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Biografien
Von der Leyen hoch 2

Vor zehn Jahren trat Ursula von der Leyen auf die bundespolitische Bühne, als Familienministerin, eine Alleskönnerin mit sieben Kindern. Jetzt ist sie Verteidigungsministerin, als erste Frau überhaupt in diesem Amt, und längst ist sie als mögliche Kanzlerin im Gespräch. Gleich zwei Biografien beleuchten nun ihre Person.

Von Stephan Detjen | 09.03.2015
    Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) während der Bundestagssitzung in Berlin zur Attraktivitätssteigerung der Bundeswehr.
    Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) während der Bundestagssitzung in Berlin zur Attraktivitätssteigerung der Bundeswehr. (picture alliance / dpa / Sören Stache)
    Wenn sich vier Hauptstadtjournalisten in zwei Teams auf den Weg machen, Bücher über Ursula von der Leyen zu schreiben, kommt Wettbewerb ins Spiel. Es geht schließlich, darin sind sich alle einig, um die künftige Kanzlerin. Der Titel, der zu vergeben war, lautete: erste Biografie der Merkel-Nachfolgerin. Das Rennen aber ging unentschieden aus. Beide Autorenpaare haben die Ziellinie zum Buchhandel nahezu zeitgleich überquert.
    Zweite Wettkampfdisziplin im Hauptstadtjournalismus: Wer kommt am dichtesten ran ans Objekt der Beschreibung? Wer kann den intimsten Einblick in Denken, Leben und Streben der Politikerin vermitteln? Da könnte man schon eher eine klare Siegerin bestimmen. Ein reportierendes Ich - wer der beiden Autoren das ist, wird nicht ganz klar - hat es am Anfang von Peter Dausends und Elisabeth Niejahrs "Operation Röschen" jedenfalls bis an den heimischen Küchentisch der von der Leyens geschafft. Natürlich wuseln im Hintergrund überall Kinder herum oder fläzen auf dem Sofa. Zwischendrin müssen Telefonate geführt werden, mit dem Kanzleramt, dem Verteidigungsministerium und der "Bild"-Zeitung.
    "Irgendwann am Nachmittag hat die Verteidigungsministerin für ihren Sprecher und mich Nudeln gekocht, weil alles so lange dauerte. Sie selbst wärmt sich Pastinaken aus dem Kühlschrank auf."
    Elisabeth Niejahr - offenbar war sie es, die in den Genuss der von der Leyen'schen Schnellküche kam – begleitet die Karriere der heutigen Verteidigungsministerin seit rund zehn Jahren für die "Zeit". Und sie hat sich dabei immer recht wohl in der Nähe der Politikerin gefühlt:
    "Man kann auch sehr, also relativ intensive Gespräche über ihr Leben oder auch offene Gespräche führen, wo sie vielleicht mal Sachen sagt, die sie jetzt nicht jederzeit ins Mikrofon sagen würde. Das macht es eigentlich auch einfacher, über das Leben oder ihre Machtstrategien oder so zu recherchieren."
    Ganz anders ging es der Autorin der zweiten von-der-Leyen-Biografie, Ulrike Demmer, die gemeinsam mit ihrem Kollegen Daniel Goffart vom "Focus" die Annäherung an die "Kanzlerin der Reserve" – so der Titel ihres Buches - sucht:
    "Sie ist sehr distanziert, man braucht lange, rauszufinden: Wer ist sie denn wirklich?"
    Unterschiedlicher Stil der beiden Biografien
    Diese Unsicherheit bezeichnet den Unterschied zwischen beiden Büchern. Dausend und Niejahr haben im eleganten Duktus eines langen "Zeit"-Dossiers eine Biografie und Analyse von der Leyens vorgelegt, die von Sympathie, zuweilen Bewunderung und am Ende Hoffnung auf einen politischen Stilwechsel nach Merkel geprägt ist. Das Buch von Demmer und Goffart dagegen geht im Stil konventioneller, im Urteil erheblich kritischer mit der Ministerin ins Gericht: Von "heißer Luft" ist da die Rede, von der "Populistin Ursula von der Leyen", "subtil, aber mindestens ebenso wohlfeil" inszenierten "Allerweltsweisheiten" und von einer "Gier nach Schlagzeilen".
    "Vor so viel Chuzpe kann man manchmal nur den Hut ziehen", finden Demmer und Goffart. Selbst gekochte Nudeln in Beindorf gibt es dafür natürlich nicht. Ganz im Gegenteil. Als Demmer und Goffart die Kolleginnen und Kollegen der Hauptstadtpresse vergangenen Donnerstag zur Buchvorstellung einluden, terminierte von der Leyen just für dieselbe Uhrzeit ein Pressegespräch im Verteidigungsministerium.
    "Ich weiß, dass sie das Buch gelesen hat", grinst Autorin Demmer. Am nächsten Vormittag saß die Ministerin zum Interview im Hauptstadtstudio des Deutschlandfunks und gab sich arglos:
    "Ich sollte diese Bücher – das werde ich auch im Sommer sicherlich tun – lesen, aber ich kann jetzt nicht über etwas urteilen, was ich tatsächlich noch nicht kenne."
    Hat sie das Buch nun gelesen oder nicht? Wollte von der Leyen mit dem Pressetermin im eigenen Haus die Aufmerksamkeit von einem unliebsamen Buch ablenken, das bei der Präsentation auch noch von einem ihrer schärfsten Kritiker, dem ehemaligen Generalsinspekteur Harald Kujat, vorgestellt wurde?
    Solche Fragen, die unter Berliner Journalisten dieser Tage kursierten, berühren genau den Aspekt des Phänomens von der Leyen, an dem sich beide Bücher gleichermaßen intensiv und Gewinn bringend abarbeiten. Was ist blendend inszenierter Schein, was politisches Sein, wenn es um Ursula von der Leyen geht?
    Arrangierte Perfektion?
    Demmer und Goffart sprechen von "regierungsamtlicher Eigenwerbung" und "krasser Medienbeeinflussung", die auch vor "massiven Einschüchterungsversuchen" durch von der Leyens Pressesprecher nicht zurückschrecke. Niejahr und Dausend reflektieren in klugen Zwischenbetrachtungen über die Kunst politischer Inszenierungen das eigene Hin- und Hergerissensein zwischen ihrer Faszination und dem immer wieder aufkeimenden Verdacht, einer raffinierten Vereinnahmungsstrategie auf den Leim zu gehen. Ihr Buch, das am von der Leyen'schen Küchentisch beginnt, endet im Amtszimmer der Ministerin im Berliner Bendler-Block. Wieder schaut sich ein reportierendes Ich - nun ist es offenbar Peter Dausend - um - und findet alles mit der beiläufigen Perfektion arrangiert vor, wie es das zuvor in einem amüsanten Gedankenspiel in der Rolle des Spin-Doctors inszeniert hätte: das krabbelnde Kleinkind des Adjutanten auf dem Boden, die internationale Fachliteratur auf dem Schreibtisch, die Wochenzeitung, für die der Besucher schreibt, dezent aber schmeichelhaft sichtbar aus der Handtasche herausragend.
    Bücher wie diese beiden Biografien sind immer auch eine Wette auf die Zukunft. Sie geht auf, wenn von der Leyen einmal Kanzlerin wird. In der Mitte der nächsten Legislaturperiode könnte es soweit sein. Darin sind sich alle vier Autoren einig. Einer von ihnen, Daniel Goffart, hat sich schon einmal auf eine solche publizistische Wette eingelassen. Sein letztes Buch war eine Biografie Peer Steinbrücks. Sie erschien, kurz bevor die SPD den früheren Finanzminister zum Kanzlerkandidaten kürte. Auch Steinbrück selbst übrigens hat ein Buch geschrieben, das dieser Tage in die Buchhandlungen kommt. Es ist eine Auseinandersetzung mit den Selbsttäuschungen und Illusionen, die auf der anderen Seite des Spielfeldes von Politik und Medien entstehen können. Die Akteure wechseln. Das Spiel aber bleibt in Bewegung. Seine Regeln sind schwer durchschaubar. Wer sie entschlüsseln will, kommt mit Büchern wie den beiden Biografien Ursula von der Leyens einen guten Schritt voran.
    Buchinfos:
    Ulrike Demmer/ Daniel Goffart: "Kanzlerin der Reserve. Der Aufstieg der Ursula von der Leyen", Berlin Verlag, 240 Seiten, Preis: 19,99 Euro, ISBN: 978-3-827-01276-0
    Peter Dausend/ Elisabeth Niejahr: "Operation Röschen. Das System von der Leyen", Campus Verlag, 240 Seiten, Preis: 19,99 Euro, ISBN: 978-3-593-50224-3