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Bilderbuch-Tagung in Troisdorf
Souveränes Stil-Spiel

Technik, Haltung des Künstlers, Wiedererkennbarkeit: Was macht den Stil eines Bilderbuches aus? Darüber wurde am 7. und 8. September beim 11. Workshop der Stiftung Illustration im Bilderbuchmuseum in Troisdorf diskutiert. Das Ergebnis: eine Ode an Stil-Vielfalt und Qualität im aktuellen Bilderbuch.

Von Christine Knödler | 29.09.2018
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    Stil im Bilderbuch (Klett-Cotta Verlag / Moritz Verlag)
    Die "Liebe ist ..."-Cartoons der neuseeländischen Zeichnerin Kim Casali ins Spiel zu bringen, ist in Illustratoren-Kreisen fast ein Sakrileg. Trotzdem. Jeder kennt sie, jeder erkennt sie, so gesehen sind die hinskizzierten Mini-Szenen mit romantischen Binsenweisheiten stilbildend. Sie wollen der Liebe auf den Grund gehen. Das lässt sich übertragen auf andere Phänomene, etwa auf das, was Stil ist, nämlich so:
    Stil ist ... Technik
    Stil ist ... die eigene Handschrift
    Stil ist ... Wiedererkennbarkeit
    Stil ist ... Markenzeichen
    Stil ist ... Ausstrahlung?
    Ganz schön viele Definitionen schwirren da im Raum herum. Die Stiftung Illustration und das Bilderbuchmuseum Troisdorf wollten es darum genauer wissen und haben Stilfragen zum Thema des diesjährigen Workshops gemacht.
    Illustrator/innen, Verlegerinnen, Lehrende der Kunsthochschulen waren da und konnten befragt werden – zum Beispiel der Zeichner Jörg Mühle aus der Labor Ateliergemeinschaft in Frankfurt. Mit seinen Mitmach-Pappbilderbüchern "Nur noch kurz die Ohren kraulen?", "Tupfst du noch die Tränen ab?" und "Badetag für Hasenkind", alle im Moritz Verlag erschienen, hat er große Kunst für kleine Kinder hingelegt und ist damit überaus erfolgreich. Stil definiert er so:
    "Wenn man von Stil redet, dann meint das ja eigentlich verkürzt sozusagen den individuellen, wieder erkennbaren, persönlichen und vielleicht auch sogar einzigartigen Stil."
    Über seine Atelier-Kollegin, die Illustratorin Anke Kuhl, sagt er:
    "Natürlich gibt es wiederkehrende Merkmale, die möglicherweise auch so deutlich sind, dass man sie daran eindeutig immer wieder identifizieren kann. Also, ich sag mal: Kulleraugen, der Wert, den Anke auf Mimik legt, auf Gesichtsausdrücke, auf Körperhaltung, dann ein gewisser lockerer Zeichenstil, auch dann der Mut oder der Wunsch, dass es um Lebendigkeit der Figuren vor Perfektion geht."
    Stil ist ... Interesse
    Und Anke Kuhl ergänzt:
    "Deswegen kann ich Häuser und Autos schlechter zeichnen als Figuren, weil mich die Figuren interessieren. Ich kuck nicht hin! Ich merk noch nicht mal, wenn in Frankfurt eine Baustelle ist und dann plötzlich ein anderes Gebäude dasteht! Es interessiert mich einfach nicht besonders!"
    Stil ist also ... Interesse?
    Stil ist ... das, was man zeichnerisch hinbekommt?
    Dazu noch mal Jörg Mühle:
    "Natürlich gibt es bestimmte Dinge, die ich auch für meinen Stil ziemlich kennzeichnend finde, die ich vermeide oder die ich bevorzuge. Ich hab ungern Bilder, wo mehr als drei Figuren drauf sind, weil das, was mich interessiert und was ich, glaub ich, auch ganz gut kann, ist, Figuren miteinander in Beziehung zu setzen und irgendwie zu versuchen, sie zu beleben. Und wenn es zu viele werden, dann wird das für mich sehr schwierig."
    Witzig sind sie beide, Anke Kuhl und Jörg Mühle. Ihr Blick ist distanziert-ironisch, ganz und gar unpathetisch, ihr Stil ist zeichnerisch, als fordere eine Weltsicht wie die ihre den schnellen, spontanen Strich und eben nicht eine aufwendige malerische Umsetzung.
    Jörg Mühle lässt in diesem Stil in seinem neuesten Bilderbuch "Zwei für mich, einer für dich" Bär und Wiesel die komplizierte Arithmetik des Teilens durchexerzieren.
    Anke Kuhl wiederum hat herausragende, in mehrfacher Hinsicht aufklärerische Bilder- und Kinderbücher illustriert wie "Das Liebesleben der Tiere" oder, ganz aktuell, "Klär mich weiter auf. Noch mehr echte Kinderfragen zu einem aufregenden Thema". Mit dem ihr eigenen Gestus des Widerborstigen hat sie den Niedlichkeitsanspruch im Bilderbuch radikal entsorgt und so das Gesicht des seinerseits eigensinnigen Klett Kinderbuch Verlags wesentlich geprägt. Umgekehrt hat die Verlegerin Monika Osberghaus der Illustratorin den Raum gelassen, den Künstler brauchen, um sich entfalten zu können.
    "Entweder sie nehmen sich die Freiheit selber oder es steht eben jemand dahinter, der was in den Illustratoren sieht und sich auch irgendwie berufen fühlt, das eben ans Licht zu bringen und in die Welt zu bringen."
    Stil ist ... künstlerische Freiheit
    Weit weg vom Glitzer und Bling-Bling der kunterbunten Bilderbuchwelt, die Titel um Titel auf den Markt wirft und für jeden Anlass, jede Gefühls- und Lebenslage das passende Buch parat hat, setzen Künstlerinnen und Verlage wie diese bekennend aufs Andere. Ihnen ist zu verdanken, dass bei aller berechtigten Kritik am Buchmarkt mit seiner Überproduktion, dem Profitdenken, dem austauschbaren Mainstream das aktuelle Bilderbuch eine so spannende Sparte ist.
    Heute werden Stilmittel des Films, der Fotografie, des Theaters, des Computers selbstverständlich zitiert und zu neuem Stil montiert.
    Heute wird collagiert, gezeichnet, radiert, mit Acrylfarben gemalt.
    Heute sind Bilderbücher realistisch, fantastisch, poetisch, abstrakt, skizzenhaft-kindlich, reduziert. Sie sind assoziativ, problemorientiert, politisch.
    Und vielleicht ist das ja die eigentliche Erkenntnis nach zwei Tagen intensiver Auseinandersetzung im Bilderbuchmuseum Troisdorf: Die Gleichzeitigkeit unterschiedlicher Stile führt die Qualität des aktuellen Bilderbuchs vor Augen.
    Genau das brauchen Kinder, findet Jörg Mühle.
    "Ich halte das für eine Erziehungsaufgabe: Angebote zu machen und den Blick zu öffnen und den Horizont zu erweitern. Und deshalb glaub ich: Ja! Man braucht total viele Bücher! Ich geb meiner Tochter Bücher, die ich gut finde, ich zeig meiner Tochter Bücher, die ich doof finde, und letztlich muss sie dann auch entscheiden, was sie davon prägt."
    Denn Bilderbücher sind die ersten Bücher, mit denen Kinder in Berührung kommen.
    Bilderbücher öffnen Türen in die Welt der Farben, Formen, Räume, der Emotionen, Fantasie, der Ästhetik. Sie entscheiden darüber, ob Kinder später einmal zwischen Buchdeckeln Abenteuer vermuten werden oder gepflegte Langeweile, ob es stets glatt sein muss oder auch mal komplizierter sein darf. Bilderbücher lehren das Sehen. Sie schärfen den Blick. Stil-Bildung gehört zu einer solchen Schule des Sehens unbedingt dazu.
    Stil ist ... Haltung
    Fehlt noch die Stimme der Lehre. Henning Wagenbreth, Grafiker und Illustrator mit unverwechselbarem Stil, neonfarben-kühn, arbeitet für Animationsfilm und Theater, tritt mit eigener Band als Musiker auf und ist seit 1994 Professor der Illustrationsklasse an der Universität der Künste Berlin. Er sagt:
    "Bilder haben, glaub ich, genau wie Sprache auch eine Grammatik, eine Syntax, und ich glaube, dass das wichtig ist – das versuche ich jedenfalls Studenten nahezubringen, weil alles andere, glaub ich, kann man eh nicht lehren, lernen schon, das muss man selber lernen, aber lehren kann man das nicht, also wie man sich am Ende ausdrückt, was man daraus macht – das müssen die selber hinkriegen."
    Wäre das dann der eigene Stil?
    Ich mag das Wort Stil einfach nicht. Das hat eher, glaub ich, mit Persönlichkeit zu tun und mit politischer Überzeugung oder mit ethischen Fragen."
    Dann ist Stil ... Haltung.
    Dann ist Stil ... ein Prozess – auch der Erkenntnis.
    Dann ist das souveräne Stil-Spiel im aktuellen Bilderbuch eine Entwicklungsmöglichkeit für Illustratorinnen und Illustratoren und für die Betrachter, die Kinder. Denn es fordert und fördert ein involviertes, unvoreingenommenes, kenntnisreiches Sehen, ausgehend von den verschiedenen Blicken auf Welt hin zu dem, wie Welt sich gestalten lässt.
    Katharina von der Gathen / Anke Kuhl: "Das Liebesleben der Tiere"
    Klett Kinderbuch, 18.- Euro, ab 8 J.

    Katharina von der Gathen / Anke Kuhl: "Klär mich weiter auf. Noch mehr echte Kinderfragen zu einem aufregenden Thema"
    Klett Kinderbuch, 15.- Euro, ab 10 J.

    Jörg Mühle: "Nur noch kurz die Ohren kraulen?" / "Tupfst du noch die Tränen ab?" / "Badetag für Hasenkind"
    Moritz Verlag, je Band 8,95 Euro, ab 2 J.

    Jörg Mühle: "Zwei für mich, einer für dich"
    Moritz Verlag, 12,95 Euro, ab 4 J.