Freitag, 19. April 2024

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Bildung in Indien
Analphabetismus und Hochtechnologie

Da in Indien oft schon die Jüngsten der Familie zum Broterwerb beitragen müssten, sei die allgemeine Schulbildung oft sehr schlecht, sagte Heike Mock vom DAAD im Dlf. Allerdings habe Bildung eine sehr große Bedeutung für die Mittelschicht - und die Regierung arbeite mit Hochdruck daran, den Anteil der Studierenden zu erhöhen.

Heike Mock im Gespräch mit Jörg Biesler | 23.03.2018
    Indische Schulkinder sitzen am in Mahabalipuram (Indien) in einem Park.
    In Indien leben immer noch drei viertel aller Menschen unter der Armutsgrenze - das hat auch Folgen für die Bildung. Im Bild: Schulkinder in Mahabalipuram, Südostindien (dpa / picture alliance / Sebastian Kahnert)
    Jörg Biesler: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ist seit gestern in Indien, und er hat dort auch schon mit Studierenden gesprochen - über das Zusammenleben nämlich von Menschen mit unterschiedlichen Religionen. In Indien gibt es nicht nur unterschiedliche Religionen, sondern auch sehr unterschiedliche Bildungsniveaus. IT-Experten und Ärzte aus Indien galten in Deutschland mal als Teil der Lösung für den Mangel an Arbeitskräften, andererseits wurde erst 2009 in Indien die allgemeine Schulpflicht eingeführt. Lesen, Schreiben und Rechnen können noch immer nicht alle Kinder. Heike Mock ist Direktorin der Außenstelle Neu-Delhi des Deutschen Akademischen Austauschdienstes. Guten Tag, Frau Mock!
    Heike Mock: Guten Tag, Herr Biesler!
    Staatlichen Schulen "unglaublich schlecht aufgestellt"
    Biesler: Wie passt das zusammen, Hochtechnologie und Analphabetismus?
    Mock: Ja, das ist natürlich ein Widerspruch, der eigentlich das Land in Gänze ganz gut beschreibt. Indien hat tatsächlich erst vor einigen Jahren die allgemeine Schulpflicht eingeführt, was als ein großer Erfolg zu werten ist, das in einem Land durchzusetzen, in dem immer noch drei viertel aller Menschen unter der Armutsgrenze leben und auch noch 60 Prozent in der Landwirtschaft tätig sind. Daher liegt es, glaube ich, auf der Hand, dass einfach auch schon die Jüngsten damit zum Erwerb des täglichen Brotes beitragen müssen.
    Viele der Kinder gehen zwar theoretisch in die Schule, aber die Kenntnisse, die sie dann nach fünf, sechs Jahren haben, sind doch eher mager. Gerade in den ländlichen Gebieten sind die staatlichen Schulen unglaublich schlecht aufgestellt, was die Lehrer angeht, die Qualität der Gebäude ist sehr, sehr schlecht, sodass tatsächlich auch ein schlechterer Unterricht geleistet wird.
    Bildungsnahe Mittelschicht
    Biesler: Also die Bildungsstandards westlicher Länder sind noch weit entfernt, und es scheint so zu sein, was in Deutschland immer beklagt wird, dass nämlich der Bildungserfolg dann doch sehr stark von der Herkunft abhängt, in Indien natürlich noch viel stärker so ist.
    Mock: Ja, das kann man in der Tat so sagen. In den Städten sieht es auch ganz anders aus, wo wir eine wachsende Mittelschicht sehen. Da gibt es eine ganze Reihe von sehr guten qualitativen Bildungseinrichtungen, und die Eltern sind natürlich auch sehr bemüht, ihre Kinder von klein auf auf den richtigen Bildungsweg zu schicken. Bildung hat eine sehr, sehr große Bedeutung in Indien für die Mittelschicht. Man verspricht sich dadurch natürlich persönliches Fortkommen und Karriere, und da fängt man im Prinzip schon mit der Wahl des Kindergartens an, den Grundstein für den späteren Karriereweg zu legen. Nur wenn ich den richtigen Kindergarten ausgewählt habe, habe ich auch eine Chance, in eine gute Grundschule aufgenommen zu werden, und das zieht sich dann durch bis quasi zum Studium.
    Ausbau des Universitätswesens
    Biesler: Ist einerseits vielleicht nicht unbedingt das, was man sich wünscht, aber es zeigt doch, dass das Problem erkannt worden ist. Die Studierendenrate soll erhöht werden, augenblicklich liegt sie bei etwa 30 Prozent, und die soll bis rauf auf 50 Prozent kommen, das Hochschulsystem wird also massiv ausgebaut. Wie hat man sich das überhaupt vorzustellen, welche Fächer sind da besonders wichtig, wie baut man überhaupt ein Hochschulsystem so schnell aus?
    Mock: Vor einigen Jahren lag die Studierendenrate tatsächlich noch unter 20 Prozent, das ist noch gar nicht so lange her, man hat da also schon viele Kapazitäten aufgebaut. Es ist natürlich schwierig, aber das kann man sich vorstellen, wenn man die Studierendenrate quasi verdoppeln will und dann den Größenordnungen, von denen wir da sprechen, wenn es um Indien geht. Das ist natürlich zuallererst mal eine Frage der Finanzierung, wie kann das die Regierung tatsächlich finanzieren. Und das wird sie nicht können, das ist ganz klar.
    Und dann kommt der private Sektor, der spielt hier eine ziemlich tragende Rolle. An allen Ecken kloppen die Institutionen die privaten Institutionen aus dem Boden, die sind auch qualitativ oft nicht ganz so gut, also da muss man auch ein bisschen genauer hinschauen, aber auch da gibt es wie immer in Indien exzellente Hochschulen und exzellente Institutionen, die eben einen Großteil der Studierenden auch aufnehmen.
    Die Regierung selbst versucht natürlich auch, den staatlichen Bereich auszubauen, sie legt da besondere Schwerpunkte auf die Ingenieurwissenschaften, Naturwissenschaften und auch die Medizin. Es gibt sogenannte Institutes of National Importance, da versucht man eben, an der Elitebildung zu schrauben.
    Ein anderer Punkt ist die Forschung, das ist in den letzten Jahren vernachlässigt worden, was auch dazu geführt hat, dass es zum Beispiel sehr wenig akademischen Nachwuchs gibt. Das hat die Regierung ebenfalls erkannt und versucht, mit diversen Maßnahmen die Forschung auch an den Hochschulen zu stärken.
    Deutsch-indische Hochschulkooperationen
    Biesler: Sie sind ja nun mit dem DAAD im Wesentlichen für den Austausch zuständig zwischen Deutschland und Indien. Wie sieht's denn da aus, wie steht's darum, gibt's Kooperationen zwischen den Hochschulen?
    Mock: Ja, das Interesse an bilateralen Hochschulkooperationen steigt erfreulicherweise seit den letzten Jahren auf beiden Seiten, und vor allem steigt es eben im qualitativ hohen Bereich, das heißt, man hat Interesse an gemeinsamen Forschungsprojekten, natürlich auch am Austausch von Studierenden und Lehrenden. Wir versuchen da tatsächlich auch, die Hochschulen beim Aufbau von Kooperationen mit diversen Programmen zu unterstützen. Es gibt eine gute Zahl von deutschen und indischen Hochschulen, die sehr intensive Partnerschaften pflegen, schon seit Jahren, und aus DAAD-Sicht kann man auch sehen, dass die geförderten Zahlen, also diejenigen, die mit einem Stipendium des DAAD aus Indien nach Deutschland kommen, seit Jahren sehr, sehr stabil sind.
    Die Nachfrage ist sehr hoch, und erfreulicherweise ist auch die Qualität der Bewerbungen sehr, sehr hoch für unsere Stipendienprogramme. In die andere Richtung ist es leider nicht ganz so erfreulich. Wir würden es sehr begrüßen, wenn mehr deutsche Studierende und Wissenschaftler sich für einen kürzeren oder längeren Aufenthalt in Indien interessieren würden. Also da können wir wirklich nur ermutigen, versuchen wir auch zu ermutigen, auch mehr Austausch aus Deutschland nach Indien zu geben.
    Plädoyer für akademischen Austausch mit dem Subkontinent
    Biesler: Man lernt ja immer etwas, wenn man ins Ausland geht, was kann man denn möglicherweise in Indien ganz gut lernen, jetzt mal vielleicht auch über den fachlichen Tellerrand hinausgeschaut, als deutscher Student?
    Mock: Ich glaube, dass Indien tatsächlich für jeden deutschen und überhaupt für westliche Studierende ein großer Augenöffner sein kann - wenn man sieht, in einem großen Land, welche Kontraste hier nebeneinander existieren, die sehr, sehr friedlich seit Jahrzehnten existieren. Es gibt natürlich eine religiöse Vielfalt, es gibt eine unglaubliche kulturelle Vielfalt, aber es gibt eben auch diese ganz, ganz extremen sozialen Gegensätze, die man jeden Tag hautnah erlebt - zwischen bitterster Armut und ganz extremem Reichtum, den man eben auch in großen Städten überall sehen kann.
    Das ist etwas, glaube ich, was tatsächlich für westliche Studierende sehr interessant sein kann, einfach diese riesigen Kontraste zu sehen und auch zu sehen, wie man im täglichen Leben damit umgeht und wie eben ein friedliches Miteinander auch gestaltet werden kann.
    Biesler: Und begrüßt werden die Studierenden dann in Neu-Delhi von Heike Mock, der Direktorin des Deutschen Akademischen Austauschdienstes dort. Danke fürs Gespräch, Frau Mock!
    Mock: Danke Ihnen auch, Herr Biesler!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.