Freitag, 19. April 2024

Archiv

Bildersturm und Gerechtigkeit
Warum unsere Denkmäler uns im Stich lassen

Denkmäler sind für die Ewigkeit gedacht und sollen uns an die Vergangenheit erinnern. In den letzten Monaten aber wurden viele Denkmäler und Statuen im Namen der Gerechtigkeit demontiert oder zerstört, sowohl in Nordamerika als auch in Europa, und das oft von Demonstranten, die die Sache selbst in die Hand nahmen.

Von Julia Pelta Feldman | 25.10.2020
Die Statue von Colston wird von Demonstranten in den Fluss Avon in Bristol geworfen.
In Bristol versenken Demonstranten die Statue des Sklavenhändlers Edward Colston im Avon (picture alliance/ NurPhoto/ Giulia Spadafora)
Aber was genau wird zerstört oder verworfen, wenn alte Denkmäler abgerissen oder Straßen umbenannt werden? Wer hat das Recht, Geschichte neu zu schreiben? Und warum sollten die Spuren der Vergangenheit überhaupt unsere Gegenwart beherrschen?
In diesem Beitrag setzt sich die Kunsthistorikerin Julia Pelta Feldman mit dem aktuellen Bildersturm auseinander. Mit Empathie und Geschichtssinn erklärt sie, warum unsere Denkmäler uns im Stich gelassen haben - und legt Alternativen vor, die sowohl unserer Vergangenheit als auch unserer Gegenwart gerecht werden könnten.

Es war der Sommer des Bildersturms. In den Vereinigten Staaten besprühten Demonstrant:innen Denkmäler der Konföderierten mit Graffiti und enthaupteten eine Statue von Christoph Kolumbus. In England wurde ein Bildnis des Sklavenhändlers und Wohltäters der Stadt Bristol Edward Colston in den Hafen geworfen, und die Polizei musste Winston Churchill gewidmete Denkmäler schützen. In Berlin, einer Stadt, die mit den Monumenten vieler Regime übersät ist, toben derweil Debatten über die Umbenennung von Straßen, in denen die koloniale Vergangenheit Deutschlands gefeiert wird. – Zu einem Zeitpunkt, da der sorgfältigen Rekonstruktion eines kaiserlichen Schlosses der letzte Schliff in Gestalt des Humboldt-Forums verliehen wird.
"Bildersturm" ist der Begriff der Gegner:innen dieser Aktionen. Sie sprechen von einem "widergeschichtlichen" Versuch, die Vergangenheit umzuschreiben. Denkmäler zu stürzen ist unbestreitbar destruktiv. Dennoch nahm sich die Diskussion über die Proteste erstaunlich einseitig aus: Man konzentrierte sich auf den Schaden, der Objekten zugefügt wurde. Sehr viel weniger Beachtung wurde der Zerstörung menschlichen Lebens und menschlicher Würde geschenkt, für die diese Denkmäler stehen, und die unabhängig von deren Alter nach wie vor verübt wird.
Problematisch sind aber nicht nur die Menschen und Institutionen, welche durch diese Denkmäler repräsentiert werden. Das Problem liegt auch in der Idee von Denkmälern selbst. Wenn der Sinn eines Denkmals darin bestehen soll, die Geschichte wach zu halten und sie zu verstehen, dann erfüllen unsere Denkmäler diesen Zweck gerade nicht. Es reicht daher nicht aus, diejenigen Statuen, die uns zuwider sind, einfach abzubauen; es ist auch nicht genug, an ihrer Stelle einfach neue zu errichten, die wir unserer Verehrung für würdiger befinden. Stattdessen müssen wir grundlegend überdenken, was ein Denkmal leisten soll, und was es heute bedeutet, Geschichte und Erinnerung mit Kunst und öffentlichem Raum zu verbinden.
Viele reagieren mit Wut, Furcht oder Besorgnis auf die Zerstörung von Statuen durch Demonstrant:innen oder auf deren staatlich sanktionierte Entfernung. Nicht ohne Grund: Im letzten Jahrzehnt sind einige der größten Kunstschätze der Welt durch politischen Fanatismus ausgelöscht worden. Allein der IS hat seit 2011 Hunderte von wichtigen Artefakten und Kulturstätten vorsätzlich beschädigt oder ganz zerstört. Man kann daher mit Recht fragen, warum Menschen, denen es um Gerechtigkeit und Gleichheit zu tun ist, überhaupt Kunstwerke beschädigen wollen. Ist das Objekt selbst nicht unschuldig?
Die Zerstörung von Kunst sollte nie auf die leichte Schulter genommen werden. Aber ebenso kurzsichtig ist es, keine Unterschiede machen zu wollen. Die Denkmäler, die im Zentrum des gegenwärtigen Protests stehen, sind nicht einfach Symbole der Vergangenheit. Diese Statuen, Straßennamen und Inschriften existieren voll und ganz in der Gegenwart. Und sie bekräftigen die Werte, für die sie stehen. Sie verherrlichen den Sklavenhandel, stellen den Kolonialismus als aufgeklärt dar und porträtieren nichtchristliche Menschen als fremde Ungeheuer. Solange diese Überzeugungen fortbestehen, sind solche Denkmäler nicht nur Symbole einer überwundenen Vergangenheit, sondern sie stehen auch für die Unterdrückungen der Gegenwart.
Einige wenige der von den Protestierenden ins Visier genommenen Denkmäler haben eine besondere künstlerische oder kulturelle Qualität, die es wert ist, erhalten zu werden. Diesen Fällen muss man sich mit besonderer Sorgfalt nähern. Doch gerade im Angesicht solcher kulturellen Risiken müssen wir uns fragen, ob die Unversehrtheit eines Denkmals mehr wert ist als die Unversehrtheit eines Menschen.
Geschichte leugnen
Man mag der Kritik an den Denkmälern zustimmen, die Rassisten, Kolonialisten, Sklavenhändler oder andere problematische Gestalten feiern – und kann dennoch darauf bestehen, dass die Zerstörung eines Denkmals der Leugnung von Geschichte gleichkomme. Vom US-Präsidenten Donald Trump bis zum deutschen Schriftsteller Uwe Timm wurde dieses Argument gegen den "Bildersturm" in Anschlag gebracht.
Ist es tatsächlich unhistorisch, Denkmäler zu entfernen, die uns ganz explizit etwas über unsere Geschichte erzählen? Nehmen wir die Fälle, um die es meistens in den USA geht: Statuen, die an die Südstaaten erinnern – jene Verlierer des amerikanischen Bürgerkriegs, die für die Beibehaltung der Sklaverei kämpften. Historiker:innen haben darauf hingewiesen, dass die meisten von ihnen erst Jahrzehnte nach dem Ende des Bürgerkrieges errichtet wurden, als bewusste politische Reaktion auf die neu errungenen Rechte der schwarzen Bevölkerung. Obwohl diese Denkmäler sich angeblich nur auf die Vergangenheit bezogen, war ihr eigentlicher Kontext die rassistische Gegenwart, in der sie aufgestellt wurden. Noch im Jahr 2012 weihte man in New Mexico ein neues Denkmal zu Ehren der Soldaten ein, die im Kampf für die Südstaaten gefallen sind – eine leicht durchschaubare Bestätigung jener "white supremacy", die den Kern der konföderierten Kultur ausmacht. Das Argument, solche Denkmäler sollten nach den Maßstäben von gestern beurteilt werden, überzeugt nicht. Ob alt oder neu, konföderierte Statuen sind keine neutralen Objekte der Vergangenheit, sondern gewissermaßen politische Akteure der Gegenwart.
Die Edward-Colston-Statue in Bristol – die den Sklavenhändler auf einer Inschrift "tugendhaft und weise" nennt – wird in ähnlicher Weise verteidigt. Colston wirkte, so lautet das Argument, bevor die Sklaverei in England abgeschafft wurde; er sei schlicht ein Mann seiner Zeit gewesen und er habe es nicht besser wissen können. Doch was ist mit jenen Menschen, die 1895 seine Statue errichteten – fast ein Jahrhundert, nachdem England seine Rolle im transatlantischen Sklavenhandel beendet hatte und mehr als 60 Jahre nach der formellen Abschaffung der Sklaverei in den meisten seiner Territorien? Selbst wer diese 100 Jahre alte Statue zu erhalten wünscht, müsste wohl zustimmen, dass es falsch wäre, heute ein solches Denkmal zu errichten. Wenn es aber heute falsch ist, warum war es dann 1895 richtig, als die Sklaverei bereits einhellig als grausam und barbarisch verdammt wurde? Wie immer schließt der historische Kontext hier den Moment der Entstehung des Denkmals ein, und bezieht sich nicht nur auf die Zeit des darin Porträtierten.
Erinnerung und Verherrlichung
Noch etwas ignoriert das Argument, dass die Zerstörung eines Denkmals die Zerstörung von Geschichte bedeutete, nämlich den entscheidenden Unterschied zwischen der Erinnerung an die Vergangenheit und ihrer Verherrlichung. Ist Geschichtsschreibung idealerweise der Versuch, die Vergangenheit zu verstehen, ohne sie moralisch zu beurteilen, sind Denkmäler ihrem Wesen nach niemals neutral. Man sagt, dass Geschichte von den Siegern geschrieben werde; dasselbe gilt um so mehr für Denkmäler. Der amerikanische Dokumentarfilmer Ken Burns, der sich gegen die Erhaltung von Konföderierten-Denkmälern ausgesprochen hat, sagte,
"[dass] unsere Denkmäler, selbst solche, die so verehrt werden wie die Freiheitsstatue, Darstellungen von Mythen sind, nicht von Fakten […] Es ist die Geschichte, nicht die Mythologie, an die wir uns erinnern müssen."
Tatsächlich kann die Entfernung eines Denkmals dazu beitragen, diese Mythologisierung zu durchschauen und die geschichtlichen Konstellationen zu verstehen, die sich dahinter verbergen. Nehmen wir den Fall von Christoph Kolumbus, der in den Vereinigten Staaten immer noch dafür gefeiert wird, dass er 1492 Amerika "entdeckt" habe. Der 12. Oktober, "Columbus Day", ist ein Nationalfeiertag. Im Juni brachten Demonstrant:innen Kolumbus' Verehrer:innen auf, indem sie in Boston seiner Statue den Kopf abhackten. War das eine un-, eine antihistorische Geste? Es ist allgemein bekannt, dass die sogenannte Entdeckung Kolumbus' eher eine Frage des Glücks als des Könnens war – er beherrschte die Geographie so schlecht, dass er sich bis zum Ende seines Lebens anzuerkennen weigerte, keinen Seeweg nach Indien gefunden zu haben. Wichtiger noch: Amerika war seit Tausenden von Jahren bewohnt. Kolumbus und seine Männer hatten auf Kuba und Hispaniola das Taíno-Volk wohl kaum "entdeckt" – aber sie terrorisierten und versklavten es. Und die Krankheiten, die sie aus Europa mitbrachten, löschten die Taíno fast aus. Kolumbus ist sicherlich eine Person der Weltgeschichte: Ihm kann zugestanden werden, dass er Amerika dem Kolonialismus geöffnet und damit Jahrhunderte des Leidens, des Völkermords und der Sklaverei in Gang gesetzt hat. Doch das ist nichts, was es wert wäre, gefeiert zu werden. Seine Statuen zu zerstören bedeutet, eine Mythologie anzugreifen und für die historischen Tatsachen zu kämpfen, nicht gegen sie.
Es gibt aber auch das Argument, dass anstößige Statuen gerade deshalb bestehen bleiben sollten, weil sie uns an die problematischen Aspekte der Vergangenheit erinnern und sie vor dem Vergessen bewahren würden. Hier wäre zu fragen, an wen sich diese Erinnerung richtet. Sicherlich nicht an die Opfer historischer Ungerechtigkeiten, für die Hass und Diskriminierung eine persönliche Erfahrung und keine abstrakte Lektion ist. Wenn wir nicht bereit oder nicht in der Lage sind anzuerkennen, dass die fortgesetzte Ehrung dieser Männer nur neuen Schmerz statt Heilung bringt, bleiben wir in der Geschichte gefangen, die wir angeblich überwunden haben.
Denkmäler sind Teil unserer Gegenwart
Denkmäler sollen in der Zukunft an die Vergangenheit erinnern. Aber vielmehr lehren sie uns etwas über die Gegenwart. Ein Denkmal entsteht aus den Überzeugungen, der Politik und den Anliegen seiner eigenen Zeit. Auch hier ist Kolumbus ein aufschlussreiches Beispiel. Während die konföderierten Statuen der USA ein konzertiertes Bemühen darstellen, schwarze Amerikaner einzuschüchtern und die Durchsetzung von Bürgerrechten zu verzögern, entsprang der Columbus Day dem Wunsch der italienischstämmigen Amerikaner, ihr Erbe zu würdigen und ihren Beitrag zur amerikanischen Gesellschaft geltend zu machen.
Italienische Einwanderer sahen sich in den USA lange Zeit mit Diskriminierung und Verachtung konfrontiert, sie galten als minderwertig und weniger "weiß" als andere Europäer. Die Feier von Kolumbus, der in Genua geboren wurde, erlaubte es den Italoamerikanern, das Italienische in die Definition des Amerikanischen zu integrieren. Die Kolumbus gewidmeten Denkmäler, mit ihrer irrigen Erzählung von Entdeckerruhm, sagen daher sehr viel mehr über die amerikanische Geschichte des 20. Jahrhunderts als über die des 15.. Das Verständnis dieses zeitgenössischen Kontextes, der für jedes Denkmal so entscheidend, aber so selten Teil seiner offiziellen Botschaft ist, hilft uns zu erkennen, was bei einem bestimmten Denkmal heute auf dem Spiel stehen kann.
Die Geschichte der Italoamerikaner verdient es, anerkannt zu werden. Aber Kolumbus zu ehren ist nicht der richtige Weg. Wie Edward Colston, dessen Wohltaten für die Stadt Bristol durch Blut und Tränen versklavter Afrikaner finanziert wurden, sollte Kolumbus studiert und verstanden, aber nicht glorifiziert werden.
Was tun mit "großen Männern" und ihren Makeln?
Doch viele andere Denkmäler, gegen die Demonstrant:innen ebenfalls protestieren, stehen für eine sehr viel ambivalentere Geschichte. In England wurden Statuen von Winston Churchill mit Graffiti beschmiert, die ihn als Rassisten bezeichneten; in den Vereinigten Staaten weisen Aktivisten darauf hin, dass Gründerväter wie George Washington und Thomas Jefferson aus Überzeugung Sklavenhalter waren.
Auch die großen Männer der deutschen Geschichte – einschließlich derer, die selbst verfolgten Gruppen angehörten – sind davon nicht ausgenommen. Der Publizist Wolfram Weimer stellte kürzlich fest:
"Karl Marx hasste Juden wie Schwarze in erschreckend expliziter Weise."
Mit dem Vorschlag, die Hunderte von deutschen Straßen und Plätzen umzubenennen, die den Namen von Marx tragen, unterstützt Weimer eine eher konservative Agenda. Er hat allemal Recht: Obwohl er selbst Jude war, zögerte Marx nicht, in ihm verabscheuungswürdig erscheinenden persönlichen Eigenschaften einen "rassischen" Ursprung zu erkennen. Seinen haitianisch-stämmigen Schwiegersohn Paul Lafargue bedachte er mit haarsträubenden Verunglimpfungen.
Ohne Frage, es bestehen große Unterschiede zwischen Churchill und Colston, Stonewall Jackson und George Washington, Karl Marx und Otto von Bismarck. Es wäre falsch, auf die positiven Vermächtnisse zu verzichten, die aus der Vergangenheit auf uns gekommen sind – Gerechtigkeit und Gleichheit, Demokratie und Sozialismus – nur, weil diejenigen, die sie geschaffen haben, fehlerhaft waren.
Man kann sich aber nicht einfach auf die Plattitüde zurückziehen, dass nun einmal alle Menschen Fehler haben, denn so wird alles Unrecht gleichgültig. Auch sollten wir uns nicht bloß fragen, ob diese Menschen Wegweisendes zu unserer Kultur beigetragen haben, etwas, das es heute wert ist, bewahrt und respektiert zu werden. Vielmehr müssen wir uns die Frage stellen, ob aus diesen Beiträgen folgt, dass wir ihre Urheber als Individuen ehren sollen. Es ist ihr Vermächtnis, das zählt und aus dem etwas Neues entstehen kann, weniger ihre Person. Jemanden in Bausch und Bogen zu verachten ist schließlich nur die Kehrseite davon, ihn zu heroisieren – es ist die Personalisierung, die das Problem ist, und hier sind sich die beiden Positionen ähnlicher, als sie es wünschen. Es geht also darum, einen Weg zu finden, das Erbe selbst zu ehren, das wir hochhalten wollen, statt diese fehlbaren Menschen als Helden darzustellen. Und dieser Aufgabe sind unsere heutigen Denkmäler nicht gewachsen.
Rekontextualisierung
Auch Rekontextualierung, etwa durch Hinweistafeln, löst das Problem nicht. Denkmäler appellieren nicht an Tatsachen, sondern an Gefühle – an Patriotismus, Gemeinschaft, Nationalstolz. Die Figuren, die elegant auf ihren Pferden über uns thronen, sind dazu gemacht, Bewunderung und Sympathie zu wecken. Gefühle dieser Art lassen sich nicht so einfach "rekontextualisieren". Daher ging im Laufe der Geschichte die Entscheidung, ein Denkmal abzureißen, fast immer mit Anstrengungen einher, ein neues zu errichten. In diesem Sommer kündigten die Berliner Verkehrsbetriebe an, die U-Bahn-Station "Mohrenstraße" umzubenennen und ihr den Namen der benachbarten Glinkastraße zu geben, benannt nach dem Komponisten Michail Iwanowitsch Glinka, der in Berlin studiert hatte. Doch auch hier wurden schnell Einwände laut: Glinka sei Antisemit gewesen. Bald darauf entschied sich die Stadt, die Mohrenstraße selbst umzubenennen: Sie wird nun Anton‑Willhelm-Amo-Straße heißen, nach dem in Ghana geborenen, in Deutschland wirkenden Philosophen und Rechtswissenschaftler. Amo, Deutschlands erster schwarzer Philosoph, verdient Erinnerung. Aber als Antwort auf die Unzulänglichkeiten unserer Denkmäler wird das Problem dadurch nur teilweise gelöst. Wieder geht es darum, die Vergangenheit zu verherrlichen, statt sie zu verstehen.
Damit wird der tröstliche Mythos aufrechterhalten, dass ein Denkmal für die Ewigkeit wäre, das – wenn wir nur diesmal, ein letztes Mal, alles richtig machten – auf immer gültig sein würde. Aber wir können von den künftigen Erb:innen dieser Denkmäler nicht erwarten, dass sie sie so verstehen, schätzen und hegen, wie wir es tun; so wenig wie wir zulassen sollten, dass der Respekt vor unserer Vergangenheit uns daran hinderte, ihre Fehler nach besten Kräften zu korrigieren.
Vielleicht ist diese Idee der "Beständigkeit" selbst das Problem. James Madison war der Ansicht, dass jede Generation die amerikanische Revolution wiederholen sollte – nur so würden die Bürger:innen ihre Bedeutung verstehen. Auf einer weniger dramatischen Ebene haben Museen heute nicht mehr nur eine einzige Dauerausstellung. Das liegt nicht daran, dass die alte Geschichte des Museums zugunsten einer neuen fortgewischt würde, sondern daran, dass es zu viele wichtige Geschichten zu erzählen gibt. Vielleicht wäre es an der Zeit, auch Denkmäler auf diese Weise zu betrachten. Es ist nicht leicht, sich vorzustellen, wie ein solches nichtbeständiges Gedenken aussehen könnte, doch gibt es bereits einige anregende Ansätze dazu.
An den vier Ecken des Londoner Trafalgar Square gibt es vier Sockel. Auf drei von ihnen stehen Statuen militärischer und politischer Figuren des 19. Jahrhunderts. Die geplante vierte Statue wurde nie vollendet, und der vierte Sockel blieb leer. Heute ist er der Ausstellungsort einer Reihe zeitgenössischer Kunstwerke – auf ihm werden temporäre Denkmäler ausgestellt, die sich mit einer Vielzahl sozialer, politischer und ästhetischer Themen befassen, und die oft die heikle Frage aufwerfen: Was verdient, zum Monument erhoben zu werden? Von 2010 bis 2012 schmückte ein Werk des Künstlers Yinka Shonibare den vierten Sockel: "Nelson’s Ship in a Bottle" bestand aus einem überdimensionierten Buddelschiff, das jene Fregatte darstellte, mit der Nelson in der Schlacht von Trafalgar gekämpft hatte. Doch Shonibare ersetzte die Segel des Schiffes durch einen in Westafrika beliebten, hell gemusterten Stoff, der Englands Marine- und Militärgeschichte mit seinem kolonialen Erbe zusammenbrachte. Zuvor, im Jahr 2009, hatte der Künstler Anthony Gormley normale englische Bürger:innen dazu eingeladen, vorübergehend auf dem Sockel Platz zu nehmen und selbst Statuen zu werden. Er erklärte,
"[dass] diese Erhebung des Alltagslebens an die Stelle, die früher die Monumentalkunst eingenommen hat, es uns ermöglicht, über die Vielfalt, Verwundbarkeit und Besonderheit des Individuums in der heutigen Gesellschaft nachzudenken."
Die Geschichte wird nicht jedes Mal ausgelöscht, wenn ein Werk vom vierten Sockel genommen wird; vielmehr wird eine andere Geschichte, eine andere Perspektive hinzugefügt. Statt zu versuchen, die Geschichte ein für alle Mal korrekt zu erzählen, könnten wir unsere Denkmäler von vornherein kontingent und flexibel gestalten, so dass sie die Komplexität unserer Geschichte widerspiegeln.
Denkmäler können sich nicht erinnern
Ein temporäres Denkmal - das mag paradox klingen. Wir erwarten, dass unsere Denkmäler von Dauer sind, weil wir uns Sorgen um das Vergessen machen. Aber die Wahrheit ist, dass sich Denkmäler nicht für uns erinnern können. Der französische Historiker Pierre Nora warnte einmal:
"Je weniger Erinnerung von innen erlebt wird, desto mehr existiert sie nur durch ihr äußeres Gerüst und ihre äußeren Zeichen."
Wenn wir Denkmälern die Aufgabe übertragen, sich für uns zu erinnern, entheben wir uns der Last der Erinnerung. Der Kunsthistoriker James Young sagte:
"Sobald wir der Erinnerung monumentale Form geben, haben wir uns zu einem gewissen Grad der Verpflichtung zu erinnern entledigt."
Oft meint man, "Denkmäler" und "Geschichte" seien untrennbar miteinander verbunden. In Wirklichkeit aber können sie sich direkt widersprechen – wie im Fall von Kolumbus, dessen Denkmäler fälschlicherweise behaupten, er habe einen neuen Kontinent entdeckt.
Gegendenkmäler
In den 1990er-Jahren begann Young, eine neue Bewegung von Künstler:innen und Architekt:innen zu beschreiben, die sogenannte "Gegendenkmäler" entwarfen – Denkmäler, die uns nicht von der Last der Erinnerung befreien, sondern eine kontinuierliche Auseinandersetzung mit ihr herausfordern. Viele dieser Denkmäler erinnern an die Opfer des Holocaust. Statt die deutsche Schuld durch eine Geste der öffentlichen Trauer an ein Monument zu delegieren, sollen solche Gegendenkmäler sowohl die Opfer ehren als auch die Öffentlichkeit dazu einladen, über die Verantwortung an vergangenem oder fortdauerndem Unrecht nachzudenken. Obwohl Young sie als eine Bewegung zusammenfasste, sind Gegendenkmäler doch sehr vielfältig. Einige laden zur Interaktion ein und zwingen die Zuschauer:innen, sich an der Erinnerungsarbeit zu beteiligen, während andere nur eine bestimmte Zeit bestehen und so betonen, wie leicht es ist, zu vergessen. Sie werden "Gegendenkmäler" genannt, weil sie, anstatt schmerzhafte Erinnerungen sicher und distanziert in gefühllosen Stein zu versenken, dazu anspornen, die Erinnerung lebendig zu halten. Sie sind oft eher abstrakt als gegenständlich und werden daher häufig als unleserlich kritisiert.
Am prominentesten war das sicherlich beim Berliner Denkmal für die ermordeten Juden Europas der Fall, das vom amerikanischen Architekten Peter Eisenman entworfen und 2005 eingeweiht wurde. Mit seinem riesenhaften, geschwungenen Feld aus sargähnlichen, rechteckigen Steinen vermittelt Eisenmans Denkmal zwar ein abstraktes Gefühl von Trauer oder Furcht, aber es sagt wenig darüber, was mit den sechs Millionen von den Nazis ermordeten Juden geschah. Doch welche Statue oder Gedenktafel könnte wirklich das schockierende Ausmaß oder die schmerzliche Besonderheit der Zerstörung erklären? Als Verwahrungsstätten der Geschichte können traditionelle Denkmäler – ob gegenständlich oder abstrakt – nur scheitern.
Schloss und Palast
Man könnte meinen, dass pompöse Denkmäler der Vergangenheit angehören. Aber eines der größten Denkmäler Berlins ist auch sein neuestes: das Berliner Schloss. Das ursprüngliche Schloss war jahrhundertelang die Heimat der Hohenzollern, bis es im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigt wurde. Die neu gebildete ostdeutsche Regierung hatte weder Mittel noch Interesse, es wiederaufzubauen, und 1950 war es sowohl eine praktische als auch eine ideologische Entscheidung, die Überreste dieses imperialen Schlosses abzureißen. Zwei Jahrzehnte später errichtete die DDR an derselben Stelle den Palast der Republik, der bis zur Wiedervereinigung 1990 sowohl das Parlament als auch kulturelle Einrichtungen beherbergte. Dann wurde er aus Sicherheitsgründen geschlossen. Der Palast der Republik musste restauriert, 5.000 Tonnen Asbest entfernt werden. Doch obwohl das 2003 abgeschlossen war, entschied der Bundestag, das Bauwerk abzureißen und an seiner Stelle eine ungefähre Nachbildung des alten Schlosses zu errichten.
War die Zerstörung des beschädigten Schlosses ideologisch motiviert, so war dies der Abriss des eben erst restaurierten Palastes der Republik nicht weniger. Viele deutsche Bürger:innen lehnten die Entscheidung ab, da sie darin eine Auslöschung von DDR-Vergangenheit sahen – einen Lückenschlag in der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts zugunsten einer falschen imperialen Kontinuität. Noch problematischer ist die Tatsache, dass das rekonstruierte Schloss nun die ethnografischen Sammlungen Berlins beherbergen wird – Artefakte, Kunstwerke und sogar menschliche Überreste, die in ihrer Summe unweigerlich die Ausbeutung kolonisierter Kulturen repräsentieren.
Es war falsch, dass die DDR das ursprüngliche Schloss abgerissen hat – doch die Zerstörung des Palastes der Republik hat nicht dazu gedient, diesen Fehler zu korrigieren. Daher möchte ich im Geiste des Gegendenkmals eine Lösung für diese leidenschaftlich geführte Debatte vorschlagen: Sobald das Berliner Schloss fertiggestellt ist, die letzte sandsteinerne Schriftrolle ihren Platz gefunden hat, schlage ich vor, es wieder dem Erdboden gleichzumachen.
Ich stelle mir den Abriss als öffentliches Ereignis vor, als einen Festtag für diejenigen, die sich gegen den Wiederaufbau des Schlosses ausgesprochen haben. Und wenn es völlig geschleift ist, soll an seiner Stelle ein Modellnachbau des Palastes der Republik errichtet werden, der in seinen Details genauso anspruchsvoll ist wie das neue Schloss. Die bronzene Glasfassade wird wieder über den Linden erstrahlen. Und ist das letzte Paneel eingesetzt, das letzte Lampenmodell im Foyer installiert, soll auch dieses Denkmal wieder abgerissen werden. Es kann ein weiteres Fest geben – vielleicht werden dieselben Leute, die den Abriss des neuen Schlosses bejubelt haben, auch diesen Abriss feiern. Anschließend wird das Berliner Schloss wiederaufgebaut. Und wieder zerstört. Und so weiter.
Mein Vorschlag ist ein Gedankenexperiment. Aber ich glaube, es bringt die Herausforderungen in den Blick, die sich ergeben, verbindet man Erinnerung, Geschichte und Politik mit der gebauten Welt, in der wir tagtäglich leben. Wirkliche Gerechtigkeit ist oftmals unmöglich; der eine Akt der Zerstörung macht den anderen nicht wett. Und es ist Zerstörung aus politischen, nicht aus praktischen Gründen, die im Mittelpunkt der Kontroverse um diese beiden Gebäude, diese Denkmäler steht, die so stark mit politischer Bedeutung aufgeladen sind – gibt es da eine bessere Art und Weise, ihnen beiden zu gedenken, als aus der Zerstörung selbst ein Denkmal zu machen?
Ein Teil des Problems des Berliner Schlosses ist seine historische Perfektion: Trotz seiner modernistischen Nordseite will es an seinen Hauptflanken so aussehen, als existierte es schon seit Jahrhunderten. Damit wird nicht nur die Zwischengeschichte des Palastes der Republik ausgelöscht, sondern es werden auch die politischen und kulturellen Debatten um Zerstörung und Wiederaufbau des Schlosses für unerheblich erklärt. Ein Zyklus der fortwährenden Zerstörung und des Wiederaufbaus mag unpraktisch sein, aber er evoziert die Instabilität unserer Geschichte, die Bedeutungs- und Kulturschichten, die jedem Monument – ob sichtbar oder nicht – zugrunde liegen. Das Problem mit unseren Denkmälern besteht darin, dass sie uns in erster Linie vom Moment ihrer Entstehung berichten; sie sagen uns nichts von der Zerstörung, die ihnen vorausging, und sie schlagen auch keine Möglichkeiten vor, was eines Tages an ihre Stelle treten könnte. Wollen wir uns der Geschichte erinnern, können wir von Denkmälern, von Menschen aus Stein und Metall, nicht verlangen, dass sie uns diese Arbeit abnehmen.