"Die Lebenserwartung ist ja heute sehr viel höher als noch vor 70 oder 100 Jahren. Und viele Menschen denken, dass es dadurch, dass wir diese entwickelte medizinische Versorgung haben, allen Menschen heute besser geht."
Doch diese einfache Gleichung stimmt nicht, erläutert Professor Johannes Siegrist, Direktor des Instituts für Medizinsoziologie an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Es geht nicht allen besser.
"Vor 20, 25 Jahren hat die Forschung dann gezeigt – zunächst in England und dann in allen anderen Industrieländern auch: Je niedriger der Bildungsgrad eines Menschen, je niedriger die berufliche Position eines Menschen, je niedriger das Haushaltseinkommen eines Menschen ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass er oder sie frühzeitig schon vor dem fünfundsechzigsten Lebensjahr verstirbt. Das ist kein Naturgesetz, aber das ist ein statistisch sehr erhärteter Zusammenhang. Und zwar ist das nicht das Ergebnis, dass diese Menschen nicht medizinisch betreut und behandelt werden, sondern das ist das Ergebnis ungleicher Lebensumstände, auch ungleicher Fähigkeiten, ungleicher Verhaltensweisen gegenüber Gesundheit und Krankheit."
Wo sich eine Gesellschaft vornimmt, allen Menschen ein gesundes Leben weitgehend ohne Krankheiten zu ermöglichen, muss deshalb mehr passieren als nur gute medizinische Versorgung. Der Soziologe Thomas Lampert, stellvertretender Leiter des Fachgebiets Gesundheitsberichterstattung am Robert Koch-Institut:
"Wir glauben aus Sicht der Gesundheitswissenschaften, dass Bildung ein Schlüssel zur Gesundheit ist. Man muss Gesundheit auch erlernen, man muss Gesundheit herstellen ein Stück weit. Da ist der Einzelne natürlich gefragt. Da ist aber auch die Gesellschaft gefragt, die entsprechende Angebote machen muss."
Bei der Unterstützung und Fortbildung Erwachsener setzen Gesundheitspsychologen an. So zum Beispiel Urte Scholz, Professorin an der Universität Bern.
"Einmal versuchen wir natürlich die Motivation zu steigern, zum Beispiel mit dem Rauchen aufzuhören oder mit der körperlichen Aktivität zu beginnen. Und wenn dann aber die Intention da ist, gibt es eben noch einen weiteren Schritt, dass von der gesundheitspsychologischen Forschung die Idee besteht, dass man dann eben auch noch Strategien zum Beispiel anwendet, also so was wie Handlungskontrolle, Selbstbeobachtung."
Ein anderer Weg zu mehr Gesundheit sind veränderte Strukturen in der Gesellschaft. Längst ist klar, dass viele Kinder in Industrieländern zu dick und zu unbeweglich sind. Und wer möchte, dass schon die Jüngsten lernen, gesund zu leben, sollte mit besseren Bildungsangeboten bereits in Kindertagesstätten beginnen, sagt Thomas Lampert:
"Wir glauben, dass eine gute Bildung sich auswirkt – wie gehe ich mit Krisen, wie gehe ich mit Anforderungen um –, dass das zu Kompetenzen führt: zu der Kompetenz, sein Leben sinnvoll zu gestalten im Hinblick auf die Zukunft, aber auch gesund zu gestalten und auch mit Risiken umzugehen. Und deswegen ist es ja gerade für uns ein ganz großes Problem, dass auch in Deutschland die soziale Herkunft so stark sich auswirkt auf die Bildungschancen und Kinder aus sozial benachteiligten Elternhäusern schlechtere Bildungschancen haben. Weil sich dadurch natürlich Problemlagen von Generation zu Generation wieder vererben. Und deswegen unser Plädoyer: Für Investitionen in die Bildung. Und auch hier so früh wir möglich anfangen, damit im Grunde dieser Zusammenhang zwischen sozialer Ungleichheit und Gesundheit auch ein Stück weit aufgebrochen werden kann."
Das Kinder- und Jugendalter ist nur der erste Lebensabschnitt, in dem Weichen gestellt werden. Auch im späteren Arbeits- und Erwerbsleben ist das Krankheitsrisiko sozial ungleich verteilt. Jahrelange Forschungen von Johannes Siegrist zeigen: schlechtere Bildung führt zu mehr Krankheitslast. Dabei sind es nicht so sehr ungünstige Umgebungsfaktoren für einfache Arbeiten, wie mehr Lärm, Hitze oder eingeatmete Schadstoffe, die das Risiko zu erkranken erhöhen.
"Da konnten wir zeigen, dass Menschen, die ein geringeres Qualifikationsniveau haben, auch häufiger unter einem Ungleichgewicht leiden zwischen ihrer täglich erbrachten Leistung am Arbeitsplatz und dem, was sie im Gegenzug als Belohnung bekommen. Wir nennen das eine sogenannte Gratifikationskrise im Beruf. Man strengt sich an, man gibt sein Bestes jeden Tag, man ist aber nicht sicher: Bin ich im nächsten Jahr noch beschäftigt? Kann ich aufsteigen, so wie es meine Qualifikation erfordert? Kriege ich den gerechten Lohn? Und wird meine Leistung auch von meinem Vorgesetzten anerkannt?
All das sind Aspekte der Belohnung, die häufig zu kurz kommen. Und dieses Ungleichgewicht zwischen hoher Verausgabung und niedriger Belohnung ist ein ganz starker Faktor, der vorzeitige depressive Erkrankungen und vorzeitige Herz-Kreislauf-Erkrankungen mitbewirkt."
Um zu verhindern, dass Menschen durch ihr Arbeitsleben krank werden, muss die gesamte, die psycho-soziale Situation verbessert werden. Individuelle psychologische Hilfe allein reiche nicht, sagt Johannes Siegrist. Mediation und Weiterbildung im Team schon eher, aber entscheidend sei die generelle Verbesserung der Arbeitssituation. An erster Stelle stehe dabei eine angemessene Anerkennung, sei es über fairen Lohn oder gerechtere Aufstiegschancen – eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe im Dienst von mehr Gesundheit.
Sind Krankheiten erst da, geht es zunehmend um positive Bewältigungsstrategien statt um bloße Abwehr. Eine Studie, die Urte Scholz an der Universität Zürich durchführte, widmete sich Ehepaaren, in denen Frauen ihre demenzkranken Partner pflegen. Was hilft den Paaren, die Situation zu meistern ohne depressiv zu werden?
"Positive Kommunikation – also das war ein Ergebnis. Wenn die Paare, obwohl der eine Partner relativ eingeschränkt ist schon durch diese Demenzerkrankung, wenn die das schaffen, trotzdem noch positiv miteinander zu kommunizieren, dann ist das zum Beispiel sehr förderlich auch für das Wohlbefinden der pflegenden Ehefrau. Also das sind alles so Ansätze, und dann natürlich auch in der Bewältigungsforschung: Wie kann man allein oder als Betroffener dann eben im sozialen Umfeld als Paar, als Familie mit Krankheit umgehen?"
Das Szenario wird durch den demografischen Wandel zunehmen. Entscheidend ist deshalb auch hier, dass sich die Gesellschaft für die Zukunft Strukturen schafft, um vorausschauend, weiterbildend und unterstützend zu helfen. Professor Clemens Tesch-Römer, Leiter des Deutschen Zentrums für Altersfragen in Berlin:
"Welche Struktur haben wir eigentlich für das Management von chronischen Erkrankungen? Das wird in einer alternden Gesellschaft immer stärker zunehmen, dass wir, wenn wir älter werden, von mehreren Erkrankungen betroffen sind, die eben nicht mehr heilbar sind. Und da kommt es ganz viel auch auf das eigene Verhalten an, wie ich mit Rheuma umgehe, wie ich mit Arthritis umgehe, wie ich mit Inkontinenz umgehe. Da kommt es ganz stark darauf an, dass ich eine Struktur habe, die mich dabei unterstützt, Verhalten zu erlernen und Verhalten zu ändern."
Linktipp:
Studie Sozialer Stress und Gesundheit
Doch diese einfache Gleichung stimmt nicht, erläutert Professor Johannes Siegrist, Direktor des Instituts für Medizinsoziologie an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Es geht nicht allen besser.
"Vor 20, 25 Jahren hat die Forschung dann gezeigt – zunächst in England und dann in allen anderen Industrieländern auch: Je niedriger der Bildungsgrad eines Menschen, je niedriger die berufliche Position eines Menschen, je niedriger das Haushaltseinkommen eines Menschen ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass er oder sie frühzeitig schon vor dem fünfundsechzigsten Lebensjahr verstirbt. Das ist kein Naturgesetz, aber das ist ein statistisch sehr erhärteter Zusammenhang. Und zwar ist das nicht das Ergebnis, dass diese Menschen nicht medizinisch betreut und behandelt werden, sondern das ist das Ergebnis ungleicher Lebensumstände, auch ungleicher Fähigkeiten, ungleicher Verhaltensweisen gegenüber Gesundheit und Krankheit."
Wo sich eine Gesellschaft vornimmt, allen Menschen ein gesundes Leben weitgehend ohne Krankheiten zu ermöglichen, muss deshalb mehr passieren als nur gute medizinische Versorgung. Der Soziologe Thomas Lampert, stellvertretender Leiter des Fachgebiets Gesundheitsberichterstattung am Robert Koch-Institut:
"Wir glauben aus Sicht der Gesundheitswissenschaften, dass Bildung ein Schlüssel zur Gesundheit ist. Man muss Gesundheit auch erlernen, man muss Gesundheit herstellen ein Stück weit. Da ist der Einzelne natürlich gefragt. Da ist aber auch die Gesellschaft gefragt, die entsprechende Angebote machen muss."
Bei der Unterstützung und Fortbildung Erwachsener setzen Gesundheitspsychologen an. So zum Beispiel Urte Scholz, Professorin an der Universität Bern.
"Einmal versuchen wir natürlich die Motivation zu steigern, zum Beispiel mit dem Rauchen aufzuhören oder mit der körperlichen Aktivität zu beginnen. Und wenn dann aber die Intention da ist, gibt es eben noch einen weiteren Schritt, dass von der gesundheitspsychologischen Forschung die Idee besteht, dass man dann eben auch noch Strategien zum Beispiel anwendet, also so was wie Handlungskontrolle, Selbstbeobachtung."
Ein anderer Weg zu mehr Gesundheit sind veränderte Strukturen in der Gesellschaft. Längst ist klar, dass viele Kinder in Industrieländern zu dick und zu unbeweglich sind. Und wer möchte, dass schon die Jüngsten lernen, gesund zu leben, sollte mit besseren Bildungsangeboten bereits in Kindertagesstätten beginnen, sagt Thomas Lampert:
"Wir glauben, dass eine gute Bildung sich auswirkt – wie gehe ich mit Krisen, wie gehe ich mit Anforderungen um –, dass das zu Kompetenzen führt: zu der Kompetenz, sein Leben sinnvoll zu gestalten im Hinblick auf die Zukunft, aber auch gesund zu gestalten und auch mit Risiken umzugehen. Und deswegen ist es ja gerade für uns ein ganz großes Problem, dass auch in Deutschland die soziale Herkunft so stark sich auswirkt auf die Bildungschancen und Kinder aus sozial benachteiligten Elternhäusern schlechtere Bildungschancen haben. Weil sich dadurch natürlich Problemlagen von Generation zu Generation wieder vererben. Und deswegen unser Plädoyer: Für Investitionen in die Bildung. Und auch hier so früh wir möglich anfangen, damit im Grunde dieser Zusammenhang zwischen sozialer Ungleichheit und Gesundheit auch ein Stück weit aufgebrochen werden kann."
Das Kinder- und Jugendalter ist nur der erste Lebensabschnitt, in dem Weichen gestellt werden. Auch im späteren Arbeits- und Erwerbsleben ist das Krankheitsrisiko sozial ungleich verteilt. Jahrelange Forschungen von Johannes Siegrist zeigen: schlechtere Bildung führt zu mehr Krankheitslast. Dabei sind es nicht so sehr ungünstige Umgebungsfaktoren für einfache Arbeiten, wie mehr Lärm, Hitze oder eingeatmete Schadstoffe, die das Risiko zu erkranken erhöhen.
"Da konnten wir zeigen, dass Menschen, die ein geringeres Qualifikationsniveau haben, auch häufiger unter einem Ungleichgewicht leiden zwischen ihrer täglich erbrachten Leistung am Arbeitsplatz und dem, was sie im Gegenzug als Belohnung bekommen. Wir nennen das eine sogenannte Gratifikationskrise im Beruf. Man strengt sich an, man gibt sein Bestes jeden Tag, man ist aber nicht sicher: Bin ich im nächsten Jahr noch beschäftigt? Kann ich aufsteigen, so wie es meine Qualifikation erfordert? Kriege ich den gerechten Lohn? Und wird meine Leistung auch von meinem Vorgesetzten anerkannt?
All das sind Aspekte der Belohnung, die häufig zu kurz kommen. Und dieses Ungleichgewicht zwischen hoher Verausgabung und niedriger Belohnung ist ein ganz starker Faktor, der vorzeitige depressive Erkrankungen und vorzeitige Herz-Kreislauf-Erkrankungen mitbewirkt."
Um zu verhindern, dass Menschen durch ihr Arbeitsleben krank werden, muss die gesamte, die psycho-soziale Situation verbessert werden. Individuelle psychologische Hilfe allein reiche nicht, sagt Johannes Siegrist. Mediation und Weiterbildung im Team schon eher, aber entscheidend sei die generelle Verbesserung der Arbeitssituation. An erster Stelle stehe dabei eine angemessene Anerkennung, sei es über fairen Lohn oder gerechtere Aufstiegschancen – eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe im Dienst von mehr Gesundheit.
Sind Krankheiten erst da, geht es zunehmend um positive Bewältigungsstrategien statt um bloße Abwehr. Eine Studie, die Urte Scholz an der Universität Zürich durchführte, widmete sich Ehepaaren, in denen Frauen ihre demenzkranken Partner pflegen. Was hilft den Paaren, die Situation zu meistern ohne depressiv zu werden?
"Positive Kommunikation – also das war ein Ergebnis. Wenn die Paare, obwohl der eine Partner relativ eingeschränkt ist schon durch diese Demenzerkrankung, wenn die das schaffen, trotzdem noch positiv miteinander zu kommunizieren, dann ist das zum Beispiel sehr förderlich auch für das Wohlbefinden der pflegenden Ehefrau. Also das sind alles so Ansätze, und dann natürlich auch in der Bewältigungsforschung: Wie kann man allein oder als Betroffener dann eben im sozialen Umfeld als Paar, als Familie mit Krankheit umgehen?"
Das Szenario wird durch den demografischen Wandel zunehmen. Entscheidend ist deshalb auch hier, dass sich die Gesellschaft für die Zukunft Strukturen schafft, um vorausschauend, weiterbildend und unterstützend zu helfen. Professor Clemens Tesch-Römer, Leiter des Deutschen Zentrums für Altersfragen in Berlin:
"Welche Struktur haben wir eigentlich für das Management von chronischen Erkrankungen? Das wird in einer alternden Gesellschaft immer stärker zunehmen, dass wir, wenn wir älter werden, von mehreren Erkrankungen betroffen sind, die eben nicht mehr heilbar sind. Und da kommt es ganz viel auch auf das eigene Verhalten an, wie ich mit Rheuma umgehe, wie ich mit Arthritis umgehe, wie ich mit Inkontinenz umgehe. Da kommt es ganz stark darauf an, dass ich eine Struktur habe, die mich dabei unterstützt, Verhalten zu erlernen und Verhalten zu ändern."
Linktipp:
Studie Sozialer Stress und Gesundheit