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Biathlon-Skandal
"Wir haben die Regeln befolgt"

Der internationale Biathlonverband gerät immer stärker unter Druck. Die österreichische Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft in Wien ermittelt wegen Doping- und Betrugsverdachts bereits seit Ende vergangenen Jahres. Den Funktionären des Weltverbands droht sogar eine Gefängnisstrafe.

Von Andrea Schültke | 14.04.2018
    IBU-Präsident Anders Besseberg bei der WM in Hochfilzen 2017.
    IBU-Präsident Anders Besseberg ist der Ansicht, man habe die Regeln befolgt. (imago sportfotodienst)
    Dienstag, 10. April, Peregrinstraße 14 in Salzburg. Durchsuchung in der Zentrale der Internationalen Biathlon Union, IBU:
    "Ich war dann auch überrascht, wie die Polizei mit mehreren Fahrzeugen vor der Tür steht", beschreibt Martin Kuchenmeister, Geschäftsführer der Internationalen Biathlon Union, IBU die Situation.
    Die österreichische Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft in Wien ermittelt wegen Doping- und Betrugsverdachts sowie Geschenkannahme bereits seit Ende vergangenen Jahres. Im Fokus: Funktionäre der IBU sowie russische Athleten und Betreuer. Die Ermittler hatten Razzien in Österreich, Norwegen und Deutschland durchgeführt. Dem ARD-Studio Wien erläuterte Behördensprecher Konrad Kmetic:
    "Es geht darum, Vorwürfe abzuklären einerseits der Anwendung verbotener Substanzen, bzw. Methoden zum Zweck des Dopings, andererseits dem Vorwurf nachzugehen auch Betrugshandlungen im Zusammenhang mit Doping gesetzt zu haben und schließlich auch Geschenkannahme von Bediensteten als Korruptionskomponente im Verfahren abzuklären."
    Die Behörde will klären: Ist Doping vertuscht worden und wurde dafür ein Bestechungsgeld in Höhe von 300.000 Dollar gezahlt und angenommen. Die französische Tageszeitung "Le Monde" berichtet, seit 2011 seien 65 Dopingfälle russischer Biathleten vertuscht worden. Dazu sollen 17 von 22 russischen Athleten, die in der vergangenen Saison im Welt- und IBU Cup am Start waren, gedopt gewesen sein.
    Gedopte Athleten bei der WM in Hochfilzen
    Als Konsequenz ist Anders Besseberg, norwegischer Präsident des Biathlon-Weltverbandes, zurückgetreten. Im Interview mit dem norwegischen Rundfunk NRK bestätigte er eine weitere Razzia in seinem Haus:
    "Sie haben Telefone und Computer beschlagnahmt und Dokumente mitgenommen. Ja. Es wird u. a. behauptet, wir hätten verdächtige Blutproben nicht nachverfolgt, und dass russische Läufer mit verbotenen Mitteln im Körper bei der WM in Hochfilzen gestartet seien, und so Platzierungen und Preisgelder erlangt hätten, die ihnen nicht zustanden."
    "Ich bin der Ansicht, wir haben die Regeln befolgt und habe nichts zu verbergen", so der Norweger weiter.
    Auch die oberste Hauptamtliche der IBU hat ihren Posten geräumt: Generalsekretärin Nicole Resch, ehemalige Skilangläuferin aus Deutschland.
    Ermittlungen nur gegen Resch und den Präsidenten
    Kommissarisch übernimmt nun Geschäftsführer Martin Kuchenmeister die Aufgaben der Generalsekretärin, ein Landsmann von Resch. Im Deutschlandfunk betont er, die Ermittlungen der Wiener Behörde richteten sich nur gegen Resch und den Präsidenten, nicht gegen die IBU.
    "Mittlerweile geht unser Tagesgeschäft ganz normal weiter. Wir arbeiten zu 100 Prozent genau wie vorher auch mit dem einzigen Unterschied, dass wir intern die Aufgaben, die die Generalsekretärin wahrgenommen hat, auf mehrere Köpfe verteilt haben, also den größten Teil hab ich bekommen."
    Die routinemäßige Arbeit des Weltverbandes sei nicht beeinträchtigt, behauptet Kuchenmeister. Schwer vorstellbar, denn die Vorwürfe sind unglaublich. Sollten sie sich bewahrheiten heißt das: Im geschlossenen System IBU können Topfunktionäre etwa in Sachen Dopingkontrollsystem machen was sie wollen. Urin- und Blutkontrollen sind eine Farce. Strukturen wie im Biathlon-Weltverband finden sich auch in anderen Dachorganisationen des Sports. Vertuschung von Dopingfällen und Bestechung sind also überall vorstellbar. Untersuchungen gegen viele Verbände sollen bereits laufen.
    So vergleicht Biathlon-Sprintolympiasieger Arnd Peiffer die Vorwürfe mit dem Skandal um manipulierte Dopingproben bei den Olympischen Winterspielen im russischen Sotschi. Dem Fernsehsender Sky Sport News sagte Peiffer:
    "Wenn sich die schweren Vorwürfe bewahrheiten sollten, wäre das eine Katastrophe für den Biathlon-Sport. Das hat den Radsport kaputt gemacht, aber ich hatte gedacht, dass unser Verband schlauer wäre."
    Kontrollen und Ergebnismanagement laufen über den Verband
    Ähnlich äußerte sich auch der derzeit beste Biathlet der Welt, der fünfmalige Olympiasieger Martin Fourcade. Im Chat mit der französischen Tageszeitung Le Monde sagte er: "Ich muss sagen, dass ich von der Größe der Offenbarungen von "Le Monde" sehr überrascht bin. Es ist kompliziert für mich, eine radikale Position einzunehmen, bis die Untersuchung abgeschlossen ist. Wenn diese Enthüllungen bestätigt werden, ist das eine schreckliche Nachricht für unseren Sport, aber es wirft auch umfassendere Fragen zur Anti-Doping-Governance auf."
    Die Anti-Doping-Richtlinien erlauben, dass ein Weltverband etwa bei Weltmeisterschaften seine eigenen Kontrolleure losschickt, um die Athleten zu testen. Auch das Ergebnismanagement läuft über den Verband. Der Sport kontrolliert sich selbst. Klingt nach folgender Möglichkeit: Wer bestechen und Doping vertuschen will, muss eigentlich "nur" die Schaltstelle suchen und einen Koffer rüberschieben, der ausreichend gefüllt ist.