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Biologie
Soziale Spinnen mit Persönlichkeit

Die meisten Spinnen sind Einzelkämpfer: Gesellschaft suchen sie nur zur Paarung, und das kann für Männchen tödlich enden. Doch es gibt Ausnahmen: Soziale Spinnen, die in Kolonien zusammenleben, gemeinsam jagen und den Nachwuchs großziehen. Eine Forscherin hat jetzt an ihnen getestet, ob das Zusammenleben ähnlich wie beim Menschen den Charakter formt.

Von Katrin Zöfel | 26.03.2014
    Eine kleine Spinne sitzt im Netz und wartet auf Beute. Plötzlich ein Luftzug, der sich anfühlt, als wäre ein Vogel im Anflug. Eine mögliche Bedrohung für die Spinne
    "Die Spinnen ziehen dann schnell all ihre Beine ein, machen sich ganz klein und bewegen sich überhaupt nicht mehr. Manchmal rutschen sie so sogar am Netz entlang in Sicherheit, nur weg von der Gefahr."
    Der Luftzug, der die Spinne erschrickt, kommt im Experiment nicht von einem Vogel, sondern aus einem kleinen Blasebalg, sagt die Biologin Kate Laskowski.
    "Wir haben dann gemessen, wie lang die Spinnen brauchen, bis sie sich aus der Erstarrung wieder lösen, also wie schnell sie sich einer möglichen Gefahr wieder ohne Schutz stellen."
    Je schneller das geht, so die Interpretation, desto "mutiger" die Spinne. - Eigentlich erforscht Kate Laskowski am Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei in Berlin individuelle Verhaltensunterschiede von Stichlingen. Aber für die Frage, die sie hier beschäftigte, schienen ihr die Spinnen namens Stegodyphus mimosarum besser geeignet.
    "Das sind soziale Spinnen aus Südafrika. Sie leben zusammen in Kolonien von bis zu tausend Tieren, weit oben in Bäumen oder Sträuchern. Das hat für sie viele Vorteile: Sie können zum Beispiel Beute überwältigen, für die sie alleine viel zu klein wären."
    Spinnenleben in der Kolonie
    Die Tiere bauen zusammen am Netz, verteidigen die Kolonie gemeinsam, und sorgen für den Nachwuchs. Solange die Kolonie nicht gestört wird, bleiben die Tiere zusammen, eine stabile Gemeinschaft also. Für Laskowskis Frage geradezu ideal: Sie wollte wissen, ob sich das individuelle Verhalten von Tieren mit der Zeit verändert, wenn sie lange in einer festen Gruppe aus jeweils sechs Tieren leben. Die Antwort:
    "Je mehr Zeit die Tiere im Labor miteinander in einem Nest verbracht hatten, nämlich zwei, drei oder vier Wochen, umso deutlicher wurden die Unterschiede untereinander."
    Mutige Spinnen, die sich also im Experiment schneller aus der Erstarrung lösten, wurden mit der Zeit immer mutiger, vorsichtigere Tiere wurden immer vorsichtiger. Dieser Effekt wurde umso stärker, je besser die Spinnen ihre Koloniekollegen kannten. Das gleiche Ergebnis ergab sich, als die Forscher den Spinnen mit einem Stück Papier vorgaukelten, ein Insekt hätte sich im Netz verfangen. Die Spinnen, die schnell zur Beute liefen, wurden dabei mit der Zeit immer entschlossener. Die Spinnen, die zu Anfang lange zögerten, blieben mit der Zeit gleich ganz in der sicheren Höhle sitzen.
    "Daran sieht man eigentlich, dass wir Menschen gar nicht mal so einzigartig sind. Wenn wir unser Verhalten durch eine Gruppe prägen lassen, und uns vielleicht beklagen, dass uns andere auf bestimmte Rollen festlegen, dann folgen wir dabei Regeln, die sich im Laufe von Millionen von Jahren entwickelt haben. Was für uns gilt, gilt auch für diese Spinnen."
    Im Fachjargon nennt die Forscherin das Phänomen soziale Einnischung, und die habe durchaus Vorteile. Eine Spinne, die besonders mutig sei, könne die Kolonie schließlich besonders gut gegen Feinde verteidigen oder Beute überwältigen. Die weniger Mutigen dagegen könnten ihre Kräfte schonen, wenn sie im hinteren, höhlenartigen Teil des Netzbaus zurückbleiben und dort andere, weniger aufreibende, aber wichtige Aufgaben übernehmen.