Archiv

Thüringen
Bestürzung und Ursachenforschung nach Wahl von AfD-Kandidat zum Landrat

Der Wahlsieg des AfD-Kandidaten Sesselmann zum Landrat in Sonneberg in Thüringen hat bei den anderen Parteien Besorgnis ausgelöst. Die AfD spricht mit Blick auf das Ergebnis von einem Signal für weitere Wahlen.

    Robert Sesselmann (AfD), im offenen weißen Hemd, das Handy in der Brusttasche, schaut angespannt in die Kamera.
    Robert Sesselmann (AfD) hat die Stichwahl für das Amt des Landrats im thüringischen Sonneberg gewonnen. (picture alliance / dpa / Martin Schutt)
    Die Bundesregierung will den Sieg Sesselmanns nicht bewerten. Es wäre ungewöhnlich, wenn die Regierung eine Landratswahl kommentieren würde, sagte ihr Sprecher Hebestreit in Berlin. Er wies allerdings Äußerungen zurück, wonach das Erscheinungsbild des Bundeskabinetts eine der Hauptursachen für die derzeitigen Erfolge der AfD sei. Eine solche Erklärung wäre zu einfach, so Hebestreit.

    Vorwürfe in Richtung Berlin

    Unter anderen CDU-Generalsekretär Czaja hatte die Politik der Ampel-Koalition für den Wahlerfolg der AfD verantwortlich gemacht. Ähnlich äußerte sich im ZDF der Linken-Vorsitzende Schirdewan. Er sprach von einem Alarmsignal für die Demokratie. Schirdewan sagte im ZDF, verantwortlich dafür sei unter anderem Unzufriedenheit mit der Bundesregierung, etwa wegen des Heizungsgesetzes. Schirdewan warf zudem den Unionsparteien sowie der FDP vor, sich rechtspopulistische Narrative angeeignet zu haben.
    Die Grünen-Bundesvorsitzende Lang bezeichnete den Ausgang der Wahl als bestürzend. Jetzt sei die Zeit für alle demokratischen Kräfte, die Demokratie zu verteidigen. Die AfD füttere bewusst Ängste und schüre auf dieser Basis Hass, so Lang. Auch CDU-Generalsekretär Czaja erklärte, es müsse alle demokratischen Parteien sehr nachdenklich machen, dass es dazu habe kommen können. Der unterlegene CDU-Kandidat Köpper war in der Stichwahl von einem breiten Parteienbündnis unterstützt worden.

    Debatte über "Blockparteien"

    Der Politikwissenschaftler Hans Vorländer hält solche breit angelegten Parteienbündnisse zur Verhinderung von AfD-Wahlerfolgen für notwendig, aber problematisch. Ein solches Bündnis führe dazu, dass die Parteien abseits der AfD inhaltlich ununterscheidbar würden, sagte der Direktor des Zentrums für Verfassungs- und Demokratieforschung an der TU Dresden im Deutschlandfunk. Die Front gegen die AfD in Ostdeutschland werde von vielen Menschen als ein Bündnis von Blockparteien wahrgenommen. Der Wähler könne den Frust gegenüber diesem Parteienblock nur noch bei der AfD loswerden. Dies sei auf Dauer gefährlich.

    Zentralrat der Juden spricht von Dammbruch

    Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Schuster, sprach von einem Dammbruch. Er zeigte sich zugleich erschüttert. Die "Jüdische Allgemeine" zitiert ihn mit den Worten: "Nicht jeder der AfD-Wähler hat eine rechtsextreme Gesinnung. Aber die Partei, deren Kandidaten sie gewählt haben, ist laut Landesverfassungsschutz rechtsextrem."
    Der Bundesvorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Sofuoglu, meinte, die Gefahr sei größer, als manche es wahrnehmen würden. Beim Türkischen Bund war von einem Tag X die Rede.

    "Auf bundes- und weltpolitische Themen gesetzt"

    Unser Landeskorrespondent Henry Bernhard sagte im Deutschlandfunk, Sesselmann habe gewonnen, weil er auf bundes- und sogar weltpolitische Themen gesetzt habe. So habe auf seinem Wahlflyer als erstes gestanden, den Ukraine-Krieg zu beenden und Verhandlungen aufzunehmen. Auch habe er die sofortige Abschiebung krimineller und abgelehnter Asylbewerber gefordert - obwohl er dafür als Landrat gar nicht zuständig sei. Im übrigen habe er viel Kritik an der Ampelkoalition in Berlin geübt.

    Politikberater Hillje: "Selbstverharmlosungsstrategie" hatte Erfolg

    Auch der Politikberater Johannes Hillje weist darauf hin, dass die AfD in Sonneberg mit Themen Wahlkampf geführt habe, für die ein Landrat gar nicht verantwortlich sei. Als Beispiel nennt Hillje Grenzschutz und Energiepolitik. Ein Landrat sei dagegen unter anderem mit Themen wie Haushalt und Schulen befasst. Hillje spricht von einem "Triumph der Selbstverharmlosungsstrategie" der AfD.

    Maier beklagt "Dysfunktionalität" des Landesparlamentes

    Thüringens SPD-Landeschef und Innenminister Maier sieht den AfD-Wahlerfolg auch als Folge der landespolitischen Gegebenheiten. Er sagte der Deutschen Presse-Agentur, die "Dysfunktionalität" des Parlaments in Erfurt sei ganz sicher mitverantwortlich. Bei vielen Themen, die die Menschen bewegten, gebe es zu wenig erkennbare Fortschritte, weil die rot-rot-grüne Minderheitsregierung ständig auf die Zustimmung der CDU angewiesen sei.

    Erstes kommunales Spitzenamt

    Der AfD-Kandidat Sesselmann hatte am Sonntag die Stichwahl im Thüringer Kreis Sonneberg gegen Amtsinhaber Köpper von der CDU gewonnen. Es ist bundesweit das erste kommunale Spitzenamt für die Partei.
    Die AfD-Vorsitzende Weidel erklärte, Sesselmann habe Geschichte geschrieben. Sie betonte zugleich: "Das ist erst der Anfang". Der Co-Vorsitzende Chrupalla äußerte sich ähnlich. Er sagte auch: "Wir überzeugen Mehrheiten mit unserer Politik für die Interessen der Bürger. So werden wir für Deutschland die Wende zum Guten erreichen." Thüringens AfD-Chef Höcke meinte, bei den kommenden Landtagswahlen im Osten könne man ein politisches Erdbeben erzeugen.

    Sesselmann sieht AfD auf dem Weg zur Volkspartei

    Wahlsieger Sesselmann sieht die AfD nun "auf dem Weg zur Volkspartei". Er kündigte an, mit allen Fraktionen zu reden und betonte, ihm gehe es um Sachthemen wie die Konsolidierung des Haushaltes oder die Sanierung von Schulen. Sein Mandat als Landtagsabgeordneter will er nach eigenen Angaben niederlagen: "Ich habe nur eine begrenzte Arbeitszeit", sagte er.

    "Unsägliche Politik der Bundesregierung"

    Der unterlegene CDU-Kandidat Köpper erklärte, es sei "leider keine Personenwahl" gewesen. Vielmehr habe es sich um eine reine Parteienwahl gehandelt. Und hier sei der CDU die "unsägliche Politik der Bundesregierung" auf die Füße gefallen.
    Dem schloss sich der Landrat des Thüringer Kreises Eichsfeld, Henning, an. Der CDU-Politiker sagte im Deutschlandfunk, die Bürger hätten nicht für den AfD-Politiker, sondern vielmehr gegen die anderen Parteien gestimmt. Dies werde so weitergehen, betonte Henning.
    Das ganze Interview mit Werner Henning können Sie hier nachlesen.

    Weiterführende Informationen

    Robert Sesselmann – Wer ist der erste AfD-Landrat?
    Diese Nachricht wurde am 27.06.2023 im Programm Deutschlandfunk gesendet.