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Biedenkopf: Das Mitbestimmungsgesetz hat sich bewährt

Eine grundsätzliche Änderung des Gesetzes zur betrieblichen Mitbestimmung aus dem Jahr 1976 ist nicht nötig. Diese Ansicht vertritt der CDU-Politiker Kurt Biedenkopf, Vorsitzender der von der Bundesregierung eingesetzten Kommission zur Zukunft der betrieblichen Mitbestimmung. In einzelnen Punkten seien aber Anpassungen nötig, da die Internationalisierung der Unternehmen vorangeschritten sei.

Moderation: Dirk-Oliver Heckmann | 20.12.2006
    Dirk-Oliver Heckmann: Eigentlich sollte sie die Blaupause liefern für eine Modernisierung der betrieblichen Mitbestimmung, die Kommission, die noch von der rot-grünen Bundesregierung eingesetzt worden war und der neben drei neutralen Experten auch die Vertreter von Arbeitnehmern und Arbeitgebern angehörten. Doch vor rund vier Wochen kam die Meldung, die Interessenvertreter hätten sich nicht auf ein gemeinsames Papier verständigen können. Damit sei die Kommission geplatzt. Doch das ist nur die halbe Wahrheit, denn das Gremium arbeitete schon ohne die beiden Parteien weiter und legt heute seine Empfehlungen vor. Vorsitzender der Kommission ist der ehemalige Ministerpräsident Sachsens Kurt Biedenkopf, der schon vor 30 Jahren am Mitbestimmungsgesetz mitgewirkt hat. Ihn habe ich vor dieser Sendung gefragt, weshalb wir eine Reform überhaupt brauchen, ob wir in der Bundesrepublik nicht wunderbar mit dem Modell der Mitbestimmung gefahren sind?

    Kurt Biedenkopf: Die Erhebungen, die wir gemacht haben, einschließlich im Übrigen einer von den beiden großen Wirtschaftsverbänden, also BDI und BDA, initiierten Umfrage, hat ergeben, dass es keinen Anlass gibt, auf der Grundlage der bisher gesammelten Erfahrungen der Bundesregierung eine Veränderung der Grundsatzentscheidungen des Gesetzes von 1976 zu empfehlen.

    Heckmann: Weshalb dann die Kommission?

    Biedenkopf: Weil neue Fragen aufgetreten sind und das war ja auch der Grund für die Einrichtung dieser neuen Kommission. Es gibt zwei Dinge, die sich wesentlich verändert haben. Das eine ist die Europäisierung der Wirtschaft und das zweite ist die Globalisierung der Wirtschaft. In beiden Fällen tritt, bezogen auf die Mitbestimmung, ein Problem auf, mit dem wir uns auch befassen und zu dessen Lösung wir Vorschläge machen, obwohl das nicht einfach ist. Es gibt inzwischen viele Unternehmen, deren Belegschaften im Ausland genauso groß oder größer sind wie die Belegschaften in Deutschland. Aber nur die deutschen Arbeitnehmer haben ein Recht mitzubestimmen. Das ist auch in der Sache in Ordnung. Nur nehmen Sie mal Fälle wie die Stilllegung eines Werkes in Belgien oder anderswo. Die Menschen, die dort arbeiten, haben das Gefühl, dass sie im Rahmen dieses großen Unternehmens gewissermaßen Mitarbeiter zweiter Klasse sind. Da tritt ein Problem auf, was auch von den Gewerkschaften gesehen wird, und mit diesem Problem haben wir uns befasst.

    Heckmann: Ein Problem, das wie in etwa gelöst werden könnte?

    Biedenkopf: Es kann auf verschiedene Weise gelöst werden: entweder dadurch, dass man in den Aufsichtsrat - da müssten dann immer die Gewerkschaften mitwirken und auch die Betriebsräte, die im Aufsichtsrat sitzen - eine von einem Deutschen besetzte Stelle freimacht und dafür jemanden von außerhalb in den Aufsichtsrat beruft, um auf diese Weise jedenfalls eine erste Mitrepräsentation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den ausländischen Unternehmensteilen zu haben. Das zweite ist, dass man neben der Mitbestimmung eine Art Konsultationsgremium einrichtet, in dem dann die verschiedenen Schwerpunkte der Aktivität des Unternehmens jeweils durch Mitarbeiter vertreten sind und in dem dann die Konflikte diskutiert werden können, die zwischen den verschiedenen Regionen innerhalb des Unternehmens auftreten können, wenn zum Beispiel irgendwo Betriebe geschlossen werden und dafür anderswo welche eingerichtet werden.

    Heckmann: Also leichte Veränderungen an den Mitbestimmungsregeln, die bisher auch schon gelten?

    Biedenkopf: Das ist ein bisschen mehr als eine leichte Veränderung. Wir haben auch Vorschläge gemacht, von denen wir nicht wissen, ob nachher die Unternehmensparteien sie aufnehmen. Einige Fragen, die heute gesetzlich stark geregelt sind, durch Öffnungsklauseln zur Disposition für Vereinbarungen zu stellen, die zwischen den beiden Seiten getroffen werden können. Veränderungen in der Zusammensetzung des Aufsichtsrates innerhalb insbesondere von Konzernstrukturen und einige andere Fragen. Aber im Großen und Ganzen hat sich das Gesetz nach unserer Auffassung bewährt. Das heißt es sind keine erkennbaren Nachteile, die so groß sind - natürlich gibt es immer Nachteile und Vorteile -, dass man eine grundlegende Veränderung dem Gesetzgeber empfehlen müsste.

    Heckmann: Sie haben das Stichwort "die Besetzung des Aufsichtsrates" angesprochen. Das war ein wichtiger Punkt auf der Seite der Arbeitgeber. Die haben gefordert, dass von der paritätischen Besetzung, also die eine Hälfte des Aufsichtsrates wird von den Arbeitgebern beschickt, die andere von den Arbeitnehmern, in Zukunft abgewichen werden sollte. Das ist für Sie ausgeschlossen. Weshalb? Ist der Wettbewerbsdruck, der aus Europa kommt, nicht stark genug?

    Biedenkopf: Ich glaube nicht, dass das etwas miteinander zu tun hat, eine Mitwirkung der Arbeitnehmer im Unternehmen. Wir haben ja in Deutschland auch die Vorstellung, dass dieses Unternehmen nicht nur aus Geld besteht, sondern eben vor allen Dingen aus Menschen und dass insofern ein Unternehmen ein Sozialverband ist, in dem viele zusammenwirken innerhalb der Ordnung des Unternehmens zu einem gemeinsamen Zweck. Aus diesem Gedanken und aus dem Gedanken, dass die Menschen, die im Unternehmen arbeiten, auch eine Möglichkeit haben sollten, innerhalb des Unternehmens und seiner Strukturen auf die Bedingungen mit einzuwirken, unter denen sie arbeiten, ist ja der ganze Mitbestimmungsgedanke entstanden und ist auch so vor 30 Jahren begründet worden oder vorher schon durch die erste Kommission. Das kann Vorteile und Nachteile haben. Es kann auch eine ganze Menge Vorteile haben im internationalen Wettbewerb, wenn die Menschen zum Beispiel besser motiviert sind, wenn über die Mitbestimmung und die Betriebsverfassung Anpassungsprozesse, die aus dem weltweiten Wettbewerb resultieren und das deutsche Unternehmen zu Veränderungen zwingen, in Gemeinsamkeit gemacht werden können und nicht in harten Auseinandersetzungen, die dann zu Protesten und Streiks, Niederlegungen und allem möglichen führen. Wir haben in Deutschland eine enorme Anpassung erlebt in den letzten Jahren, Veränderungen in den großen Unternehmen, die zum überwiegenden Teil ich will mal sagen friedlich und letztendlich dann auch in Verständigung verlaufen sind. Das ist auch ein Teil dessen, was die Mitbestimmung leisten kann.

    Heckmann: Herr Biedenkopf, nachdem jetzt Arbeitnehmer und Arbeitgeber aus der Kommission ausgestiegen waren, was sind die Vorschläge Ihrer Kommission jetzt noch Wert, was die praktische Umsetzung angeht?

    Biedenkopf: Ich glaube nicht, dass der Wert der Vorschläge dadurch wesentlich beeinträchtigt wird. Wir haben eine Verabredung getroffen beziehungsweise die Bundesregierung hat eine Regelung getroffen, die von zwei Möglichkeiten ausgeht: Entweder es findet sich ein gemeinsamer Konsens, was nie besonders wahrscheinlich war, aber jedenfalls versucht werden sollte, oder die drei wissenschaftlichen Mitglieder legen ihre Empfehlungen vor und die Empfehlungen richten sich an die Bundesregierung, vor allen Dingen aber an den Gesetzgeber. Das ist der Auftrag, den wir hatten, dem Gesetzgeber als Folge eines Streites, der vor zwei Jahren erneut ausgebrochen war und ja dann zu ziemlich heftigen Auseinandersetzungen zwischen den Parteien der Unternehmensmitbestimmung geführt hat, zu klären und herauszufinden was ist los und gibt es wirklich Notwendigkeiten, dass der Gesetzgeber sich damit befasst. Wir haben gesagt die gibt es, aber nicht in der Kernfrage, um die gestritten worden ist.

    Heckmann: Was sind die Aussichten aus Ihrer Sicht für eine Reform der Mitbestimmung?

    Biedenkopf: Das kann ich nicht beurteilen. Das muss die Bundeskanzlerin und das Parlament entscheiden.

    Heckmann: Zur Reform der betrieblichen Mitbestimmung war das Kurt Biedenkopf, der Vorsitzende der Regierungskommission, die heute ihre Empfehlungen auf den Tisch legt.