt eben auch noch der Verlust des Ansehens, die wirtschaftliche Führungsmacht in der Welt zu sein. Das wird die Situation, wer immer ins Weiße Haus gewählt wird, für den nächsten Präsidenten nicht einfacher machen.
Dobovisek: Ist die Krise also im Moment eine Chance für Schwellenländer wie China oder Indien, um die Lücke zwischen ihnen und den westlichen Industriestaaten zu schließen?
Sandschneider: Dieser Prozess ist ja eigentlich sowieso schon die ganze Zeit im Gange. Im Augenblick wird er sich, bevor es zumindest zu nennenswerten Stabilisierungen kommt, sicherlich noch einmal beschleunigen. Letztendlich ist das aber eine Frage der relativen Geschwindigkeiten. Wenn man auf die nächsten 20 oder 30 Jahre nach jetziger Kenntnis der Weltwirtschaft schaut, wird dieser Prozess ohnehin einsetzen. Im Augenblick ist allerdings das Schließen der Lücke, wie Sie es genannt haben, sicherlich eher beschleunigt.
Dobovisek: Die Bundesregierung zum Beispiel stellt in Kürze ihre Entwicklungshilfe für China offiziell ein. Können wir heute bei China und Indien überhaupt noch von Schwellenländern sprechen?
Sandschneider: Ja. Es sind schon noch Schwellenländer, weil es sehr auf die Perspektive ankommt, die man wählt. Sie können China, aber auch Indien als ein Land darstellen, das jedes Jahr einige Hundert Dollar-Millionäre produziert und insofern längst nicht mehr in die Kategorie Schwellenland gehört. Auf der anderen Seite gibt es in beiden Ländern, sowohl in China als auch in Indien, noch Hunderte von Millionen Menschen, die an oder sogar unter der Armutsgrenze leben. Es ist aus meiner Sicht völlig richtig, dass Entwicklungshilfe in der Summe von 68 Millionen Euro pro Jahr für China eingestellt wird. Diese Form von Finanzierung kann das Land Kraft seiner eigenen Finanzmöglichkeiten längst selbst in die Hand nehmen. Es bleibt aber wichtig, dass wir mit China in den Projekten zusammenarbeiten, wo es in unserem Interesse ist, dass China sich noch verändert. Das gilt für die Menschenrechtspolitik, das gilt für die Rechtsstaatspolitik, das gilt überhaupt für die Frage, wie China seine Gesetze nicht nur einführt, sondern auch umsetzt. Dafür muss es aber keine Entwicklungshilfe geben. Ich glaube, das wichtigste, was wir lernen müssen, ist, dass es völlig legitim ist, wenn Deutschland mit China oder auch anderen Teilen der Welt entwicklungspolitisch zusammenarbeitet, um seine eigenen Interessen zu fördern, und nicht so tut, als würde man den Menschen dort mit unserer Entwicklungshilfe ausgesprochen Gutes tun.
Dobovisek: Eberhard Sandschneider, Forschungsdirektor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik und Politikprofessor in Berlin. Vielen Dank für das Gespräch.