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Bewährungsprobe für die Sozialpartner

2010 wird ein Mega-Tarifjahr - aber nicht ein Jahr der Mega-Abschlüsse. Verhandelt wird im öffentlichen Dienst, in der Metallindustrie und in der Chemiebranche. Während die Industrie die schlimmsten Auswirkungen der Finanzkrise überwunden hat, sieht es in den öffentlichen Kassen schlecht aus.

Von Christoph Birnbaum | 12.02.2010
    "Ich bin technischer Zeichner. Ich mach heute keine Eintragungen in irgendwelche Pläne, das fällt heute flach."

    "Ich bin von Beruf Straßenwärter. Normal machen wir unseren Winterdienst heute. Und da wird sicher was liegen bleiben. Ich hoffe, da haben die Leute Verständnis für."

    "Ich arbeite im Kindergarten. Ich leg die Arbeit nieder."

    "Ich bin Sozialversicherungs-Fachangestellter. Da bleiben ein paar Renten liegen."

    "Ich bin Müllwerker. Heute bleiben die Mülleimer voll. Wir streiken heute."

    Zuerst war Hessen dran, danach das Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt und natürlich Nordrhein-Westfalen und Berlin. Bis zu 100.000 Mitglieder haben die Gewerkschaften im öffentlichen Dienst - Verdi und der Deutsche Beamtenbund - in der vergangenen Woche auf die Straße geschickt.

    Doch die Warnstreiks halfen nichts: Auch die dritte Verhandlungsrunde brachte kein Ergebnis. Es geht ab kommenden Donnerstag in die Schlichtung. Die Kontrahenten – kommunale Arbeitgeber und der Bund sowie die Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes – haben sich gestern darauf geeinigt. Zeit für beide Seiten, kurz Luft zu holen.

    Und das ist gut so: Denn 2010 wird, das steht schon fest, ein Mega-Tarifjahr – aber mit Sicherheit nicht ein Jahr der Mega-Abschlüsse. Verhandelt wird nicht nur im öffentlichen Dienst, sondern auch in der Metallindustrie und in der Chemiebranche.

    Die Tarifverträge für die 500.000 Chemie-Beschäftigten laufen im Frühjahr aus. Die Verträge für die 3,5 Millionen Beschäftigten der Metall- und Elektroindustrie enden im April. Ebenso die der Beschäftigten im Bankgewerbe. Hinzu kommen die Papier verarbeitende Industrie, die Recycling- und Entsorgungswirtschaft und Teile des Kfz-Gewerbes. Ende Juni stehen die Vergütungstarifverträge in Teilen der Energiewirtschaft in Nordrhein-Westfalen und im Osten auf der Tagesordnung. Ende Juli folgt die Deutsche Bahn AG und im August die Eisen- und Stahlindustrie. Ende des Jahres steht dann wieder eine Tarifrunde im öffentlichen Dienst an – und zwar bei den Ländern. Hinzu kommen Tarifverhandlungen bei den Banken, bei den Eisenbahnern, den Krankenhausärzten und etlichen kleineren Spartengewerkschaften.

    Insgesamt 9,4 Millionen Arbeitnehmer sind in diesem Jahr von einer Einigung zwischen den Tarifparteien betroffen. Und das zu einem Zeitpunkt, wo die Wirtschaft immer noch dabei ist, sich von der schlimmsten Rezession seit 80 Jahren zu erholen.

    Doch die Interessenlagen der großen Massengewerkschaften könnten – zumindest auf den ersten Blick - kaum unterschiedlicher sein. Anders als im öffentlichen Dienst ist von Kampfeslust bei den stolzen Metallern und den Arbeitnehmern in der chemischen Industrie derzeit wenig zu spüren. Für den Tarif- und Gewerkschaftsexperten beim arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft in Köln, Hagen Lesch, deutet daher alles auf eine mehr als ungewöhnliche Tarifrunde hin:

    "Nun, ich glaube, man muss in diesem Tarifjahr ganz besonders differenzieren, weil wir Bereiche haben – die Industrie -, wo wir noch teilweise auf Kurzarbeit sitzen und wo es eigentlich gar nichts lohnpolitisch zu verteilen gib. Da muss es strikt darum gehen, dass man die Leute aus der Kurzarbeit wieder in Beschäftigung herausholt. Und wir haben einen anderen Bereich – Teile des Dienstleistungssektors -, in denen die Beschäftigung im letzten Jahr eigentlich ganz ordentlich verlaufen ist, die auch nicht massiv von Kurzarbeit betroffen sind. Und das sind Bereiche, in denen man sich auch vorstellen kann, dass eben ganz regulär über Lohnsteigerungen verhandelt wird."

    Damit aber sehen manche Beobachter die Gewerkschaften insgesamt in einem strategischen Dilemma. Wenn die mächtigsten Gewerkschaften in der Tarifpolitik einen völlig gegensätzlichen Kurs fahren, gerät das gesamte Gewerkschaftslager am Ende in ökonomische Erklärungsnöte.

    Ist das so? Nein, meint Reinhard Bispinck, Leiter des Tarifarchivs des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der arbeitnehmernahen Hans-Böckler-Stiftung in Düsseldorf:

    "Das Tarifjahr 2010 hat zwei Schwerpunkte. Es geht einmal um Beschäftigungssicherung und es geht zum Zweiten um Lohnsteigerungen. Das wird häufig im Gegensatz gesehen. Ich sehe diesen Gegensatz aber nicht, weil ich glaube, dass beide Dinge miteinander verknüpft sind. Aber nicht im Sinne eines Entweder oder, sondern im Sinne eines Sowohl als auch. Wir brauchen Tarifabschlüsse, speziell in den Branchen, die von der Wirtschaftskrise stark betroffen sind, im Industriebereich, die einen Akzent auf Beschäftigungssicherung legen. Wir brauchen zugleich aber auch Tarifabschlüsse, die spürbare Reallohnsteigerungen produzieren."

    Und doch - der Widerspruch bleibt: "Sichere Jobs" heißt es bei der IG Metall und der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie und: "Mehr Geld" bei den Gewerkschaften im öffentlichen Dienst. Zwar haben die ihre Forderungen schon von fünf auf dreieinhalb Prozent gesenkt – doch das ist, zumindest zur Zeit, die Untergrenze. Von einem Lohnverzicht in der Krise wollen sie nichts wissen. Sozial ist, was die Kaufkraft stärkt, argumentiert Verdi-Chef Frank Bsirske. Der Vorsitzende des Deutschen Beamtenbundes dbb, Peter Heesen, ergänzt:

    "Denn es ist unbestritten richtig, dass gerade jetzt in dieser Wirtschaftskrise mehr Wachstum angesagt ist. Mehr Wachstum aber setzt mehr Kaufkraft voraus. Und mehr Kaufkraft ist nur dort gegeben, wo die Menschen auch mehr Geld in der Tasche haben, um über diese zusätzliche Kaufkraft die Wirtschaft zu stimulieren, und damit auch Arbeitsplätze zu erhalten."

    4,6 Milliarden Euro sollte das ursprünglich geforderte Gesamtpaket von Verdi und Co. kosten. Nur ein Teil der Lohnsteigerung, das muss man der Fairness halber sagen, soll aber direkt in den Portemonnaies der Öffentlich-Bediensteten landen, die Arbeitnehmer-Organisationen haben auch Punkte wie Nachwuchsförderung und Wiederbelebung der Altersteilzeit auf ihren Wunschzettel geschrieben. Und in der Schlichtung, das machte Verdi-Chef Bsirske klar, kann es nur um das Gesamtpaket gehen.

    Das ändert aber nichts an der bedrückenden Verfassung der öffentlichen Haushalte. Verdi und Co. selbst haben dies übrigens im vergangenen Jahr durchaus anerkannt. Da haben sie mit den Ländern Gehaltserhöhungen von "nur" 1,2 Prozent vereinbart. Warum nun bei Bund und Ländern mehr drin sein soll, bleibt ein Rätsel. Hagen Lesch vom Kölner Institut der deutschen Wirtschaft:

    "Es ist richtig, dass der Öffentliche Dienst einige Zeit lange Zeit einkommenspolitisch etwas hinterhergehinkt hat. Wir haben aber in den letzten drei Jahren immer Abschlüsse von mindestens drei Prozent gehabt. Er hat also aufgeholt. Und man muss auch sagen, dass ausgerechnet in diesem Jahr die Krise die öffentlichen Haushalte am stärksten trifft. Bei der Industrie war es vielleicht im letzten Jahr stärker, aber in den öffentlichen Haushalten ist wohl dieses Jahr das Hauptjahr, wo die größten Defizite anfallen. Und da finde ich, passt es einfach nicht, dass man relativ offensiv in die Tarifrunde hineingeht. Allerdings wissen wir ja auch, dass zwischen Abschluss und Forderung immer noch ein Unterschied besteht."

    Britta Rehder sieht dies anders. Die Wissenschaftlerin am Kölner Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung beschäftigt sich seit Jahren mit den Wechselwirkungen von Politik und Verbänden, den Arbeitsbeziehungen und dem Wandel von Institutionen. Sie meint zu den Forderungen von Verdi und IG Metall:

    "Na ja, eine Gewerkschaft ist ein Interessenverband und muss natürlich schauen, dass sie die Interessen Ihrer Mitglieder auch realisiert. Und was jetzt die IG Metall zum Beispiel ausgegeben hat – wir sind vor allem an Beschäftigungssicherung interessiert – muss man natürlich sagen, dass das den öffentlichen Dienst nicht in dem Maße betrifft wie die Metallindustrie. Und dann verlagert sich die Diskussion natürlich auf Tarifforderungen. Verdi hat natürlich auch gar nicht so ein schlechtes Argument in der Hand – das wird ja auch immer wieder gebracht: Na ja, die Banker haben so viel Geld bekommen ohne Gegenleistung, die Hoteliers bekommen Geld ohne Gegenleistung – wie will man das eigentlich begründen, dass die Beschäftigten im öffentlichen Dienst das nicht bekommen."

    Dass es aber darüber hinaus gerade Verdi und die Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes sind, die Deutschland mit Warnstreiks überzogen haben und eben nicht die klassischen Industriegewerkschaften, hat noch einen anderen Grund: Einerseits wächst die Konkurrenz im Gewerkschaftslager besonders im Dienstleistungsbereich. Andererseits sinken die Mitgliederzahlen.

    Die Wirtschaftskrise hat den Mitgliederschwund bei den Gewerkschaften beschleunigt. Nur die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft und die Gewerkschaft der Polizei gewannen 2009 unter dem Strich neue Beitragszahler. Dagegen schrumpften die anderen sechs Organisationen des DGB weiter. Besonders stark fiel der Rückgang bei der Gewerkschaft Transnet aus. Sie verzeichnete ein Minus von 3,7 Prozent. Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi gab einen Rückgang von 1,9 Prozent bekannt. Britta Rehder vom Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung:

    "Dass die Politik von Verdi jetzt erst einmal etwas konfrontativer aussieht, hat natürlich auch etwas mit einer Situation zu tun, mit der die Industriegewerkschaften nicht so konfrontiert sind. Das ist die Gewerkschaftskonkurrenz. Also, der Marburger Bund hat angekündigt, wir wollen uns ausbauen zu einer Gesundheitsgewerkschaft. Sie haben die Piloten, sie haben das Lokführerphänomen – das ist in der Vergangenheit so gewesen, und auch in anderen Ländern so, dass eine Gewerkschaftskonkurrenz eben auch die Konkurrenz zwischen den Gewerkschaften in Bezug zum Beispiel auf Lohnforderungen anheizt."

    Verdi versucht, angesichts einer wachsenden Zersplitterung in Spartengewerkschaften gerade im Dienstleistungssektor vom Straßenreiniger bis zum Hochschulwissenschaftler auch weiterhin alle möglichen Berufsgruppen unter einen Hut zu bekommen. Kein leichtes Unterfangen - zumal in Krisenzeiten. Verdi agiert, vielleicht noch mehr als die anderen Massengewerkschaften in Deutschland, dabei nicht gerade aus einer Position der Stärke heraus. Britta Rehden:

    "Die Frage, wie stark gehen die Gewerkschaften da raus weniger von den einzelnen Tarifergebnissen abhängt, als von ganz anderen Bemühungen, die im Hintergrund laufen. Also: Ist man dazu in der Lage, den Mitgliederschwund zu stoppen. Da gibt’s eine ganze Reihe von Versuchen im Hintergrund, auch zum Teil äußerlich sichtbar – bei der IG Metall gib's die Debatte über Organisationsreformen, bei Verdi konnte man sehen, dass im letzten Jahr zum ersten Mal – nach meinem Wissen zum ersten Mal – die Kitas bestreikt wurden, wo man versucht - und das augenscheinlich ja auch in gewissem Umfang schafft -, neue Beschäftigtengruppen anzusprechen."

    Ganz anders sieht das in der Industrie aus. Dort dominieren wie eh und je die gewerkschaftlichen Dickschiffe wie die IG Metall und die IG BCE. Und dort herrscht zur Zeit auch ein anderer Ton zwischen den Tarifpartnern.

    Früher zog die IG Metall gern in die Tarifrunden mit lautem Tamtam, jeder Menge Trillerpfeifen und einem Meer von roten Fahnen und ließ den Klassenkampf öffentlich hochleben. Heute schlägt die Metall-Gewerkschaft eher leise Töne an. Arbeitsplatzsicherung habe in diesem Jahr oberste Priorität, gab Gewerkschafts-Chef Berthold Huber als neue Leitlinie aus. Das Signal an die Basis ist unmissverständlich: Mit üppigen Lohnzuwächsen ist in diesem Jahr nicht zu rechnen. 4,2 Prozent mehr Lohn und Gehalt gab es in der letzten Tarifrunde – diesmal wird es mit Sicherheit anders kommen.

    Deshalb kann die IG Metall mit der klassischen Formel der Tarifverhandlungen nichts mehr anfangen. Die vertritt nun Verdi-Chef Frank Bsirske mit seiner Forderung, das Maß für Tariferhöhungen müsse sich mindestens aus dem Ausgleich für Inflation und Produktivität ergeben. Doch wie soll das noch für die Industrie gelten? Wegen der Kurzarbeit ist in vielen Betrieben die Produktivität massiv gesunken. Sie ist inzwischen negativ. Und auch die Inflation von deutlich weniger als einem Prozent begrenzt den Spielraum für einen kräftigen Lohnzuschlag. Und wie soll man überhaupt mit Streiks drohen, wenn die Bänder wegen Auftragsmangel ohnehin stillstehen?

    So hat die moderate Tonlage einen mehr als ernsthaften Hintergrund: Nach Kalkulation der IG Metall sind in der Metallindustrie krisenbedingt etwa 700.000 der 3,45 Millionen Stellen bedroht. Zudem stellt der krisengeschüttelte Automobil- und Maschinenbau einen Großteil der über 1,4 Millionen Kurzarbeiter. Allein in Baden-Württemberg, einer der Hochburgen der Gewerkschaft, ist die Arbeitslosigkeit - von niedrigem Niveau aus - stärker gestiegen als in anderen Bundesländern. Die Metaller fürchten um ihre Jobs.

    Dabei stehen die Themen Beschäftigung, Verhinderung von betriebsbedingten Kündigungen und Übernahme von Auszubildenden ganz oben auf dem Forderungskatalog der IG Metall. Gewerkschaftschef Berthold Huber gibt sich überzeugt, dass dies dem Gefühl vieler Mitglieder entspreche. Der Tarifexperte Reinhard Bispinck von der Hans-Böckler-Stiftung ergänzt allerdings sofort:

    "Es gibt auch eine Erwartungshaltung, dass auch in der Krise so etwas geben muss, wie eine Einkommenssicherheit. Von daher glaube ich nicht, dass es einen säkularen Trend gibt: Arbeitsplätze statt Lohnerhöhungen. Interessenübereinstimmungen enden da, wo Unternehmen vor allem auch zu Lasten ihrer Beschäftigten glauben, ihre Betriebsbilanzen aufbessern zu können oder zu müssen. Sobald es an das Thema betriebsbedingte Entlassungen geht, und sobald es darum geht, dass Beschäftigte ohne Ende für die Krise zahlen sollen, da werden auch die Konflikte härter. Wir erleben das ja bei Opel ganz exemplarisch im Moment, wo von den Beschäftigten wie selbstverständlich hunderte von Millionen an Sparleistungen erwartet werden."

    Deshalb führen Gewerkschaft und Arbeitgeber schon seit Dezember auf regionaler Ebene Gespräche über ein mögliches "Jobpaket" mit neuen Vereinbarungen zur Beschäftigungssicherung. Obwohl der Tarifvertrag der IG Metall erst im April ausläuft, hat die große Tarifkommission der Gewerkschaft einstimmig beschlossen, dem Vorstand rasche Verhandlungen zu empfehlen. Der Grund: der gute Stand der Sondierungsgespräche mit den Arbeitgebern. In Nordrhein-Westfalen haben die Gespräche bereits in dieser Woche angefangen.

    So sollen vor allem die Regelungen für Kurzarbeit fortgeschrieben werden. Schon jetzt kann die Wochenarbeitszeit auf bis zu 30 Stunden abgesenkt werden - bei Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen. Denkbar wäre nun – wenn die staatlich subventionierten Kurzarbeiterprogramme der Nürnberger Agentur für Arbeit auslaufen – eine weitere Absenkung auf bis zu 26 Stunden. Das wäre – in den Augen der IG Metall - aber nur mit einem Teillohnausgleich akzeptabel. Außerdem soll dieser Teillohnausgleich steuer- und sozialabgabenfrei sein.

    Spätestens aber hier – bei Forderungen nach staatlichem Geld und staatlicher Hilfe - treffen sich die Positionen von Verdi und der IG-Metal. Und das, meint die Kölner Politikwissenschaftlerin und Gewerkschaftsexpertin Britta Rehder, könnte das eigentliche Kennzeichen des Tarifjahrs 2010 sein:

    "In der Metallindustrie ist das natürlich ein bisschen anders. Da kann die IG Metall sich auf eine vorsichtigere Lohnforderung – sag ich jetzt mal – zurückziehen, weil man im Grunde ja mit dem Arbeitgeberverband einen Kooperationspartner hat, der eben auch dafür in Anspruch genommen werden kann, Dinge vom Staat zu fordern. Da kann die Gewerkschaft sich allein schon ein bisschen zurücknehmen und die Metallindustrie hat ja auch schon einiges bekommen – über die Abwrackprämie, die Debatte über Opel."

    Und natürlich die Kurzarbeiterprogramme. Denn noch nie hat eine Bundesregierung so massiv in die Tarifpolitik und damit letztendlich auch in die Tarifautonomie zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern eingegriffen, wie dies die Große Koalition im letzten Jahr und die schwarz-gelbe Koalition in diesem Jahr getan hat. Mehr als eine Million Arbeitsplätze, so hat das Institut für Arbeitsmarktforschung der Nürnberger Arbeitsagentur vor kurzem erst ermittelt, wurden allein im letzten Jahr durch die Kurzarbeiterprogramme "gerettet".

    Und so gilt für die Tarifrunde 2010 das, was zur Zeit anscheinend überall – von der Finanzwelt angefangen über die Realwirtschaft bis hinein in die Gesundheits- und Sozialpolitik - gilt: Der Staat soll helfen! Im Fall von Verdi durch direkte tarifliche Lohnerhöhungen, im Fall der IG Metall durch einen Teillohnausgleich ohne Steuern und ohne Sozialabgaben. Auch in der Tarifpolitik wird der Staat also als letzter Rettungsanker gesehen, meint Britta Rehder:

    "Was neu ist, ist, dass man möchte, dass der Staat reingeht und da seinen finanziellen Beitrag dazu leistet. Insofern ist das in gewisser Weise ein Äquivalent zu der Lohnforderung von Verdi, die so ein Beschäftigungsmodell eben nicht fordert, sondern die klassische Tariflohnerhöhung. Also, da ist schon etwas Neues drin, insofern, als dass man den Staat da mit ins Boot holen möchte und das möglicherweise für den Staat auch rationaler ist, so was zu finanzieren als Arbeitslosigkeit."

    Noch hat sich Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen nicht zu den Forderungen der Metaller geäußert. Aber man kann sicher sein, dass ihr Ministerium genau beobachtet, was sich dort – und im Bereich der Chemiebranche – derzeit tut. Und dass gerechnet wird, was für den Staat günstiger ist. Dass in Krisenzeiten der Staat mit ins Boot geholt wird, kennt Hagen Lesch vom Institut der deutschen Wirtschaft in Köln, aus anderen Ländern:

    "Wir haben das im europäischen Ausland viel gehabt in den 90er-Jahren, zur Vorbereitung der Währungsunion. Irland ist ein Beispiel dafür, Italien hat so was gemacht. Oder Holland – 1982 schon, Wassenaer Abkommen – da hat man Lohnmoderation verabredet, dafür hat der Staat dann auch immer irgendwelche Dinge mit eingebracht, irgendwelche Verbesserungen in der Gesetzgebung oder auch andere Dinge. Wichtig war einfach, dass die Politikbereiche abgestimmt werden. Wir haben indirekt so etwas auch schon versucht mit Bündnissen, damals in den 90ern mit Zwickel – Kohl, das ist gescheitert, Schröder hat das 2000 auch noch einmal versucht – mit dem Bündnis für Arbeit, um eben die Beschäftigung zu erhöhen."

    Nun also ein erneuter Anlauf unter ungleich ungünstigeren Ausgangsbedingungen. Das Tarifjahr 2010 verspricht somit spannend zu werden. Und teuer – für den Staat und damit am Ende für uns alle als Steuerzahler.