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Bis 67 am Fließband

Das Thema "Demografischer Wandel" - ein abstrakter Begriff für das Gros der deutschen Wirtschaft. Bis 67 vollbeschäftigt arbeiten zu müssen, daran denkt kaum jemand. Nicht in den Personalabteilungen und nicht an den Arbeitsplätzen - eine Spurensuche.

Von Susanne Lettenbauer |
    "Meine Damen und Herren. Wir haben heute im Kabinett den Bericht der Bundesregierung zur Anhebung der Regelaltersgrenze auf 67 beraten und auch darüber abgestimmt."

    17. November 2010. Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen, CDU, erklärt die Rente mit 67 für beschlossen. Ab dem kommenden Jahr erhöht sich das gesetzliche Renteneintrittsalter in Deutschland Schritt für Schritt: Wer heute 47 Jahre alt ist - oder jünger - wird bis zum 67. Lebensjahr arbeiten müssen, um Anspruch auf den "vollen Rentensatz" zu haben, so der Bericht der Bundesarbeitsministerin. Im Schnitt fast vier Jahre länger als heute.
    In der Praxis sieht das dann oft so aus: Noch immer gehen viele Arbeitnehmer ab 59 Jahren wie selbstverständlich in die traditionelle sogenannte "verblockte Altersteilzeit", drei Jahre voll arbeiten mit Lohnabschlag, dann drei Jahre gar nicht arbeiten bei gleicher Lohnfortzahlung. Stellt sich also die Frage: Wie kann alters- und alternsgerechtes Arbeiten bis 67 in Zukunft gestaltet werden? Die Antwort der Wirtschaft ist gespalten.

    "Also mein Name ist Michael Lugauer. Ich arbeite seit 22 Jahren bei der BMW in Landshut. Bei mir werden die zwei Gelenkwellenhälften zu einer ganzen Gelenkwelle verbunden."

    Michael Lugauer arbeitet beim bayerischen Autobauer am Fließband. Seine Tätigkeit wiederholt sich im 46-Sekunden-Takt: Mit der einen Hand nimmt der 42-jährige Mann im blauen Arbeitsanzug eine schwere Gelenkhälfte vom Band, dreht sich kurz um, läuft zur nächsten Maschine, steckt die Stahlröhre ein und drückt einen Knopf.
    Während die Maschine arbeitet, steht Lugauer auf Laminatpaneelen, die auf dem Hallenboden verlegt wurden. Dieser federnde Untergrund hilft dabei, die Gelenke des Arbeiters zu schonen. Lugauer macht damit seit etwa einem Jahr gute Erfahrungen.

    "Der Betonboden ist extrem starr und extrem hart, wenn man den ganzen Tag geht und der Laminatboden, der federt, da ist unten so eine Trittschalldämmung, das ist extrem gelenkschonend. Das merkt man hundertprozentig. Also das merkt man schon, wenn man den ganzen Tag so acht, neun Tonnen rumschleppen muss, dann merkt man das schon gewaltig."

    Michael Lugauer gehört zu denen, die erst mit 67 Anspruch auf den "vollen Rentensatz" haben. Würde er mit 63 Jahren die Arbeit beenden, müsste er ein Minus von 14,4 Prozent hinnehmen – für den langjährigen Fließbandarbeiter kein Pappenstil.

    Aufgrund des demografischen Wandels in Deutschland prognostiziert das Bundeswirtschaftsministerium für das Jahr 2020 einen Fachkräftemangel von rund 1,5 Millionen Arbeitskräften. Dieser Mangel ist eine Chance für ältere Mitarbeiter. 41 Prozent der über 60-Jährigen sind laut Bundesarbeitsministerium heute in Vollbeschäftigung – mehr als doppelt so viel wie noch im Jahr 2000. Das sei auch eine Folge der Demografieprojekte, mit denen vor allem in Großunternehmen die bestehende Belegschaft gezielt umworben wird, um der Firma länger als Arbeitskraft erhalten zu bleiben. Deutschlandweit sind seit 2004 gut 200 solcher Projekte angelaufen.

    Das langfristig angelegte Demografieprojekt der BMW AG trägt den Titel "Heute für morgen". Es soll die Belegschaften an allen deutschen Standorten fit machen für eine längere Lebensarbeitszeit. An Ideen tüftelten BMW-Wissenschaftler gut fünf Jahre lang. Heraus kamen nicht nur ergonomische Arbeitsplätze, sondern auch geänderte Arbeitszeiten, leistungsbezogene Bezahlung und mehr Mitspracherechte der Belegschaft. In der Gelenkwellenhalle des Werks Landshut mit 200 Mitarbeitern wird getestet, wie ein Arbeitsplatz in sechs Jahren aussehen könnte. Neben neuen Schuhen und Fußböden gehört inzwischen auch ein neues Rotationsprinzip zum Alltag. Die Mitarbeiter wechseln mehrmals täglich am Fließband ihren Standort. Gruppensprecher Alexander Fraunberger war bei der Projektentwicklung dabei. Es ging vor allem darum ...

    "...dass der Mitarbeiter nicht mehr komplette acht Stunden an einer Maschine steht, sondern die rotieren eigentlich alle zwei Stunden immer eine Maschine weiter. Dadurch habe ich eine Entlastung, weil jede Maschine macht einen anderen Arbeitsbereich, Handlingsbereich, da haben wir da wieder einen Ausgleich."

    Nur wenige Gehminuten von der Fertigungshalle entfernt hat der Autokonzern einen sogenannten Aktivraum eingerichtet. Eine Treppe hoch, den Gang entlang.
    Johann Wenzel, 60 Jahre alt, ist Meister der Fertigung Gelenkwelle. Er arbeitet nicht mehr jeden Tag an der Maschine; Rückenbeschwerden oder Knieschmerzen kennt er. Ihm kommt deshalb der neue Aktivraum gerade recht:

    "Selbstverständlich. Unsere Physiotherapeutin war da mit allen drin, auch mit den Meistern. Da haben wir ein paar Übungen bekommen, dass man dieses Gerät auch benutzen kann und sich wirklich fit hält."

    Hometrainer oder andere Fitnessgeräte gibt es hier nicht. An der Decke hängt stattdessen ein spezielles Trainingsgerät, der "TherapiMaster" - von der hauseigenen Physiotherapeutin empfohlen. Das sind elastische Seile, die durch Rollen laufen.

    Der stämmige Meister nimmt die Gurte, schwingt ein paar Mal vor und zurück:

    "Jeder hat am Anfang ein bisschen gelächelt, wie das eingeführt wurde, aber wie sie dann gesehen haben, wie die Physiotherapeutin sie da unterstützt, und dass die Übungen sinnvoll sind, was bringen, seit dieser Zeit haben wir kein Lächeln mehr. Ja, ich mach das, die Übungen sind top."

    Eine Tür weiter, neben dem Aktivraum, herrscht eine für das Autowerk ungewöhnliche Stille: der Passivraum. Darin drei Ruhesessel, zwei Liegematten, an der Wand eine Fototapete, die Buddha zeigt, und Palmen. Vor einigen Monaten fuhren die Mitarbeiter in einen Baumarkt, kauften Pinsel und gestalteten den Raum nach ihren eigenen Vorstellungen. Hierher können sich die Fließbandarbeiter zurückziehen, um zur Ruhe zu kommen. Hallenleiter Maximilian Haug:

    "Die Mitarbeiter nehmen es gerne an, lesen ein Buch, die können hier ruhen, entspannen sich, der wird schon sehr gut angenommen. Wir haben sogar muslimische Mitkollegen, die beten hier auch. Das ist auch o. k. für die Kollegen, die akzeptieren das auch. Auch wenn es nicht explizit ein Gebetsraum ist, aber wenn wir ihn schon haben, dann haben wir gesagt, macht es."

    Wieder zurück in die Fertigungshalle. Drei Männer, um die 40 Jahre alt, stehen vor Pappkartonmodellen. Daneben ein Nachbau des Gebäudes aus bunten Legosteinen. Bis Ende des Jahres muss die gesamte Anlage für neue Automodelle umgerüstet werden. Eine willkommene Gelegenheit, um sie auch fürs alternsgerechte Arbeiten einzurichten. Bevor neue Maschinen bestellt werden, diskutiert die Belegschaft, wie sie mithilfe veränderter Arbeitsabläufe entlastet werden kann. Thomas Feldmaier ist einer der Planer. Er zeigt auf ein Pappkartonmodell, das eine Maschine darstellt, und probiert die künftigen Handgriffe aus:

    "Das ist natürlich ein wesentlicher Bestandteil, was wir hier machen. Das heißt, wir schauen im Vorfeld in der Simulation nach den Arbeitshöhen, Greifhöhen, Gewichten, die zu tragen sind, Hebeeinrichtungen, Arbeitsabläufe der Mitarbeiter. Das simulieren wir alles durch, nach bestem Wissen und Gewissen mit den Physiotherapeuten zusammen, wie wir den Arbeitsplatz so gestalten können, um das dem Hersteller widerspiegeln zu können: Du, wir brauchen das so und so, damit wir einen ergonomischen Arbeitsplatz gewährleisten können."

    Die BMW AG meint es ernst: Kürzlich wurde im Nachbarwerk Dingolfing in Niederbayern eine komplett alternsgerechte Fertigungshalle für die Achsgetriebe-Montage eröffnet. Der Autobauer ließ sich den Bau nach eigenen Angaben rund 20 Millionen Euro kosten.

    Hauseigene Demografiebeauftragte, wie sie in vielen Großkonzernen beschäftigt werden, können sich kleine und mittelständische Betriebe in der Regel nicht leisten. Sie können auf die Erfahrung von Demografielotsen zurückgreifen – gegen projektbezogene Bezahlung.


    In Kempten im Regierungsbezirk Schwaben arbeitet der Demografielotse Fredrik Littschwager. Der gelernte Unternehmensberater hat vor gut drei Jahren an der "Initiative Neue Qualität der Arbeit", kurz: INQA, teilgenommen, einer Gemeinschaftsinitiative aus Bund, Ländern, Sozialpartnern, Sozialversicherungsträgern, Stiftungen und Unternehmen mit Sitz in Dortmund. Dort ließ er sich in einem bundesgeförderten Projekt zum "Demografielotsen" weiterbilden. Nach Auslaufen des Programms hat ein Dortmunder Verein die Fortbildungsidee übernommen. Bislang wurden gut 400 Altersexperten geschult. Die Kosten für die Zusatzausbildung tragen entweder die künftigen Demografielotsen oder die entsendende Firma. Littschwager gibt Unternehmen Ideen an die Hand, wie sie den demografischen Wandel ihrer Belegschaft gestalten können. Der 31-Jährige kennt die Vorbehalte in den Chefetagen:

    "Die Unternehmen reagieren sehr gemischt. Es gibt die einen, die sagen, ja stimmt, da passiert tatsächlich etwas. Da muss man was tun. Die stellen dann sogar Leute ab, um ganz konkret was zu tun. Machen ein bisschen Gesundheit und ein bisschen Ergonomie und sind dann glücklich. Damit haben sie das Thema aber lange noch nicht getroffen. Weil es natürlich nicht nur darum geht, die Menschen körperlich fit zu halten, sondern eben auch den Arbeitswillen, die Motivation aufrecht zu halten - über das gesamte Erwerbsleben."

    Andere Firmen winken ab, haben kein Geld, keine Zeit. Demografielotse Littschwager greift dann zu praktischen Argumenten, um skeptische Führungskräfte und Mitarbeiter vom Sinn eines betrieblichen Demografieprojekts zu überzeugen. Ein Instrument, das ihm dabei hilft, ist der "Alterssimulationsanzug", der aus der Entwicklung seniorengerechter Produkte stammt:

    "Das ist ein Anzug, in dem junge Mitarbeiter erfahren können, wie man sich mit 70 Jahren fühlt und die ganzen physiologischen Einschränkungen erlebt. Das heißt, eine Brille mit Gelbstich verringert die Sehfähigkeit und nimmt auch die Kontraste weg. Wir haben einen speziellen Hörschutz, der die Hochtonschwerhörigkeit simuliert. Handschuhe, die innen drin ein wenig piksen, das heißt, wenn man etwas anlangt, dann tut das weh. Eine sehr schwere Gewichtsweste, die Fehlhaltungen simuliert. Auf diese Art und Weise können in diesem Anzug, wie es sich anfühlt, 70 zu sein."

    Bei der Entwicklung von Demografieprojekten legt Fredrik Littschwager besonderes Augenmerk auf eine, wie er es nennt, "wertschätzende Unternehmenskultur". Dazu gehöre, den Mitarbeitern zu zeigen, dass sie unverzichtbar seien. So lassen sich seiner Erfahrung nach immer häufiger auftretende psychische Probleme und Burn-Out-Symptome vermeiden.

    "Das gehört dazu, weil alternsgerechtes Arbeiten auch dafür sorgen muss, dass ältere Mitarbeiter sich wohlfühlen und auch arbeiten wollen, und das tun sie nur, wenn sie sich wertgeschätzt fühlen. Wenn man ihnen nicht das Gefühl gibt, sie gehören zum alten Eisen, sie sind teure Altlasten, sondern sie sind Mitarbeiter, die einen unglaublichen Schatz an Erfahrungen haben, und diesen Erfahrungsschatz gilt es, aus ganz betriebswirtschaftlichen, ökonomischen Gründen zu sichern und zu konservieren."

    Die Personalpolitik eines Unternehmens muss sich künftig stärker an Lebensphasen orientieren, meint der Demografielotse. Zum Beispiel können junge Mitarbeiter bis 30 Jahre an körperlich anstrengenden Arbeitsplätzen eingesetzt werden. Zwischen dem 30. und 40. Lebensjahr, der sogenannten Familienphase, sind flexiblere Arbeitszeiten wünschenswert. Beschäftigte zwischen 40 und 50 Jahren können dann wieder mehr Zeit in ihre Karriere investieren, weil sie die Familie nicht mehr so stark bindet. Später schließlich profitiert die Firma vom Wissen ihrer erfahrenen Mitarbeiter ab Mitte 50. Littschwager rät zu altersgemischten Teams. Die Gruppe könne von der Neugier und Kreativität der jungen Kollegen einerseits und der Erfahrung der Älteren andererseits profitieren.

    Der Berater ist sicher: Der demografische Wandel, eine älter werdende Gesellschaft, verlange nach mehr "Generalisten", also Mitarbeitern, die unterschiedliche Tätigkeiten ausführen und sich schnell in neue Arbeitsprozesse einarbeiten könnten. Der Spezialist, das glaubt er, sei dagegen ein Auslaufmodell.

    Gebrochene Berufsbiografien sollten als Chance und nicht als Manko verstanden werden, sagt Götz Richter von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin. Er sitzt auch im Vorstand des Demografie-Netzwerks, kurz DDN, einem Zusammenschluss von rund 200 Firmen, die gemeinsam die Herausforderungen einer älter werdenden Arbeitswelt bewältigen wollen. Richter veröffentlichte kürzlich gemeinsam mit dem Marktforschungsinstitut Prognos eine Studie zu Demografieprojekten in Deutschland. Daraus entwickelte er einen Katalog an Ratschlägen vor allem für Mittelständler:

    "Denn in einem kleinen Unternehmen, das hat keine Antenne für das abstrakte Thema demografischer Wandel, aber es hat vielleicht ein, zwei oder drei Beschäftigte, die an irgendeiner Stelle gesundheitlich angeschlagen sind, die ein Kompetenzdefizit haben und wo das Unternehmen plötzlich feststellt, aha, die Rahmenbedingungen haben sich durch den demografischen Wandel verändert, die Beschäftigten wollen und müssen länger an Bord bleiben. In dieser Situation müssen wir da sein, und dann müssen wir den kleinen und mittleren Unternehmen mit unseren Projekten etwas anbieten."

    An der Beratung von Firmen beteiligt sich auch die Deutsche Rentenversicherung – aus ureigenem Interesse. Ihr Demografieprojekt heißt: GeniAL - Generationsmanagement im Arbeitsleben. Es läuft Ende März aus. Verantwortlich ist Heribert Förster in Augsburg:

    "Ja, das ist richtig, liegt natürlich auch im Interesse der Rentenversicherung, nicht des Trägers, sondern der Rentenversicherung überhaupt, einfach die Nachhaltigkeit der Finanzierbarkeit der Rentensysteme. Dem müssen wir uns stellen. Natürlich sind wir daran interessiert, dass die Versicherten später in Rente gehen, ihren Rentenanspruch später realisieren - das hat einen Einspareffekt - und bis zum Erreichen des Renteneintrittsalters auch als Beitragszahler zur Finanzierung der jetzigen Renten mit dabei sind."

    Förster will auch nach dem Ende von "GeniAL" die Betriebe der Region langfristig beraten – unentgeltlich. Er weiß um den Kostendruck in mittelständischen Unternehmen. Die meisten, sagt er, sähen den demografischen Wandel als ein Problem der Zukunft – und nähmen ihn oft nicht ernst genug.

    Den Betrieben steht also eine Vielzahl von Projekten und Beratern zur Verfügung, von denen sie sich beim Umgang mit älteren Arbeitnehmern helfen lassen könnten. Doch sie tun es nicht. Diese Entwicklung der vergangenen zehn Jahre bewertet Ernst Kistler kritisch. Er ist Leiter des Internationalen Instituts für Empirische Sozialökonomie, kurz INIFES, mit Sitz bei Augsburg. Der Demografieforscher gehört der Zukunftskommission der bayerischen Staatsregierung an und berät die baden-württembergische Landesregierung in Bildungsfragen:

    "Also zunächst erstmal ist es erstmal wichtig, solche Best-Practice-Modelle zu fahren und zu sagen, so ginge es, so könnte man die Ressourcen Älterer nutzen und heben und die Leute gesund erhalten, Weiterbildung und so weiter. Diese Modelle sind wichtig. Aber letztlich darauf zu vertrauen, dass die Betriebe das selbst machen, oder dass der demografische Wandel zu einem Umkippen der Arbeitsmarktbilanz führt und die Menschen dadurch mehr Chancen hätten, ist eine Illusion. Wenn, dann muss ich die Betriebe zwingen, etwas zu tun."

    Ein weiteres Beispiel sind Kistler zufolge die Subventionen aus der Initiative der Bundesagentur für Arbeit mit dem umständlichen Namen "Weiterbildung Geringqualifizierter und -beschäftigter älterer Arbeitnehmer in Unternehmen", kurz "WeGebAU". Die Förderung gibt es seit dem Jahr 2006 für die Schulung über 50-Jähriger. Gerade acht Prozent der Betriebe hätten diesen Finanzzuschuss für Lehrgangskosten in Anspruch genommen, sagt der Wissenschaftler.

    "Ich würde der Politik empfehlen, dass die Unternehmen, die sich störrisch weiter weigern, so etwas zu tun, oder die das Problem nicht wahrnehmen wollen, auch langsam, aber sicher sanktioniert werden."

    Dieser Vorschlag stößt in Berlin auf wenig Gegenliebe. Der Staatssekretär im Bundesarbeitsministerium, Ralf Brauksiepe, wehrt sich gegen eine staatliche Sanktionierung der Firmen, die keine Maßnahmen zur Abfederung des demografischen Wandels ergreifen:

    "Es ist Aufgabe der Politik, an dieser Stelle gute Beispiele zu präsentieren, publik zu machen. Es geht hier nicht um Strafandrohung aus meiner Sicht, sondern es geht darum, gute Beispiele auch überall bekannt zu machen, damit man da voneinander lernen kann."

    Forscher Ernst Kistler hält dagegen. Demografieprojekte dienten noch überwiegend dem Image großer Firmen – und seien zudem abhängig von der Kassenlage. Sollte die Konjunktur wieder einbrechen, fielen solche Initiativen als erste dem Rotstift zum Opfer:

    "Wir wissen, dass zwischen 2002 und 2008 der Anteil der Betriebe in Deutschland, die Maßnahmen in diesem Sinne für Ältere machen, von 20 auf 17 Prozent gesunken ist, trotz der zunehmenden Demografieprojekte. Die Erklärung ist ganz einfach. Sobald es den Unternehmen an den Geldbeutel geht, schwindet das Interesse sehr rasch. Wir haben immer noch zu viele Arbeitskräfte, die draußen vor der Tür stehen."

    In 18 Jahren greift die Rente mit 67 endgültig für alle Arbeitnehmer. Eine lange Zeit, meint ein Großteil der deutschen Firmen. Sie warten ab. Langfristige Demografieprojekte wie beim bayerischen Autobauer BMW gehören zur Ausnahme. Das Thema "Demografischer Wandel" - ein abstrakter Begriff für das Gros der deutschen Wirtschaft. Bis 67 vollbeschäftigt arbeiten zu müssen, daran denkt kaum jemand. Nicht in den Personalabteilungen und nicht an den Arbeitsplätzen.