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Bischof Bohl: Erinnerung an Leipziger Universitätskirche wachhalten

Jochen Bohl, Bischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche Sachsens, plädiert im Streit um den Leipziger Hochschulneubau für einen deutlichen Bezug auf die 1968 in der DDR gesprengte Universitätskirche. In dem geplanten Paulinum sollte die enge Verschränkung von geistigem und geistlichem Leben sichtbar werden, sagte Bohl.

Moderation: Bettina Klein |
    Bettina Klein: Die Aufarbeitung jüngster deutscher Geschichte erhitzt derzeit die Gemüter in Leipzig. Erst vor wenigen Tagen wurde der Baustopp für die Wiederaufstellung des umstrittenen Marx-Reliefs aufgehoben. Doch noch immer wird darüber debattiert, welche Präsentation angemessen wäre für dieses Kunstwerk aus Zeiten der SED. Zugleich gewinnt der jahrelange Streit um den Wiederaufbau der 1968 willkürlich gesprengten Universitätskirche erneut an Schärfe. Zeitzeugen drängen auf eine angemessene bauliche Rückbesinnung auf die geistlichen und geistigen Wurzeln der Leipziger Universität. Aber weder die Uni selbst noch die Stadtspitze wollen eine Renaissance dieser Kirche. Der Streit ist längst nicht ausgestanden. ( MP3-Audio , Beitrag von Alexandra Gerlach)

    Am Telefon sind wir nun verbunden mit dem Landesbischof der evangelischen Kirche Sachsens, mit Jochen Bohl. Guten Morgen, Herr Bischof!

    Jochen Bohl: Guten Morgen, Frau Klein!

    Klein: Weshalb reicht das weltanschaulich neutrale Paulinum, das jetzt errichtet werden soll, nicht aus? Weshalb braucht die Universität eine Kirche?

    Bohl: Ich will zunächst mal sagen, dass dort in Leipzig schon ein sehr bemerkenswerter Bau entsteht. Das ist eine ganz eigenständige Lösung, eine Architektursprache, die modern ist, aber auf die gotische Hallenkirche eindeutig Bezug nimmt. Jeder wird später einmal, wenn er diesen Raum betritt, den Eindruck haben, eine Kirche zu betreten. Das ist nicht so, als sei das Unternehmen nicht etwas Positives. Es ist durchaus bemerkenswert.

    Die Fragen, die jetzt diskutiert werden, richten sich zum einen, Sie haben es angedeutet, auf den Namen und zum anderen auf die Frage, ob im Inneren eine große Glaswand angebracht wird, die den Raum, der als Aula genutzt werden soll, von dem Chorraum, der dann für gottesdienstliche Zwecke zur Verfügung steht, abtrennt. Darüber wird diskutiert. Auch die Bezeichnung Paulinum nimmt ja auf den Apostel Paulus Bezug. Wir sehen das allerdings so, dass für viele Leipziger nach wie vor dieses Bauwerk die Universitätskirche ist. Der Schmerz, der mit der Sprengung vor 40 Jahren verbunden ist, ist für viele Menschen nicht vergessen, und so werden wir sicherlich auch weiterhin von der Universitätskirche sprechen.

    Klein: Das heißt, Sie fordern im Grunde genommen eigentlich, dass die Glaswand dort nicht eingebaut wird, damit man eine Einheit hat aus Aula und kirchlichem Andachtsraum?

    Bohl: Ja. Es ist halt so, dass dieser Baukörper, der dort entsteht, in sich eine Einheit darstellt, ein geschlossenes Ganzes ist. Es würde also nach unserer Auffassung ein Fremdkörper sein, der dort eingebracht wird. Im Übrigen ist es halt diese besondere Leipziger Tradition, dass über viele Jahrhunderte hinweg die Universitätskirche als Aula gedient hat und damit auch eine Situation gegeben war, in der das Geistige und das Geistliche aufeinander bezogen war. Genau das war ja auch für das Verhalten der SED eigentlich ursächlich. Man wollte ja nicht unbedingt die Aula weg haben, sondern man wollte die Kirche sprengen. Es war ein eindeutig religions- und kirchenfeindlicher Akt. Insofern ist es sicherlich verständlich, wenn jetzt die Forderung erhoben wird, dass dieses Ineinander-Verschränkt-Sein von geistigem und geistlichem Leben auch in diesem neuen Baukörper Berücksichtigung findet.

    Klein: Der Rektor der Uni argumentiert - wir haben es im Beitrag gerade gehört - die Universität sei eine Körperschaft öffentlichen Rechts und zwar in einem weltanschaulich. Religiös neutralen Staat. Was halten Sie dem entgegen?

    Bohl: Eine Körperschaft des öffentlichen Rechts ist die Landeskirche auch. Das sagt also noch nicht so ganz viel. Aber selbstverständlich ist die Universität neutral, und niemand würde auf die Idee kommen, der Universität zu bestreiten, dass sie in diesem Raum Veranstaltungen durchführt, die ihrem Auftrag entsprechen. Und dass das in der Verantwortung der Universität geschieht, ist ja auch vollkommen klar. Es ist halt nur die Frage, ob durch einen solchen Einbau die geistliche Sphäre davon getrennt werden soll. Und dafür gibt es aus unserer Sicht nicht nur keinen Grund, sondern auch keinen Vergleichspunkt in der Vergangenheit.

    Ich will Ihnen ein Beispiel geben: In der Dresdener Frauenkirche hat Bundeskanzlerin Merkel im vergangenen Herbst einen Vortrag gehalten, und selbstverständlich ist das ein Vortrag gewesen, der jetzt nicht in dem Sinne als geistliches Element zu bewerten gewesen war. Aber in evangelischem Verständnis ist es also ohne Weiteres möglich, dass auch in Räumen, die gottesdienstlich genutzt werden, säkulare Beiträge wie zum Beispiel wissenschaftlich orientierte Vorträge gehalten werden können.

    Klein: Die Erinnerung an die Sprengung der Kirche wurde zu DDR-Zeiten nicht wirklich wach gehalten. Im Gegenteil: Es galt als Tabu, darüber öffentlich zu berichten. Inwieweit trägt das Ihrer Meinung nach auch dazu bei, dass die Erinnerung daran eben nicht in der Weise lebendig ist, wie Sie sich das als Bischof wünschen würden möglicherweise?

    Bohl: Das will ich nicht sagen. Ich denke, die Erinnerung ist sehr lebendig. Es leben viele Menschen, die das miterlebt haben. Auch das kam in Ihrem Beitrag zum Ausdruck. Es leben auch noch Menschen, die im Nachhinein von persönlichen Repressalien bedroht gewesen sind, die also verfolgt worden sind. Diesen scharfen Begriff kann man ruhig gebrauchen. Das ist alles außerordentlich lebendig. Wir haben als Landeskirche nicht den originalgetreuen Wiederaufbau der Universitätskirche gefordert, und dafür gab es auch gute Gründe. In Dresden war die Situation in der Frauenkirche ganz anders, weil: Da hatte sich ja eine eigene Form der Erinnerungskultur in den 80er Jahren herausgebildet. Die Frauenkirche lag als Ruine über 40 Jahre. In Leipzig ist der Raum unmittelbar überbaut worden. Andere Nutzungen hatten sich ergeben. Insofern würde ich aus der Tatsache, dass nun ein modernes Bauwerk entsteht, nicht schließen, dass die Verwurzelung in der Bevölkerung weniger stark ist, als das an anderen Orten wie zum Beispiel in Dresden der Fall ist.

    Klein: Der Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche Sachsens Jochen Bohl war das. Herzlichen Dank für das Gespräch.

    Bohl: Bittesehr.