Remme: Herr Münkler, in vielen Städten weltweit kommt es heute zu Demonstrationen gegen diesen Krieg und diese amerikanische Politik. Wenn Sie Stellung beziehen müssen, verteidigen Sie dann die Politik Washingtons oder das Anliegen der Demonstranten?
Münkler: Das ist eine schwierige Frage, die Sie mir stellen, weil ich in manchen Punkten mit den Anliegen der Demonstranten, in anderen durchaus auch mit den langfristig angelegten Vorstellungen der USA eher sympathisiere. Insofern bin ich eigentlich im Augenblick nicht demonstrationsfähig.
Remme: Kein Argument war in der offiziellen Diskussion vor dem Krieg ja so wichtig wie die angebliche Bedrohung durch Massenvernichtungswaffen. Inzwischen ist klar, Herr Münkler, diese Bedrohung gab es so nicht. Sind wir von Washington und London belogen worden?
Münkler: Das kann man sicher sagen. Das Problem war ganz erkennbar, dass die Vereinigten Staaten den Regimewechsel, den sie unbedingt als Regimewechsel wollten, als solchen nicht in die Öffentlichkeit hineinkommunizieren konnten, schon gar nicht dafür eine Mehrheit in den Vereinten Nationen, im Sicherheitsrat finden konnten, sodass sie also ein Bedrohungsszenarium aufgebaut haben durch Saddam Hussein, um vor allen Dingen die eigene Bevölkerung für diesen Waffengang einzustimmen. Das ist freilich nichts Neues, man muss wohl sagen, dass Demokratien, insbesondere die Vereinigten Staaten als die im 20. Jahrhundert größte Demokratie, immer wieder in Kriegshandlungen, bei denen sie ihrerseits nicht unprovoziert angegriffen worden sind, sondern in den Krieg hineingegangen sind, sich Anlässe erfunden hat, Konstellationen geschaffen hat. Denken Sie an den so genannten Tonkinzwischenfall am Beginn der Luftbombardements von Nordvietnam, den es ja auch nie gegeben hat, um die eigene Bevölkerung, die wenig Interesse daran hat, sich auf solche politisch riskanten und wirtschaftlich letztlich teuren Abenteuer einzulassen, dazu zu bringen, die Politik der Regierung zu tragen.
Remme: Wie schwer wiegt dieses Manko, diese Kriegslüge als Manko, wenn es um die Legitimität dieses Konfliktes geht?
Münkler: Es ist keine Frage, dass die USA im Gefolge ihrer Tricksereien beim Beginn dieses Krieges oder in der fast halbjährigen Vorgeschichte dieses Krieges, Unterstützung insbesondere in den westlichen Gesellschaften, an Glaubwürdigkeit, vor allem moralischer Glaubwürdigkeit verloren haben. Andererseits muss man sagen, sie haben an politischer Glaubwürdigkeit, das heißt an der Erwartbarkeit, dass sie ihren Aussagen auch Taten folgen lassen, insbesondere im Greater Middle East, also dem Vorderen und dem Mittleren Orient, erheblich gewonnen, das kann man sehen am Einschwenken beispielsweise von Gaddafi vor einiger Zeit und Ähnlichem mehr. Es ist also von daher sehr schwierig, sehr unterschiedliche Elemente, - Verluste auf der einen Seite und Zugewinne auf der anderen Seite -, so gegeneinander auszutarieren, dass man sagt, alles in allem haben sie dazugewonnen oder alles in allem haben sie verloren.
Remme: Herr Münkler, worin lag denn der wahre Grund für diesen Krieg?
Münkler: Ich denke, die Absicht der Amerikaner war eine spezielle Problemperzeption, erstens die arabischen Gesellschaften sind erkennbar selbstblockierte Gesellschaften, die in ihren soziostrukturellen Daten immer weiter zurückfallen im Vergleich mit anderen Ländern. Gleichzeitig haben sie sehr hohe demographische Reproduktionsquoten, das heißt, sie haben hier in den nächsten fünf bis zehn Jahren so oder so ein Problem, dass diese Gesellschaften sich zunehmend destabilisieren und eine der Vorstellungen der Amerikaner war wohl im Irak eine beispielhaft moderne, sich modernisierende Gesellschaft für die arabische Welt zu schaffen, die Ausstrahlung auf ihre Nachbarn hat. Der zweite Punkt war, Saddam Hussein war, sicherlich nicht mehr unter dem UN-Sanktionsregime, aber vorher, ein regionaler Hegemonialpolitiker, der auch etwa im Krieg gegen den Iran '80 bis '88 durchaus offensive und brutale Kriege geführt hat, um dem Irak, und das heißt letzten Endes sich selber, eine Dominanzposition in diesem Raum zu verschaffen und damit war er in dieser hochbrisanten Region und zwar aus sozioökonomischen Gründen, wie ich gesagt habe, obendrein noch einmal sozusagen das politische Streichholz an diesem Pulverfass. Das herauszunehmen war das Projekt der Amerikaner und das war sicherlich in weiterer Sicht etwas, was sinnvoll war.
Remme: Herr Münkler, nach offizieller Lesart, um auf einen anderen Aspekt zu kommen, war dieser Krieg ein wichtiger Schritt im Kampf gegen den globalen Terrorismus. Ist dieses Kriegsziel bereits gescheitert?
Münkler: Das war ja von vorneherein eine höchst windige Begründung, denn es gab zwischen Saddam Hussein und Osama Bin Laden, dem Irak und El Kaida keine Verbindungen. In dieser Frage sind die USA auch sehr zurückhaltend gewesen, das hat auch bekanntlich in den Auftritten von Colin Powell im Weltsicherheitsrat keine besondere Rolle gespielt. Man kann sagen, vielleicht haben sie so etwas wie eine dem Herkunftsgebiet von El Kaida und den meisten Mitgliedern dieser Gruppe relativ nahe, offene Wunde geschaffen, damit El Kaida gezwungen ist, sich dort zu zeigen und damit möglicherweise, aber das ist sehr schwierig zu sagen nach Madrid und Istanbul, damit möglicherweise eine strukturelle Angriffsfähigkeit gegenüber den westlichen Gesellschaften verloren, weil sie im Irak beschäftigt sind. Aber darüber kann man nur spekulativ sich äußern.
Remme: Wir haben über die amerikanische Politik gesprochen, müsste es nicht eigentlich heißen die Politik des George Bush? Denn, was könnte ein Wechsel im Weißen Haus in dieser Region bedeuten?
Münkler: Wir wissen ja, dass Kerry grundsätzlich mit diesem Krieg einverstanden gewesen ist. Jedenfalls zeigt das sein Abstimmungsverhalten, das er hinterher hier und da ein bisschen zu interpretieren versucht hat. Ich glaube auch, dass die grundsätzlichen Probleme für die USA als globale Hegemoniemacht sich nicht ändern durch einen Präsidentenwechsel. Was sich ändern würde, wäre die Art der Kommunikation von amerikanischen Zielen, die Art der Kommunikation mit ihren Verbündeten, das ist in demokratischen Gesellschaften, also sozusagen im transatlantischen Verhältnis ein ganz wichtiger Gesichtspunkt, das wird man nicht in Abrede stellen können. Aber im weitesten Sinne die Grundtextur der amerikanischen Politik, wie wir sie bei Bush finden können, wird sich nicht ändern und sie war im Prinzip in vieler Hinsicht ja schon bei Clinton gegeben, der ebenfalls Bagdad mehrfach hat angreifen lassen, der die Flugverbotszonen aufrecht erhalten hat und so weiter.
Remme: Kommen wir noch, wir haben nicht mehr all zu viel Zeit, auf einen letzten Aspekt, das internationale Umfeld. Was sagt denn der unmittelbare Vorlauf dieses Krieges, die Bildung der Koalition und der Streit, den ich erwähnt habe auf UNO-Ebene über die Zukunft der internationalen Ordnung aus?
Münkler: Das Verhältnis zwischen den Europäern und den Amerikanern ist schwieriger geworden nach dem Ende der Sowjetunion, also dem Wegbrechen der Konstellation des Ost-West-Konfliktes und es wird schwierig bleiben, weil gewissermaßen die Klammer der gemeinsamen Bedrohung weggefallen ist, weil die Art der Herausforderung andere sind, weil die geschichtliche Erfahrung Europas, insbesondere in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die heißt, Krieg lohnt sich nicht unter keinen Umständen und die geschichtliche Erfahrung der USA, die eigentlich in zwei Weltkriegen die Erfahrung gemacht haben, wir sind die Gewinner dieser Kriege, wir haben dadurch an wirtschaftlicher Position und politischer Position gewonnen. Weil das so radikal auseinander läuft, dass man sich schwer vorstellen kann, dass es in Zukunft friktionslos abgehen wird.
Remme: Herfried Münkler war das, Politikwissenschaftler an der Humboldt-Universität in Berlin. Herr Münkler, vielen Dank für das Gespräch.
Münkler: Bitte sehr.