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Bildung in der Coronakrise
"Befürchten, dass sich das nicht wieder gutmachen lässt"

Vor allem jene Schülerinnen und Schüler, die bereits im Bildungssystem abgehängt waren, gehören zu den Verlieren der Coronakrise, sagte die Soziologin Jutta Allmendinger im Dlf. Im Vergleich zu anderen Ländern sei Deutschland im Bereich der Digitalisierung sehr schlecht aufgestellt gewesen.

Jutta Allmendinger im Gespräch mit Jörg Münchenberg |
Jutta Allmendinger, Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB)
Jutta Allmendinger, Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB) (Picture alliance / Jan Vetter)
Daten zeigten auch im internationalen Vergleich eine enorme Spreizung zwischen den Schülern aus sozial und finanziell belasteten Haushalten und jenen, die "Geld und das elterliche Wissen" hätten, erklärte Allmendinger. "Diese Spreizung ist enorm und sie hat sich durch Corona vergrößert – und wir befürchten alle, dass sich das nicht wieder gutmachen lässt."
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Bezogen auf den Bildungsbereich sei Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern sehr schlecht aufgestellt gewesen, sagte Allmendinger. "Ändere Länder hatten präventiv in die ganze Digitalität der Schulen investiert, hatten entsprechende WLAN-Anschlüsse, die Geräte waren schon bei den Kindern, die Didaktik war vorbereitet."
Zudem, so Allemdinger, hätten es andere Länder nicht mit einer solch großen Schere zwischen Kindern aus unterschiedlichen Haushalten zu tun.

Wie stehen Deutsche allgemein zur Digitalisierung?

Vergleichende Studien zeigten bezogen auf die Akzeptanz der Digitalisierung eine deutliche Öffnung, erklärte Allmendinger. Dieser Effekt sei besonders bei älteren Personen zu beobachten, die nun digitale Endgeräte oftmals täglich nutzten.
Laut einer großen Untersuchung der IG Metall würden weit über 90 Prozent der Befragten auch nach Corona im Homeoffice arbeiten, sagte Allmendinger. "Damit verbunden ist natürlich eine ganz neue Spaltung des Arbeitsmarktes: in jene Hälfte, die im Prinzip im Homeoffice sein könnte und die andere Hälfte, deren Jobs gar nicht im Homeoffice zu erledigen sind."
Bereits im Mai warnte Allendinger, Corona führe zu einer Retraditionalisierung, nach der die Frau eher bei den Kindern zu Hause bleibe und der Mann arbeiten gehe.
"Der Grund, warum ich diese These aufgestellt habe, ist, dass der Entzug von Kindertagesstätten und Schulen per se schon ein Schritt zurück ist um mindestens 20, 30 Jahre. Es war für die Kinder natürlich erforderlich, dass jemand zu Hause geblieben ist – und es waren meistens die Frauen."
Eine neue Studie der Hans-Böckler-Stiftung zeige, dass Mutter und Väter, die schulpflichtige Kinder haben, vor der zweiten Schließung wieder langsam in den Arbeitsmarkt gegangen seien. "Allerdings konnten Männer ihre Arbeitszeiten wesentlich schneller wieder aufnehmen als Frauen", sagte Allmendinger. Insofern sei der Unterschied nun größer als vor Corona-Zeiten.
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