Dienstag, 16. April 2024

Archiv

Bilanz des NSA-Untersuchungsausschusses
"Die Koalition hat ihre Mehrheit missbraucht"

Der NSA-Untersuchungsausschuss hat vieles über die Geheimdienste herausbekommen - die Verantwortung dafür wird aber niemand übernehmen, befürchtet Hans-Christian Ströbele (Grüne). Er sagte im Dlf, die Große Koalition habe ihre Mehrheit missbraucht, um sich schützend vor die Bundesregierung und die Dienste zu stellen.

Hans-Christian Ströbele im Gespräch mit Ute Meyer | 28.06.2017
    Der Bundestagsabgeordnete der Grünen, Hans-Christian Ströbele
    Der Bundestagsabgeordnete der Grünen, Hans-Christian Ströbele (picture alliance / dpa/ Soeren Stache)
    Ute Meyer: Mit der Bewertung des NSA-Untersuchungsausschusses möchte ich gleich weitermachen. Am Telefon bei mir ist jetzt Hans-Christian Ströbele, Bundestagsabgeordneter der Grünen und Mitglied im NSA-Untersuchungsausschuss. Schönen guten Tag, Herr Ströbele.
    Hans-Christian Ströbele: Ja, guten Tag.
    Meyer: Sie stehen ja kurz vor dem Ende Ihrer Karriere als Bundestagsabgeordneter, und es ist schon der fünfte Untersuchungsausschuss gewesen, bei dem Sie mitmachen. Das ist viel. Und Sie werden zitiert, dass dieser Ausschuss der anstrengendste war, aber auch der ertragreichste. Warum ist das so?
    Ströbele: Anstrengend ist er deshalb gewesen, weil in keinem Untersuchungsausschuss so häufig bis Mitternacht Zeugenbefragungen durchgeführt wurden, und zwar genau bis Mitternacht. Dann fielen nämlich den Protokollführern die Griffel aus den Händen. Das war schon zum Teil eigentlich nicht mehr menschlich und war mit Arbeitszeitregelungen nicht mehr zu vereinbaren.
    "Wir haben tatsächlich vieles rausbekommen"
    Ertragreich war er, weil wir tatsächlich vieles rausbekommen haben. Auf der Grundlage von Beweisanträgen der Verteidigung ist zum Beispiel klar geworden, dass die NSA 40.000 Suchbegriffe hat vom Bundesnachrichtendienst einspeisen lassen in die Überwachung, 40.000, die illegal waren, von denen der Bundesnachrichtendienst selber der Meinung war, dass die nicht eingespeist werden dürfen, dass sie unzulässig sind. Trotzdem waren sie drin und wurden erst nach vielen Jahren erst im Zuge der Veröffentlichung der Snowden-Dokumente rausgenommen.
    Genauso haben wir festgestellt, dass der BND selber 3.000 unzulässige Suchbegriffe etwa über das Ausspähen von europäischen Regierungen, europäischen Regierungsmitgliedern, also Partnern und Freunden benutzt hat zum Ausspähen. Auch das ist nur durch diesen Untersuchungsausschuss an das Licht der Welt gekommen.
    Meyer: Also Verfehlungen des BND. – Sie hatten als Zeuge mehrere hochkarätige Politiker, die Kanzlerin Merkel, den damaligen Kanzleramtschef Pofalla. Wird irgendjemand für diese Verfehlungen Verantwortung übernehmen?
    "Die Koalition hat sich schützend vor die Bundesregierung"
    Ströbele: Ich fürchte, nein. Herr Pofalla ist ja inzwischen bei der Bundesbahn und auf dessen Karriere haben wir als Parlamentarier wenig Einfluss, zumal das jetzt eine völlig andere Tätigkeit ist als im Bundeskanzleramt. Er müsste eigentlich Verantwortung dafür übernehmen, zum Beispiel dafür, dass er im August 2013, wenige Wochen vor der damaligen Bundestagswahl das Ganze als erledigt erklärt hat, weil mit den Amerikanern ein No-Spy-, also Nicht-Ausspionier-Abkommen bald in der Tüte sei. Das sei in Arbeit und werde bald verabschiedet. In Wahrheit gab es das überhaupt nicht. Es gab auch kein Angebot dazu. Damit hat er versucht, die Luft rauszunehmen vor der Bundestagswahl, und das ist ihm auch gelungen. Aber es beruhte auf einer Unwahrheit.
    Meyer: Nun gibt es in der Bewertung über die Rolle des Kanzleramtes, aber auch anderer Politiker unterschiedliche Meinungen im NSA-Untersuchungsausschuss. Die SPD und die Union kommen zu dem Schluss, dass das Kanzleramt, zuständig für die Überwachung der Geheimdienste, seine Pflichten im Großen und Ganzen erfüllt habe. Aber dieser Ansicht sind Sie nicht?
    Ströbele: Nein. Wissen Sie, das ist eine Erfahrung, die in diesem fünften Untersuchungsausschuss, dem ich angehört habe, neu war, dass die Koalition jetzt, die ganz große Koalition mit über 80-prozentiger Mehrheit ihre Mehrheit missbraucht hat, um sich schützend vor die Bundesregierung und auch vor die Dienste zu stellen.
    "Man hat ganz bewusst das Parlament außen vor gelassen"
    Meyer: Aber ist das nicht in jedem Untersuchungsausschuss so, dass es da einfach auch parteipolitisch gefärbt ist?
    Ströbele: Natürlich ist es in jedem Untersuchungsausschuss auch so, dass es parteipolitisch gefärbt ist. Aber hier ist das in einem Maße praktiziert worden, wenn die Bundesregierung zum Beispiel sich geweigert hat, den Zeugen Edward Snowden nach Deutschland zu holen. Wir hatten da einen einstimmigen Beschluss, also auch mit den Koalitionsfraktionen gefasst, dass Herr Snowden als wichtiger Zeuge in dem Untersuchungsausschuss gehört und dort befragt werden muss. Und die Bundesregierung hat bis zuletzt nicht mal eine definitive Entscheidung dazu zustande gebracht, aus Scheu vor den USA, und die Große Koalition hat das alles hingenommen.
    Und ich will Ihnen sagen: Selbst der Bundesnachrichtendienst – das wissen wir aus der Arbeit des Untersuchungsausschusses – war damals der Meinung, das Schlimmste, was ihm passieren kann, ist, dass das, was er da praktiziert, dem Parlament zur Kenntnis kommt, dass etwa die Kontrollgremien davon erfahren. Ja muss man noch deutlicher sagen, dass man ganz bewusst das Parlament außen vor gelassen hat, weil die Rechtsbrüche, die dort praktiziert worden sind, so gravierend waren, dass man befürchtete, dass dann Gelder gestrichen werden oder Ähnliches.
    Meyer: Nun ist der Streit zwischen Koalition und Opposition innerhalb des NSA-Untersuchungsausschusses eskaliert, eskaliert insoweit, als das Sondervotum von Linken und Grünen heute nicht mit abgegeben wird, die beiden Obleute abberufen wurden. Aus Sicht der CDU - Patrick Sensburg, der Vorsitzende von der CDU, war heute Morgen hier im Programm - heißt es aber, auch die Opposition skandaliert, mal den Ball flach halten, sie haben einfach auch Fristen verpasst für dieses Sondervotum und es wird einfach noch geprüft.
    "So kann man mit zwei Bundestagsfraktionen nicht umgehen"
    Ströbele: Die Koalition hat den riesigen Apparat einmal ihrer eigenen Mitarbeiter, zweitens der Mitarbeiter des Vorsitzenden hinter sich, und der fällt es natürlich viel leichter, in kürzerer Zeit so einen Bericht zu schreiben und ihr Votum zu schreiben…
    Meyer: Aber haben Sie Fristen verpasst?
    Ströbele: Nein, wir haben keine Fristen verpasst, sondern wir hatten von Anfang an gesagt, wir nehmen uns bestimmte Zeiträume vor, in denen beispielsweise das Sondervotum fertiggestellt werden kann und soll. Aber wenn das nicht eingehalten wird, dann muss es auch Verlängerung geben. Dann haben wir sogar angekündigt, dann werden wir möglicherweise erst den Bericht dann im Herbst veröffentlichen können und im Bundestag diskutieren können. Die Koalition wollte das Ganze jetzt hinter sich bringen und hat deshalb darauf bestanden, dass dieser Bericht ganz schnell vorgelegt wird, aber wir brauchten einfach ein bisschen mehr Zeit. Und dann wollten sie dieses Minderheitenvotum, was ja geradezu essenziell für so einen Bericht ist, die andere Meinung auch in dem Bericht aufzunehmen, dann wollten sie das erst in die Geheimschutzstelle verbannen, wo es keiner lesen kann, und dann haben sie es aufgenommen in den Bericht, der, der heute dem Bundestagspräsidenten übergeben worden ist. Da ist der Bericht drin. Aber dann haben sie Streichungen, Schwärzungen da vorgenommen, die mit uns nicht besprochen worden sind, und so kann man mit zwei Bundestagsfraktionen nicht umgehen, dass man sich in deren Votum einmischt.
    "Wir müssen prüfen, ob nicht die Minderheitenrechte gestärkt werden müssen"
    Meyer: Herr Ströbele, mal unabhängig von diesen Parteistreitereien, besteht die Gefahr, dass die wichtigen Ergebnisse, die der NSA-Untersuchungsausschuss in Kleinarbeit innerhalb von über drei Jahren ja auch zu Tage gebracht hat, dass diese Ergebnisse jetzt im Bundestagswahlkampf zerrieben werden?
    Ströbele: Ich fürchte, dass die Koalition es schafft, dass das im Bundestag als Wahlkampf gar nicht richtig ausgiebig diskutiert wird. Wir wünschen uns, dass das der Fall ist, und wir waren ja gerade vorhin beim Bundestagspräsidenten und da wurde besprochen, dass Schlussfolgerungen auch für zukünftige Untersuchungsausschüsse vom neuen Deutschen Bundestag, vom neu gewählten dann diskutiert werden müssen, ob da nicht Änderungen vorgenommen werden sollen, ob da nicht beispielsweise die Einstufung als geheim, als vertraulich von einer unabhängigen Stelle zu regeln ist und ob nicht die Minderheitenrechte gestärkt werden müssen, weil wenn Untersuchungsausschüsse das schärfste Schwert der Opposition, des Bundestages insgesamt sein können, dann kann man diese Schwerter nicht stumpf machen, dass sie nichts mehr erreichen können, weil die Mehrheit auf der Seite derer ist, die untersucht werden und die natürlich möglichst wenig untersucht werden wollen.
    Meyer: Danke schön! – Hans-Christian Ströbele war das, grüner Bundestagsabgeordneter und Mitglied im NSA-Untersuchungsausschuss. Am Freitag, wenn der Bundestag über die Ehe für alle abstimmt, ist Hans-Christian Ströbele zum letzten Mal im Bundestag dabei. Alles Gute für Sie, Herr Ströbele.
    Ströbele: Ja, ich danke Ihnen. Im September bin ich übrigens auch noch mal dabei.
    Meyer: Na wunderbar! – Danke! – Tschüss!
    Ströbele: Tschüss.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.