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Betreuungsgeld-Urteil
"CSU will sich vor allem in Bayern positionieren"

Erst die Pkw-Maut, jetzt das Betreuungsgeld: Das Scheitern des zweiten Großprojekts sei für die CSU eine "bittere Niederlage", sagte die Politologin Ursula Münch im DLF. Die CSU habe auch gegen juristische Bedenken etwas erzwingen wollen, um "in der Familienpolitik ein Zeichen zu setzen".

Ursula Münch im Gespräch mit Jonas Reese | 22.07.2015
    Porträt der Direktorin der Akademie für Politische Bildung Tutzing (Bayern), Ursula Münch
    Ursula Münch, Direktorin der Akademie für Politische Bildung Tutzing (dpa/OPeter Kneffel)
    Mit Blick auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, dass die Länder und nicht der Bund zuständig sind, bemerkte die Direktorin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing : "Vor dem Hintergrund, dass die CSU eine entschiedene Kämpferin für den Föderalismus ist, ist es natürlich doppelt absurd, dass man eine Bundesregelung haben wollte, wo eigentlich nur eine Landesregelung möglich ist."
    Die CSU habe etwas erzwingen wollen, auch durchaus gegen juristisches Bedenken. "Man wollte partout politische Zeichen setzten, gerade in der Familienpolitik, wo man im Grunde ja der CDU und natürlich vor allem dem anderen Koalitionspartner unterstellt, völlig falsche Weichen gestellt zu haben", sagte Ursula Münch im Deutschlandfunk.
    Mit dem Betreuungsgeld sollte die konservative Seite der Familienpolitik wieder hervorgehoben werden. Mit der sogenannten Wahlfreiheit und der Möglichkeit der familiären Betreuung zu Hause, "ein Zeichen setzen und sich positionieren" so Münch. Für die CSU sei allein maßgebend, sich in Bayern zu positionieren und wie man bei den Landtagswahlen abschneide. "Und da ist das Debakel nicht ganz so groß", glaubt Münch.
    Die CSU werde sich darauf berufen, dass es ein bundespolitisches Thema sei und es als landespolitisches Thema ins Positive wenden und sich als Vorreiter präsentieren. Damit spielte sie auf die Umwidmung des Betreuungsgeldes in ein Landesbetreuungsgeld an. "Für den Rest der Repulik ist das nicht unbedingt verständlich", so Münch. Bayern hatte gestern nach dem Aus der Umstrittenen "Herdprämie" angekündigt, diese weiter zu bezahlen.

    Das Interview in voller Länge:

    Jonas Reese: Bayern will ein Landesbetreuungsgeld. Und am Telefon bin ich jetzt mit Ursula Münch verbunden, der Direktorin der Akademie für politische Bildung in Tutzing. Guten Abend, Frau Münch!
    Ursula Münch: Guten Abend!
    Reese: Ja, Frau Münch, erst Pkw-Maut, jetzt Betreuungsgeld – wie bitter ist diese Niederlage für die CSU?
    Münch: Die wurde durchaus erwartet, aber nichtsdestotrotz ist sie natürlich bitter, weil das war ein großes Thema für die CSU.
    "Das ist tatsächlich gründlich schief gegangen"
    Reese: Da sind jetzt also zwei Großprojekte gescheitert, die die CSU 2009 und 2013 mit in den Koalitionsvertrag gebracht hat. Ist damit quasi auch die Taktik Seehofers gescheitert, die Partei so ein bisschen größer zu machen, als sie ist?
    Münch: Klar wollte man sich auf bundespolitischer Ebene wollte man sich als wichtigen Faktor, durchaus auch als konservativen Faktor, auch ein bisschen in Abgrenzung von der eigenen Schwesterpartei positionieren.
    Das ist tatsächlich gründlich schief gegangen, im Grunde, weil man auch etwas viel zu sehr erzwungen hat, ohne Rücksicht zu nehmen auf ja von vornherein bestehende, vor allem bei der Maut, aber auch beim Betreuungsgeld gab es von vornherein juristische Bedenken, die wurden durchaus auch innerhalb der bayerischen Staatsregierung artikuliert, aber man hat die halt nicht zu ernst genommen.
    "Man wollte partout ein politisches Zeichen setzen"
    Reese: Warum nicht, warum kann die CSU quasi keine Bundespolitik?
    Münch: Natürlich kann sie schon Bundespolitik, ich würde da jetzt auch nichts zu Großes draus machen, aber man wollte partout Zeichen setzen, politische Zeichen setzen, gerade im Bereich der Familienpolitik, wo man ja im Grunde auch der CDU und vor allem natürlich dem anderen Koalitionspartner, der SPD, unterstellt, auf völlig falsche Weichen gestellt zu haben.
    Und das Betreuungsgeld sollte diese konservative Seite der Familienpolitik wieder hervorheben. Man wollte ein Zeichen setzen, man wollte tatsächlich diese sogenannte Wahlfreiheit eben mit dieser Möglichkeit der Betreuung zu Hause, die eben finanziell etwas abzusichern, wollte sich damit positionieren und hat zu wenig in Rechnung gestellt und dem Rechnung getragen, dass diese Bedenken tatsächlich – es gab ja zweierlei juristische Bedenken, und jetzt ist das tatsächlich eben gescheitert mit Blick auf diese mangelnde Bundeszuständigkeit.
    Was natürlich vor dem Hintergrund, dass die CSU ja dann auch noch eine ganz entschiedene Kämpferin für den Föderalismus ist, ist es natürlich noch mal doppelt absurd, dass man ausgerechnet dafür abgestraft worden ist, dass man eine Bundesregelung haben wollte, wo eigentlich nur eine Landesregelung möglich ist. Das ist natürlich noch mal zusätzlich bitter.
    "Man braucht die CSU, um insgesamt den Unionswahlerfolg einzuführen"
    Reese: Ist die CSU damit so ein bisschen auch auf angemessene Größe zurechtgestutzt worden? Es gab ja Zeiten, da hat Horst Seehofer nur gehustet, und in Berlin wurde gezittert?
    Münch: Na ja, eines muss man natürlich immer noch sehen: Von Sicht der Union insgesamt und von Sicht der CDU ist die CSU natürlich weiterhin eine ganz, ganz wichtige Größe, einfach, weil die CSU relativ sicher sehr gute Wahlergebnisse einfährt.
    Darauf kann man, selbst wenn da der eine oder andere jetzt ein bisschen Schadenfreude auch aufseiten der Schwesterpartei empfindet, die Schadenfreude wird schnell wieder unterdrückt werden, weil man weiß, man braucht die CSU, um insgesamt diesen Unionswahlerfolg einzuführen.
    Aber natürlich sieht das der andere Koalitionspartner, die SPD, die sieht das natürlich verständlicherweise völlig anders. Da ist die Schadenfreude deutlich unverhohlener und deutlich größer.
    "Debakel auf Landesebene nicht ganz so groß"
    Reese: Können Sie uns vielleicht einmal einen Einblick in die Seele eines auch für Berlin wichtigen CSU-Wählers jetzt geben? Wie geht es dem jetzt? In Zeiten der Niederlage konnte man in Bayern ja öfter mal beobachten, dass man sich dann doch eher gegen Berlin und gegen Restdeutschland solidarisiert. Ist das heute auch der Fall?
    Münch: Also grundsätzlich muss man ja immer unterscheiden – also auch für die CSU ist das jetzt eine Niederlage, und es ist unerfreulich. Aber zum einen wird es natürlich auf die "höheren Mächte" in Anführungszeichen zurückgeführt, also so nach dem Motto, vor Gericht ist man immer in Gottes Hand. Das ist etwas Unwägbares gewesen, das gleiche Argument im Grunde, wie man bei der Maut auch schon vorgebracht hat.
    Grundsätzlich muss man aber immer sehen, für die CSU ist das Allerwichtigste, sich in Bayern zu positionieren als eine Kraft und auch durchaus als eine Kraft, die manchen Zeitläufen etwas gegenüberstellt. Natürlich möchte man auch im Bund erfolgreich sein. Für die CSU ist aber das allein Maßgebliche, wie schneiden wir bei den Landtagswahlen ab.
    Und da ist das Debakel dann, dass man jetzt tatsächlich erlebt hat, nicht ganz so groß, weil man sagen kann, na ja, das ist ein bundespolitisches Thema, da haben wir Pech gehabt, wir wenden es jetzt ins Positive und machen ein landespolitisches Thema draus und zeigen dann, dass wir den anderen Ländern mit dieser Umwidmung des Bundesbetreuungsgeldes in ein Landesbetreuungsgeld, dass wir damit wieder Vorreiter sind.
    Das kann man schon ein bisschen versuchen, umzuwidmen. Ist ein bisschen mühsam und wahrscheinlich für den Rest der Republik nicht unbedingt verständlich. Das ist aber wiederum in Bayern auch wieder egal.
    "Abgrenzen gegenüber dem Bund ist das tatsächliche Erfolgsrezept der CSU"
    Reese: Ja, und so kann man es ja auch eigentlich beobachten an dem Ziel des Landesbetreuungsgeldes, was jetzt auch Horst Seehofer heute postuliert hat. Er will das sozusagen jetzt im Alleingang auch durchziehen, ähnlich wie bei der Flüchtlingspolitik oder auch bei der Stromversorgung mit den Stromtrassen. Wird das nicht wieder nach hinten losgehen?
    Münch: Na ja, gut, der Stromtrassenerfolg ist ja auch ein sehr überschaubarer. Auch da ist das im Grunde in Bayern versucht worden, als Erfolg zu verkaufen, dass man jetzt sich auf Erdkabel geeinigt hat. Ob das dann tatsächlich letztendlich der große Erfolg wird – zunächst verkauft man es eben so.
    Aber zunächst ist es tatsächlich, der Erfolg der CSU basiert darauf, dass sie erfolgreich ist in Bayern, vor der bayerischen Wählerschaft. Und da dient dieses Abgrenzen gegenüber dem Bund, gegenüber durchaus auch gegenüber anderen Ländern ist da nach wie vor das tatsächliche Erfolgsrezept, weil man damit deutlich macht, wir sind eine eigenständige Kraft, während alle anderen immer nur einem größeren Ganzen, sei es als CDU-Landesverband, sei es als SPD-Landesverband, angehört.
    Also dieser Versuch, Bayern und CSU gleichzusetzen, das kann man durchaus damit weiterhin pflegen und damit durchaus erfolgreich sein, in Bayern zumindest.
    "Seehofer gelingt es gut, potenzielle Nachfolger gegeneinander auszuspielen"
    Reese: Insofern muss man sich um Horst Seehofer eigentlich keine Sorgen machen. 2018 wird gewählt in Bayern. Er hat angekündigt, bis dahin im Amt bleiben zu wollen. Wird er das durchhalten, dementsprechend?
    Münch: Auch das ist schwierig abzusehen. Er versucht alles daranzusetzen, es zu tun, und begründet es ja im Grunde vor allem damit, dass er sagt, bei den bisherigen Wechseln sei es nicht gelungen, dass der Vorgänger im Amt den Nachfolger mit bestimmt, und es sei jedes Mal im Chaos geendet, sprich vor allem beim letzten Mal, also bei der Abwahl und beim Abservieren von Edmund Stoiber und dann dem Ersatz durch die Zweierlösung. Das ist ja tatsächlich für die CSU gründlich schief gegangen.
    Solange er dieses Argument tatsächlich hochhält und ihm das abgenommen wird, so lange wird er erfolgreich sein. Und solange es ihm gelingt, und es gelingt ihm im Augenblick relativ gut, unterschiedliche potenzielle Nachfolger gegeneinander auszuspielen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.