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Beziehungen zu China normalisieren

Matthias Platzeck, brandenburgischer Ministerpräsident und Bundesratspräsident, hat die Aufhebung des Waffenembargos gegen China trotz offener Menschenrechtsfragen verteidigt. Eine Normalisierung der Beziehungen zur Volksrepublik sei längst überfällig, sagte der SPD-Politker.

Moderation: Christine Heurer |
    Heuer: Außenpolitik ist Chefsache, egal was der Bundestag sagt, basta. In dieser Vehemenz hat der Kanzler es zwar nicht gesagt, trotzdem ist er mit seinem entschiedenen Plädoyer für ein Ende des Waffenembargos gegen China gestern in der Zeit von politischen Feinden wie Freunden so verstanden worden. In China zu Besuch ist gerade Gerhard Schröders Parteifreund, der brandenburgische Ministerpräsident Matthias Patzeck. Mit zwei Absichten ist er unterwegs: Die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Brandenburg und dem Reich der Mitte zu pflegen und in Funktion als Bundesratspräsident politische Gespräche zu führen. Herr Platzeck, Sie sind zwar weit entfernt, werden aber die Diskussion hier in Deutschland mitbekommen haben. Sind Sie denn für oder gegen die Aufhebung des Waffenembargos gegen China?

    Platzeck: Ich kann den Bundeskanzler sehr gut verstehen. Wir sind nun schon einige Tage hier in China. Manches von der Debatte, die bei uns zu Hause geführt, wird hier nicht so richtig verstanden, weil es generell um einen Prozess der Normalisierung der Beziehungen geht; ein Prozess, der aus meiner Sicht überfällig ist, und der, auch wenn man erlebt, was in China derzeit passiert in diesen Jahren, sich förmlich aufdrängt. Ich glaube, dass die Aufhebung dieses Waffenembargos ein Bestandteil dieser Normalisierung ist, und deshalb bin ich dafür.

    Heuer: Nun sagen aber die Kritiker von Gerhard Schröder, dass sich im Gegenteil aufdrängt, im Moment China nicht zu entlasten durch eine Aufhebung des Waffenembargos. Der Blick richtet sich dabei auf Taiwan. Ist das Aggressionspotential gegen Taiwan der Chinesen kein Grund, vorsichtig zu sein?

    Platzeck: Wissen Sie, auch das stellt sich vor Ort durchaus differenziert und etwas anders dar, als wir es in Europa wahrnehmen. Wir heben immer auf das Gesetz ab, das der Nationale Volkskongress auf seiner letzten Sitzung beschlossen hat. Allerdings, wenn wir ehrlich mit uns und der Welt sind, müssen wir sagen, es hat sich durch dieses Gesetz eigentlich nichts Gravierendes verändert oder getan, sondern ganz im Gegenteil. Wenn man die Artikel, insbesondere 6 und 7 dieses Gesetzes liest, stellt man fest, dass der Volkskongress beschlossen hat, dass alle, aber auch wirklich alle Mittel und Möglichkeiten genutzt werden sollen zur friedlichen Annäherung in den nächsten Jahren und Jahrzehnten zwischen China und Taiwan. Der zweite Punkt, den man beachten muss, ist, dass niemand in der Welt außer Frage stellt, dass es die Ein-China-Politik gibt. Die ist ja schon in den 40er Jahren damals in Potsdam beim Potsdamer Abkommen mit besprochen und abgesegnet worden. Deshalb finde ich manches von der Aufregung, die wir jetzt wahrnehmen im Zusammenhang mit dem letzten Volkskongress, nur in Teilen nachvollziehbar. Wenn ich einen ganz aktuellen Punkt nennen darf: Die Medienwelt in China ist in den letzten Stunden davon bestimmt, dass eine Delegation unter Leitung des Vizepräsidenten der Kuomintang Partei aus Taiwan China besucht, sehr intensive Gespräche führt. Daran sieht man, dass die Lebensrealität, dass was man hier wahrnehmen kann, sich doch erheblich von dem unterscheidet, was wir zu Hause diskutieren.

    Heuer: Dann wäre ja die Drohung im Abspaltungsgesetz, über das wir schon gesprochen haben, gar nicht notwendig gewesen. Kann man es denn im Notfall in Kauf nehmen, dass es einen chinesischen Angriff auf Taiwan gibt, mit europäischen Waffen möglicherweise?

    Platzeck: Ich gehe fest davon aus, in aller Erfahrung die wir gesammelt haben und die wir auch jetzt sammeln, auch wenn man den Prozess, der in China abläuft, wirklich in Gänze sieht und auch im Zusammenhang beurteilt, dass es zu einer solchen Auseinandersetzung mit Waffen niemals kommen wird und das ist auch die Meinung, die hier in China geteilt wird und zwar nicht nur von den offiziellen Stellen.

    Heuer: Es gibt eine große Aufregung über den Vorstoß des Kanzlers auch über die Form, in der er ihn gemacht hat unter anderem bei den Grünen, aber auch in den Reihen der SPD. Ist das alles eine Aufregung für gar nichts?

    Platzeck: Sie wissen ja, dass Worte und Gesetze manchmal so und so ausgelegt werden. Ich habe das Interview jetzt gerade gelesen, was ja die Grundlage dieser Debatte ist, und ich kann in diesem Interview, wenn ich es mir ganz genau anschaue, nicht erkennen, dass, wie hier und da unterstellt wurde, eine Missachtung des Parlamentes darin enthalten ist. Es werden einige Sachverhalte vielleicht eine Spur zu drastisch, dass will ich überhaupt nicht in Abrede stellen, noch mal dargestellt, auch was Zuständigkeiten angeht. Aber ich glaube, dass die Rolle des Bundestages, die Rolle des Parlamentes hier in keiner Weise durch den Bundeskanzler in Frage gestellt worden ist.

    Heuer: Rot-Grün steht im Moment nicht besonders gut dar. War des da politisch klug vom Kanzler, neuen Sprengstoff in die Koalition zu tragen?

    Platzeck: Wissen Sie, wir müssten uns, glaube ich, überhaupt angewöhnen, auch im politischen Raum, Diskussionen so zu führen, wie sie geführt werden müssen, nämlich Dinge beim Namen zu benennen und wirklich sagen, wo Ross und Reiter sind, was wir wollen, was wir beabsichtigen und wie wir uns das vorstellen. Diese Art und Weise ist für manche vielleicht noch etwas gewöhnungsbedürftig. Aber ich glaube, die Problemlagen in Deutschland, insbesondere aber in der ganzen Welt, bedingen einfach und erfordern, dass wir uns eine klarere Sprache angewöhnen, und dazu ist das mit Sicherheit auch ein Stück Beitrag.

    Heuer: Ja, eine klare Sprache hat der Kanzler ganz sicher geführt. Verbessern Schröders Einlassungen denn die Wirtschaftbeziehungen Deutschlands zu China aus Ihrer Sicht?

    Platzeck: Wir nehmen hier sehr deutlich wahr und zwar stündlich kann man sagen, dass das Ansehen Deutschlands, dass das Ansehen der deutschen Wirtschaft und auch der deutschen Bundesregierung ein sehr, sehr hohes ist. Es fußt auf einem soliden Fundament, übrigens auch das Ansehen des Bundeskanzlers. Wir waren heute früh zum Beispiel beim Planungsminister, wir sind jetzt gerade mit Gouverneuren zusammen; es beginnt keine Gesprächsrunde, ohne dass nicht sehr klar artikuliert die sehr positive Rolle wird, die der Bundesrepublik Deutschland beigemessen wird bei der Rekonstruktion der chinesischen Wirtschaft, bei der Verbesserung der Beziehungen im globalen Maßstab. Da merkt man doch, dass das Ganze von ausgesprochen positiver Wirkung ist, was natürlich auch ganz direkte Rückwirkungen hat auf die Entwicklung in Deutschland, auf die wirtschaftliche Entwicklung und auf die Arbeitsplätze, das soll man jetzt doch überhaupt nicht klein reden.

    Heuer: Was hat den Brandenburg davon?

    Platzeck: Also wir sind hier, auch das ist ein deutliches Zeichen, mit 60 Unternehmen, die uns begleitet haben aus Berlin und Brandenburg. Die sind durch die Bank weg über die letzten Tage ausgesprochen positiv gestimmt, weil ein sehr offenes Klima, sehr klares Klima auch herrscht, eines in dem Wirtschaftsbeziehungen wirklich gedeihen können, bei allen Problemen, die es immer gibt. Das ist überhaupt keine Frage. Da geht es um den Schutz geistigen Eigentums, da geht es darum, wie in gemeinsamen Unternehmungen die Mehrheitsverteilungen sind. Aber wir reden schon fast nur noch über ganz praktische Fragen. Ich sage noch mal, es ist eine ausgesprochen positive Stimmung und eine Stimmung, die sich dann auch niederschlagen wird, wenn später die Ergebnisse gehandelt werden können.

    Heuer: Aber noch haben Sie keine Geschäfte abgeschlossen?

    Platzeck: Es sind schon etliche Absprachen hier getroffen worden. Es sind auch schon Verträge unterzeichnet worden und ich habe den Eindruck - wir werden übermorgen nach Shanghai weiter fliegen - dass das auch in diesem Maße sich fortsetzen wird. Ich kann nur sagen, wenn Sie eine Unternehmerversammlung, die übrigens breit gefächert ist, von Großunternehmen wie Bombardier und Rolls-Royce bis zu mittleren Unternehmen, wenn Sie da bei den gemeinsamen Frühstücken wahrnehmen, wie die Stimmung ist, dann wissen Sie, dass sehr vieles gut geht.

    Heuer: Sie haben das offene Klima gelobt bei den Wirtschaftsgesprächen, bei den politischen Gesprächen, die Sie führen, sprechen Sie da auch die Menschenrechte an?

    Platzeck: Sehr deutlich, wir haben kein Thema ausgelassen in den Gesprächen. Wir waren gestern zum Beispiel beim Vorsitzenden des Nationalen Volkskongresses, wir haben sehr klar und sehr offen über die Taiwanfrage zum Beispiel, weil Sie die vorhin erwähnten, gesprochen. Ich habe auch die Besorgnisse angesprochen, die sich im europäischen Raum ausgebreitet haben im Zusammenhang mit dem Gesetz, dass wir vorhin besprochen haben, wir haben über die Tibetfrage gesprochen. Wir sparen hier nichts aus und treffen auf sehr diskussionsbereite und offene Gesprächspartner. Da ist nichts mehr mit dem, was man hin und wieder mal gehört hat, "Da wird nicht drüber geredet, da ist Schweigen am Tisch", nein ganz im Gegenteil, da ist sehr offene Diskussionsatmosphäre, die auch sehr produktiv ist.

    Heuer: Haben denn Ihre Gesprächspartner auch zugesagt, etwas an der Menschenrechtssituation oder in der Taiwanfrage zu ändern?

    Platzeck: Wissen Sie, die Entwicklung, die in China hier derzeit abläuft, die impliziert förmlich, dass wir solche Vorgänge, wie hier mit der wirtschaftlichen Umstrukturierung, die im Moment in einem atemberaubenden Tempo ablaufen, die sind überhaupt nicht denkbar und die sind nicht möglich, ohne dass damit sich auch gesellschaftspolitische Mechanismen ändern müssen. Ich sage mal ganz schlicht und einfach, eine Gesellschaft mit Millionen und Abermillionen von Internetanschlüssen, wie die chinesische Gesellschaft mittlerweile ist, ist als nicht offene Gesellschaft überhaupt nicht mehr denkbar, und das spüren sie allenthalben.

    Heuer: Ich denke aber, genauso wird es praktiziert, denn gerade die Internetanschlüsse sind ja nicht frei zugänglich und werden bewacht.

    Platzeck: Solche Erscheinungen gibt es, aber es ist wirklich nicht mehr das Prägende. Wenn Sie sich hier in Peking bewegen, dann merken Sie, dass die Zeichen ganz klar auf Öffnung stehen. Das so was in einem Volk von 1,3 Milliarden Menschen, das muss man ja auch immer sehen, etwas nach anderen Ritualen abläuft, mit anderen zeitlichen Horizonten, als wir das uns in Europa wünschen oder gewöhnt sind - das bedingt unter anderem auch die Tradition, die Herkunft und auch die Menge der Menschen - das muss man konzedieren, das muss man auch mit in Rechnung stellen und wenn man es in dem Kontext sieht, glaube ich, ist es eine gute Entwicklung.

    Heuer: Wie lange braucht die chinesische Tradition, vielleicht auch die Tradition der chinesischen Regierung, um Menschenrechte in China tatsächlich durchzusetzen?

    Platzeck: Ich beobachte den Prozess so, dass er bereits im Gange ist und dass hier Stück für Stück hier auch Fortschritte zu erreichen sind. Ich will allerdings an der Stelle auch noch mal ganz klar sagen: Ein Land wie China, nun wirklich auf einem andere Erdteil gelegen, mit einer anderen Kultur, mit einer teilweise auch anderen Herangehensweise an bestimmte Prozesse, ist nicht in allen Facetten des gesellschaftlichen Lebens vergleichbar mit Westeuropa und ich glaube, auch das muss man in unser Denkschema mit einbeziehen.