Archiv

Biografie "Bowies Bücher"
Ziggy Stardust - ein Bücherwurm

In „Bowies Bücher“ durchsucht der britische Journalist John O’Connell die Lektüreliste des 2016 verstorbenen David Bowie nach autobiografischen Bezügen und Einflüssen. Bowie als Leser kennenzulernen, mache ihn menschlicher, sagte O’Connell im Dlf: „Der Thin White Duke wirkt weniger einschüchternd.“

John O'Connell im Corsogespräch mit Bernd Lechler |
Sänger David Bowie während eines Konzerts in London -
Ein obsessiver Leser: David Bowie ließ sich von Kunst, Filmen und Mode inspirieren, aber auch von Büchern. (imago/Photoshot)
Was das vollkommenste irdische Glück für ihn sei, wurde David Bowie einmal gefragt. Und seine Antwort war erstaunlicherweise nicht: Singen oder Songs schreiben oder auf der Bühne stehen, sondern: Lesen! Drei Jahre vor seinem Tod stellte Bowie eine Liste von 100 Büchern zusammen, die ihn besonders geprägt oder beeinflusst hätten. Eine Liste, in der Jack Kerouac und George Orwell genauso vertreten sind wie Alfred Döblin oder Christa Wolf - und die Lyrik von T.S. Eliot ebenso wie eine Biografie von Little Richard. Diese Liste hat sich der britische Journalist John O‘ Conell vorgenommen und entlang dieser 100 Bücher eine ganz spezielle Bowie-Biografie geschrieben, mit einem Kapitel pro Lieblingsbuch. Erste Frage im Corsogespräch mit John O'Connell: Was war die Idee, was war der Reiz, so ein Buch zu schreiben?
John O’Connell: Der Ursprung der Liste, liegt in der Ausstellung "David Bowie Is", die zuerst 2013 in London gezeigt wurde und dann um die Welt reiste. Die erste Station nach London war Ontario in Kanada, und zur Feier der Eröffnung in Ontario veröffentlichte Bowie diese Liste seiner 100 Lieblingsbücher. Einige der genannten Bücher hatten von Anfang an in der Ausstellung von der Decke gebaumelt - das heißt, man wusste schon irgendwie, dass Bücher zu Bowies Welt gehörten und Teil seiner Kunst waren; aber es war toll, dann diese Auflistung direkt von der Quelle selbst zu bekommen. Die Liste ging auch schnell viral, Leute trafen sich zu Lesesessions, man durchsuchte Bowies Buchliste nach vielsagenden Hinweisen - und das interessierte mich als langjährigen Bowie-Verehrer natürlich auch. Ich bin Bowie-Fan, seit ich elf war. Mich reizte der Gedanke, diese Liste Buch für Buch durchzugehen und herauszufinden, was genau an diesen Büchern für ihn so wichtig war. Ich wollte mich in seinen Kopf hineindenken.
Wie eine Elster
Bernd Lechler: Bowie hat mal gesagt, die Musik anderer Leute höre er vor allem zwecks Inspiration - um selbst auf Ideen zu kommen. War es beim Lesen wohl das Gleiche, wollte er da etwas für sich herausholen?
O’Connell: Das glaube ich tatsächlich, er war da wie eine Elster! Wenn er etwas las, war sein erster Gedanke: Was kann ich davon gebrauchen, was kann ich selbst benutzen. Er hielt ständig Ausschau nach glitzernden Dingen. Ein Buch, das für ihn persönlich besonders wichtig war, heißt "Das Mädchen auf dem Delphin", von dem italienischen Arzt Alberto Denti di Pirajno, der zwischen den 20er und 40er Jahren nach Afrika versetzt wurde, in die italienischen Kolonien. Eine seltsame erotische Fabel, und die erkennen wir nun als Quelle von: "I wish you could swim like the dolphins can swim" - der berühmten Zeile aus "Heroes". Wer hätte das gedacht? Daher stammt diese Zeile also. Und Deshalb hatte Bowie auch ein Tattoo von einem Delfin auf seinem Knöchel. Weil ihm dieses Buch eben so wichtig war. Und Iman, seiner Frau, übrigens auch.
Lechler: Sie empfehlen ja zu jedem Ihrer 100 Kapitel, also zu jedem der Bücher auf Bowies Liste, auch einen seiner Songs. Worin besteht denn, bitte, der Zusammenhang zwischen "Madame Bovary" und "Life On Mars"?
Impressionistisch, nicht immer konkret
O’Connell: Das war mit das Schwierigste beim Schreiben des Buchs, immer einen Song zu finden! Aber mir gefiel die Idee. In diesem Fall war es die Langeweile der Vorstadt, die Buch und Song gemeinsam haben. "Madame Bovary" ist das ultimative literarische Werk darüber, wie öde es in der Provinz sein kann für jemanden, der mehr vom Leben will. Genau davon handelt meines Erachtens "Life On Mars", und deswegen besteht zwischen den beiden Kunstwerken so eine Art magisches Einverständnis. Die Zusammenhänge sind nicht immer ganz direkt, in manchen Fällen sind sie eher "impressionistisch", nicht ganz kornkret greifbar.
Lechler: Bei welchem Buch würden Sie sagen: "Typisch Bowie, das passt zu ihm"?
O’Connell: Ich finde, " The Waste Land" von T.S. Eliot ist bezeichnend. Er interessierte sich ja sehr für die Kunst des 20. Jahrhunderts, für den Modernismus. Und diese Vorstellung von der Welt als einem "Haufen zerbrochener Bilder", wie es bei Eliot heißt, der Gedanke, dass man Kunst aus Fragmenten machen kann, aus Zeug, das herumliegt, das gefiel ihm, so hat er selbst Musik gemacht, und "The Waste Land" - ist das prototypische Gedicht dafür, es hat ihn stark beeinflusst. Oder auch die Beat-Autoren auf der Liste. "On The Road" war ein ungemein prägendes Buch für David Bowie, das hatte ihm sein Halbbruder Terry geschenkt, als er noch ein Teenager war. Die Idee des Beatnik-Lebens, der lebensgierigen Menschen, die bei Kerouac "brennen wie fantastische gelbe Wunderkerzen" - das hatte ihn schwer beeindruckt und das blieb ihm auch.
Das Corsogespräch mit John O'Connell – hören Sie hier das englischer Originalversion
Lechler: Solche Listen - Lieblingsbücher oder Inselplatten - die dienen ja oft auch der Imagepflege. Gerade bei einem Selbstdarsteller wie David Bowie, dem geheimnisvollen Chamäleon. Glauben Sie, die Liste ist ehrlich?
O’Connell: Sie ist wohl beides. Sie ist einerseits durchaus ehrlich, er hat diese Bücher wirklich gelesen, und manche von ihnen sind ja so persönlich, die hätten sonst auf so einer Liste nichts verloren. Besonders die seiner Kindheit, etwa "Billy der Lügner" von Keith Waterhouse. Andererseits hatte er bestimmt im Blick, wie die Liste insgesamt wirkt. Ich glaube, sie hat auch etwas von einem Spiel. Sie ist klar strukturiert. Bowie wird sich schon gedacht haben, dass Leute wie ich drauf einsteigen und versuchen würden, ihm auf die Schliche zu kommen. Von daher hat er sozusagen einige "Bananenschalen, auf denen man ausrutschen kann" eingebaut. Ich habe mich manchmal gefühlt wie auf der Jagd nach einem Phantom, als wäre ich in einem Labyrinth gefangen. Und ich glaube, das war Absicht. Bowie spielt da ein Spiel mit seinen Fans.
Lechler: Mich fasziniert ja auch die Vorstellung, dass er sich zeitweilig wohl wirklich in einer Limousine mit eingebautem Bücherregal herumfahren ließ, oder dass er einen Koffer voller Bücher mit auf Tour nahm. War da auch Angeberei dabei?
Eine mobile Bibliothek
O’Connell: Vielleicht! Es stimmt, er führte so eine Bibliothek mit sich, eine große Kiste, die gebaut war wie solche Kisten für Gitarrenverstärker, mit Platz für Tausende von Büchern. Das war schon ein bisschen exaltiert, als ob er allen zeigen wollte, was für ein Bücherwurm er ist. Aber er las ja wirklich viel. Bekanntlich hatte er seine portable Bibliothek auch bei den Dreharbeiten zu "The Man Who Fell To Earth" in New Mexico dabei - und die anderen Schauspieler haben erzählt, dass er sich in den Drehpausen meist in seinen kleinen Wohnwagen verzog, zu seinen Büchern. Also, es war nicht nur Show, er hat diese Bücher gelesen.
Lechler: Und als Sie nach Ihrer Analyse aus dem "Labyrinth" wieder herauskamen: Verstehen Sie David Bowie jetzt besser?
O’Connell: Ja, tatsächlich! Es hat ihn mir menschlicher gemacht, dreidimensionaler. Was nicht heißen soll, die Liste wäre eine Art Autobiografie, das ist sie nicht; Bowie war sich sehr wohl dessen bewusst, was Literaturkritiker "das biografische Problem" nennen - die Liste enhält sogar eines der besten Bücher dazu, nämlich "Flauberts Papagei" von Julian Barnes. Aber auf mich wirkt David Bowie seither nicht mehr so streng. Er hat sich ja phasenweise ganz bewusst als dieser sehr kalte, gnadenlose, leicht unmenschliche Charakter präsentiert. Der "Thin White Duke" wirkt weniger einschüchternd, wenn man ihn sich vorstellt, wie er Keith Waterhouse liest.
Ein besserer Mensch durch Literatur
Lechler: Bowie hat ja überhaupt den Ruf eines freundlichen, loyalen, empathischen Menschen - trotz Ego, trotz Weltruhm oder auch Kokainsucht. Und Sie sagen sogar, das liege nicht zuletzt an den Büchern. Dass das Lesen ihn zu einem besseren Menschen gemacht habe. Wie kommen Sie darauf?
O’Connell: Naja, es ist vielleicht ein bisschen altmodisch, aber ich glaube, wenn man es richtig anstellt, macht uns das Lesen zu besseren Menschen, einfach, weil es das Bewusstsein erweitert, weil man lernt, die anderen besser zu verstehen, und wenn man andere besser versteht, dann ist man ein besserer Mensch, das ist die Wurzel aller Moral. Und ich glaube, Bowie verstand das auch. Ich fand auffällig, wie nach seinem Tod kaum jemand ein schlechtes Wort über ihn verlor. Das erleben wir ja oft, wenn ein so berühmter Mensch stirbt, dass sich Leute melden und erzählen, was er ihnen alles angetan hat. Aber so etwas gab es in seinem Fall überhaupt nicht, stattdessen diese globale Welle der Trauer, die sehr aufrichtig wirkte - und auch Würdigungen von Wegbegleitern, wie ich sie noch nie gelesen hatte. Von Leuten, die mit ihm gearbeitet hatten, auch Helfer und Angestellte, die er wohl immer gut behandelt hatte und die ihn sehr schätzten. Das ist schon bemerkenswert, dass jemand von seinem Kaliber solche Reaktionen auslöst.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
John O’Connell: "Bowies Bücher", Kiepenheuer & Witsch, Berlin 2020, 324 Seiten, 16 Euro.