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Nach Urteil
"Bayern wird das Betreuungsgeld weiter zahlen"

Nach dem Aus für das Betreuungsgeld auf Bundesebene will Bayern die Prämie weiterhin an Familien zahlen. Der ehemalige CSU-Vorsitzende Erwin Huber sagte im Deutschlandfunk, das Betreuungsgeld sei vor dem Bundesverfassungsgericht nur an einer Formalität gescheitert. Er lud Familien ein, in den Freistaat zu ziehen.

Erwin Huber im Gespräch mit Peter Kapern | 21.07.2015
    Der ehemalige CSU-Parteivorsitzende Erwin Huber spricht am Montag (28.03.2011) vor Beginn der CSU-Vorstandssitzung in München.
    Der frühere CSU-Chef Erwin Huber. (picture alliance / dpa / Frank Leonhardt)
    "Ihr könnt nach Bayern können, dann habt ihr die Wahl", sagte Huber in Richtung von Eltern. Es gebe landesweit genügend Arbeitsplätze. Er betonte, das Urteil des Bundesverfassungsgerichts sei ein Verlust für Familien. "Es ist ein schlechter Tag die die Familien in ganz Deutschland." Bayern wolle die Wahlfreiheit und keinen Zwang für Kinder, in die Kita gehen zu müssen.
    Nun werde es einen Streit darüber geben, was der Bund mit den nun frei werdenden Mitteln mache, sagte Huber. Dem Bund stehe es natürlich frei, den Ländern Geld für familienpolitische Maßnahmen zu geben. Klar sei nur, dass das Gericht das Betreuungsgeld nicht prinzipiell verboten habe.

    Das Interview in voller Länge:
    Peter Kapern: Das Betreuungsgeld wurde im August 2013 beschlossen. Damals wurde Deutschland, der eine oder andere mag sich daran vielleicht noch erinnern, von der Union und einer Partei namens FDP regiert. Zu den heftigen Gegnern dieser familienpolitischen Leistung zählte damals, kurz vor der Bundestagswahl die SPD, die ihren Widerstand dann nach der Wahl allerdings dem Koalitionsvertrag zuliebe einschlafen ließ. Heute nun hat schließlich das Bundesverfassungsgericht das Gesetz zum Betreuungsgeld wieder gekippt. Bei uns am Telefon ist jetzt der frühere CSU-Vorsitzende Erwin Huber. Guten Tag!
    Erwin Huber: Hallo!
    Kapern: Herr Huber, was sagen Sie zum Karlsruher Urteil.
    Huber: Ich bedauere dieses Urteil sehr. Das ist auch keine Schlappe für die CSU, sondern ein Verlust für die Familien in ganz Deutschland. Und ich kann überhaupt nicht verstehen, dass Politiker, meinetwegen von der SPD oder den Grünen, jubeln darüber, dass Familien, immerhin eine halbe Million Familien diese Leistungen nicht mehr bekommen. Das ist ein schlechter Tag für die Familien in Deutschland.
    Kapern: Nun will ja Horst Seehofer an diesem Betreuungsgeld festhalten, und er will auch noch, dass der Bund weiter zahlt, auch wenn dieses Betreuungsgeld dann ein Landesbetreuungsgeld ist. Für wie realistisch halten Sie das?
    Huber: Das ist sehr realistisch, denn Karlsruhe hat ja nicht in der Sache über das Betreuungsgeld entschieden. Und deshalb sind ja auch entsprechende Kommentare, ob das gut oder schlecht ist, im Familienverbund und gesellschaftspolitisch deplatziert. Das ist an einer Formalität gescheitert, nämlich der Frage, hat der Bund die Gesetzeszuständigkeit, ja oder nein. Das heißt, man kann natürlich das Betreuungsgeld weiter bezahlen, aber es muss dann formal in Länderhoheit gemacht werden.
    Kapern: Aber Herr Huber, das ist ja nur ein Teil des Urteils, wenn ich da kurz eingreifen darf, Herr Huber. Wenn ich da kurz eingreifen darf, das ist ja nur ein Teil des Urteils. Ich zitiere mal: "Das Angebot öffentlich geförderter Kinderbetreuung steht allen Eltern offen. Nehmen es Eltern nicht in Anspruch, verzichten sie freiwillig." So hat es heute das Bundesverfassungsgericht gesagt, und deshalb muss es auch keine Kompensation für diesen freiwilligen Verzicht geben. Das heißt, es ist doch auch eine Stellungnahme in der Sache.
    Huber: Wir reden ja jetzt einmal über die Rechtslage. Und die Rechtslage heißt, der Bund hat dafür keine Zuständigkeit. Zuständigkeit haben die Länder, und die Länder können das natürlich auch bezahlen. Und für Bayern ist die Ankündigung des Ministerpräsidenten, zu der die gesamte CSU steht, da gibt es bei uns mit Sicherheit keine Zweifel, dass wir in Bayern dieses Betreuungsgeld weiterhin bezahlen werden. Da kann ich den Familien in ganz Deutschland sagen, ihr könnt nach Bayern kommen, dann habt ihr die Wahl zwischen einem Betreuungsplatz – wir haben auch genügend Betreuungsplätze – und dem Betreuungsgeld.
    Kapern: Dann wollen wir nur mal hoffen, dass diese Familien nicht in Zelten untergebracht werden in Bayern.
    Huber: Das heißt, wir haben auch landesweit genügend Arbeitsplätze. Also das sind in Bayern bessere Bedingungen als in vielen Teilen Deutschlands. Im Übrigen sind jetzt in Nordrhein-Westfalen noch mehr Bezieher von Betreuungsgeld da. Das ist einwohnerstärker als Bayern. Aber um es jetzt zurückzuführen auf den Kern: Das Verfassungsgericht hat gesagt, der Bund hat keine Gesetzeszuständigkeit. Natürlich kann Betreuungsgeld gezahlt werden, aber dann in Länderhoheit, und dann würde man jetzt über dieses Geld streiten, ob der Bund das weiter ausgibt und für welchen Zweck. Das ist eine Frage, die dann auf der politischen Ebene entschieden wird. Aber für die Familien bedeutet das zunächst einmal, als einziges Land hat Bayern angekündigt, dass wir dieses Geld, Betreuungsgeld weiter bezahlen, weil wir die Wahlfreiheit wollen und keinen Zwang in dieser Zeit, ein bis drei Jahre bei Kindern, haben wollen, dass sie in die Kita gehen müssen.
    Kapern: Herr Huber, lassen Sie mich da mal kurz einhaken. Das ist ja, wenn man sich das mal in Ruhe betrachtet, ein interessantes Politikmodell, das Horst Seehofer dort vorschlägt. Dass Bayern ein Landesbetreuungsgeld zahlt, das ist dem Freistaat ja unbenommen, aber das der Bund dafür zahlen soll – wenn man das mal weiterdenkt, dann bedeutet das ja, dass die Länder demnächst in der Lage sind, die Party zu veranstalten, und der Bund hat dafür finanziell gerade zu stehen, auch Steuerzahler aus Ländern, die dann kein Landesbetreuungsgeld einführen.
    Huber: Dem Bund steht es natürlich frei, den Ländern Geld für familienpolitische Leistungen zu geben. Im Übrigen wird ja gerade gestritten auch über den Bund-Länder-Finanzausgleich und Bund-Länderfinanzen. Und alle Länder wollen Geld vom Bund, auch für die verschiedensten Verwendungszwecke. Das heißt also, das ist nichts Unmoralisches, dass der Bund den Ländern Geld gibt. Und er kann natürlich auch den Verwendungszweck vorschreiben, wie es im Bereich von Bildung, von Hochschule und vielem anderen, Wirtschaftsförderung, ja auch der Fall ist. Aber jetzt unabhängig davon ist das ein Streit, der die Eltern, glaube ich, weniger berührt. Das ist eine Frage der Finanzierung, der Zahllast. Jedenfalls eines ist klar: Das Verfassungsgericht hat diese Leistung nicht prinzipiell verboten, sondern hat es in die Länderhoheit gelegt. Und wir in Bayern werden das bezahlen.
    Kapern: Das haben Sie ja schon gesagt, Herr Huber, deswegen würde ich gerne noch mal zu einem anderen Punkt kommen, Herr Huber. Die CSU ist ja in letzter Zeit auffällig häufig auf Kollisionskurs mit dem Recht. Die Pkw-Maut wurde ja auch auf Eis gelegt, weil die EU-Kommission einen Rechtsverstoß reklamiert hat. Wie kommt es zu dieser bemerkenswerten Diskrepanz zwischen den CSU-Wünschen einerseits und dem Rechtsstaat andererseits?
    Huber: Ja, wissen Sie, Politiker sind ja keine Verfassungsrechtler, und wenn immer dann gleich wenn Bedenken juristischer Art erhoben werden, das ist praktisch bei allem –
    Kapern: Aber Herr Huber, die Hälfte aller Politiker sind Juristen.
    Huber: Im Bereich des Rechts gibt es ständig Urteile, das eine geht so, das andere so. Also man kann nicht sagen, dass jemand da die absolute Weisheit gepachtet hat. Bei der Maut ist es ja so, dass der Europäische Gerichtshof erst entscheiden wird. Die Kommission hat angekündigt ein Vertragsverletzungsverfahren, dann hat man ja die Vorbereitungen gestoppt, weil man natürlich auch nicht weiß, wie wird das Urteil ausgehen. Und dann wird man das zeigen. Aber wir werden uns als CSU jedenfalls nicht von den ersten Bedenken juristischer Art, die erhoben werden, gleich von politischen Zielen abwenden und uns einschüchtern lassen. Denn dann wäre die Politik verurteilt, gar nichts mehr zu machen. Ich halte im Übrigen das, was Karlsruhe entschieden hat, für ein Fehlurteil. Man hätte genauso unter der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse diese Leistungen an die Familien gewähren können. Aber Juristen sind halt zunächst einmal Formalisten, und deshalb haben wir das zu akzeptieren.
    Kapern: Könnte es sein, dass Horst Seehofer zu häufig Politik mit dem Bauch statt mit dem Kopf macht?
    Huber: Die Idee auf Betreuungsgeld geht ja schon auf die Zeit von Ministerpräsident und Parteivorsitzendem Stoiber zurück. Ich habe da auch aus Überzeugung mitgewirkt.
    Kapern: Auch ein Jurist.
    Huber: Wie bitte?
    Kapern: Auch ein Jurist.
    Huber: Nein, ich bin kein Jurist, aber jemand, der einen ...
    Kapern: Stoiber.
    Huber: Stoiber. Aber es haben auch viele zugestimmt, die vom gesunden Menschenverstand her das beurteilen, und da muss ich sagen, das ist vielleicht manchmal wichtiger, bedeutsamer, humaner, sozialer als der formalistische Formelkram.
    Kapern: Sagt Erwin Huber, der frühere CSU-Vorsitzende, bei uns hier im Deutschlandfunk als Reaktion auf das Karlsruher Urteil zum Betreuungsgeld. Herr Huber, vielen Dank, dass Sie Zeit für uns und unsere Hörer hatten!
    Huber: Bitte sehr!
    Kapern: Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag nach München!
    Huber: Danke! Einen heißen Tag.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.