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Bibelwissenschaft
Der Professor und die Fake News

Simone Paganini ist Professor für Bibelwissenschaft in Aachen. Er wendet einen neuen Begriff auf ein altes Buch an und sucht nach "Fake News in der Bibel". Und er wird fündig: bei Evas Apfel, Marias Jungfräulichkeit – und beim Machtanspruch der Päpste.

Von Christian Röther | 11.11.2019
Professor Dr. Simone Paganini, Lehr- und Forschungsgebiet Biblische Theologie der RWTH Aachen
Simone Paganini hat die Bibel nach Ungereimtheiten durchsucht (Peter Winandy)
"Ich heiße Simone, wie eine Frau, Paganini, wie der berühmte Geiger."
Simone Paganini vermittelt Dinge gerne so, dass man sie sich gut merken kann. Nicht nur seinen Namen, sondern auch die Dinge, mit denen er sich beruflich beschäftigt: die Bibel – und neuerdings auch Fake News:
"Man hört in den letzten Jahren sehr viel von ‚Fake‘. Und meine Idee war: Okay, ich schaue mir an, wie war in der Bibel die Sache mit den Fake News. Heute verwendet man ‚Fake News‘ ein bisschen so abwertend, um zu sagen, das ist falsch, das ist unwahr. Das ist etwas, wo man absichtlich jemanden täuschen will. In antiken Texten, und die Bibel macht da keinen Unterschied, ist es nicht so."
"Fakes" bereichern die Bibel
Fake News in der Bibel – ein recht junger Begriff angewandt auf echt alte Texte. Simone Paganini ist Theologie-Professor an der RWTH Aachen, der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule. Natürlich ist ihm klar, dass die Texte der Bibel identitätsstiftende Erzählungen sind, Glaubenszeugnisse – und keine "News" mit historischem Wahrheitsanspruch. Trotzdem meint er sein Gedankenexperiment ernst: die Suche nach Fake News in der Bibel.
Paganini: "Dadurch, dass Fakes da drinnen sind, und dass man diese Fakes erkennen kann, werden die Texte der Bibel nicht zu schlechteren Texten. Im Gegenteil: Man erkennt den Reichtum, den wir eben heute als Fake bezeichnen, aber der uns dazu führt, dass man diese Texte noch aufmerksamer lesen kann."
Simone Paganini nutzt also einen populären Begriff, "Fake News", um Aufmerksamkeit zu erzeugen für die Erkenntnisse der Bibelwissenschaft. Die will er so aus der Universität heraus in die Öffentlichkeit vermitteln. Und das nicht nur in Büchern, sondern auch auf Bühnen - bei Science Slams, also wissenschaftlichen Wettstreits mit unterhaltsamen Kurzvorträgen:
"Okay, ich bin ein Bibelwissenschaftler. Was tun Bibelwissenschaftler? Bibelwissenschaftler lesen die Bibel in einer ganz alten Sprache. Nämlich die Sprache, in der die Bibel geschrieben worden ist."
Unechte Fakes
Paganini unterscheidet in der Bibel mehrere Arten von Fake News:
"Es gibt zunächst einmal etwas, was für uns ein Fake ist, was für die antiken Autoren absolut kein Fake war. Im Gegenteil."
"Im Anfang erschuf Gott Himmel und Erde. Die Erde war wüst und wirr und Finsternis lag über der Urflut und Gottes Geist schwebte über dem Wasser." (Gen 1,1-2)
Paganini: "Diese Vorstellung, wie die Welt entstanden ist, ist für uns heute, die wir eben mit Physik ein bisschen mehr vertraut sind und eine ganz andere Forschung im Hintergrund haben, offensichtlich etwas Falsches. Für die antiken Autoren ist es aber nicht. Nämlich sie gehen wirklich davon aus, dass die Welt so entstanden ist."
Paganini nennt das "unechte Fakes", die also eigentlich gar keine sind.
Legitime und absichtliche Fakes
Aber er findet in der Bibel auch jede Menge "echte Fakes". Einige davon seien damals allerdings kein Problem gewesen:
"Zum Beispiel: Ich erfinde die Rede von jemand anderem. Heute darf man das nicht tun. Aber in der Antike war es legitim, man konnte das tun."
Von diesen "legitimen Fakes" unterscheidet Simone Paganini diejenigen, die auch damals nicht okay waren: "absichtliche Fakes".
Paganini: "Zum Beispiel: Man hat schon damals gewusst, dass Menschen nicht auf dem Wasser gehen können. Aber es wird beschrieben, wie Menschen auf dem Wasser gehen. Oder der Mose, der das Meer entzwei spaltet. Okay, das sind absichtliche Fake News, und die sind vergleichbar mit dem, was wir heute auch als Fake News bezeichnen."
"Diesen Apfel gibt es in der Bibel nicht"
Daneben entdeckt Paganini in der Bibel auch "unabsichtliche Fakes". Wie die Sache mit Abraham und den Kamelen. Abraham soll, so heißt es in der Bibel, knapp 2000 Jahre vor unserer Zeitrechnung gelebt haben:
"Man weiß zum Beispiel, dass man Kamele erst im 8. Jahrhundert domestiziert hat. In der Bibel finden wir die Erzählung von Abraham, und es wird dargestellt, wie der Abraham Kamele – domestizierte Kamele hatte. Das ist unbeabsichtigt. Der Autor, er weiß nicht, dass die Kamele noch nicht domestiziert waren, und er macht im Prinzip ein Fake, was unbeabsichtigt ist."
Das Gemälde "Adam und Eva" von Jacopo Tintoretto (1518-1594): Eva reicht Adam den Apfel.
Evas Apfel mag in der Kunstgeschichte ein bedeutendes Motiv sein - in der Bibel kommt er aber nicht vor (imago stock&people)
Dem Theologen geht es aber vor allem um eine Art von Fakes, die gar nicht in der Bibel stehen, sondern die erst später entstanden sind, oft durch Übersetzungsfehler. Heute prägen diese "Fakes" aber oft ganz wesentlich unsere Vorstellungen von den biblischen Geschichten. Paganini nennt sie "irreale Fakes":
"Man denkt zum Beispiel, Eva habe einen Apfel gegessen, wo die Schlange gekommen ist. Aber diesen Apfel, den gibt es in der Bibel nicht. Oder: Nach der Sintflut kommt ein Regenbogen. Dieser Regenbogen, den wir heute in total vielen Gemälden noch sehen können, der kommt in der Bibel nicht vor."
Keine Jungfrau, kein Papst?
Nun brechen weder die Welt noch die Kirche zusammen, wenn es sich bei Apfel und Regenbogen um Fakes handelt – oder besser um Missverständnisse. Der katholische Professor Simone Paganini präsentiert aber auch Fakes, die zentral sind für Lehre und Selbstverständnis der katholischen Kirche. Zum Beispiel, dass Maria, die Mutter Jesu, Jungfrau war. Ein katholisches Dogma, für Paganini und viele andere aber ein Übersetzungsfehler: Maria war keine "Jungfrau", als sie ihr Kind bekam, sondern eine "junge Frau".
Paganini: "Es sind Fakes, die im Prinzip nicht einmal im Text existieren. Und mit solchen Fakes beschäftige ich mich, ja."
Noch heikler wird es, wenn Paganini sich an Fakes macht, die den Papst betreffen. In der katholischen Kirche gilt der Apostel Petrus als der erste Papst, auf ihn berufen sich die späteren Päpste – unter anderem, weil Jesus gesagt haben soll, auf Petrus wolle er seine Kirche bauen. Und weil er ihm einen Schlüssel zum Himmelreich gegeben haben soll:
"Irgendwann im Laufe der Geschichte hat es Päpste gegeben, die den Schlüssel, der übrigens im Text nicht wirklich gegeben wird, als konkreten Schlüssel wahrgenommen haben. Oder dieser Spruch:"
"Du bist Petrus, und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen." (Mt 16,18)
Paganini: "Dieser Spruch kommt nur im Matthäusevangelium vor. Und da merkt man: Vielleicht versucht das Matthäusevangelium bereits, erste Auseinandersetzungen in der frühen Kirche mit so einem Spruch zu lösen. Das heißt, der Spruch wird später hinzugefügt. Der stammt sehr wahrscheinlich nicht direkt aus dem Mund des historischen Jesus. Wenn man die Texte analysiert und zwischen den Zeilen liest, merkt man auch durch die Verwendung von solchen Fake-Sätzen, dass ein bestimmtes Ziel verfolgt wird. Damals, und dann heute noch."
"Das ist eine legitime Wirkungsgeschichte"
Der Machtanspruch der Päpste beruht also auf Fakes? So weit will der katholische Theologe dann lieber doch nicht gehen:
"Es geht mir absolut nicht darum, irgendjemanden anzuprangern und zu sagen: Ja, jetzt hat die Kirche die Texte falsch verstanden, und ich Supergescheiter komme daher, und ich erkläre, wie die sind."
Ähnlich virtuos wie sein Namensvetter mit der Geige muss Simone Paganini mit der Bibel umgehen. Denn als katholischer Theologe könnte er Ärger kriegen, wenn er sagt, das Papstamt sei ein Fake. Deswegen trennt Paganini zwischen den biblischen Fakes und ihren realen Wirkungen, durch die die Päpste zur Päpsten wurden:
"Das ist die Wirkungsgeschichte der Texte. Das ist eine legitime Wirkungsgeschichte. Die Frage ist: Stand es im Original drin? Im Original stand es nicht drin. Und das ist ein bisschen dieser Aspekt von Fake. Das bedeutet aber nicht, dass die Wirkungsgeschichte eine falsche Wirkungsgeschichte ist."
Simone Paganini: "Von Evas Apfel bis Noahs Stechmücken. Fake News in der Bibel"
Herder Verlag, 160 Seiten, 14 Euro