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Bessere Chancen für Jugendliche ohne Schulabschluss

Noch haben nicht viele arbeitslose Jugendliche eine so genannte Eingliederungsvereinbarung mit der Arbeitsagentur getroffen. Es handelt sich dabei um eine schriftliche Abmachung, in der festgelegt wird, welche Schritte Arbeitslose unternehmen müssen, um ihre Arbeitslosigkeit zu beenden. Udo Glantschnig, Geschäftsführer der Agentur für Arbeit in Essen, wertet das Verfahren trotz der derzeitigen Anlaufschwierigkeiten als sinnvoll, auch wenn es an sich "nicht die Lösung" ist. Es gebe zu wenig Ausbildungsplätze und zu wenig Arbeitsplätze.

Von Klaus Remme |
    Klaus Remme: Herr Glantschnig, von 660.000 jungen Arbeitslosen haben gerade mal 70.000 eine so genannte Eingliederungsvereinbarung getroffen. Wie sinnvoll ist das Instrument?

    Udo Glantschnig: Es ist im Prinzip ein verbindliches Gespräch mit einer anschließenden Vereinbarung über den Einsatz von Instrumenten, das heißt also, wenn ein Jugendlicher bei seinem Berater, bei seinem Fallmanager ist, wird wie in der Vergangenheit auch natürlich ein Gespräch darüber geführt, wie eine Integration ermöglicht werden kann, und die Eingliederungsvereinbarung schreibt im Prinzip im beiderseitigen Einvernehmen fest, in welchen Schritten das zu passieren hat.

    Remme: Und wenn jetzt 660.000 junge Menschen arbeitslos sind und mit jedem gesprochen worden ist, warum haben dann nur gut 10 Prozent eine solche Vereinbarung?

    Glantschnig: Ich könnte jetzt etwas ulkig sagen, weil eine ganze Reihe von Angeboten unterbreitet werden, ohne dass vorher darüber eine Vereinbarung im Sinne einer Eingliederungsvereinbarung getroffen worden ist. Also wenn beispielsweise ein Jugendlicher einen Ausbildungsplatz anstrebt und mit ihm ein Beratungsgespräch geführt worden ist und man auch Klarheit darüber hat, in welche Richtung es gehen soll, dann wird er Vorschläge bekommen für Ausbildungsverträge, ohne dass darüber eine Eingliederungsvereinbarung getroffen ist. Es werden Jugendlichen, die bestimmte Einstellungshemmnisse haben oder die noch nicht wissen, in welche Richtung sie gehen wollen, beispielsweise Trainingsmaßnahmen angeboten, Bewerbungstrainings oder Berufsvorbereitungsmaßnahmen, ohne dass da konkret vorweg eine Eingliederungsvereinbarung getroffen worden ist.

    Remme: Wie sind denn die Zahlen bei Ihnen in Essen?

    Glantschnig: Bei uns ist es so - das ist ein laufender Prozess -, dass mit Stand von gestern für 4400 Jugendliche unter 25 im Schnitt mit 34 Prozent eine Eingliederungsvereinbarung getroffen worden ist, also deutlich mehr als die 10 Prozent im Bund - das gilt für Nordrhein-Westfalen im Übrigen auch. Entscheidend ist aber, dass bei den unter Zwanzigjährigen mit 70 Prozent eine Eingliederungsvereinbarung getroffen worden ist.

    Remme: Jetzt sofort, sagte Clement im Januar, gilt ein Verhältnis von einem Fallmanager für 75 Jugendliche. Seit wann ist das bei Ihnen in Essen schon so?

    Glantschnig: Das ist bei uns in Essen noch nicht ganz so lange der Fall. Seit etwa der zweiten Aprilwoche haben wir dieses Verhältnis erfüllt.

    Remme: Nun ist ja diese Vereinbarung ein erster Schritt. Was ist denn mit wahrhaften Angeboten, wenn es um Arbeit geht?

    Glantschnig: Ja, das ist darüber hinaus ein Problem. Die Eingliederungsvereinbarung an sich ist ja noch nicht die Lösung. Wir haben schlicht und ergreifend zu wenig Ausbildungsplätze. Wir haben zu wenig Arbeitsplätze. Beispielsweise auf Nordrhein-Westfalen bezogen, gibt es 38.500 Stellen für rund 60.000 Bewerber. Die Eingliederungsvereinbarung ist da noch nicht die Lösung, aber möglicherweise die Basis dafür, dass man sich alternative Überlegungen macht, wenn es mit der eigenen Ausbildung oder Arbeitsplatz nicht sofort funktioniert.

    Remme: Was heißt das?

    Glantschnig: Das heißt, dass beispielsweise ein Jugendlicher, der vom Grundsatz her eine Ausbildung anstrebt, im Wettbewerb zur Zeit aber sich nicht durchsetzen kann, ersatzweise in eine berufsvorbereitende Maßnahme geht, die ihn auf dem Weg auch in Richtung Ausbildung bringt, oder dass ihm eine sogenannte Einstiegsqualifizierung angeboten wird. Das ist, wenn man so will, ein organisiertes, vorweggenommenes erstes Ausbildungsjahr, das auch zum Ziel hat, dass am Ende dieses Jahres eine Einbindung in eine duale Ausbildung stattfindet.

    Remme: Sie sagen, Einstiegsqualifizierung. Haben diese Jugendlichen denn keinen Schulabschluss?

    Glantschnig: Viele haben keinen Schulabschluss. In Essen sind es beispielsweise 50 Prozent, die über keinen Schulabschluss verfügen. Insofern könnte beispielsweise eine Maßnahme vor Beginn einer Ausbildung auch noch sein, dass man ein Jahr macht, in dem der Hauptschulabschluss nachgeholt wird.

    Remme: 50 Prozent der arbeitslosen Jugendlichen in Essen haben keinen Schulabschluss?

    Glantschnig: Der arbeitslosen Jugendlichen, die einen Ausbildungsplatz anstreben.

    Remme: Warum haben die keinen? Was sind das für Biografien in der Regel?

    Glantschnig: Nun, das sind Jugendliche, die zum Teil aus Elternhäusern kommen, die ebenfalls schon Karrieren in der Sozialhilfe durchlaufen haben, sehr wenig Unterstützung von den Eltern haben, wo sozusagen traditionsgemäß die schwächsten Chancen am Arbeitsmarkt weitergegeben werden.

    Remme: Und für wie groß halten Sie die Chancen, diese Jugendlichen unterzubringen?

    Glantschnig: Also ich halte die Chancen unter den gegebenen Umständen, jetzt ebenfalls mit der intensiveren Betreuung und den besseren Möglichkeiten, die wir nun haben, jedenfalls für besser als vorher. Ich gebe ein Beispiel: Wir haben im Februar bei den unter zwanzigjährigen Jugendlichen in Essen einen Zuwachs von 60 Prozent gehabt gegenüber dem Februar 2004. Das waren zum größten Teil Jugendliche, die bislang in keiner Statistik aufgetaucht sind, die nicht registriert waren. Die Chancen für diese Jugendlichen waren gleich Null, da sie nicht nur bei keiner staatlichen Stelle registriert waren, sondern auch von den Eltern keine Unterstützung hatten. Dadurch, dass wir jetzt mit den Jugendlichen sprechen können, sie erstmalig beraten, mit ihnen, wenn erforderlich, auch eine Eingliederungsvereinbarung abschließen können, steigen die Chancen deutlich. Wir haben beispielsweise für dieses Jahr in Essen für über 1000 Jugendliche, die in irgendeiner Form wettbewerbsbenachteiligt sind, außerbetriebliche Förderprogramme aufgelegt. Die Jugendlichen können also von diesen Möglichkeiten profitieren.

    Remme: Haben Sie das Gefühl, dass diese Jugendlichen zu ihren Chancen getragen werden müssen, oder sind die willig?

    Glantschnig: Also hier und da ist das der Fall. Ich gebe Ihnen eine Zahl: Wenn wir Jugendlichen der Kategorie, über die wir gerade gesprochen haben, zu Gruppenveranstaltungen einladen, kommen, wenn wir einen guten Griff getan haben, 50 Prozent der Jugendlichen zu dieser Informationsveranstaltung. Da muss man nachhaken, da muss man auch geduldig und pädagogisch langmütig sein, vielleicht sie ein zweites und drittes Mal einladen, so dass man halbwegs an die 100 Prozent herankommt, aber das gelingt eben nicht immer.

    Remme: Vielen Dank für das Gespräch.