Archiv


"Bildung müssen wir uns vor allem erkämpfen"

Schüler und Studierende in mehr als 80 Städten wollen in dieser Woche für fünf Tage in einen Bildungsstreik treten. Man wolle auf die Dimensionen aufmerksam machen, erklärt der Berliner FU-Student Martin Schmalzbauer, einer der Organisatoren des Bildungsstreiks. Während Banken mit Milliarden-Beiträgen gerettet werden, sei für die Bildung kein Geld da.

Martin Schmalzbauer im Gespräch mit Sandra Schulz |
    Sandra Schulz: Über die Streiks in den Kitas haben wir gerade berichtet; Deutschland steht aber auch vor dem größten Bildungsstreik seit mehreren Jahren. Schüler und Studierende in mehr als 80 Städten wollen in dieser Woche für fünf Tage in einen Bildungsstreik treten. Unterstützung für ihren Protest kommt von vielen Hochschullehrern und aus dem universitären Mittelbau. Attac, die Gewerkschaften Erziehung und Wissenschaft und Verdi wollen sich auch beteiligen; mit rund 150.000 Teilnehmern rechnen die Organisatoren. Der Höhepunkt steht am kommenden Mittwoch an: in mehr als 70 Städten sind Demonstrationen angemeldet. Heute ist Auftakt. Was geplant ist, was sind die wichtigsten Forderungen?
    Telefonisch bin ich jetzt verbunden mit Martin Schmalzbauer, er studiert an der Freien Universität in Berlin Politikwissenschaften und ist einer der Organisatoren des Bildungsstreiks. Guten Morgen!

    Martin Schmalzbauer: Guten Morgen.

    Schulz: Herr Schmalzbauer, es sind auch symbolische Banküberfälle geplant. Warum das?

    Schmalzbauer: Um auf die Dimension aufmerksam zu machen. Es heißt immer, für Bildung sei kein Geld da, und wir haben gesehen, dass für ein Bankenrettungspaket, für die Stabilität von Kapitalmärkten 480 Milliarden quasi über Nacht vom Bundestag beschlossen werden können. Das bedeutet, es ist eigentlich auch Geld da für Kindergärten, für Schulen, es müssten keine Studiengebühren gezahlt werden, es wäre BaFöG für alle möglich, und das wollen wir zeigen. Es ist möglich, es ist genug für alle da.

    Schulz: Aber es stimmt nicht, dass die Gesellschaft das Geld, das sie in die Bildung steckt, auch selbst erwirtschaften muss?

    Schmalzbauer: Natürlich muss die Gesellschaft das Geld erwirtschaften, aber wir leben in einem der reichsten Länder der Welt, das mit am wenigsten Geld für Bildung ausgibt. Da kann irgendwas nicht richtig sein. Die großen Vermögen wachsen weiter, trotz der Krise.

    Schulz: Sie wenden sich ja auch gegen Bachelor und Master. Die wurden ja eingeführt im Zuge des Bologna-Prozesses, eben um Studierenden in Europa die Möglichkeit zu geben, sich freier zu bewegen, mobiler zu sein. Was ist daran schlecht?

    Schmalzbauer: Wir sind auf jeden Fall für internationale Mobilität, aber wir sind gegen die Verschulung von Studiengängen und dagegen, dass Studiengänge alleine nach ökonomischen Kriterien ausgewählt werden. Studierende müssen den Freiraum haben, sich selber für Themen zu interessieren und sich selbstbestimmter ihr Studium zu organisieren.

    Schulz: Aber warum wollen Sie das mit einem Streik durchsetzen? Bildung muss man sich ja eigentlich erarbeiten.

    Schmalzbauer: Bildung müssen wir uns vor allem erkämpfen. Wir haben in dem Bildungsstreik in Berlin 2003 gesehen, wo Studienkonten - eine nur andere Form von Studiengebühren - geplant waren, und der Streik hat verhindert, dass diese Studienkonten eingeführt wurden. In Hessen wurden nach vielen Protesten die Studiengebühren wieder abgeschafft. Das bedeutet, Bildung muss man sich erkämpfen.

    Schulz: Was käme auf die Gesellschaft zu, wenn ihre Forderungen unerfüllt blieben?

    Schmalzbauer: Dann wird die Entwicklung weitergehen, dass Bildung immer für weniger Menschen da ist. Es geht in die Elitebildung, es gibt Exzellenzinitiativen, aber es fehlt tatsächlich der soziale Zugang zu Bildung, dass wirklich alle Leute studieren können die das wollen. Dazu gehört auch die Überwindung des dreigliedrigen Schulsystems, das Leute in Deutschland in einer international einmaligen Weise schon in sehr frühen Jahren eigentlich festlegt, wer die Möglichkeit hat, höhere Bildung zu bekommen und wer nicht.

    Schulz: Jetzt gibt es Unzufriedenheit bei Studierenden ja in ganz Europa. In Frankreich wurde im Frühjahr protestiert. Können Sie die Stimmung bei den Studierenden beschreiben, aus der heraus sich diese Proteste jetzt entwickeln?

    Schmalzbauer: Es gab sehr starke Proteste in Frankreich, auch in Italien und Griechenland, und wir in Deutschland müssen hier die internationale Proteststimmung erst noch bei uns ankommen lassen. Dieser Bildungsstreik ist quasi ein Schritt in diese Richtung und das ist ja auch interessant: der Streik findet zum Jubiläum des Bologna-Prozesses statt, zehn Jahre Bologna. Wir haben europaweit die gleichen Entwicklungen von mehr sozialem Ausschluss aus Bildung und es gibt jetzt europaweit eben neue Protestbewegungen, die sich dagegen wehren.

    Schulz: Die Finanzkrise prägt die Nachrichten fast jeden Tages im Moment. Gibt es auch eine neue Unsicherheit in Zeiten der Krise?

    Schmalzbauer: Vor dieser Finanzkrise war die Realität in der neoliberalen Politik, in der wir leben, für die allermeisten Menschen eine alltägliche Krise: wie komme ich über die Runden, wie kann ich mir meinen Job erhalten oder wie kann ich meine Zukunft planen? Für unsere Generation in Europa stehen wir vor dem neuen Phänomen, dass wir die soziale Sicherheit, die die Generation unserer Eltern hatte, nicht mehr haben und dass für uns deswegen grundsätzliches Umdenken dringend notwendig ist und für unsere Generation mehr soziale Unruhe notwendig ist, damit die Entwicklung nicht so weiterlaufen kann.

    Schulz: Worauf machen Sie sich noch gefasst?

    Schmalzbauer: Ich mache mich im Zuge dieser Krise gesamtgesellschaftlich auf mehr soziale Auseinandersetzung gefasst, Menschen kämpfen um ihre Arbeitsplätze, soziale Projekte kämpfen darum, dass sie nicht von den Kürzungen getroffen werden, und der Bildungsstreik ist sozusagen Teil dieser gesamtgesellschaftlichen Auseinandersetzung unter dem Motto "wir zahlen nicht für euere Krise", wo es ja auch schon die Großdemonstrationen im März und im Mai gab, an denen auch das Bildungsstreikbündnis beteiligt war.

    Schulz: Wie gehen Sie selbst persönlich mit dieser Unsicherheit um?

    Schmalzbauer: Ich versuche, möglichst wenig individuell das allein ausbaden zu müssen, sondern eben an kollektiven Prozessen mitzuarbeiten, wo wir versuchen, für uns gemeinsam Lösungen zu finden.

    Schulz: Jetzt gibt es ja auch viele Studierende, es gibt auch ganze Gruppen, die sagen, die Streiks sind falsch, manche sagen auch, sie können sich nicht leisten, Zeit zu verlieren für diese Streiks. Verstehen Sie Ihre Kommilitonen?

    Schmalzbauer: Ich verstehe, dass der "work load", wie es heute heißt, die Arbeitsbelastung gerade auch in den neuen Bachelor- und Master-Studiengängen sehr stark zugenommen hat. Das Studium wird gerade so umgebaut, damit die Studierenden möglichst keine Zeit mehr haben, über ihre Situation nachzudenken. Aber gerade deswegen ist dieser Streik notwendig, weil wir uns dort eben diese Freiräume nehmen. Es wird in der Regel dort auch keine Anwesenheitskontrollen geben, es werden einzelne Institutsteile besetzt werden, so dass dort keine Veranstaltungen stattfinden, viele Dozenten unterstützen auch den Bildungsstreik und veranstalten dann ihre Veranstaltungen im Sinne des Bildungsstreiks und dadurch werden Freiräume geschaffen, indem wir überhaupt erst den Raum haben, um uns gemeinsam zu verständigen, was an der Situation geändert werden muss.

    Schulz: Es hat aber auch größere Aktionen gegeben, bei denen eben nicht viele Studierende mobilisiert werden konnten. Kann Ihre Studentengeneration nicht mehr kämpfen?

    Schmalzbauer: Ich glaube, wir werden sehen, dass unsere Studentengeneration sehr wohl kämpfen kann. Einen bundesweiten Bildungsstreik hat es zum Beispiel noch nie gegeben. Es werden jetzt einfach neue Formen des Protestes ausprobiert, die der neuen Situation angemessen sind.

    Schulz: Wir gehen ja mit großen Schritten auf die Bundestagswahl zu. Die Sozialdemokraten haben mit ihrem Programm, mit ihrem Wahlprogramm eine bessere Bildung versprochen, bessere Bildungschancen. Fühlen Sie sich bei den Sozialdemokraten mit Ihren Zielen gut aufgehoben?

    Schmalzbauer: Wir freuen uns immer, wenn unsere Forderungen aufgegriffen werden, aber wir haben letztendlich gelernt, dass wir bei keiner Partei darauf vertrauen können, dass unsere Forderungen von denen umgesetzt werden. Es wird immer darauf ankommen, viel Druck zu erzeugen, viel Protest zu erzeugen, um damit Parteien unter Druck zu setzen.

    Schulz: Wann wäre diese Woche, die jetzt vor uns liegt, für Sie ein Erfolg?

    Schmalzbauer: Die Woche ist schon ein Erfolg, weil in 80, 90 Städten in ganz Deutschland viele unterschiedliche Menschen gemeinsam hier diesen Bildungsstreik planen, sich gemeinsam darüber verständigen, wie wir unser Bildungssystem verändern können, und allein dass das dort stattfindet, ist schon ein sehr großer Erfolg.

    Schulz: Einer der Organisatoren des Bildungsstreiks, der Berliner FU-Student Martin Schmalzbauer heute Morgen im Deutschlandfunk. Danke schön!

    Schmalzbauer: Alles klar!