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Bildungspolitik in NRW
"Es gibt enorm viel Unterrichtsausfall"

An Schulen in NRW fällt so viel Unterricht aus, dass sich sogar die Schüler darüber ärgern. Die Dortmunder Ruhr Nachrichten haben ihre Leser nun aufgefordert, einen Monat lang selbst Daten zum Unterrichtsausfall zu melden, um eine eigene Statistik zu erstellen. Bildungsministerin Sylvia Löhrmann hält nicht viel davon.

Von Kai Rüsberg | 11.03.2017
    Leeres Klassenzimmer
    Unterrichtsausfall ist ein großes Problem an den Schulen in NRW. (picture alliance / dpa / Stefan Sauer)
    Monika Czyz steht kurz vor dem Abitur. Zurzeit hat sie viel Stress, denn sie muss auch viel prüfungsrelevanten Stoff lernen, der im Unterricht nie vorkam, weil er ausgefallen war:
    "Es gibt enorm viel Unterrichtsausfall, das merkt man zum Beispiel gerade nach den Weihnachtsferien oder nach den Herbstferien. Zum anderen ist sehr bemerkenswert, dass eben in der Sekundarstufe I, wo die jüngeren Kinder sich befinden, gerade an Gymnasien sehr viel weniger Unterricht ausfällt, weil da die Note höher ist, die Kinder noch zu betreuen."
    Die 17-Jährige ist in der Bundesschülerunion aktiv, eine der CDU nahestehende politische Schülerorganisation. Diese hat in Bochum und Herne die Zahl der ausgefallenen Unterrichtsstunden erhoben an Schulen, die zum Abi führen. Fast 20 Prozent des regulären Unterrichts fand in der ersten Februarwoche nicht statt. Noch sind die Zahlen nicht vollständig ausgewertet, aber sie liegen damit etwa 10 Mal höher, als die 1,8 Prozent Unterrichtsausfall, die das Land angibt.
    Bildungsministerin wehrt sich
    Die nordrhein-westfälische Bildungsministerin Silke Löhrmann wehrt sich gegen Vergleiche mit Zahlen, die sich nur auf einzelne Orte stützen. Sie seien nicht mit dem offiziellen statistischen Wert vergleichbar.
    "Und in dem Kontext ist es ein Durchschnittswert. Es gibt Schulen, die schaffen das immer und es gibt Schulen, die liegen darunter und darum müssen wir uns kümmern."
    Bisher wurde der Unterrichtsausfall durch Stichproben an ausgewählten Schulen erhoben. Künftig soll eine deutlich breitere Datenbasis abgefragt werden. Diese Kennwerte seien aber nicht das entscheidende Kriterium für guten Unterricht, entgegnet Löhrmann:
    "Wir gucken immer nur, wie groß sind die Klassen, wie viele Lehrer brauchen wir dafür, welcher Unterricht fällt aus, wie wird er vertreten, wie viele bleiben sitzen. Aber die Frage, wie Reformprozesse gut begleitet werden, diese Frage ist in Deutschland unterentwickelt. Und dann müssen wir immer wieder gucken, wo müssen wir nachsteuern, damit wir die richtig angelegten und richtig beabsichtigten Bildungsreform, damit wir die noch besser mit den Beteiligten umsetzen können."
    Ruhr Nachrichten stellen eigene Statistiken auf
    In Dortmund haben die Ruhr Nachrichten ihre Leser aufgefordert, einen Monat lang selbst Daten zum Unterrichtsausfall zu melden. Dabei werden sie vom Recherchebüro Correctiv unterstützt, das dafür eine Datenbank ins Internet gestellt hat. Dort können vorab angemeldete Eltern, Schüler oder Schulpersonal Ausfall und Vertretung eintragen. Projektleiter Bastian Schlange ist sich bewusst, dass er damit auch in die anstehende Landtagswahl eingreift.
    "Allerdings ist jetzt Wahlkampf und ich halte Bildungsthemen für entscheidend, eben gerade hier für unsere Region für Nordrhein-Westfalen, fürs Ruhrgebiet. Ich finde nicht, dass das schaden kann, wenn dann noch jemand draufguckt. Die Aufgabe von Journalisten ist es, relevante Themen anzugehen und Bildung ist ein relevantes Thema und ob es jetzt der Landesregierung passt oder nicht, das ist dann eigentlich nicht das Problem des Journalisten. "
    Die Aktion läuft einen Monat lang und soll dann nach Schulformen und Fächern anonym ausgewertet werden. Die erste Woche lief gut an:
    "Ich würde sagen sehr positiv, wir haben immer so einen schicken Liveticker auf der Seite wo man genau sehen kann, wie viele Leute mitmachen, wie viele Stunden eingetragen sind. Es sind ungefähr 400 Mitglieder angemeldet, die Daten zusammentragen und wir haben knapp 700 Meldungen zu Ausfällen."
    Bildungsministerin zweifelt Aktion der Ruhr Nachrichten an
    Bildungsministerin Löhrmann hält nicht viel von der Aktion und erwartet keine objektiven Ergebnisse.
    "Aber bei diesem Ansatz, der da gewählt wurde, der ist ja auch kritisiert worden vom VBE (Verband Bildung und Erziehung) und von der GEW, weil es auf Zuruf geht. Es sollen Leute da was eintragen und es ist wird nicht wissenschaftlich analysiert. Also dann mache ich schon jetzt mal ein Fragezeichen."
    Auch die Landesvorsitzende der Gewerkschaft GEW erwartet keine objektiven Ergebnisse von der Dortmunder Erhebung zum Unterrichtsausfall, über die die Ruhr Nachrichten regelmäßig berichten.
    "Die CDU geht ja in diesem Landtagswahlkampf mit dem großen Thema Unterrichtsausfall. Ich glaube, dass das damit zusammenhängt, dass man deswegen auch gesagt hat, also auch als Zeitungsverlag, das machen wir jetzt, das kann man machen."
    Definition von Unterrichtsausfall
    Die GEW weist darauf hin, dass man auf einer Konferenz Ende vergangenen Jahres mit der Landesregierung abgesprochen habe, den Unterrichtsausfall künftig mit einer größeren Datenbasis zu messen.
    "Es gibt aber auch große Probleme und das haben wir auch in der Bildungskonferenz besprochen, was ist denn Unterrichtsausfall? Zählen Vertretungsstunden auch als Unterrichtsausfall? Da sagen wie es Gewerkschaften: Nein."
    Dem widerspricht Monika Czyz von der Schülerunion vehement. Laut den Daten aus Bochum und Herne finden Vertretungen gerade in den höheren Klassen nur noch pro forma statt. Dort werden zumeist nur Aufgabenzettel verteilt oder bereitgelegt:
    "Während in der Oberstufe ich aus meiner persönlichen Erfahrung sagen kann, dass ab der zehnten Klasse ab der EF kaum noch vertreten wird eigentlich gar nicht mehr, da ist es auch egal, ob es nun Randstunden sind oder nicht. Es wird dann einfach Eva eingesetztes, heißt eigenverantwortliches Arbeiten, den Schülern wird manchmal, manchmal auch nicht, etwas im Sekretariat hinterlassen: Papiere die sie bearbeiten können zum Unterricht und das soll dann eben Unterrichtsersatz sein. Aber ich persönlich finde wo kein Lehrer da kein Unterricht."
    Dirk Schmidt von der Bochumer CDU Ratsfraktion unterstützt die Schülerunion bei der Auswertung. Er meint, ständiger Unterrichtsausfall, zumal mit unzureichender oder fehlender Vertretung durch Fachlehrer, führt zu sozialer Ungerechtigkeit:
    "Ich hatte damals noch kein Zentralabi damals wurde das noch uns angepasst. Da konnte man Rücksicht nehmen, das ist heute nicht der Fall; Am Ende gibt's gnadenlos eine vergleichbare Prüfung. Und ein bisschen merken wir durch die Studie, Unterrichtsausfall ist auch sozial verzehrt: welche Schule, welches Engagement?"
    Forderung nach mehr Stellen
    Auch die GEW fordert von der nächsten Landesregierung die Zahl der Stellen aufzustocken, um dem Unterrichtsausfall entgegen zu wirken. Denn an den meisten Schulen gäbe es kaum noch Spielräume, Krankheitsfälle oder andere Ausfälle bei Lehrern zu vertreten. Dirk Schmidt ermahnt die Eltern, selbst ein Auge auf die Situation ihrer Schule zu werfen.
    "Man muss sich bisschen, glaube ich, auch als Eltern drum kümmern, dass der Unterricht stattfindet."