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Best of Sportgespräche 2020
Große Leere und große Gesten

Olympia, Fußball-EM, Wimbledon - die Liste der abgesagten Sportveranstaltungen im Jahr 2020 lässt sich lange fortführen. Wenn trotz der Coronavirus-Pandemie etwas stattfand, war es oftmals trostlos, weil niemand zuschauen durfte. Doch im Sinne mündiger Athleten gab es auch bedeutende Fortschritte.

Von Jonas Reese | 26.12.2020
14.11.2020 - Fußball, 2020/2021, Regionalliga West, 15. Spieltag, SV Lippstadt - SC Preußen Münster: Leere Sitzplatzschalen mit Absperrband Lippstadt Nordrhein-Westfalen Deutschland Stadion am Bruchbaum
Das Hauptthema des Sportjahrs 2020: Wegen des Coronavirus abgesagte Wettbewerbe und solche ohne Zuschauer (imago images / Noah Wedel)
Eigentlich sah der Kalender für das Jahr 2020 ein Super-Sportjahr vor. Ein Jahr der Großereignisse mit einer erstmals transkontinentalen Fußball-Europameisterschaft und mit gigantischen Olympischen Sommerspielen in Tokio.
Selbst die teuersten Sommerspiele der Geschichte fielen der Corona-Pandemie zum Opfer. Aber nur vorläufig, wie Japans damaliger Premier Shinzo Abe zusammen mit IOC-Präsident Thomas Bach beschloss. 2021 sollen sie dann nachgeholt werden. Eine Absage wäre wohl zu teuer gewesen. Die Gesamtkosten von mehr als 10 Milliarden Euro müssen irgendwie wieder reingeholt werden.
Ein DLF-Studiomikrofon
Alle Sportgespräche in der Übersicht
Jede Woche sprechen wir mit verschiedensten Menschen über den Sport: Athleten, Funktionäre, Journalisten... Immer wieder ergeben sich neue Blickwinkel und Einsichten, denen wir uns im Sportgespräch widmen.
Und mit dieser gigantischen Summe erklärt sich auch das lange Zögern der Veranstalter, bevor sie beschlossen, das Mammut-Ereignis vorerst nicht stattfinden zu lassen. Die erste Welle war schon in vollem Gange, doch eine Olympia-Entscheidung ließ immer noch auf sich warten.
Und so war es das langjährige IOC-Mitglied Richard Pound, das die Olympia-Verschiebung noch vor der offiziellen Verkündung ausplauderte. Im Deutschlandfunk erklärte er dann, warum es so lange gedauert hatte mit einer Entscheidung: Die japanischen Verantwortlichen hätten positive Signale aus ihrem eigenen Land gesehen und sich zu sehr auf Japan fokussiert. Erst die Einschätzung der Weltgesundheitsorganisation, dass das Virus außer Kontrolle sei und bleiben werde, habe zur Absageentscheidung geführt.
IOC-Mitglied zur Olympia-Verschiebung - "Ich bin nicht der Meinung, dass es zu spät war"
Das langjährige IOC-Mitglied Richard Pound hatte es bereits vor der offiziellen Verkündung gesagt: Die Olympischen Spiele werden nicht 2020 stattfinden. Damit habe er aber keinen Druck ausüben wollen, so Pound im Sportgespräch. Den IOC-Präsidenten Thomas Bach nimmt er in Schutz
Und doch mussten erst einzelne Athleten ihren Boykott ankündigen, bis die Spiele verlegt wurden. Auch eine Chancengleichheit hätte nicht gewährleistet werden können, wenn in manchen Ländern die Trainingseinrichtungen komplett geschlossen sind coronabedingt und in anderen Ländern nicht.
Schon im Frühjahr war Speerwurf Olympiasieger Thomas Röhler dafür, die Hallen-Weltmeisterschaften abzusagen. Die Ansteckungsgefahr wäre zu groß. Er ist der erste deutsche Sportler in der Athletenkommission im Leichtathletik-Weltverband. Und kämpft dort dafür, dass Sportler bei den Entscheidungen mehr gehört werden. In dieser Hinsicht hat er einen etwas anderen Blick als IOC-Mitglied Pound. Er bemängelt, dass die Sportler nur eine von vielen Stimmen in den Verbänden hätten, obwohl es doch maßgeblich um sie gehe.
Der Speerwerfer Thomas Röhler
DLF-Sportgespräch mit Thomas Röhler - "Man will sich eines Tages zu der Legende im Sport machen"
Der Speerwerfer Thomas Röhler gewann bei den Olympischen Spielen in Rio die Goldmedaille. Seine Erfolgsserie möchte er nun bei der Leichtathletik-WM in London fortsetzen. Im Dlf-Sportgespräch sprach er über das Potenzial im deutschen Speerwurf und kritisierte die schlechten Bedingungen, unter denen Trainer in Deutschland Top-Athleten ausbilden.
Es dauerte bis Ende März, bis die Verschiebung der Spiele offiziell beschlossen wurde. Ein Novum in der olympischen Geschichte. Ein schwerer Schlag für viele Athleten, die sich intensiv darauf vorbereitet hatten, für die es vielleicht der sportliche Höhepunkt in ihrer Karriere geworden wäre und die in diesem Jahr aufgrund geschlossener Trainingseinrichtungen sehr kreativ an ihrer Form arbeiten mussten.
Kugelstoßer Niko Kappel berichtete vom plötzlichen Impuls für der lange unaufgeräumten Keller: "Wenn die Not da ist. Innerhalb von acht Stunden war der Keller ausgeräumt und mit Gummimatten ausgelegt. Und ein paar Gewichte und Fitnessgereäte reingestellt, damit ich da jetzt bestmöglich trainieren kann in der ungewissen Zeit." Boxerin Nadine Apetz schilderte, dass sie beim olympischen Qualifikationsturnier in London zunächst gar nicht mitbekommen habe, wie verschärft die Lage schon war. Später wurden sechs Athleten und Betreuer anderer Nationen positiv getestet, die am Turnier teilgenommen hatten.
Boxerin Nadine Apetz (2017)
Olympia und Corona - Alle warten auf das IOC
"Sollte es dabei bleiben, dass das IOC an den Spielen festhält, würde ich mir fast wünschen, dass sich die Sportler zu einer Bewegung zusammenschließen", sagte Nadine Apetz im Dlf-Sportgespräch. Darin geht es unter anderem um die Frage, ob Olympia in Tokio in diesem Jahr verschoben werden sollte
Die Fußball-Bundesliga wurde zwar unterbrochen. Die Mannschaften durften aber später wieder regulär trainieren und auch spielen. Nur meist ohne Zuschauer. Das erste Geisterspiel der Bundesliga-Geschichte gab es am 11. März. Mönchengladbach gegen Köln. Das Rheinische Derby. Nationalspieler Matthias Ginter erinnerte sich im Sportgespräch an die seltsame Atmosphäre beim Warmmachen: "Ich musste ein bisschen schmunzeln, weil es ein bisschen Freundschaftsspielcharakter gehabt hat."
Portraitfoto von Matthias Ginter bei einer Pressekonferenz
Fußballprofi Matthias Ginter - "Mit Bundesliga hat das nicht viel zu tun gehabt"
Verteidiger Matthias Ginter von Borussia Mönchengladbach fremdelt auch zum Ende der Bundesliga-Saison noch mit Geisterspielen. Allerdings habe die Coronakrise den Verein, Spieler und Mitarbeiter enger zusammengeschweißt, sagte er im Dlf-Sportgespräch. Für die Austragung der EM in einem Jahr ist er aber skeptisch.
Gewöhnungsbedürftig, diese Spiele vor Geisterkulisse. Im Fußball konnten dennoch weitgehend die Millionen-Gehälter weiterbezahlt werden. Die Profi-Klubs mussten also nicht wie im Eishockey auf Gehaltskürzungen setzen, um den Bankrott zu vermeiden.
König Fußball schon völlig entkoppelt von den Fans – die Show geht auch ohne Zuschauer weiter – so war schnell zu hören. Ein Vorwurf, der durch Corona neue Sichtbarkeit bekam und der in dieser Pandemie auch zu neuen Einsichten führen könnte. Lehren aus der Krise quasi, formulierte Oke Göttlich, der Präsident von Zweitligist St. Pauli recht deutlich: "Es ist doch überhaupt keine Frage, dass die Fans der Kern sind, warum dieses Spiel eine solche Begeisterung hervorruft."
Oke Göttlich, Präsident des FC St. Pauli
St.-Pauli-Präsident Göttlich - „Der deutsche Fußball wäre doof, wenn er jetzt nicht reflektiert“
Den Sieg seines FC St. Pauli hätte Präsident Oke Göttlich gerne dafür eingetauscht, keine Geisterspiele machen zu müssen. Doch Göttlich sieht auch Chancen in der Coronakrise und hofft auf tiefgreifende Veränderungen im Fußball. Ganz konkret will er die Finanzierung der Vereine unter die Lupe nehmen.
In diesem Jahr wurde der Kampf gegen Rassismus sichtbarer, auch im Sport. Er erreichte eine größere Masse und er veränderte auch schon etwas.
Mit dem Football-Team aus Washington und dem Baseball-Team aus Cleveland haben zwei US-Profi-Vereine ihren diskriminierenden Namen nach vielen Jahrzehenten geändert. Auslöser für die Bewegung war in diesem Jahr der Tod des schwarzen Amerikaners George Floyd. Ende Mai ruft er in Minneapolis viele Male "I can't breathe", weil ihm ein weißer Polizist mit seinem Knie die Luft abdrückt. Floyd stribt kurze Zeit später an seinen Verletzungen.
Daraufhin kam es zu Demonstrationen, teilweise auch Auseinandersetzungen. "Black Lives Matter" ist der Satz, der teils wütend skandiert, teils schweigend auf Plakaten, hochgehalten wurde. Auch der Sport schloss sich den Protesten an. In allen großen US-Profi-Ligen kam es zu Solidaritäts-Aktionen, wie etwa der deutsche Spieler Florian Jungwirth aus der nordamerikanischen Fußballliga MLS berichtete.
Und auch in Deutschland kamen die Proteste an. In deutschen Ligen kam es zu Solidaritätsbekundungen und auch zu einer Diskussion über Rassismus generell, über Rassismus im Sport und über Alltagsrassismus. Von dem berichtete Fechterin Alexandra Ndolo über ihre Social-Media-Accounts. Vor allem, weil dieser vielen nicht-schwarzen Deutschen nicht bewusst sei, sie erführen nicht von rassistischen Übergriffen. "Und da bin ich dann eben die Schnittstelle. Weil ich erzählen kann, wie es eben ist, mit dunkler Hautfarbe durch Deutschland zu laufen."
Degenfechten-DM in Leipzig, Mannschaft, 28.04.19 Deutsche Meisterschaft im Degenfechten 2019 am 27./ 28.04.2019 in der Arena Leipzig. Mannschaft / Team. Im Bild: Alexandra Ndolo (TSV Bayer 04 Leverkusen) *** Degenfechten DM in Leipzig Team 28 04 19 German Championship in Degenfechten 2019 on 27 28 04 2019 in the Arena Leipzig Team Team Picture Alexandra Ndolo TSV Bayer 04 Leverkusen
Fechterin Alexandra Ndolo - "Verletzend, wenn mir jemand das Deutschsein abspricht"
Degenfechterin Alexandra Ndolo will mit dem Image ihres Sports als "elitäre, weiße Sportart" aufräumen und zeigen, dass der Sport Diversität mit sich bringt. Im Dlf-Sportgespräch sagte sie, dass auch sie schon rassistischen Anfeindungen ausgesetzt war, und erklärt, wieso sie ihre Erfahrungen in den sozialen Netzwerken teilt.
Hier haben wir nur einige der Gesprächspartner und Themen des "Best of" zusammengefasst. Die ganze Sendung gibt es im Audio, alle Sportgespräche finden sie im Sportgespräch-Portal.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.