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Big Ben vor 160 Jahren
Als die Königin aller Uhren erstmals läutete

Big Ben ist die schwerste von insgesamt fünf Glocken im Turm, der neben dem Parlamentsgebäude von Westminster in London steht. Der Glockenturm ist ein Wahrzeichen der Stadt, der Klang unverwechselbar. Bis Big Ben erstmals 1859 das erste Mal läutete, brauchte es mehrere Anläufe.

Von Ruth Rach | 11.07.2019
    London
    Zum 60. Thronjubiläum der Königin im Jahr 2012 wurde der Glockenturm offiziell in "Elizabeth Tower" umgetauft. Ziffernblatt (imago/Photocase)
    Die berühmteste Glockenmelodie der Welt. Es gibt unzählige Varianten. Wanduhren, Türklingeln, Handytöne, Windspiele.
    Aber wer den legendären Originalton live in London erleben will, wird derzeit bitter enttäuscht. Big Ben, am 11. Juli 1859 erstmals im Glockenturm neben dem Parlamentsgebäude von Westminster zu hören, ist verstummt. Der Clocktower von einem Gerüst verhüllt, die Uhr in tausend Stücke zerlegt. Big Ben bekommt ein Facelift, das mindestens noch ein, zwei Jahre dauert, erklärt Cathryn Moss vom Big-Ben-Team. Und räumt auch gleich mit einem Missverständnis auf.
    "Im Volksmund heißt der ganze Turm Big Ben, aber eigentlich bezieht sich der Name nur auf die schwerste der insgesamt fünf Glocken. Vier kleinere läuten im Viertelstundentakt. Big Ben hingegen nur zur vollen Stunde. Der Name geht wahrscheinlich auf Benjamin Hall zurück, einen Parlamentarier aus Wales, für seine mächtige Statur bekannt, der gleichzeitig auch für das Gießen von Glocken verantwortlich war."
    Die beste Uhr der Welt
    Die Idee für den Glockenturm war nach dem großen Feuer im Jahr 1834 entstanden, das den mittelalterlichen Palast von Westminster zerstört hatte. Der renommierte Architekt Charles Barry wurde mit dem Wiederaufbau betraut. Ihm schwebte ein ganz besonderes Projekt vor. Ein neugotischer Prachtbau mit einem über 96 Meter hohen Glockenturm, in dem die Königin aller Uhren residieren sollte.
    "Charles Barry wollte den Londonern die beste Uhr der Welt geben. Bis auf die Sekunde genau. Erst sagten die Uhrmacher, das sei unmöglich. Aber dann haben sie es doch geschafft. Mit Hilfe ungewöhnlicher Tricks. So liegt auf dem vier Meter langen Pendel ein Tablett mit alten Pennies, die man je nach Bedarf wegnehmen oder hinzufügen kann, um das Uhrwerk zu verlangsamen oder zu beschleunigen – und zwar um weniger als zwei Fünftel einer Sekunde pro Tag. Eine Methode, die sich bis heute bewährt hat."
    Pleiten, Pech und Pannen
    Eigentlich müsste man von zwei Big Ben sprechen. Die erste Glocke wurde im nordenglischen Stockton on Tees gegossen. Sie wog 16 Tonnen, zwei Tonnen mehr als geplant. Und war so schwer, dass man sie nur noch mit einem Schiff in die britische Hauptstadt schaffen konnte. Eine prekäre Reise, in deren Verlauf ein mächtiger Sturm aufkam. Fast wären Schiff und Glocke im Meer versunken. Und dann der nächste Alptraum.
    "Nach ihrer Ankunft wurde die Glocke erst einmal am Boden getestet. Man wollte einen möglichst vollen Klang erzielen und benutzte deshalb immer größere Hämmer. Mit dem Ergebnis, dass sie einen riesigen Riss bekam und in der Whitechapel Bell Foundry eingeschmolzen und neu gegossen werden musste."
    Es dauerte 20 Tage, bis sich Big Ben der Zweite abgekühlt hatte. Dann wurde er den Londonern vorgestellt. Ein Riesenfest. 16 weiße Pferde zogen die Glocke durch die Metropole, zehntausende Menschen säumten die Straßen.
    Verlässlich und akkurat
    Das nächste Malheur ließ nicht lange auf sich warten. Vielleicht war der Schlaghammer zu groß – aber wenige Monate später war auch der neue Big Ben "angeschlagen". Ein frischer Riss zog sich durch die Glocke, glücklicherweise nicht allzu tief. Um die Schwachstelle zu schützen, wurde Big Ben kurzerhand um ein Viertel gedreht. Eine pragmatische, eine "britische" Lösung.
    "Welch ein ruhmreicher Sound, der Herzschlag der Nation", schwärmt der renommierte Historiker David Cruickshank in einer Geburtstagssendung zu Ehren des Big Ben, dessen Glockenschlag seit 1923 auch in der BBC live übertragen wird.
    "Irgendwie steht die Glocke über der Politik. Sie ist verlässlich, sie ist akkurat. Sie wird respektiert. Ein bisschen wie die Königin. Wir respektieren und lieben sie – als wäre sie eine richtige Persönlichkeit."
    Zum 60. Thronjubiläum der Königin im Jahr 2012 wurde der Glockenturm offiziell in "Elizabeth Tower" umgetauft. Ziffernblatt und Zeiger sind bereits restauriert. Aber gegen kleinere Widrigkeiten sind auch sie nicht gefeit. Im Jahr 1949 ging die ikonische Uhr plötzlich um fast fünf Minuten nach. Ein Schwarm von Staren hatte sich auf dem Minutenzeiger niedergelassen.