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Binninger fordert von USA Aufklärung in NSA-Affäre

Wenn die Vorwürfe der uferlosen Speicherung deutscher Daten durch den US-Geheimdienst NSA zuträfen, wäre das "inakzeptabel", sagt Clemens Binninger (CDU). Gefordert in der Aufklärung sei die amerikanische Seite, so der Innenpolitiker – und warnt vor einer ernsten Vertrauenskrise.

Das Gespräch führte Bettina Klein | 01.07.2013
    Bettina Klein: Die Aufregung hierzulande über neue Einzelheiten der Überwachung durch den US-Geheimdienst NSA also gewaltig. Und was hört man dazu derzeit aus Washington? Nicht sehr viel!
    Am Telefon ist jetzt Clemens Binninger, CDU-Bundestagsabgeordneter, Mitglied im Innenausschuss dort und auch im Parlamentarischen Kontrollgremium für die Geheimdienste. Guten Morgen, Herr Binninger.

    Clemens Binninger: Guten Morgen, Frau Klein.

    Klein: Monat für Monat wird eine halbe Milliarde Kommunikationsdaten in Deutschland gespeichert, manche sagen gestohlen. So rechnet zumindest "Der Spiegel" aus diesen, ihm vorgelegten Dokumenten vor. Kann ein souveräner Staat wie Deutschland das hinnehmen?

    Binninger: Wenn die Vorwürfe zutreffen, dann muss man ganz deutlich sagen, ist diese uferlose Datenspeicherung mit unserem Verständnis von Datenschutz und Rechtsstaatlichkeit nicht vereinbar und das Vorgehen wäre inakzeptabel.

    Klein: Andererseits, das Bundesverfassungsgericht hat ja die Vorratsdatenspeicherung untersagt. Aber Ihre Partei hat sich ja seinerzeit durchaus starkgemacht dafür. Also machen die Amerikaner das, was die CDU eigentlich will?

    Binninger: Frau Klein, vielen Dank für die Frage, weil das ist genau die Gefahr, die ich jetzt sehe, dass Maßnahmen, die in einem ganz engen rechtlichen Korsett nur stattfinden können, wie die Speicherung der Verbindungsdaten – übrigens nicht bei staatlichen Stellen, sondern beim Provider -, jetzt vermischt werden mit diesem uferlosen Abgreifen von Milliarden von Daten offenkundig. Bei der Vorratsdatenspeicherung geht es darum, dass die Daten bei den Unternehmen bleiben, dort, wo sie sowieso anfallen, und der Staat nur unter engen Voraussetzungen, schwere Straftat, richterliche Anordnung, im Verdachtsfall darauf zugreifen kann. Hier haben wir die Situation, wenn die Vorwürfe stimmen, dass staatliche Behörden von vornherein und uferlos alle Daten an Netzknotenpunkten abgegriffen haben und einmal vorsorglich horten. Das ist etwas, glaube ich, in der Dimension ganz anderes.

    Klein: Von Empörung haben wir jetzt eine Menge gehabt. Die Frage bleibt ja: Was ist jetzt eigentlich machbar von deutscher Seite?

    Binninger: Von deutscher Seite ist im Prinzip, was Aufklärung angeht, wenig machbar. Gefordert ist die amerikanische Seite und ich kann da nur hoffen – im Beitrag wurde ja Clapper zitiert, dass er die diplomatischen Kanäle nutzen will -, dass er sich dafür nicht zu lange Zeit lässt, weil jedem muss doch klar sein: mit jedem Tag länger, wo wir als Bundesrepublik Deutschland oder auch andere EU-Partner auf Aufklärung warten müssen, desto mehr wird das Vertrauen erschüttert. Ich kann deshalb nur dringend empfehlen, dass wir sehr schnell Informationen dazu bekommen, was jetzt an diesen Vorwürfen stimmt, was nicht stimmt. Ansonsten wird das eine ernste Vertrauenskrise.

    Klein: Ernste Vertrauenskrise – ich habe vor einer Stunde eine ähnliche Frage an Martin Schulz, den Präsidenten des Europaparlamentes, gerichtet. Ich stelle die Frage auch Ihnen, weil sie im Augenblick eben auch diskutiert wird. Wir stehen am Beginn der Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen mit den Vereinigten Staaten von Amerika. Kann und sollte dieses Abkommen und sollten diese Verhandlungen als Druckmittel benutzt werden, um auch zu einem Datenschutzabkommen zu kommen, oder zumindest zu Klarheit über das, was da eigentlich passiert?

    Binninger: Ich glaube, es wäre in beiden Sachen nicht hilfreich, wenn man die Dinge jetzt miteinander vermischt. Es sind beide Themenfelder anspruchsvoll, beide sind wichtig, beide sind sicher auch nicht einfach. Das jetzt zu vermischen, glaube ich, macht die Lösung sowohl für das Freihandelsabkommen als auch für die Aufklärung in diesem Daten-Ausspäh-Skandal nicht einfacher. Aber eines kann man schon deutlich sagen: Das Verhandlungsklima wird durch diese ganze Sache sicher nicht positiv beeinflusst sein.

    Klein: Und wie würde das Verhandlungsklima beeinflusst, wenn man sich vor Augen führt, dass möglicherweise, wenn diese Berichte stimmen, zum Beispiel die EU-Vertretung in Washington mit Wanzen, also mit Abhöranlagen versehen wurde und man sich dadurch auch strategisch in den Verhandlungen besser präparieren konnte, weil man ja wusste, was die EU vorhat?

    Binninger: Das sind ja Vorgänge, wo man wirklich sagen muss, da fühlt man sich an den Kalten Krieg erinnert, dass im Prinzip Botschaften mit Wanzen ausgestattet werden. Aber da, glaube ich, sollten wir auch bei aller Kritik, die wir üben, einen Moment innehalten und wirklich sagen, wenn diese Vorwürfe zutreffen. Sie müssen ja noch überprüft werden, das gehört mit dazu. Aber wenn so etwas zutreffen sollte, ist da natürlich jede Linie überschritten worden.

    Klein: Aber wenn ich Sie richtig verstehe, dann beklagen Sie auch einen Vertrauensverlust und eine Belastung des transatlantischen Verhältnisses, sagen aber auch, eigentlich kann die Bundesregierung und kann Deutschland da nichts tun?

    Binninger: Nun gut, wir sind nicht für ausländische Nachrichtendienste zuständig.

    Klein: Aber für den Schutz der Daten Ihrer Bürger!

    Binninger: Ja, selbstverständlich! Dafür sind wir zuständig. Deshalb fordern wir Aufklärung ein. Deshalb sagen wir auch, dass solche Überwachungsaktionen nicht in Ordnung sind, auch unserem Verständnis von Datenschutz und Rechtsstaatlichkeit nicht entsprechen. Aber Aufklären können ja nur die, die es gemacht haben, und wir sind im Moment alle – das Thema wabert jetzt ja schon seit drei Wochen und wird immer heftiger – auf immer bruchstückhafte Informationen angewiesen, die dann via Medien an die Öffentlichkeit gelangen. Deshalb wäre es umso dringender, dass die amerikanische Seite sich jetzt dazu äußert und Dinge auch aufklärt oder auch einräumt, je nachdem. Ich kann es nicht beurteilen von hieraus. Aber das muss im Moment ja das vorrangige Ziel sein, egal welcher Partei man angehört in Deutschland, dass man sagt, die amerikanische Seite, die dafür verantwortlich ist, sowohl, wenn es um das Thema EU-Institutionen in Washington und New York geht, aber auch dieses uferlose Abgreifen an Netzknotenpunkten, muss aufklären. Das ist der erste Schritt, vorher brauchen wir eigentlich über nichts Weiteres reden. Wenn wir keine Informationen und Aufklärung haben, ist alles andere müßig zu debattieren.

    Klein: Wie beleidigt, Herr Binninger, dürfen wir aber sein, dass Deutschland als Partner dritter Klasse, so heißt es, eingestuft wird, eine Kategorie also, die aus Geheimdienstsicht angegriffen, sprich: auch überwacht werden kann? Welche politische Dimension hat das aus Ihrer Sicht?

    Binninger: Beleidigt ist jetzt keine Kategorie, in der man, glaube ich, vernünftig Politik machen kann. Aber auch das ist ein Vorgehen, wenn es zutreffen sollte, das das Vertrauen erschüttert. Wir arbeiten ja zusammen im Bereich der Terrorismusbekämpfung. Wir haben ein gemeinsames Anliegen. Nur das, was hier gemacht wird, kann man nicht mehr mit Terrorismusbekämpfung rechtfertigen. Das hat offensichtlich jegliches Maß und Ziel verloren. Und wenn ein Partner, enger Partner, mit dem man ja eigentlich, so hat man den Eindruck, immer gut zusammenarbeitet, in dieser Kategorie eingruppiert wird, wenn das auch sich bewahrheiten sollte, dann erschüttert auch das das Vertrauensverhältnis und belastet natürlich die Arbeit für die Zukunft. Auch solche Dinge müssen erläutert, begründet und ausgeräumt werden.

    Klein: Die Bundeskanzlerin sagt, die Geheimdienste der beiden Staaten, also Deutschlands und der USA, arbeiten gut zusammen. Das bringt uns jetzt auf die Frage BND: Was wusste der deutsche Geheimdienst, was weiß er? Können Sie dazu etwas sagen?

    Binninger: Nach unserem Stand war dazu nichts bekannt und ich bin mir auch sicher, dass das so ist, weil natürlich der amerikanische Geheimdienst sicher nicht offenlegt, mit welchen Methoden er arbeitet oder anderes macht. Da, glaube ich, kann man das als sicher voraussetzen. Aber jetzt ist es Not, dass man darüber Aufklärung erfährt, weil man ansonsten in Zukunft die Zusammenarbeit nur belastet.

    Klein: "Der Spiegel" vermutet ja weiterhin, dass das Parlamentarische Kontrollgremium, dem Sie ja auch angehören, Herr Binninger, in den kommenden Wochen wird untersuchen müssen, wie die Zusammenarbeit zwischen BND und NSA genau aussieht. Werden Sie und wenn ja, können Sie das aufklären?

    Binninger: Wir tagen ja immer geheim, deshalb bitte ich um Verständnis, dass ich aus Inhalten der Sitzungen nicht berichten kann. Aber wir werden uns natürlich mit diesem Thema auch befassen.

    Klein: Haben Sie denn den Eindruck, dass Sie ausreichend Befugnisse haben in Ihrem Gremium, die ja immer wieder beklagt werden, sie seien zu mangelhaft, es gebe zu wenig Personal und man könne eigentlich zu wenig parlamentarische Kontrolle ausüben in diesem Gremium aus diesen strukturellen Fragen? Trifft das zu aus Ihrer Sicht?

    Binninger: Natürlich kann man die Arbeit im Gremium immer noch so oder so organisieren. Das ist schon richtig. Aber in der grundsätzlichen Frage, wenn es um ein sehr spezielles Problem geht, wenn es um ein eng eingrenzbares Thema geht, sind unsere Kontrollbefugnisse, finde ich, schon ausreichend und umfassend, und wir sind da auch in der Lage, uns Aufklärung zu verschaffen, und tun das auch.

    Klein: Aber Sie dürfen zum Beispiel, anders als die parlamentarischen Gremien in den Vereinigten Staaten, keine Geheimdienstleute direkt befragen und direkt zu sich einladen?

    Binninger: Ja gut, das Gesetz zum Parlamentarischen Kontrollgremium, das wir ja reformiert haben, was jetzt auch bei uns wieder in der Überlegung ist, wie man es noch operativ wirksamer gestalten kann, ermöglicht uns, glaube ich, genügend Rechte, auch was das Aufsuchen von Nachrichtendiensten betrifft oder andere Dinge. Da fühle ich jetzt mich nicht mit zu wenig Instrumenten ausgestattet. Man muss sie dann, wenn es notwendig ist, auch anwenden. Da beklage ich jetzt keinen Mangel an Instrumenten.

    Klein: Realistisch betrachtet, Herr Binninger – und das vielleicht noch zum Abschluss: Das Prinzip ist ja offenbar, die Amerikaner spähen alle aus, bis auf die Amerikaner selbst. Die Briten spähen alle aus, bis auf die Briten selbst. Und die Deutschen dürfen auch alle ausspähen, bis auf die Deutschen. Um die Lücken bei den eigenen Leuten zu schließen, braucht es also eine Zusammenarbeit, und müssen wir nicht im Grunde genommen davon ausgehen, dass es die gibt und auch in Zukunft geben wird?

    Binninger: Das hieße ja, dass quasi jeder noch den Job macht, den der andere nicht darf, ...

    Klein: So klingt das!

    Binninger: ... , und damit quasi auch rechtliche Befugnisse eigentlich ausgehöhlt werden. Das halte ich für wirklich den denkbar falschesten Weg. Das, was der BND darf, unterscheidet sich auch von dem, was wir bisher von der amerikanischen Seite hören und lesen müssen, fundamental. Der BND greift auf deutlich kleinere Datenmengen zu, er durchforstet den Verkehr im Netz anhand bestimmter Schlagworte, anhand bestimmter Suchworte. Wenn er so verdächtige Kommunikation identifiziert, wird sie weiter reduziert, und dort, wo am Ende Verdachtsmomente bleiben, da guckt man dann hinein. Das sind dann häufig ganz kleine Zahlen von E-Mail-Verkehren, also überhaupt kein Vergleich, und das ist eben der Unterschied zu dem, was wir jetzt lesen müssen. Wenn ein Geheimdienst von vornherein sagt, ich kriege quasi von allem eine Kopie und lasse die mal eine Zeit lang bei mir liegen, in der Hoffnung, ich finde später was, dann ist das mit unserem Verständnis von Datenschutz und Rechtsstaat nicht vereinbar, und das scheint hier jetzt aufklärungsbedürftig zu sein, wie weit hier die amerikanische Seite gegangen ist.

    Klein: Der CDU-Innenpolitiker Clemens Binninger heute Morgen im Deutschlandfunk. Ich bedanke mich für das Gespräch, Herr Binninger.

    Binninger: Bitte, Frau Klein.

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