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Biowärme unterwegs

Energie.- Ob Pellets oder Biogas: Erneuerbare Energieträger haben bei der häuslichen Wärmeversorgung längst Einzug gehalten. Das wohl größte Potenzial für Heizwärme ist aber nach wie vor ungenutzt: industrielle Abwärme. Diese ließe sich auch günstig in die Wohnzimmer bringen - auf Rädern.

Von Karl Urban | 24.09.2012
    Mitten im Odenwald, hinter Hollerbach, Waldhausen und Buchen liegen kleine Waldstücke und üppige Getreidefelder. Dazwischen: das Gelände der Abfallwirtschaftsgesellschaft des Neckar-Odenwaldkreises. Müll fällt hier auf dem Land viel an: Sägewerke liefern Holzreste, Bauern regelmäßig ihre Ernteabfälle. Daraus ökologischen Strom zu gewinnen, liegt für den kommunalen Betrieb deshalb nahe. Doch die ländliche Lage macht dem Geschäftsführer der Gesellschaft, Bernd Kaufmann, auch Probleme. Den Strom kann er von hier noch problemlos ins Netz einspeisen – aber sein Kraftwerk erzeugt auch viel Wärme.

    "Das Altholz-Heizkraftwerk hat eine elektrische Leistung von etwa 6,5 Megawatt. Das bedeutet, dass hier zeitgleich auch ungefähr zehn bis 15 Megawatt thermisch anfallen, die ungenutzt in die Atmosphäre abgegeben werden müssen."

    Diese Heizwärme den Anwohnern zu verkaufen, lohnte sich auf dem Land bisher kaum - Fernwärmenetze kosten viel Geld. Deshalb begann das Team von Bernd Kaufmann weiterzudenken.

    "Wir haben neben den klassischen Verwertungsmöglichkeiten auch exotische Verwertungsmöglichkeiten geprüft. Das geht hin bis zur Fischzucht mit Aquakulturen, über entsprechende Gemüsekulturen."

    Und am Ende blieb eine Idee: Die Abwärme des Altholzkraftwerks einfach auf die Straße zu schicken. In einen Wärmespeicher, der in einen gewöhnlichen Lastwagen passt:

    "Das ist die – neudeutsch – Docking-Station. Die Wärme kommt ja von hinten, aus diesem braunen Bereich vom Biomasse-Heizkraftwerk, ist hier in der Erde verlegt. In den Schläuchen läuft warmes Wasser und das wird genutzt, um hier diesen Speicher aufzuladen."

    Der Lkw-Fahrer schließt zwei armdicke Schläuche am Heck an, dann strömt erhitztes Wasser in seinen Laderaum. Wärmetauscher übertragen hier die Energie auf einen zweiten Stoff: Das Salz Natriumacetat. Es ist im erkalteten Zustand fest wie Kochsalz. Auf 58 Grad erhitzt, wird es langsam flüssig und nimmt dabei viel Energie auf. Diese latente Wärmeenergie ist das Geheimnis des mobilen Speichers. Wechselt das Natriumacetat seinen Aggregatzustand von fest nach flüssig, kann das Salz Wärme aufnehmen, ohne dass dabei die Temperatur steigt. Und nach dem Laden geht diese Wärmeenergie direkt auf den Weg zum Kunden.

    Rund 15 Kilometer entfernt hält der Fahrer seinen Ausweis vor eine Kontrollkamera. Das Tor der Nibelungenkaserne in Walldürn öffnet sich und der Lkw schlängelt sich um Panzersperren herum. Die Bundeswehr war bereit, sich auf die neuartige Wärmeversorgung auf Rädern einzulassen – im Testbetrieb unter strengen Bedingungen: Die Soldaten müssen jederzeit mit ausreichender Heizwärme versorgt sein. Deshalb wird derzeit nur einer von mehreren Heizkreisläufen der Kaserne mit Wärme aus dem Lkw versorgt. Den Rest erledigt zur Sicherheit weiterhin ein Gasbrenner.

    Doch schon auf der Straße sollte es sicher zugehen, weit vor den Toren der Kaserne.

    "Wir fahren selbstverständlich mit den Transporten über die Straße. Wir fahren hier durch unsere wunderschöne Landschaft und da müssen wir natürlich sicher sein, dass das ungefährliche Materialien sind, die transportiert werden. Natriumacetat ist ein Stoff, der beispielsweise auch zur Konservierung von Lebensmitteln eingesetzt wird: Also absolut unbedenklich."

    Ob sich der Transport auch finanziell lohnt, muss das Pilotprojekt in den nächsten zwei Jahren beweisen. Jeder Lkw kann in etwa so viel Wärme speichern, wie in 250 Litern Heizöl stecken. Wirklich viel ist das nicht: Ein voller Tankwagen mit Heizöl liefert 40 Mal mehr Energie. Besonders im Winter müssen die Lkw dadurch mehrmals täglich zwischen Altholzkraftwerk und Kaserne pendeln. Doch ökologisch scheint sich das zu lohnen: Der Dieselverbrauch der Lkw schlägt nur minimal zu Buche. Der CO2-Ausstoß der Kaserne dagegen sinkt deutlich.