Christian Schütte: Die Hochschulen in Deutschland befinden sich seit einiger Zeit schon im Umbruch. Die früheren Studiengänge wie Diplom und Magister werden konsequent umgebaut und heißen danach international Bachelor oder Master. Bildungsexperten ist diese Reform unter dem Namen Bologna-Prozess bekannt. Die einen sehen darin das Rezept gegen Langzeitstudieren und Studienabbrecher. Die anderen warnen vor Verschulung und Überforderung und sehen die Universitätskultur in Gefahr. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hat eine Studie vorgelegt. Bemerkenswert: Die Studierenden sind zufrieden wie nie mit den Bedingungen, die sie an den Hochschulen vorfinden. Dennoch: Alle Probleme sind längst nicht gelöst. Darüber spreche ich mit Jürgen Zöllner (SPD). Er ist Senator für Bildung, Wissenschaft und Forschung in Berlin. Guten Morgen, Herr Zöllner!
Jürgen Zöllner: Einen schönen guten Morgen!
Schütte: Die Umfragewerte unter Studierenden sind so gut wie nie. Die Hälfte der Studierenden sei zufrieden mit ihren Dozenten. Das ist ein Ergebnis der Studie. Lesen Sie da heraus, dass Bologna, der Bologna-Prozess ein voller Erfolg ist?
Zöllner: Erst einmal freue ich mich über das Ergebnis der Studie. Ich habe die Skepsis in der anfänglichen Diskussion geteilt. Man muss immer abwarten, wie die Sache läuft. Ich bin froh, dass das Ergebnis offensichtlich so gut ist. Es gab ja schon einige Voruntersuchungen, die auch Hinweise darauf gegeben haben. Das heißt nicht, dass es Schwierigkeiten an der einen oder anderen Stelle sicher noch gibt, möglicherweise auch fachspezifisch, aber dass die große Linie sicher bestätigt worden ist.
Schütte: Kleinere Schwierigkeiten, sagen Sie. Es gibt einen interessanten Aspekt in dieser Studie. Auf der einen Seite beurteilen die Studierenden ihre Studiensituation als gut. Auf der anderen Seite hat sich das Ansehen des Bachelor-Abschlusses verschlechtert. Das ist der Abschluss der Studierendenabbrecher, heißt es. Ist das für die weitere Karriere förderlich?
Zöllner: Ich weiß nicht, ob das der Realität entspricht, und wenn es so ist, geht meine dringende Bitte, vorsichtig formuliert, an die Wirtschaft, die ja nicht unbeteiligt war bei der Entscheidung, diese neue Studienstruktur einzurichten, und die Wert darauf gelegt hat, dass sie auch junge Menschen bekommt mit der Abschlussqualifikation Bachelor. Dann wird sich das Image dieses Abschlusses auch ändern, wenn offensichtlich die Betroffenen sehen, dass sie Akzeptanz auf der Abnehmerseite finden.
Schütte: Reicht das aus, der Appell an die Wirtschaft? Was nützt das dem Bachelor-Absolventen, der sich vergeblich dann um eine Stelle bemüht?
Zöllner: Das ist die Frage, ob es tatsächlich so ist. Es gibt ja auch Studien in Bezug auf den Berufserfolg nach Bachelor. Diese Studie ist, glaube ich, vor einem halben bis dreiviertel Jahr von HIS gemacht worden. Die zeigt, dass die Zufriedenheit der Wirtschaft mit Bachelor-Absolventen ausgesprochen groß war und auch der Erfolg im Beruf groß war und auch die Chancen derjenigen, die mit Bachelor-Abschluss einen Job gefunden haben, sogar größer waren als bei denjenigen mit dem klassischen Abschluss in den Fällen, wo das noch existiert. Ich wäre auch da vorsichtig, ohne dass ich jetzt die Augen davor zumache, dass dort ein Problem sein könnte. Wir brauchen aber auch dort harte Facts. Wirklichkeit besteht ja nicht nur aus der objektiv wahrgenommenen Situation, sondern manchmal auch an der, wie sie transportiert wird. Deswegen sollten wir da vorsichtig sein.
Schütte: Eines hat der Bologna-Prozess jedenfalls nicht erreicht: Die Akademiker an den Hochschulen bleiben gewissermaßen unter sich. Traditionell bildungsfernere Schichten, die bleiben der Uni weiterhin fern. Warum ist das so? Warum hat Bologna dort keine Verbesserung gebracht?
Zöllner: Die Veränderung der Studienstruktur bewirkt ja nicht automatisch auch eine Lösung des Problems des Hochschulzugangs. Aber da gibt es ja parteiübergreifend und auch zwischen den einzelnen Bundesländern einen Konsens, dass wir dieses so weit irgendwie verantwortbar auch für qualifizierte Berufstätige öffnen müssen.
Schütte: Die Hälfte der Studierenden sagt, dass es an den Unis, die sich jetzt auf die neuen Abschlüsse umgestellt haben, nicht mehr so sehr darum geht, eigene Ideen zu entwickeln, sondern eigentlich steht die Lernerei, die Paukerei im Vordergrund. Das müsste Sie eigentlich ein bisschen bedenklich stimmen. Können die Unis keine kritikfähigen jungen Leute mehr ausbilden?
Zöllner: Obwohl es manchmal ungehörig ist, aber manchmal ist es auch passend, mit einer Gegenfrage zu antworten. Die Tatsache ist, dass es schon immer Studiengänge gab, die als Paukerei und Ähnliches charakterisiert wurden, weil das Fakten lernen und Ähnliches eine sehr starke Rolle gespielt hat und auch die Durchorganisation des Studiums in Bezug auf wenig Flexibilität und eigene Entscheidung der Studierenden sehr gering war. Ich nenne nur als Beispiel das Medizinstudium. Das hat niemals dazu geführt zu sagen, dieses ist kein gutes Studium oder dieses ist nicht akademisch. Die jungen Leute wollen auch so schnell wie möglich die Qualifikationen erwerben und sie wollen es gut organisiert bekommen. Das Problem besteht nur darin, dass diejenigen - und darauf müssen wir achten und müssen gucken, dass das nicht verloren geht -, die tatsächlich dann auch interdisziplinär sich über die zwingenden Qualifikationen, die sie für ihren Abschluss brauchen, bilden wollen im wahrsten Sinne des Wortes an den Hochschulen, diese Möglichkeit weiterhin haben. Darauf werde ich mit Nachdruck dringen.
Schütte: Sie sagen, etwa für Medizinstudierende hat sich dort nicht viel geändert. Ganz anders sieht das dagegen bei den Geisteswissenschaften aus. Dort wird geklagt, hier wird die Entfaltung des freien Geistes behindert.
Zöllner: Nein! Ich habe deutlich gemacht, dass nicht ein Studiengang, der gut organisiert ist, wo es zwingende Vorgaben gibt, was man wann machen muss, und wo man sehr viele Fakten lernen muss, automatisch nicht akademisch ist. Natürlich ist in vielen Fällen im geisteswissenschaftlichen Bereich jetzt ein verbindlicherer Studienablauf vorgegeben. Das muss nicht zu weniger akademischer Qualifikation führen.
Schütte: Hochschulen und Bildung ganz allgemein haben die Aufgabe, die Zukunft einer demokratischen Gesellschaft zu sichern. Das sagt die SPD-Kandidatin fürs Präsidentenamt Gesine Schwan, früher Rektorin der Viadrina-Universität in Frankfurt/Oder. Sie will ein Gegenmodell zu einem Bildungsbetrieb, in dem Reformen allzu oft auf die wirtschaftliche Rentabilität abzielen. Das heißt, sie will ein Gegenmodell zu Bachelor und Master.
Zöllner: Das sagen Sie. Mir hat sie es noch nicht gesagt und ich würde engagiert mit ihr diskutieren. Bisher habe ich nicht das Geühl, dass Frau Schwan diese große Richtung nicht teilt. Ich sagte ja ausdrücklich: Wir müssen an Hochschulen auch die Möglichkeit schaffen, dass Studierende über das streng vorgegebene Curriculum hinaus ihren Interessen nachgehen können. Wir brauchen auch selbstverständlich die Ausbildung zum Wissenschaftler. Aber wir brauchen nicht alle jungen Menschen - und die wollen das auch gar nicht - zu Wissenschaftlern auszubilden.
Schütte: Durch das verschulte System, klagen viele Studierende, bleibt ihnen aber gar nicht mehr so viel Zeit, sich neben Seminaren noch an der Uni zu engagieren.
Zöllner: Ich kann Ihnen die Zeiten vorrechnen, die man zu Grunde legt, um ein Bachelor-Studium zu absolvieren. Ich sage Ihnen, ich bin der festen Überzeugung, dass diejenigen, die Interesse haben und die auch dazu in der Lage sind, tatsächlich nebenbei noch etwas zu tun, die Möglichkeit haben.
Schütte: Was ist mit dem Humboldt'schen Bildungsideal, von dem immer die Rede gewesen ist? Wird das nun endgültig geopfert?
Zöllner: Nein. Es wird letzten Endes in unserer Zeit endlich erfüllt, weil Humboldt engagiert für die Gemeinschaft der Lehrenden und Lernenden war, damit es Wissen für die Gesellschaft gibt. Auf diese Art und Weise setzen wir es um. Nicht in einem System, das letzten Endes den Bedürfnissen der Gesellschaft nach hoch qualifiziert ausgebildeten jungen Menschen nicht so effektiv wie möglich nachkommt. Das ist unsere Verpflichtung nach Humboldt.
Schütte: Jürgen Zöllner, Senator für Bildung, Wissenschaft und Forschung in Berlin. Vielen Dank für das Gespräch.
Jürgen Zöllner: Einen schönen guten Morgen!
Schütte: Die Umfragewerte unter Studierenden sind so gut wie nie. Die Hälfte der Studierenden sei zufrieden mit ihren Dozenten. Das ist ein Ergebnis der Studie. Lesen Sie da heraus, dass Bologna, der Bologna-Prozess ein voller Erfolg ist?
Zöllner: Erst einmal freue ich mich über das Ergebnis der Studie. Ich habe die Skepsis in der anfänglichen Diskussion geteilt. Man muss immer abwarten, wie die Sache läuft. Ich bin froh, dass das Ergebnis offensichtlich so gut ist. Es gab ja schon einige Voruntersuchungen, die auch Hinweise darauf gegeben haben. Das heißt nicht, dass es Schwierigkeiten an der einen oder anderen Stelle sicher noch gibt, möglicherweise auch fachspezifisch, aber dass die große Linie sicher bestätigt worden ist.
Schütte: Kleinere Schwierigkeiten, sagen Sie. Es gibt einen interessanten Aspekt in dieser Studie. Auf der einen Seite beurteilen die Studierenden ihre Studiensituation als gut. Auf der anderen Seite hat sich das Ansehen des Bachelor-Abschlusses verschlechtert. Das ist der Abschluss der Studierendenabbrecher, heißt es. Ist das für die weitere Karriere förderlich?
Zöllner: Ich weiß nicht, ob das der Realität entspricht, und wenn es so ist, geht meine dringende Bitte, vorsichtig formuliert, an die Wirtschaft, die ja nicht unbeteiligt war bei der Entscheidung, diese neue Studienstruktur einzurichten, und die Wert darauf gelegt hat, dass sie auch junge Menschen bekommt mit der Abschlussqualifikation Bachelor. Dann wird sich das Image dieses Abschlusses auch ändern, wenn offensichtlich die Betroffenen sehen, dass sie Akzeptanz auf der Abnehmerseite finden.
Schütte: Reicht das aus, der Appell an die Wirtschaft? Was nützt das dem Bachelor-Absolventen, der sich vergeblich dann um eine Stelle bemüht?
Zöllner: Das ist die Frage, ob es tatsächlich so ist. Es gibt ja auch Studien in Bezug auf den Berufserfolg nach Bachelor. Diese Studie ist, glaube ich, vor einem halben bis dreiviertel Jahr von HIS gemacht worden. Die zeigt, dass die Zufriedenheit der Wirtschaft mit Bachelor-Absolventen ausgesprochen groß war und auch der Erfolg im Beruf groß war und auch die Chancen derjenigen, die mit Bachelor-Abschluss einen Job gefunden haben, sogar größer waren als bei denjenigen mit dem klassischen Abschluss in den Fällen, wo das noch existiert. Ich wäre auch da vorsichtig, ohne dass ich jetzt die Augen davor zumache, dass dort ein Problem sein könnte. Wir brauchen aber auch dort harte Facts. Wirklichkeit besteht ja nicht nur aus der objektiv wahrgenommenen Situation, sondern manchmal auch an der, wie sie transportiert wird. Deswegen sollten wir da vorsichtig sein.
Schütte: Eines hat der Bologna-Prozess jedenfalls nicht erreicht: Die Akademiker an den Hochschulen bleiben gewissermaßen unter sich. Traditionell bildungsfernere Schichten, die bleiben der Uni weiterhin fern. Warum ist das so? Warum hat Bologna dort keine Verbesserung gebracht?
Zöllner: Die Veränderung der Studienstruktur bewirkt ja nicht automatisch auch eine Lösung des Problems des Hochschulzugangs. Aber da gibt es ja parteiübergreifend und auch zwischen den einzelnen Bundesländern einen Konsens, dass wir dieses so weit irgendwie verantwortbar auch für qualifizierte Berufstätige öffnen müssen.
Schütte: Die Hälfte der Studierenden sagt, dass es an den Unis, die sich jetzt auf die neuen Abschlüsse umgestellt haben, nicht mehr so sehr darum geht, eigene Ideen zu entwickeln, sondern eigentlich steht die Lernerei, die Paukerei im Vordergrund. Das müsste Sie eigentlich ein bisschen bedenklich stimmen. Können die Unis keine kritikfähigen jungen Leute mehr ausbilden?
Zöllner: Obwohl es manchmal ungehörig ist, aber manchmal ist es auch passend, mit einer Gegenfrage zu antworten. Die Tatsache ist, dass es schon immer Studiengänge gab, die als Paukerei und Ähnliches charakterisiert wurden, weil das Fakten lernen und Ähnliches eine sehr starke Rolle gespielt hat und auch die Durchorganisation des Studiums in Bezug auf wenig Flexibilität und eigene Entscheidung der Studierenden sehr gering war. Ich nenne nur als Beispiel das Medizinstudium. Das hat niemals dazu geführt zu sagen, dieses ist kein gutes Studium oder dieses ist nicht akademisch. Die jungen Leute wollen auch so schnell wie möglich die Qualifikationen erwerben und sie wollen es gut organisiert bekommen. Das Problem besteht nur darin, dass diejenigen - und darauf müssen wir achten und müssen gucken, dass das nicht verloren geht -, die tatsächlich dann auch interdisziplinär sich über die zwingenden Qualifikationen, die sie für ihren Abschluss brauchen, bilden wollen im wahrsten Sinne des Wortes an den Hochschulen, diese Möglichkeit weiterhin haben. Darauf werde ich mit Nachdruck dringen.
Schütte: Sie sagen, etwa für Medizinstudierende hat sich dort nicht viel geändert. Ganz anders sieht das dagegen bei den Geisteswissenschaften aus. Dort wird geklagt, hier wird die Entfaltung des freien Geistes behindert.
Zöllner: Nein! Ich habe deutlich gemacht, dass nicht ein Studiengang, der gut organisiert ist, wo es zwingende Vorgaben gibt, was man wann machen muss, und wo man sehr viele Fakten lernen muss, automatisch nicht akademisch ist. Natürlich ist in vielen Fällen im geisteswissenschaftlichen Bereich jetzt ein verbindlicherer Studienablauf vorgegeben. Das muss nicht zu weniger akademischer Qualifikation führen.
Schütte: Hochschulen und Bildung ganz allgemein haben die Aufgabe, die Zukunft einer demokratischen Gesellschaft zu sichern. Das sagt die SPD-Kandidatin fürs Präsidentenamt Gesine Schwan, früher Rektorin der Viadrina-Universität in Frankfurt/Oder. Sie will ein Gegenmodell zu einem Bildungsbetrieb, in dem Reformen allzu oft auf die wirtschaftliche Rentabilität abzielen. Das heißt, sie will ein Gegenmodell zu Bachelor und Master.
Zöllner: Das sagen Sie. Mir hat sie es noch nicht gesagt und ich würde engagiert mit ihr diskutieren. Bisher habe ich nicht das Geühl, dass Frau Schwan diese große Richtung nicht teilt. Ich sagte ja ausdrücklich: Wir müssen an Hochschulen auch die Möglichkeit schaffen, dass Studierende über das streng vorgegebene Curriculum hinaus ihren Interessen nachgehen können. Wir brauchen auch selbstverständlich die Ausbildung zum Wissenschaftler. Aber wir brauchen nicht alle jungen Menschen - und die wollen das auch gar nicht - zu Wissenschaftlern auszubilden.
Schütte: Durch das verschulte System, klagen viele Studierende, bleibt ihnen aber gar nicht mehr so viel Zeit, sich neben Seminaren noch an der Uni zu engagieren.
Zöllner: Ich kann Ihnen die Zeiten vorrechnen, die man zu Grunde legt, um ein Bachelor-Studium zu absolvieren. Ich sage Ihnen, ich bin der festen Überzeugung, dass diejenigen, die Interesse haben und die auch dazu in der Lage sind, tatsächlich nebenbei noch etwas zu tun, die Möglichkeit haben.
Schütte: Was ist mit dem Humboldt'schen Bildungsideal, von dem immer die Rede gewesen ist? Wird das nun endgültig geopfert?
Zöllner: Nein. Es wird letzten Endes in unserer Zeit endlich erfüllt, weil Humboldt engagiert für die Gemeinschaft der Lehrenden und Lernenden war, damit es Wissen für die Gesellschaft gibt. Auf diese Art und Weise setzen wir es um. Nicht in einem System, das letzten Endes den Bedürfnissen der Gesellschaft nach hoch qualifiziert ausgebildeten jungen Menschen nicht so effektiv wie möglich nachkommt. Das ist unsere Verpflichtung nach Humboldt.
Schütte: Jürgen Zöllner, Senator für Bildung, Wissenschaft und Forschung in Berlin. Vielen Dank für das Gespräch.