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Biene Maja, Asterix & Co.
Neue Bilder von alten Helden

Ob Asterix, Super Mario oder der Räuber Hotzenplotz: Fast jeder hat einen Kindheitshelden. Mehr als 50 Autoren und Autorinnen haben ihre in einem Buch wieder auferstehen lassen. Mit Illustrationen von Grafikdesign-Studenten schaffen sie neue Bilder der alten Heldenfiguren.

Von Sabine Peters | 02.10.2014
    Was für eine Wonne es manchmal ist, die fiktiven Helden der Kindheit wieder auferstehen zu lassen; sei es, dass man mit gleichaltrigen erwachsenen Freunden die Dialoge von Asterix und Obelix zitiert, sei es, dass man Kindern die Hotzenplotz-Geschichten vorliest.
    "Helden der Kindheit", herausgegeben von Andrea Baron und Kai Splittberger, versammelt 50 Autorinnen und Autoren, die zwischen 1952 und 1987 in Ost- oder Westdeutschland geboren wurden. Sie erzählen von ihren früheren Erfahrungen mit dem tapferen Winnetou und dem immer korrekten, gewissenhaften Jeremias Baumwolle bzw. Jerry Cotton; vom Kobold Pittiplatsch im Kinderfernsehen der DDR oder vom sympathisch mittelmäßigen Helden Super Mario aus dem gleichnamigen Videospiel.
    "Helden der Kindheit": Das Buch ist von Studierenden der Fachhochschule Münster unter Leitung ihrer Professoren reichhaltig typografisch gestaltet und illustriert worden. Eine Sammlung ganz unterschiedlicher, mehr oder weniger überzeugender visueller Darstellungen; ein bisschen achselzuckend denkt man sich, vielleicht ist das ein Musterbuch dafür, was Grafikdesign-Studenten alles können. Und die Herausgeber sagen im Vor- und Nachwort selbst, dass wahrscheinlich nicht jeder Leser begeistert ist, wenn den tradierten und vertrauten Bildern unserer Kindheitshelden neue hinzugefügt werden. Das ist verständlich, aber auch ein bisschen ungerecht, denn manchmal wird das Vorhandene durch Ungewohntes und Gewitztes tatsächlich bereichert; so wird beispielsweise aus der kindlichen kulleräugigen Biene Maja der Siebzigerjahre eine selbstbewusste behelmte Motorradfahrerin.
    Manchmal sind die Nebenfiguren interessanter
    Von den optischen Eindrücken dieses Buchs zurück zu den Texten über die Helden der Kindheit. Die Helden sind entweder höchst moralisch und können gut und böse sehr einfach trennen, oder aber sie sind ohne jede Spur von Moral. Sie hatten und haben viele Funktionen: Ihre fantastischen Abenteuer dienen als Erholung, wenn das eigene Leben gerade wieder so schwer zu bewältigen ist. Ihre übermenschlichen Kräfte gehen auf einen selbst über, aber es kann auch helfen, sich mit den ewigen Verlierern zu identifizieren. Manchmal sind es die Nebenfiguren, die unerwartet interessant werden: So war die schlampige Witwe Schlotterbeck in Ottfried Preußlers "Hotzenplotz" - sie schläft bis mittags, trägt immer einen Morgenrock und raucht Zigarren - viel anziehender für die Autorin Almut Klotz als der wackere Kasperl. Und Marie Pohl fragt sich angesichts ihrer Faszination für den anarchistischen Kobold Pumuckl: Ob sie ihm ähnelte, weil sie die Kassetten so oft hörte oder ob sie ihn so oft hörte, weil er ihr aus der Seele sprach - aber vielleicht war es auch eine Mischung aus beidem.
    Interessant zu lesen sind auch Beiträge, in denen ein Held aus seinem ursprünglichen Sinnzusammenhang entfernt wird. Eine Autorin, die unter dem Namen Funny von Money einen Lagebericht der deutschen Tabledance-Szene mit dem Titel "This is Niedersachsen und nicht Las Vegas" veröffentlichte, war als Kind, darf man ihrem Text glauben, selbst hemmungslos schöpferisch tätig: Der süße Elefant Benjamin Blümchen wurde von ihr zweckentfremdet; sie machte aus ihm einen gestrengen Sadisten, der die Kontrolle über sie übernahm; immer wusste dieser dominante Elefant, wie weit er mit seinem Rüssel gehen durfte. Eine solche Sexualisierung von Figuren, die mehrheitlich asexuell daherkommen, ist allerdings die Ausnahme.
    Analytische Zugänge
    Die Textbeiträge der Autorinnen und Autoren bewegen sich zwischen lustvoller Regression und dem Versuch einer Analyse: Etwas irritiert liest man, wie Winnetou noch für einen jungen Erwachsenen in Mao Zedong weiterlebte, und kann dann wieder selbst ins infantile Schwärmen geraten, wenn Mr. Spocks wunderbare Frisur gewürdigt wird. Aber es gibt auch analytische Zugänge zu den Kindheitshelden: Einmal wird ansatzweise darüber nachgedacht, was ein Comic oder eine Serie über die Mentalitätsgeschichte eines Jahrzehntes sagt. Dann wieder geht es um die Frage, ob bestimmte Helden der Kindheit bis heute einen Einfluss auf die kreativen Fähigkeiten der Autoren haben. Karl Wolfgang Flender denkt über den Fernsehhelden MacGyver nach, diesen Meister der Improvisation, der in allen gefährlichen Situationen aus lauter vorgefundenem Schrott die absurdesten Waffen zusammenmontierte. Für Flender steht er heute für seine eigene Poetik, die an diejenige der Dadaisten und Situationisten angelehnt ist: Es geht ihm ähnlich wie seinem Helden darum, in Massen von allerhand bereits vorhandenem Textschrott geeignetes Material aufzufinden und mit anderen Textfragmenten in neue Beziehungen zu setzen.
    Stoff für lustvolle Diskussionen
    50 Autoren, 40 Gestalter, ein Zeitraum von den Fünfziger- bis in die Neunzigerjahre: Der Umfang dieses Buchprojekts ist gewaltig. Freundlich gesagt, ist hier für jeden Leser was dabei. Weniger freundlich gesagt, handelt es sich um eine Art Coffee Table Book, gut als Hingucker für den Beistelltisch. Gut zum Blättern - ein "Sich- Vertiefen" ist wegen der Kürze der Beiträge kaum möglich. Aber schließlich will dies Buch keine Dissertation sein. Eine Anregung, über die eigenen Helden der Kindheit nachzudenken, ist es allemal, und vieles von dem, was die Texte im Vorübergehen streifen, bietet Stoff für lustvolle Diskussionen im Freundeskreis und auch zwischen den Generationen.
    Andrea Baron/ Kai Splittgerber (Hrsg.): "Helden der Kindheit. Aus Comic, Film und Fernsehen."
    Nachwort von Felix Scheinberger und Rüdiger Quass von Deyen. Typografisch gestaltet und illustriert von Studierenden der FH Münster.
    Edition Büchergilde, 236 Seiten, 19,95 Euro.