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Bischof Bedford-Strohm
EKD-Chef: Pegida ist "unerträglich"

Der Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Heinrich Bedford-Strohm, kritisiert die Pegida-Proteste deutlich. Im "Interview der Woche" des Deutschlandfunks bekräftigt er zudem sein Nein zu organisierter Sterbehilfe – und erklärt, warum die Reformation auch Anlass zu Trauer ist.

Heinrich Bedford-Strohm im Gespräch mit Matthias Gierth | 28.12.2014
    Der evangelische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm spricht am 05.08.2014 in München (Bayern) mit Journalisten der Deutschen Presse-Agentur. Als Landesbischof in Bayern ist Bedford-Strohm ein Kandidat für die Nachfolge des Ratsvorsitzenden Schneider, der sein Amt wegen der Krebserkrankung seiner Frau abgibt.
    Der evangelische Landesbischof von Bayern, Heinrich Bedford-Strohm, ist seit November 2014 auch EKD-Ratschef (picture alliance / dpa / Nicolas Armer)
    Matthias Gierth: Herr Landesbischof Bedford-Strohm, wir stehen am Ende des Jahres 2014, das Jahr, in dem Sie gerade zum obersten Repräsentanten der mehr als 23 Millionen deutschen Protestanten gewählt worden sind. Ein Jahr, das – wenn man auf die weltpolitische Situation blickt – von enormen kriegerischen Auseinandersetzungen geprägt gewesen ist. Sie selbst haben mindestens zwei Konfliktherde besucht. Sie waren im September im Nordirak, um sich von der Lage der Christen ein Bild zu machen, und einen Monat später waren Sie in Israel und in Palästina. Mit welchen Eindrücken sind Sie zurückgekehrt?
    Heinrich Bedford-Strohm: Ja, es hat mich natürlich schon traurig gemacht, die Situation vor Ort zu sehen. Insbesondere im Nordirak habe ich mit vielen Flüchtlingen gesprochen. Ich war in den Flüchtlingslagern. Ich habe gesehen, unter welchen Umständen sie dort untergebracht sind – zum Teil in Rohbauten, zum Teil einfach auf den Böden von Gemeindesälen oder eben in Zelten, wo zum Teil noch nicht mal Toiletten waren. Also das ist mir schon sehr nahe gegangen. Gleichzeitig habe ich natürlich auch vor Ort viel Hilfsbereitschaft gesehen. Das hat mich sehr beeindruckt, wie Menschen in solch schwierigen Situationen eben doch einander beistehen. Man muss natürlich sagen, dass insgesamt die Gewalt etwas ist, was schon deprimierend ist und was einen leicht die Hoffnung verlieren lassen kann. Und die Tatsache, dass ich trotzdem die Hoffnung behalte, ist natürlich meinem Glauben geschuldet und zum anderen aber auch ist die Hoffnung für mich da durch die Menschen, die ich erlebt habe, die eben die Gewalt durchbrechen.
    Gierth: Wie schnell geraten trotzdem eigene friedensethische Überzeugungen an ihre Grenzen, wenn man die Grausamkeit und Brutalität ansieht, mit der beispielsweise im Nordirak und in Syrien verfolgt, gedemütigt und gemordet wird?
    Bedford-Strohm: Das Problem ist nicht, dass meine friedensethischen Überzeugungen an die Grenzen geraten wären, sondern das Problem ist, dass es einfach eine sehr komplizierte Situation ist. Ich habe auch vorher schon gesagt, dass es Situationen geben kann, Situationen der Bedrohung durch Völkermord, wo notfalls auch das Mittel militärischer Gewalt angewandt werden muss – ohne dass man je diesem Mittel irgendwie die Lösung von Problemen zutraut, sondern es kann immer nur um unmittelbaren Schutz gehen. Das heißt auf der anderen Seite ganz klar, dass man die Schuld, die mit der Anwendung von Gewalt verbunden ist, nie wegreden darf. Es ist ein Dilemma, aber man kann dieses Dilemma weder in die eine noch in die andere Richtung einfach auflösen.
    Gierth: Das heißt aber, der Aufruf Jesu zur Gewaltlosigkeit gilt nicht absolut?
    Bedford-Strohm: Er gilt! Der Aufruf Jesu zur Gewaltlosigkeit gilt. Deswegen, sage ich, ist die Anwendung von Gewalt immer mit Schuld verbunden. Umgekehrt gilt aber auch, Menschen schutzlos der Ermordung preiszugeben, auch nicht im Sinne des Evangeliums ist. Deswegen kann das auch keine Option sein. Deswegen sind wir hier wirklich in einem echten Dilemma.
    "Es ist unerträglich, wenn Menschen gegen noch Schwächere auf die Straße gehen"
    Gierth: Die Gewalt in Syrien und im Nordirak hat zu zahlreichen Flüchtlingen geführt. Viele davon sind bereits nach Deutschland gekommen, andere werden im nächsten Jahr kommen. Die derzeitigen Pegida-Demonstrationen zeigen, dass Fremdenfeindlichkeit und Ressentiments gegen Flüchtlinge offensichtlich bis weit in bürgerliche Kreise hinein verbreitet sind. Wie soll man mit diesen Protestbewegungen umgehen?
    Bedford-Strohm: Ja, natürlich macht mir das auch große Sorge. Und ich denke, es reicht gleichzeitig nicht aus, einfach nur dagegen zu schießen. Natürlich muss man sich klar davon absetzen, man muss es natürlich klar verurteilen. Es ist unerträglich, wenn Menschen da auf die Straße gehen gegen noch Schwächere, aber wir müssen natürlich auch überlegen, wie können wir diesen Mensch klarmachen, dass die Angst, aus der heraus sie offensichtlich da auf die Straße gehen, eben nicht berechtigt ist. Wie können wir es schaffen, dass wir mit Flüchtlingen Begegnungsräume schaffen, dass Menschen wirklich Flüchtlinge kennenlernen. Das ist aus meiner Sicht der vielversprechendste Weg, dass man solche Konfrontationen überwindet. Und deswegen, glaube ich, müssen wir ganz klar Flagge zeigen gegen Fremdenfeindlichkeit, natürlich auch gegen Rechtsradikalismus, aber wir müssen gleichzeitig versuchen Wege zu finden, um die Ängste, die hinter solchen Demonstrationen stehen, zu überwinden.
    Gierth: Inwieweit ist es eigentlich problematisch, wenn die Kirche sich allzu sehr in politische und – ja – auch tagespolitische Debatten da mit einmischt?
    Bedford-Strohm: Die Kirche darf natürlich keine Parteipolitik betreiben. Und sie darf auch nicht zu allem und jedem ihren Kommentar abgeben, sondern sie muss ganz genau abwägen, an welcher Stelle es richtig, wichtig und auch notwendig ist, vom Glauben her zu einer Sache etwas zu sagen. Aus meiner Sicht ist es völlig klar, dass die Kirche sich gar nicht aus der Politik heraushalten kann, denn im Zentrum des christlichen Glaubens steht das Doppelgebot der Liebe: Gott lieben und den Nächsten lieben. Und wer das wirklich ernst nimmt, der will natürlich, dass die Not der anderen überwunden wird. Viele der Probleme, die Not verursachen, haben eben politische Dimensionen, und deswegen müssen wir uns dafür interessieren. Wir sind nicht die besseren Politiker, aber wir können schon moralische Grundorientierungen geben.
    Aktive Sterbehilfe "ist der falsche Weg"
    Gierth: Sie haben sogleich nach Ihrer Wahl angekündigt, die Evangelische Kirche würde sich in die großen ethischen Debatten des Jahres 2015 einbringen. Dazu gehört ganz sicherlich die Diskussion um die Sterbehilfe. Die EKD hat ihr Nein zur organisierten Sterbehilfe und zum ärztlich assoziierten Suizid zuletzt noch einmal bekräftigt. Warum?
    Bedford-Strohm: Zunächst einmal muss man natürlich diese schwierigen Leidsituationen am Lebensende sehr genau wahrnehmen und auch sich nahegehen lassen, sich anrühren lassen von den wirklich schwierigen Leidsituationen, die hinter diesen Problemen stecken. Jetzt ist die Frage: Welche Antwort geben wir darauf? Meine Antwort ist ganz klar, dass wir die Menschen am Lebensende gut begleiten, dass wir alles, was an medizinischen Möglichkeiten da ist, nutzen, damit sie keine Schmerzen haben, dass wir die Pflege so organisieren, dass da wirklich Menschen sind, die Zeit haben. Und alle Erfahrung zeigt, dass dann, wenn diese Bedingungen wirklich gegeben sind, die Menschen gar nicht mehr den Wunsch haben, sich selbst das Leben zu nehmen oder sich töten zu lassen. Und deswegen muss zunächst einmal unsere ganze Energie darauf gerichtet sein, dass wir endlich all die Möglichkeiten nutzen, die ja schon zur Verfügung stehen.
    Gierth: Trotzdem spricht aber aus so gut wie allen Umfragen der Wunsch der Deutschen, das eigene Leben selbst bestimmt zu führen und auch beenden zu können. Warum erreicht die evangelische Kirche die Gesellschaft mit ihren Positionen offensichtlich hier nur noch so schwer?
    Bedford-Strohm: Selbstbestimmung ist ja völlig richtig. Selbstbestimmung muss natürlich ein ganz wesentliches Element sein. Menschen können nicht dazu gezwungen werden, dass zum Beispiel lebensverlängernde Maschinen angestellt bleiben. Das ist auch die geltende Gesetzeslage. Worum es jetzt bei der Debatte geht ist, ob wir mit Gewalt Leben beenden. Und "mit Gewalt", das heißt, dass wir aktiv andere Menschen töten oder dass wir selbst uns töten mit der Hilfe anderer Menschen. Darum geht es. Und da sage ich: Es ist der falsche Weg, um mit diesen Situationen am Lebensende umzugehen. Denn es hat seine guten Gründe, dass wir eine intuitive Tötungshemmung haben. Und alle Erfahrung zeigt, dass wenn Menschen gut informiert werden über die Möglichkeiten beim Sterben begleitet zu werden und die Schmerzen am Ende zu lindern, dass sie dann auch andere Antworten geben bei diesen Umfragen. Im Übrigen richte ich meine Überzeugung nicht nach der Mehrheit der Meinungen, sondern nach dem, was ich für richtig halte. Und wo das der Meinung anderer widerspricht, da muss man diskutieren.
    Der neue EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm.
    Heinrich Bedford-Strohm wurde am 30. März 1960 in Memmingen (Allgäu) geboren. Seit 2011 ist der Theologie-Professor evangelischer Landesbischof in Bayern. Im November 2014 folgte er auf Nikolaus Schneider als Vorsitzender des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland. Promoviert wurde der Sozialethiker 1992 bei seinem Vorvorgänger Wolfgang Huber, der den EKD-Ratsvorsitz von 2003 bis 2009 innehatte. Bedford-Strohm ist mit einer US-Amerikanerin verheiratet und hat drei Söhne.
    Gierth: Trotzdem weisen Mediziner ja darauf hin, dass mit Palliativmedizin – das haben Sie vorhin als Stichwort genannt – zwar in vielen Fällen geholfen werden kann, trotzdem gibt es Situationen, in denen Schmerzlinderung eben nicht mehr erreicht werden kann. Wo liegen die Grenzen einer normativen Ethik, die allgemeingültige Aussagen für alle treffen will?
    Bedford-Strohm: Das ist in der Tat eine sehr wichtige Frage, dass es solche Grenzen gibt. Ich glaube auch, dass es solche Grenzen gibt. Deswegen glaube ich auch nicht, dass man alles und jedes gesetzlich regeln sollte. Ich halte es für richtig, dass man öffentlich gemachte Angebote der Hilfe zur Selbsttötung oder gar zur aktiven Sterbehilfe, dass man das verbietet. Dass sozusagen das "sich Töten lassen" eine normale, öffentlich angebotene Option wird, die auch gesetzlich erlaubt ist – das möchte ich nicht. Ich möchte nicht, dass irgendjemand sagt: 'Der Opa hat sich doch getötet mit der Hilfe eines Arztes oder einer anderen Person, die Tante hat es auch gemacht, warum sollte ich es nicht tun, wenn ich doch allen anderen doch nur zur Last falle.' Ich möchte nicht, dass irgendjemand in diesem Land oder irgendwo auf der Welt sich dafür rechtfertigen muss, dass er noch leben will. Das ist mal das Allerwichtigste. Wenn es dann Grenzsituationen am Lebensende gibt, wo wirklich alle Möglichkeiten der Linderung ausfallen, dann muss unter Wahrung dieses Tötungstabus natürlich der Arzt seinem Gewissen folgen. Und zum Beispiel, wenn er Medikamente gibt, die den Schmerz lindern, die aber dazu führen, dass der Patient früher stirbt, dann kann er aus Gewissensgründen das dann auch wirklich tun.
    Gierth: Aber schiebt man damit nicht dem Arzt den Schwarzen Peter zu?
    Bedford-Strohm: Das ist immer eine Sache, die zwischen den Angehörigen, dem Patienten und dem Arzt läuft. Und da müssen schlicht und einfach vertrauensvolle Beziehungen da sein, und die Menschen müssen ethisch verantwortlich mit diesen Situationen umgehen. Und ich glaube, die Ärzte in Deutschland gehen verantwortlich mit dieser Situation um. Deswegen glaube ich nicht, dass es eine neue Regelung für Ärzte braucht, die die Ärzte strafrechtlich jetzt hier irgendwie festnageln wollen, sondern die haben in den Standesordnungen hier klare Maßregeln, dass die Hilfe zur Tötung nicht zu den Aufgaben eines Arztes gehört. Und innerhalb dieser Rahmenbedingungen, glaube ich, gehen Ärzte sehr verantwortlich mit diesen Grenzsituationen am Lebensende um. Deswegen halte ich auch nichts von Gesetzentwürfen die sagen: Ärztliche Suizidbeihilfe soll verboten sein, aber dann – in bestimmten, genau festgelegten Optionen – gibt es dann doch die Möglichkeit, diese ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen, sozusagen auf Rezept die Hilfe zur Selbsttötung zu bekommen. Davon halte ich nichts. Weil es ist eben keine normale Option, sondern es ist immer – wenn Menschen sich das Leben nehmen – eine Verzweiflungstat und ein Ausweg, der nie öffentlich abgesegnet werden kann.
    "Haben hier ein hohes Niveau der Sterbehilfe-Debatte"
    Gierth: Trotzdem könnte ja diese Zulassung des ärztlich assistierten Suizids mehrheitsfähig sein im Deutschen Bundestag, wenn man die bisherigen Debatten dazu betrachtet, auch die jüngste Orientierungsdebatte. Was würde es für Deutschland bedeuten, wenn der Lebensschutz an dieser Stelle aufgeweicht wird?
    Bedford-Strohm: Also ich bin kein Freund von Alarmismus-Theorien. Ich glaube, dass diese Debatte, wie wir sie jetzt führen, in sich schon ein Riesenwert ist. Ich glaube, wir haben ein hohes Niveau der Debatte hier in Deutschland. Wer sich die Bundestagsdebatte angeschaut hat, die verschiedenen Redebeiträge, der hat sehr deutlich sehen können, dass die Politiker, die da für die eine oder andere Option geredet haben, alle miteinander ein sehr starkes Gefühl für die Verantwortung für das Leben hatten, also wirklich verantwortlich mit dem Lebensschutz umgegangen sind. Wir haben hier in Deutschland keine nennenswerte Gruppe, die die Regelung, wie wir sie in Belgien oder in den Niederlanden haben, einführen möchte, nämlich die aktive Sterbehilfe, also dass Menschen wirklich von Ärzten oder anderen getötet werden dürfen. In Belgien ist im letzten Jahr die Zahl derer, die das in Anspruch genommen haben, um 27 Prozent gestiegen. Das möchte ich nicht. Und ich bin sehr froh, dass wir in Deutschland auch keine Diskussion um die aktive Sterbehilfe, also die Tötung auf Verlangen haben. Das zeigt mir, dass wir hier ein hohes Bewusstsein für den Wert des Lebens haben. Und deswegen, egal wie die Entscheidung am Ende ausgeht, glaube ich, geschieht sie im Kontext einer sehr verantwortlichen Diskussion.
    Gierth: Herr Landesbischof, Sie stehen zunächst bis zur Neuwahl des kompletten Rates im November 2015 an der EKD-Spitze. Es gibt aber gute Gründe zur Annahme, dass Sie kein Übergangsvorsitzender sind, sondern auch danach dieses Amt innehaben werden. Und damit ist der Blick auch auf das große Reformationsjubiläum 2017 gerichtet. Was planen Sie, was plant die EKD konkret für dieses Gedenkjahr?
    Bedford-Strohm: Also ganz unabhängig davon, wer im Herbst 2015 zum Ratsvorsitzenden gewählt wird, ist natürlich in dem Jahr, für das ich jetzt gewählt bin, das Reformationsjubiläum oder das Reformationsgedenken – wie ich gerne auch sagen kann – eine sehr wichtige Sache. Es fallen viele Entscheidungen, es werden jetzt Einladungen ausgesprochen für die Ereignisse, die da stattfinden sollen. Natürlich wird es an dem Eröffnungstag des Jubiläumsjahres, am 31. Oktober 2016, und dann am Ende des Jahres, am 31. Oktober 2017, ganz besondere Festakte und Gottesdienste geben, aber dazwischen haben wir natürlich auch sehr viel vor. In Wittenberg wird viel passieren, da wird ein großes Jugendcamp stattfinden, ein Konfi-Camp, wo 1.500 Jugendliche in Schichten sozusagen über mehrere Monate sich zusammenfinden. Es wird eine Weltausstellung der Reformation geben, wo Kirchen und Gemeinden aus aller Welt etwas darstellen von dem, wie sie die Reformation in der heutigen Zeit leben. Es wird einen Europäischen Stationen-Weg geben, wo bestimmte Städte in ganz Europa – die sich jetzt schon beworben haben und zum Teil schon den Zuschlag bekommen haben – sich präsentieren können in ihrer Stadt, sodass die Reformation sozusagen in Europa unterwegs ist. Wir werden auch Einiges ökumenisch zusammen machen. Einen großen ökumenischen Bußgottesdienst, Bußgottesdienste überall im Land, wo wir auch gedenken wollen all des Schlimmen, was aus der Kirchenspaltung erwachsen ist, dunkle Seiten dieses Kapitels, denen wir auch offen ins Gesicht schauen wollen.
    "Die Kirchenspaltung ist auch ein Grund zur Trauer"
    Gierth: Das wollte ich Sie gerade fragen: Kann man wirklich ein Ereignis wie die Kirchenspaltung feiern, die ja eben – Sie sagen es – zu Konfessionskriegen mit unzähligen Toten geführt hat?
    Bedford-Strohm: Es ist beides. Es ist ein Feiern, es ist ein Jubiläum, aber es ist sicher auch ein Gedenken von etwas, was alles andere als gut war. Natürlich kann auch die katholische Kirche feiern, denn die Reformation hat auch die katholische Kirche verändert. In Reaktion auf die Reformation hat auch die katholische Kirche sich erneuert. Und darüber kann man sich nur freuen, und darüber freuen sich Katholiken genauso wie Protestanten. Also insofern, glaube ich, können Katholiken auch mal Martin Luther als jemanden sehen, der wichtige Impulse gegeben hat. Das ist das eine, und umgekehrt kann ich auch als Protestant problemlos sagen, dass die Kirchenspaltung auch ein Grund zur Trauer ist. Die Kriege, die daraus entstanden sind, die Intoleranz, die zwischen den Konfessionen lange Zeit geübt worden ist – all das ist nichts worauf wir stolz sein können. Auch wir selbst als Protestanten, wir sehen bei Martin Luther auch dunkle Seiten, etwa sein Antijudaismus, wüste Reden, die er am Lebensende über die Juden gehalten hat. Das ist Anlass zur Scham. Das wollen wir auch bedenken und darüber wollen wir auch reden. Es soll kein Heldengedenken werden im Hinblick auf Martin Luther, sondern es soll ein großes Christusfest in ökumenischer Perspektive werden.
    Gierth: Zuletzt hatte ja ein etwa hundertseitiger EKD-Grundlagentext zum reformatorischen Selbstverständnis zu heftigen ökumenischen Irritationen geführt. Wie beurteilen Sie den Stand des evangelisch-katholischen Dialogs in Deutschland nach diesen Irritationen?
    Bedford-Strohm: Der ist sehr gut, denn diese Irritationen, die sind aus meiner Sicht ausgeräumt. Die hatten damit zu tun, dass in dieser Schrift bestimmte wichtige ökumenische Dialogdokumente, die von Kommissionen erarbeitet worden sind und vom Lutherischen Weltbund und vom Vatikan unterzeichnet worden sind und die ja auch tatsächlich sehr wichtig sind, nicht explizit erwähnt worden sind, sondern nur implizit. Es ist auch in dem Papier die Rede von den ökumenischen Fortschritten, den ökumenischen Dialogen, die da freudig registriert werden, aber sie sind eben nicht im Einzelnen genannt worden. Und es hat gerade Menschen, die in der Ökumene engagiert sind und die auch an diesen Dingen beteiligt waren, traurig gemacht und sie haben ihre Trauer zum Ausdruck gebracht, dass diese Dinge eben in dem Papier nicht vorkommen. Wir lernen daraus, dass wir diese Dokumente auch deutlicher beim Namen nennen. Aber ich will auch ganz deutlich sagen, dass es völlig legitim ist, wenn wir als evangelische Kirche eine Schrift machen, die einfach unser evangelisches Verständnis von Reformation und von Rechtfertigungslehre versucht den Menschen zu erklären. Der Charakter dieses Dokuments ist einfach anders als ein ökumenisches Dialogdokument, wo man sehr stark beide Seiten immer abwägt. Ich glaube, beides hat sein Recht. Und das ist, glaube ich, jetzt auch ausgeräumt, diese Irritation. Wir haben seitdem viele Gespräche gehabt, und wir haben ein sehr deutliches Zeichen auch bekommen und sehr deutlich auch gehört, dass Katholiken mitfeiern wollen und dieses Jubiläum mit begehen wollen. Und wir haben eben auch schon ganz konkrete Pläne dazu. Also insofern, mein Eindruck ist, dass der Stand der ökumenischen Bemühungen, auch um das Jahr 2017, sehr gut ist. Wir wollen alle miteinander dieses Jubiläum als ein großes Christusfest feiern, genauso wie Martin Luther selber es gewollt hätte. Denn er wollte ja mit seiner Reformation neu auf Christus hinweisen. Er wollte ja nicht konfessionalistisch sein, sondern er wollte neu auf Christus hinweisen. Und genau das ist unsere Aufgabe heute und zwar als Kirchen aller Konfessionen.
    "Die Weitergabe des Glaubenswissen an die junge Generation ist akut gefährdet"
    Gierth: Die evangelische Kirche hat – wie auch die Katholische – inzwischen mit großen Akzeptanzproblemen in der Gesellschaft zu kämpfen. Die Zukunft sieht durchaus schwierig aus, wenn man die letzte EDK-Mitgliedschaftsstudie anschaut. Welche Wege sehen Sie, neu an Glaubwürdigkeit und Ausstrahlungskraft zu gewinnen?
    Bedford-Strohm: Ja, der Befund der neuen Mitgliedschaftsstudie ist ja sehr unterschiedlich. Der hat auch durchaus Erfreuliches gebracht, zum Beispiel, dass Dreiviertel unserer Kirchenmitglieder sich nie vorstellen könnten, aus der Kirche auszutreten. Also die sind unserer Kirche sehr treu, und die wissen ganz genau, warum sie Mitglied in der evangelischen Kirche sind. Was mir große Sorge macht, sind die jungen Leute. Das ist was mir Sorge macht, also dass die Weitergabe des Glaubenswissen an die junge Generation akut gefährdet ist, dass immer weniger das weitergeben an die nächsten Generationen. Und deswegen, glaube ich, müssen wir da ganz genau hinschauen und müssen sehen, wie können wir diese große Kraft des Glaubens, diese wunderbare Botschaft des christlichen Glaubens, die wirklich – davon bin ich fest überzeugt – für jeden Einzelnen eine große Kraftquelle ist, wie können wir die neu aufschließen, gerade auch für junge Leute. Und da gibt es einige Möglichkeiten, zum Beispiel, dass wir die Neuen Medien offensiv nutzen, also Internet, auch soziale Netzwerke. Wir haben jetzt gerade eine große EKD-Synode genau zu dem Thema gemacht. Da haben zum Beispiel Jugenddelegierte eine ganz wunderbare Andacht gehalten, die uns alle begeistert hat, wo sie die Neuen Medien – eben das Internet – auch mit einbezogen haben. Das war so ein Beispiel, wie junge Leute gerade da, wo sie selber ihre Ideen entwickeln und anwenden können, uns wirklich weiterhelfen können. Wir haben Kindertagesstätten, wo wir Träger sind; wir wollen da die biblischen Geschichten weitergeben. Im Religionsunterricht, den wir ja glücklicherweise in unserem System öffentlicher Schulen geben dürfen, das ist eine Riesenchance, dass wir da Jugendliche erreichen und ihnen diese alte Botschaft so neu präsentieren, dass sie merken, wie relevant sie fürs eigene Leben ist.
    Gierth: Beiden Kirchen ist ja gemeinsam, dass sie in der Öffentlichkeit als privilegiert wahrgenommen werden. Das eigene Arbeitsrecht ist hoch umstritten, das Kirchensteuersystem ebenso, wie auch die Staatsleistungen an die Kirchen. Würde es nicht der Glaubwürdigkeit dienen, wenn man gerade bei den Staatsleistungen zu einer Ablösung und damit zu einem Schlussstrich käme?
    Bedford-Strohm: Also man muss da einfach genau hinschauen, wovon man überhaupt redet. Wir haben immer gesagt, wenn es um die Rechtsverpflichtungen, was bestimmte Gehälter betrifft, aus der Vergangenheit geht, da sind wir absolut gesprächsbereit und da kann man jederzeit einen Vorschlag machen. Aber etwa in Bayern ist das nur ein ganz kleiner Teil. Der Hauptbatzen – von etwa 22 Millionen sind das etwa um die 15 Millionen – ist Geld, was die religionskritischen Organisationen, wie die Humanistische Union oder der Bund für Geistesfreiheit ganz genauso bekommen – das weiß nur niemand. Die kriegen den gleichen Pro-Kopf-Betrag wie die Kirchen – jetzt hier bei uns in Bayern jedenfalls –, nur haben die Kirchen so viel mehr Mitglieder, dass es insgesamt viel mehr Geld ist, als was die nichtreligiösen Organisationen da bekommen. Insofern ist da in der Öffentlichkeit der Eindruck: Das sind jetzt Privilegien der Kirchen. In Wirklichkeit ist es etwas, was der Staat klugerweise tut, nämlich Menschen, die mithelfen, dass der soziale Zusammenhalt in der Gesellschaft so gut wie möglich ist, dass sie die unterstützen. Das ist kein Privileg, das ist eine sehr weise Sache, die der Staat da tut.
    Gierth: Müssten beide Kirchen vor dem Hintergrund der Akzeptanzprobleme nicht viel häufiger zusammen in der Öffentlichkeit auftreten?
    Bedford-Strohm: Das sollten wir in der Tat tun – und das tun wir auch. Gerade was die sozial-ethischen Stellungnahmen zu den öffentlichen Fragen betrifft, haben wir jetzt eine große Sozialinitiative gestartet, zehn Thesen, die wir diskutiert haben mit Leuten aus Wirtschaft, Politik und Gesellschaft, die wir der Öffentlichkeit vorgelegt haben und die genau diese Botschaft geben sollen. Wir wollen als Kirchen etwas beitragen zu dieser Gesellschaft, wir wollen Orientierung geben. Und das können wir am nachdrücklichsten dadurch tun, dass wir es gemeinsam tun. Auch beim Thema Sterbehilfe – über das wir gerade geredet haben – haben wir eine ganz große Gemeinsamkeit. Und ich glaube, dass es in der Tat wichtig ist, dass wir als Kirchen uns nicht über Dinge auseinandersetzen, die die meisten Menschen gar nicht verstehen können, sondern dass wir kraftvoll diese gute Botschaft in der Öffentlichkeit bezeugen, indem wir zu ethischen Fragen deutlich, aber auch sachverständig Stellung beziehen. Aber vor allem dadurch auch, dass wir nochmal neu deutlich machen, wie gut es tut, sein Leben in Gottes Hand zu legen oder indem wir eben lernen zu vergeben und uns vergeben zu lassen. Das sind alles religiöse Themen, Themen des christlichen Glaubens, die aber für das tägliche Leben genauso von einer riesigen Bedeutung sind.
    "In der Presse kommen immer nur die drei Sätze, die ich zu politischen Themen gesagt habe"
    Gierth: Ich will nochmal kurz beim Ökumenischen Sozialwort bleiben, dass die beiden großen Kirchen Anfang dieses Jahres vorgelegt haben. Das ist doch weithin allgemein geblieben und in seiner Wirkung verpufft?
    Bedford-Strohm: Ja, man kann da natürlich unterschiedliche Statements machen. Auch in den Positionen einzelner Menschen kann man da ganz unterschiedlich agieren. Man kann so reden, wie man es normalerweise meint, wenn man von "prophetisch Reden" spricht, also sehr deutlich kritisieren, auch sehr grundsätzlich kritisieren, zum Beispiel sagen wie der Papst: "Diese Wirtschaft tötet". Das war durchaus ein richtiger Satz, den ich mir zu eigen machen kann, wenn ich mir die weltweite Wirtschaft anschaue und den Skandal sehe, dass immer noch jeden Tag 25.000 Menschen sterben, weil die Nahrung und die Medizin, die es eigentlich gibt auf der Welt, nicht richtig verteilt ist. Da ist dieser Satz richtig. Er ist aber zu wenig, wenn wir ihn jetzt auf die Verhältnisse unserer Sozialen Marktwirtschaft in Deutschland anwenden. Das Modell der Sozialen Marktwirtschaft – so sehr es auch nicht angemessen verwirklicht ist –, dieses Modell ist jedenfalls eine gute Idee, dass wir die Möglichkeiten, über den Markt Wohlstand zu schaffen, und Mechanismen und Rahmenbedingungen, die sicherstellen, dass das auch den Schwächsten zu Gute kommt, zusammen denken. Also das ist eine gute Idee. Und wer da jetzt wirklich will, dass sich etwas ändert, der muss eben auch in intensiven Dialog mit Wirtschaft und Gesellschaft, mit Gewerkschaften, Arbeitgebern, den Verschiedenen, die beteiligt sind, nach guten, konkreten Lösungen suchen. Und ich finde, dass es genauso Aufgabe der Kirche ist mitzuhelfen, dass auch wirklich sich was verändern kann, dass auch wirklich Lösungen gefunden werden, wie es Aufgabe der Kirche ist, auch manchmal ein klares Wort zu sagen und einfach dadurch Nachdenklichkeit zu erzeugen.
    Gierth: Würden Sie denen recht geben, die angesichts der vielen Strukturen, Positionierungsdebatten, die auch innerhalb der evangelischen Kirche stattfinden, bemängeln, dass die Evangelische Kirche ihren eigenen Markenkern, nämlich spirituell-geistliche Gemeinschaft zu sein, zu wenig pflegt?
    Bedford-Strohm: Ich glaube, dass man beides nicht gegeneinander ausspielen darf. Man kann nicht fromm sein, ohne auch politisch zu sein. Aber was richtig ist, ist dass wir den Zusammenhang deutlicher machen müssen. Es darf nicht sein, dass die Stellungnahmen der Kirchen so erscheinen, wie irgendwie die bessere Tagespolitik und man sich fragt: 'Warum sagen die Kirchen dazu denn jetzt auch noch was?' Die Regel ist, dass wir danach gefragt werden. Wenn ich Interviews gebe, Zeitungen Interviews gebe, dann werde ich zu allererst gefragt nach den politischen Themen. Wenn ich predige, dann kommen am Ende in der Presse immer nur die drei Sätze, die ich zu politischen Themen gesagt habe. Dass ich den ganzen Rest der Predigt geistliche Dinge gesagt habe und versucht habe zu trösten, zu stärken, zu orientieren, die Kraft dieser wunderbaren Botschaft deutlich zu machen, das findet dann halt nicht so Niederschlag in den Zeitungen. Deswegen ist es unsere Aufgabe, wo immer wir können davon zu sprechen, von Schuld und Vergebung, angenommen sein durch Gott, aber auch sein Leben zu ändern, aus der Kraft der Hoffnung leben zu dürfen, davon müssen wir auch reden. Und man kann nur hoffen, dass auch darüber dann die Öffentlichkeit berichtet. Jedenfalls der Zusammenhang von beidem – öffentliches Engagement und einer tiefen Verankerung im Glauben –, dieser Zusammenhang, der ist das Entscheidende und den müssen wir in der Tat noch deutlicher machen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.