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Bilanz der Regierung Schröder

Gerner: Den Menschen das Gefühl geben, dass es sich gelohnt hat so zu wählen. Glaubt man jüngsten Umfragen, dann regiert in Deutschland zur Zeit eine Regierung, die beim Volk keine Mehrheit mehr hat. Ich habe Erhard Eppler, den ehemaligen Vorsitzen-den der SPD-Grundwertekommission, vor dieser Sendung gefragt, wie es so weit kommen konnte.

    Eppler: Nun, das kommt zuerst einmal häufig vor, dass zunächst die Enttäuschung überwiegt. Aber in diesem Fall ist das noch ein bisschen schneller und ein bisschen dra-matischer gekommen als sonst. Die Frage ist, ob das dauerhaft ist, also ob sich das ü-berwinden lässt.

    Gerner: Was meinen Sie?

    Eppler: Ja, im Prinzip lässt es sich überwinden, aber wissen Sie, wenn einmal die öffentliche Meinung sich negativ festgesetzt hat, dann ist es so: Die Medien richten sich nach den schlechten Wahlergebnissen und die Wähler dann wiederum nach den Medien. So kann eine Spirale nach unten in Gang kommen.

    Gerner: Wenn ich jetzt das Thema Panzerverkauf an die Türkei nehme: mehr schlecht als recht hat die Koalition dort die Kurve gekriegt. Der Dissens ist nur notdürftig kaschiert. Hat rot/grün auf diese Art und Weise noch eine Zukunft?

    Eppler: Stellen Sie sich bitte einmal vor, wir hätten eine andere Regierung. Glauben Sie denn im Ernst, dass die Frage von Panzerverkauf nach der Türkei ohne Kritik und ohne Schwierigkeiten über die Bühne ginge. Wissen Sie, das ist das, was mich langsam ärgert, dass man dieser Koalition alles anrechnet, was notwendig an politischen Schwie-rigkeiten auftaucht.

    Gerner: Worauf ich hinaus will, Herr Eppler: Ob Panzeraffäre, Atomausstieg oder Staatsbürgerschaftsrecht, Schröder hat letztlich wiederholt den kleinen Koalitionspartner immer wieder gedemütigt. Sägt er damit nicht selbst an dem Ast, auf dem er sitzt?

    Eppler: Ich will jetzt nicht darüber philosophieren, ob man mit den Grünen auch ein bisschen loyaler umgehen könnte, als Schröder das tut. Aber was hätte er eigentlich in diesem Fall tun sollen? Hätte er von vornherein sagen sollen, wir geben denen auch kei-nen Versuchspanzer, weil wir schon ganz genau wissen, dass sie in zwei Jahren die Menschenrechte genauso wenig einhalten wie sie sie heute einhalten? Was hätte das für einen Wirbel in der deutschen Öffentlichkeit hervorgerufen? Wie hätte man ihn da fertig gemacht! - Ich will damit nur sagen: Es gibt schließlich einen Punkt, wo man alles, was immer eine Regierung tut, immer negativ betrachten kann.

    Gerner: Nichts desto trotz, der Eindruck, der nach einem Jahr dominiert, ist der von Ziellosigkeit, Widersprüchlichkeit, Inkompetenz. Ich will einmal das Rentenpapier nennen, das zuletzt auftauchte. Da hat man den Eindruck, dass die Regierung das gesagte gerne zurücknehmen würde, wenn sie es könnte. Beim 630-Mark-Gesetz wurde die Fassung mehrfach verschlimmert, will ich mal sagen.

    Eppler: Das stimmt. Wissen Sie, aber das sind ja auch nun Themen, an die die an-deren sich aus guten Gründen nicht herangewagt haben, weil sie maßlos schwierig sind. Sehen Sie, von Inkompetenz zu reden etwa in bezug auf den Kosovo-Konflikt ist einfach ungerecht. Das war wirklich eine Leistung.

    Gerner: Das hat keiner bestritten!

    Eppler: Gut, schön, aber das muss man dann auch mal einbringen. - Oder zum Bei-spiel das neue Staatsbürgerrecht war doch längst fällig, war doch nur eine vorsichtige Angleichung an den europäischen Rechtszustand. - Die Ökosteuer steht im CDU-Grundsatzprogramm. Nur hat die CDU es nie gemacht. Was jetzt getan worden ist, ist vielleicht noch zaghaft, aber es ist doch wesentlich besser als nichts. So gibt es eine gan-ze Menge Dinge, wo die Regierung durchaus in der richtigen Richtung gehandelt hat. Sie hat nur, was mein Vorwurf ist, das, was sie getan hat, nicht als Teil eines in sich schlüssi-gen Gesamtkonzepts darstellen können, vielleicht auch nicht wollen. Das hat dann diesen Eindruck erweckt, die wissen gar nicht, wohin sie wollen.

    Gerner: Dieser Eindruck ist ja aufgekommen durch fehlende koordinierte Darstel-lung seitens der Regierung, nicht zuletzt von Seiten des Kanzleramtes. Da gab es lange Bodo Hombach, inzwischen seinen Nachfolger. Haben Sie den Eindruck, dass dort eine Ursache für das Missmanagement lag?

    Eppler: Ich hielt Bodo Hombach von Anfang an für eine totale Fehlbesetzung. Seit er weg ist, ist manches sicherlich auch besser geworden. Es gab überhaupt eine ganze Menge von personellen Schwierigkeiten. Ich habe es nie für möglich gehalten, dass der Kanzler Schröder und der Finanzminister Lafontaine auf Dauer miteinander zurechtkom-men. Das war von vornherein eine falsche Konstruktion. Ich habe mich gewundert, was sie trotzdem noch hingekriegt haben.

    Gerner: Nun bleibt das Problem, auch wenn Oskar Lafontaine fort ist, dass die SPD sich nicht genug um die soziale Gerechtigkeit kümmert. Der Kanzler hat selbst dafür ein symbolisches Bild, nämlich sich selbst im Kaschmirmantel geliefert. Lässt sich dieser Ein-druck wieder gutmachen?

    Eppler: Nun ja, ich will jetzt auch nicht über die Qualität des Schröder-Blair-Papiers reden. Wenn man kein Programmatiker ist, soll man auch nicht so tun als wäre man einer. Aber dass das, was diese Regierung bisher gemacht hat, sozial ungerechter wäre als das, was die vorherige gemacht hat, das lässt sich nun beim besten Willen nicht bewei-sen. Wenn ich an das Kindergeld denke, an die Steuerentlastung durch die Erhöhung des Grundfreibetrages und so weiter, das sind doch alles Dinge gewesen, die der sozialen Gerechtigkeit gedient haben. Und wenn jetzt eine Unternehmenssteuerreform kommt, dann ist die noch nicht ganz so radikal, wie sie die anderen gemacht hätten. Sie wird ge-macht, damit das Kapital keinen Umweg um Deutschland macht, weil eben die National-staaten inzwischen in einem Konkurrenzkampf um Investitionen sind. Den kann man wahrscheinlich nur dadurch abmildern, dass man gemeinsame europäische Steuerpolitik vereinbart. Das ist ja etwas, was auch der Eichel für richtig hält.

    Gerner: Herr Eppler, Gerhard Schröder hat anfangs die Machtbasis gefehlt. Inzwi-schen ist er Parteivorsitzender. Am Anfang standen Talkshow-Auftritte, die, ich will mal sagen, die Abstimmung in der Partei ersetzen sollten. Es wurde mithin über die Medien regiert. Hat sich das geändert?

    Eppler: Es hat sich schon deshalb geändert, weil das erste offenbar nicht funktio-niert und weil das die Zustimmung der großen Mehrheit nicht erhöht, sondern letztlich in Frage gestellt hat. Ich glaube, dass Schröder inzwischen durchaus merkt, dass er ohne die Partei hilflos ist. Ich habe den Eindruck, dass er sich auf den Parteitag Anfang De-zember sehr genau vorbereitet.

    Gerner: Glauben Sie, dass diese Koalition vier Jahre hält?

    Eppler: Ich hoffe es, und zwar hoffe ich es deshalb, weil sonst diese Demokratie aus dem Gleichgewicht gerät. Wenn die einen 16 Jahre regieren und die anderen dann nach vier Jahren oder möglicherweise vorher schon abgelöst werden, dann gerät das Gleich-gewicht in Gefahr. Eine Demokratie wie die unsere lebt vom Wechsel und eben nicht vom Wechsel nach drei Jahren.

    Gerner: Erhard Eppler war das, ehemaliger Vorsitzender der SPD-Grundwertekommission.