Gerner: Sie haben gleichwohl - und ihr Kläger auch - von einem Skandal geredet. In welchem Zusammenhang?
Von Glasenapp: Der Skandal ist die lange Verfahrensdauer, nicht das Urteil heute. Das hängt natürlich insoweit zusammen, dass nur die lange Verfahrensdauer dazu geführt hat, dass heute das Urteil relativ milde ist. Aber ich glaube auch nicht, dass man das dem Rechtsstaat anlasten kann, sondern ich glaube, das sind Versäumnisse der Leute, die den Rechtsstaat ausmachen, nämlich der Justiz, möglicherweise auch der Politik.
Gerner: Nennen Sie doch mal klar Ross und Reiter. Wer hat warum was verzögert?
Von Glasenapp: Es ist uns nicht ganz klar, warum etwas verzögert wurde. Da gibt es unterschiedliche Auffassungen. Das Landgericht Schwerin, welches dieses Verfahren geführt hat, hat immer gesagt, man habe Verfahren vorrangig bearbeiten müssen, in denen die Angeklagten in Haft saßen, es seien Haftstrafen, die vorrangig behandelt werden. Wir vermögen das nicht so recht zu glauben, ganz einfach deswegen, weil man sich kaum vorstellen kann, dass eine Strafkammer fünf Jahre lang nur Haftsachen zu verhandeln hat. Vielleicht zum Hintergrund: Die Anklage liegt seit 1995 bei der Kammer und ist seitdem nicht bearbeitet worden, und das eben mit der Begründung, es hätten ausschließlich Haftsachen vorgelegen, die vorrangig hätten bearbeitet werden müssen. Das erscheint mir nicht so richtig überzeugend. Woran es sonst liegen könnte, da habe ich nur meine Vermutungen. Das ist ein Verfahren gewesen, was möglicherweise in seiner Brisanz nicht erkannt wurde.
Gerner: Nämlich?
Von Glasenapp: Ich glaube, dass man es 1995 für abgeschlossen erachtet hat, dass man nicht gesehen hat, dass es noch so viel Aufsehen erregen wird, dass man eigentlich überhaupt nicht richtig ermittelt hatte.
Gerner: Also der politische Wille fehlte möglicherweise?
Von Glasenapp: Der politische Wille fehlte, auch beim Gericht, dort etwas aufzuarbeiten, was auch damit zusammenhängt, dass die Kammer so gut wie keine Informationen hatte. Als ich dort im November 2001 anrief, um mich zu legitimieren für Herrn Dr. Richter, erklärte mir der Vorsitzende, er wisse überhaupt nicht, wer Herr Dr. Richter sei. Und sie waren auch nicht im Besitz der Fernsehaufnahmen des ZDF, die weltweit ausgestrahlt wurden - ich erinnere da an diesem Beitrag von Kennzeichen D, in dem diese fürchterlichen Aufnahmen aus dem Innenbereich des Hauses gezeigt wurden, wo auch Herr Dr. Richter zu sehen war -. Das war der Kammer alles unbekannt.
Gerner: Dann kann man also sagen, wenn ich das zusammenfasse, was Sie sagen, dass die Verhinderung, zu einem schnellen Urteil zu kommen, durchaus System hatte?
Von Glasenapp: Man hat ein wenig den Eindruck, dass es einfach eine fortgesetzte Panne der Pannen ist, die bereits zum Tatzeitpunkt passierten. Das ist ja eine Kette von Pannen. Der Polizeieinsatz ist völlig missraten, die politische Aufarbeitung ist völlig missraten und jetzt die juristische Aufarbeitung auch noch. Das ist in der Tat ein Skandal.
Gerner: Zwei Sachen sind mir aufgefallen im Zusammenhang mit dem Urteil. Im Richterspruch heißt es, nach zehn Jahren sei ein erzieherischer Effekt als Hauptziel der Bestrafung bei diesen drei Angeklagten kaum noch zu erzielen. Wie klingt das in Ihren Ohren?
Von Glasenapp: Das ist aus heutiger Sicht nicht zu beanstanden. Ich habe auch Zweifel daran, ob man heute die damals Jugendlichen mit Hilfe einer Jugendstrafe, die man verhängt und vollstreckt, noch erziehen kann. Man hätte aber sicherlich erzieherisch auf sie einwirken können, wenn man zeitnah reagiert hätte. Alle Angeklagten haben eine Reihe von Straftaten, auch nach der Geschichte in Rostock-Lichtenhagen begangen.
Gerner: Das ist der andere Punkt. Es heißt im Urteil, es gäbe trotz dieser weiteren Delikte eine günstige Sozialprognose.
Von Glasenapp: Das kann man bei zwei Angeklagten durchaus rechtfertigen. Bei einem überzeugt mich das nicht. Wir haben also einen Angeklagten, der seit längerer Zeit wegen anderer Sachen in Haft sitzt und deswegen schon lange Zeit die Einwirkungen des Strafvollzuges über sich ergehen lässt. Da erhofft man sich natürlich resozialisierende Effekte. Und der andere hat mittlerweile Familie und zwei Kinder. Auch das führt natürlich dazu, dass die Menschen gesetzter werden. Auch das lässt die Hoffnung zu, dass er sich in Zukunft straffrei verhalten wird. Bei dem dritten Angeklagten, der gerade inhaftiert wurde wegen einer Sache, die ihm vorgeworfen wird, wegen einer Körperverletzung, da habe ich allerdings erhebliche Zweifel, ob man so eine günstige Sozialprognose stellen kann.
Gerner: Politisch betrachtet: Die türkische Gemeinde sagt sinngemäß, das sei ein Persilschein für weitere Vorkommnisse dieser Art. Was sagen Sie?
Von Glasenapp: Dem würde ich auch hart widersprechen wollen. Immerhin hat das Landgericht Schwerin die Taten als versuchten Mord verurteilt. Das ist ja auch das, was Herrn Dr. Richter sehr wichtig gewesen ist, dass es nicht nur Randale ist, sondern ein ganz schweres Verbrechen, wenn man sich so verhält, wie es hier die Angeklagten getan haben. Und ich glaube, dass das schon ein Zeichen, auch ein abschreckendes Zeichen ist: Wer sich in eine solche Menge begibt und Angriffe auf Minderheiten fährt, der ist in der Gefahr, wegen versuchten Mordes verurteilt zu werden, oder auch wenn jemand zu Tode kommt wegen Mordes, und das ist natürlich ein Kapitalverbrechen, und das sollte sich auch jeder klarmachen.
Gerner: Wie sieht es denn in den Häusern aus, die damals Ort der Brandanschläge waren? Wie haben die Opfer reagiert? Wie viele leben überhaupt noch dort?
Von Glasenapp: Soweit ich weiß, gibt es dort schon gar keine zentrale Aufnahmestelle mehr, aber ich glaube auch, dass die Wohnungen dort einfach vermietet wurden. Es wohnen dort "normale Bürger".
Gerner: Vielen Dank für das Gespräch.
Link: Interview als RealAudio