Donnerstag, 02. Mai 2024

Archiv


Besteht die Gefahr einer Ausweitung des Krieges auf Albanien und Mazedonien?

Adler: Mazedonien hat seit dem Krieg 140.000 Flüchtlinge aufgenommen, Albanien 300.000. Am Telefon in Skopje in Mazedonien ist jetzt Walter Kolbow, Parlamentarischer Staatssekretär im Verteidigungsministerium und Beauftragter der Bundesregierung für humanitäre Angelegenheiten in Mazedonien. Guten Morgen Herr Kolbow.

21.04.1999
    Kolbow: Guten Morgen Frau Adler.

    Adler: Herr Kolbow, welche Bedingungen finden die Flüchtlinge vor? Werden überhaupt neue Flüchtlinge im Moment aufgenommen?

    Kolbow: Es werden neue Flüchtlinge aufgenommen, so sie denn kommen. Die Bedingungen im Lager sind unterschiedlich. Die Durchgangslager Stencovac und Raczda quellen über, hier sind die Bedingungen angespannt. Gut sind die Bedingungen in der von der Bundeswehr errichteten Campeinrichtung Nepostrano, wo jetzt aber die Übergabe – heute um 10.30 Uhr – an eine amerikanische Hilfsorganisation der NGO’s stattfindet. Wir achten auch darauf, daß insbesondere die Genfer Flüchtlingskonvention durch die Mazedonier vor den Lagern in der Behandlung der Flüchtlinge, wenn sie sie verlassen wollen oder reinkommen, aber auch in den Lagern – insbesondere einem sehr schwierigen, in Radusha – eingehalten werden. In Radusha leben 800 Vertriebene unter den schwierigsten Bedingungen – humanitärer, aber auch tatsächlicher Art.

    Adler: Sagen Sie, Herr Kolbow: Seit dem Wochenende – wir haben es schon angedeutet – sind die Grenzen dicht. Die Flüchtlinge konnten weder nach Albanien noch nach Mazedonien ausreisen. Wie ist denn das jetzt?

    Kolbow: Ich habe mich heute früh noch einmal bei unserem Lagezentrum in Bonn, aber auch vor Ort informiert. Im Moment haben wir keine Flüchtlingsansammlungen vor den Grenzübergängen hier in Mazedonien. Das sagt aber nichts, denn die Flüchtlinge sind ein Teil des Jo-Jo-Spieles von Milosevic. Wenn er sie für seine Zwecke im Kosovo braucht als menschliche Schilder oder als Druck auf die UCK, dann läßt er keine raus oder er sammelt an, und dann kommen große Anzahlen, die natürlich dann die mazedonischen Behörden vor ganz schwierige Aufgaben stellen, die die Verhandlungen erschweren und dann natürlich auch wieder die Destabilisierungswirkung in dem mazedonischen Bereich entfalten können.

    Adler: Und davon - von dieser destabilisierenden Wirkung - ist schon im Moment durchaus was zu spüren, denn es gibt ja offenbar große Schwierigkeiten, die Flüchtlinge zu integrieren in das gesellschaftliche Leben, obwohl es eine albanische Minderheit in diesem Land gibt. Spüren Sie selbst etwas von den Spannungen vor Ort?

    Kolbow: Aber ja. Die Spannungen gehen bis in die Regierung. Die Regierung ist auch gespalten. Der Hardliner in der Regierung, der sich sehr gegen die Aufnahme von Flüchtlingen wendet, ist der Verteidigungsminister. Der Innenminister und insbesondere das Außenministerium ist da sehr viel verständiger. Die Slawo-Mazedonen befürchten ein Ungleichgewicht der ethnischen Struktur, es sind ja 68 Prozent etwa Slawo-Mazedonen und 23 Prozent Albanier. Und die Spannungen werden insbesondere ausgehen von den Flüchtlingen in den Familien, hier sind in den albanischen Familien in Mazedonien etwa 80.000 bis 100.000 Flüchtlinge in den Familien aufgenommen worden, die unter größten Anstrengungen verpflegt werden. Und hier ist es auch wichtig, zu helfen. So gibt zum Beispiel unsere Bundeswehr in Tetowo jeden Tag 3 Tonnen Lebensmittel – 2 Tonnen Lebensmittel und 1 Tonne Babynahrung – an den Bürgermeister, der sie dann in diese Gastfamilien für albanische Flüchtlinge in Tetowo und der Region weitergibt.

    Adler: Herr Kolbow, angesichts dieser Spannungen, von denen Sie berichten und auch angesichts der Schießereien gestern an der albanischen Grenze: Muß man befürchten, daß sich der Krieg ausweitet auf Albanien, auf Mazedonien – daß dort ein neues Pulverfaß hochgeht?

    Kolbow: Ich glaube, daß durch die NATO ausgesprochene Schutz- und Sicherheitsgarantie dem ein Riegel vorgeschoben ist. Ich glaube auch, daß die politischen Bemühungen – gestern war zum Beispiel der mazedonische Außenminister ja in Bonn und hat wichtige Gespräche geführt – stabilisierend wirken können. Auch meine Tätigkeit hier dient dem, denn ich wirke in beratender und auch – wenn es geht – in steuernder Weise auf das humanitäre Krisenmanagement in Mazedonien ein. Ich versuche auch, die Regierung zu beeinflussen, hier auch die Flüchtlinge nach der Genfer Flüchtlingskonvention auf jeden Fall und in jedem Fall zu behandeln. Ich versuche auch, die Flüchtlingspolitik mit der Unterstützung der Bundesregierung und unserer Präsidentschaft in der Europäischen Union zu ändern. Bisher wollte man nicht mehr als 20.000 Flüchtlinge in Mazedonien aufnehmen. Uns ist es jetzt gelungen, diese Position zu verändern. Es werden Flüchtlingslager erweitert und es werden auch neue Flüchtlingslager, wie in Cecrane, jetzt errichtet, wo THW und GTZ in sehr guter Weise beim Aufbau wieder helfen.

    Adler: Herr Kolbow, würden Sie sagen, daß das, was Deutschland tut, um die Flüchtlingssituation in Mazedonien etwas zu entspannen, daß das ausreicht?

    Kolbow: Also, wir tun am meisten, ohne uns jetzt hier selbstlobend in den Mittelpunkt stellen zu wollen. Wir sind hier mit einer beispielhaften Aufbauleistung von Lagern für die Vertriebenen durch die Bundeswehr tätig geworden, wir haben als einzige einen Beauftragten hier, der auch die Aktivitäten innerhalb der Europäischen Union koordiniert und bündelt. Wir haben – das muß ganz besonders herausgestellt werden – ein Drittel der bisher ausgeflogenen Vertriebenen übernommen, nämlich 10.000 von 31.000. Es gilt, darauf hinzuwirken, daß auch andere Länder in Europa oder darüber hinaus hier auch ihren Anteil übernehmen. Das ist bisher noch nicht geschehen.

    Adler: Mazedonien hat ja schon kurz nach der Aufnahme der ersten Flüchtlinge die Grenze seiner Belastbarkeit erreicht, zumindest hat das die Regierung so gesehen. Werden die Flüchtlinge jetzt möglicherweise von der mazedonischen Seite auch dafür benutzt, um für das Wohlverhalten, das man jetzt gegenüber den Flüchtlingen zeigt, etwas erwartet von der EU - daß man sozusagen für das Wohlverhalten belohnt werden möchte?

    Kolbow: Also, das ist ein Spannungsverhältnis, das jeden Tag wieder neu ausgehalten werden muß und auch beeinflußt werden muß, denn die mazedonische Regierung und das mazedonische Volk brauchen eine europäische Perspektive in der Europäischen Union und auch in der NATO. Das erklären wir ihnen, ohne sie hier jetzt auch, was die Flüchtlingsfrage angeht, erpressen zu wollen. Aber dies ist nicht nur natürlich auch eine ganz wichtige Angelegenheit, finanziell und wirtschaftlich von Bedeutung, sondern es geht auch um die Werte und die Behandlung der Flüchtlinge als Menschen und im Rahmen der Genfer Flüchtlingskonvention. Und das muß eingehalten werden. Natürlich versuchen wir auch - wirtschaftlich und finanziell - Programme zu erstellen; die EU hat das getan. Schuldenerlaß auf zwei Jahre ist durchgeführt worden, und 800 Millionen ECU werden für Albanien und Mazedonien wieder bereitgestellt. Aber – eben, weil man Angst hat, daß die ethnischen Strukturen sich verändern und hier dann Veränderungen auch sich auswirken auf die tatsächlichen Machtverteilungen in Mazedonien – ist das ein Problem, indem man immer wieder auf die Regierung einwirken muß. Und das ist auch Teil meiner Aufgabe.

    Adler: Die Bundesregierung will sich mit Fernmeldeeinheiten der Bundeswehr und auch Transportkräften an humanitären Aktionen in Albanien beteiligen. Wer garantiert denn, daß diese Kräfte tatsächlich für humanitäre Aufgaben zur Verfügung stehen und nicht Voraustrupps für Bodentruppen sind?

    Kolbow: Das ist Teil des Auftrages, das einzurichten. Das Hauptquartier in Albanien ist dazu da, auch die humanitäre Hilfe – die ja dort im Augenblick viel dringlicher ist als das in Mazedonien der Fall war und ist – zu koordinieren und auch zu garantieren, daß hier das beispiellose Flüchtlingselend in Albanien beseitigt werden kann. Das hat mit Bodentruppen nichts zu tun. Wir selbst bauen im Augenblick ein Lager – die Bundeswehr – bei Korpca für 5.000 Plätze auf und versuchen dann auch, die Nicht-Regierungsorganisationen in dieses Lager hineinzubringen. Das Vorbereiten des Einsatzes von Bodentruppen ist damit nicht in Verbindung zu bringen.

    Adler: Walter Kolbow war das, Parlamentarischer Staatssekretär im Verteidigungsministerium und Beauftragter der Bundesregierung für humanitäre Angelegenheiten in Mazedonien. Wir haben das Telefonat mit ihm in Skopje geführt und bitten, die schlechte Tonqualität zu entschuldigen.