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"Bitte ein bisschen mehr Ehrlichkeit bei der Union"

Bundesarbeitsminister Franz Müntefering hat seine Forderung bekräftigt, über eine Erhöhung des Hartz-IV-Regelsatzes nur bei gleichzeitiger Einführung eines Mindestlohns zu diskutieren. Wer wegen der Preisentwicklung das Arbeitslosengeld II anheben wolle, müsse auf der anderen Seite dafür sorgen, dass der Staat nicht mehr so viel über Sozialtransfers zu den Löhnen zuschießen müsse, sagte der Vize-Kanzler.

Moderation: Bettina Klein |
    Bettina Klein: Die Forderung, die Hartz-IV-Regelsätze zu überprüfen, ist bereits vor zwei Wochen etwa laut geworden. Politiker aus der Union, von den Grünen, Gewerkschaften, der Links-Partei haben sich angesichts steigender Lebensmittelpreise dafür ausgesprochen. Die SPD-Fraktion äußerte sich zunächst zurückhaltend bis ablehnend. Es war Klaus Brandner, Sprecher für Arbeit und Soziales in der Fraktion, der als erster zitiert wurde mit dem Plan, es bleibe bei der regulären Überprüfung. Dann überraschte am Freitag Franz Müntefering die Öffentlichkeit mit einer Presseerklärung. Die Botschaft des SPD-Ministers, angesichts steigender Lebensmittelpreise nun doch die Hartz-IV-Regelsätze zu überprüfen, wie von einigen Politikern ja gefordert, eine Erhöhung aber nur, wenn der flächendeckende Mindestlohn, so wie von der SPD gewünscht, eingeführt würde. Und das ist ein Vorhaben, das von der Union, dem Koalitionspartner, bekanntlich kategorisch abgelehnt wird.

    Wohin kann also dieser Vorstoß führen? Was heißt er für die Zusammenarbeit mit der Union und für das Klima in der Großen Koalition für die kommende Zeit? Das möchte ich gerne Franz Müntefering jetzt selbst fragen. Schönen guten Morgen!

    Franz Müntefering: Guten Morgen Frau Klein.

    Klein: Herr Müntefering, rechnen Sie denn damit, dass die Union Ihnen in Sachen Mindestlohn im Falle des Falles entgegenkommt?

    Müntefering: Ich habe jedenfalls zur Kenntnis genommen, dass über die Probleme der Höhe der Arbeitslosengeld-II- und Sozialhilfe-Zahlungen gesprochen wird. Das ist ein ernstes Thema für die betroffenen Menschen, wenn bei dem geringen Geld was sie bekommen die Preise steigen. Ich habe mich gewundert über die Unbedarftheit und über die Direktheit, mit der das ganze in die Öffentlichkeit getragen worden ist. Da war ein ganzes Stück Populismus mit drin. Ich finde das ganze Problem ist so ernsthaft, dass man da jetzt genau prüfen muss: Was passiert da eigentlich, wie viel steigen die Preise, steigen alle Preise und welche Konsequenzen soll das haben? Ich hoffe, dass das, was die Unionsleute da angesprochen haben, auch ernst gemeint ist von ihnen.

    Klein: Aber die Forderung nach einer Verknüpfung mit dem flächendeckenden Mindestlohn kam ja von Ihnen, Herr Müntefering. Meine Frage war: Rechnen Sie damit, dass die CDU Ihnen entgegenkommt?

    Müntefering: Dieselben Leute bei der Union, die das jetzt fordern, dass mehr Geld ausgegeben wird, 500 Millionen, eine Milliarde, die fordern ja auch, dass ich weniger Geld ausgebe für Arbeitslosengeld II. Das sind in diesem Jahr etwa 23 Milliarden. Also wer das senken will, der muss sehen, wie er denn da sparen kann. Wenn er auf der anderen Seite mehr ausgibt, dann wäre eine der Möglichkeiten ganz sicher, den Mindestlohn einzuführen und dafür zu sorgen, dass der Staat nicht so viel über Sozialtransfers in die Löhne hineinzahlen will. Also jetzt bitte ein bisschen mehr Ehrlichkeit bei der Union und dann kann man das gemeinsam auch gut machen.

    Klein: Aber das ehrliche Signal aus der Union ist ja ganz klar und auch bekannt. Der flächendeckende Mindestlohn produziert mehr Arbeitslosigkeit und damit immense Zusatzkosten für den Staat, also das Gegenteil von dem, was Sie eigentlich wünschen.

    Müntefering: Das ist aber Unsinn. Das weiß man auch. Es geht darum, dass Löhne nicht sittenwidrig niedrig sind und dass sie eine Höhe haben, die akzeptabel ist. Der Staat kann nicht die Löhne bezahlen für Unternehmer, die sich weigern, die zu zahlen. Das ist auch überhaupt nichts, was mit sozialer Marktwirtschaft zu tun hat, sondern das wäre eine Staatslohnpolitik, die da verlangt wird. Das kann nicht sein. Löhne können nicht beliebig niedrig sein. Der normale Vollbeschäftigte muss von seinem Lohn auch leben können. Das muss der Staat auch wollen. Und wenn im unteren Lohnbereich die Sozialpartner nicht mehr in der Lage sind, das zu regeln, dann muss der Staat auch eingreifen dabei. Das ist auch wichtig für die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen untereinander. Es kann nicht der Arbeitgeber bestraft werden, der einen ehrlichen Lohn zahlt, und der sich darum drückt darf nicht belohnt werden.

    Klein: Lassen Sie uns von dem Mindestlohn mal zurück auf den Kern kommen. Ein Hartz-IV-Empfänger, der jetzt inständig hofft nach Ihrer Mitteilung am Freitag, seine Bezüge werden nun doch überprüft und am Ende erhöht, der kann es vermutlich nicht nachvollziehen, dass Sie diese Erhöhung an eine Bedingung knüpfen, von der Sie wissen, dass Ihr Koalitionspartner sie nicht mitträgt.

    Müntefering: Das weiß ich nicht, ob er sie nicht mitträgt. Ich meine ich war überrascht, wie man dort bei der Union nachdem wir ja den Haushalt für das nächste Jahr festgelegt haben gesagt hat, wir geben an der Stelle dann mehr Geld aus, wenn die Preise so steigen, und ich habe gesagt ich trete in eine Überprüfung ein. Ich will das schon ernst nehmen. Ich will die Interessen der Betroffenen und Sozialhilfeempfänger - auch um die geht es, denn da gibt es eine parallele Regelung für Sozialhilfe und für Arbeitslosengeld II - schon ernst nehmen. Und wenn die Union von dem weg will, was sie selbst beschlossen hat, denn CDU/CSU haben ja seinerzeit den Anpassungsfaktor Rente beschlossen und sie haben in 2004 mit uns zusammen beschlossen, dieselbe Regelung soll für die Grundsicherung gelten, und sie haben 2006 im Bundestag mit beschlossen, dies soll nun die Höhe sein. Damals habe ich vorgeschlagen, wir erhöhen im Osten von 331 auf 345 Euro. Ein Danke schön dafür hat es nicht gegeben, aber das ist Okay. In 2006 hat das Bundessozialgericht festgestellt, das ist alles verfassungskonform. Jetzt sagen sie, da muss aber jetzt was gemacht werden. Ich bin im Prinzip bereit, aber wenn, dann müssen wir alles im Blick behalten, auch dass wir die Nettokreditaufnahme nicht weiter steigern wollen, auch dass wir irgendwo bei der Nettokreditaufnahme null ankommen wollen in 2011. Wenn man das alles will, dann muss man sich jetzt überlegen, wie man denn Lücken schafft, wie man Möglichkeiten schafft, um zusätzliches Geld ausgeben zu können.

    Klein: Aber das ist Ihr letztes Wort, Herr Müntefering? Bedingung Mindestlohn nach Ihren Vorstellungen? Oder können Sie sich vorstellen, dass Sie Hartz-IV-Empfängern auch sagen, die Sätze werden eventuell erhöht, ohne dass diese Verknüpfung politisch durchgesetzt werden kann?

    Müntefering: Erst mal geht es darum, jetzt in eine Überprüfung einzutreten. Die werden wir sorgfältig machen. Ich glaube nicht alles, was da an Preisentwicklungen angesprochen wird, sondern da hat es ja auch andere Entwicklungen gegeben in dem ganzen Bereich. Und ich habe angekündigt, dass wir im November dann auf der Grundlage von Zahlen, die verlässlich sind, zeigen, wie die Dinge sich entwickelt haben. Dann werden wir miteinander entscheiden müssen. Ich mache eine gesamtverantwortliche Politik an der Stelle und dazu gehört, dass die Arbeitslosengeld-II- und Sozialhilfe-Empfänger ein ehrliches Geld, ein ehrliches Existenzminimum bekommen, dass aber auch der Staat sich nicht in weitere Schulden stürzt. Das ist beides miteinander verknüpfbar und die Frage ist dort an die Union zu richten.

    Klein: Aber zunächst kam ja aus Ihrer Partei doch das Signal, es bleibt eigentlich alles beim alten. Weshalb dann dieser Sinneswandel zum Freitag hin?

    Müntefering: Das ist kein Sinneswandel, sondern es ist heute so geregelt, dass die Anpassung alle fünf Jahre durch eine Statistik erfolgt. Das hat die Union so gewollt in den 90er Jahren. Das ist Okay. Und es wird zwischendurch immer entsprechend der Rentenanhebung angehoben. Zwischen 1997 und 2003 sind im Schnitt die Sozialhilfebeiträge und dann später auch die Arbeitslosenversicherungsbeiträge um 1,2 Prozent gestiegen. Aber es hat dann drei Jahre keine Rentenanhebung gegeben. Also hat es auch keine Anhebung bei den Sozialhilfe-Empfängern und bei den Arbeitslosengeld-Empfängern gegeben. Das müssen wir nun prüfen: Soll das so bleiben? Soll man es bei dieser Rentenanpassung lassen? Ich warne allerdings voreilig. Es kann durchaus auch sein, dass mal eine Rentenanpassung höher ist als eine Inflationsrate oder ein Verbraucherpreis-Index. Was ist eigentlich der gerechte Maßstab für die jährliche Erhöhung? Darüber muss man ehrlicherweise sprechen. Das heißt auch nicht, dass da unglaubliche Erhöhungen stattfinden. Ich habe gestern den Vorsitzenden der Grünen dazu gelesen. Der hat gesagt, ja, das muss um etwa 20 Prozent erhöht werden. Das sind mal locker 4,5 Milliarden, die so jemand da in den Raum stellt, einer, der vor zwei, drei Jahren noch mitgestimmt hat, als es darum ging, die jetzige Höhe festzusetzen. Ich finde das nicht verantwortbar, in welcher Weise manche im Augenblick, um sich lieb Kind zu machen, den Menschen nach dem Mund reden, ohne sich den wirklichen Realitäten da auch nur zu nähern.

    Klein: Herr Müntefering, Ihr jüngster Vorstoß war aber schon aus Ihrer Perspektive nicht ganz unklug, denn jetzt liegt der schwarze Peter bei der CDU. Zumindest erscheint das so ein wenig in der Öffentlichkeit. Zum Koalitionsfrieden trägt das sicher nicht bei oder doch?

    Müntefering: Es geht nicht darum, immer harmonisch zu sein. Ich glaube da hat Deutschland sowieso eine etwas falsche Vorstellung davon. Sich mal um den richtigen Weg zu streiten, ist gar nicht schlecht. Keiner hat von Anfang an die Wahrheit auf seiner Seite, sage ich gerne, und das ist auch so. Also es geht nicht darum, dass man sich immer sofort einig ist. Das gilt auch für die eigene Partei nicht und das gilt auch über Koalitionen hinaus nicht. Der Streit um den richtigen Weg ist durchaus erlaubt, aber er muss zielgerichtet sein. Man muss sagen was man will und ich will, dass die Leute einen ehrlichen existenzsichernden Sozialtransfer bekommen und dass wir unsere Schuldenaufnahme reduzieren auf der Bundesebene. Das gehört beides zusammen.

    Klein: Die SPD und die Union müssen aber noch zwei Jahre zusammenhalten. Zumindest ist das ja wohl ihr Ziel. Was gestern an Signalen aus Ihrem Haus kam, das drückte schon deutliches Missfallen aus. Es hieß, ein Zickzack-Kurs sei im Vergleich dazu eine gerade Linie mit Blick, was die CDU an Beschlüssen rausgibt. Mit welchen konkreten Ergebnissen der Zusammenarbeit rechnen Sie denn noch in den nächsten Monaten?

    Müntefering: Was ich da gesagt habe, das war auch schon ehrlich gemeint. Was Althaus, Stoiber und Seehofer dazu an der Stelle gesagt haben, das war schon etwas, wo ich finde, dass die CDU und die CSU insgesamt sich dazu verhalten muss. - Ich bin guten Willens und ich nehme an in der Koalition die entscheidenden Leute auch, dafür zu sorgen, dass wir das, was wir an Aufgaben noch vor uns haben in den nächsten Jahren - das ist ja eine ganze Menge; wir reden ja ganz aktiv und offen auch über die Frage was können wir tun, damit am Arbeitsmarkt es noch günstiger wird, damit die Arbeitslosigkeit weiter zurückgeht - wie verbindet sich das mit Umwelt, wie verbindet sich das mit Gesundheit? -, auch lösen können. Wir reden über die Frage der Qualifizierung. Ausbildungsplätze und Weiterbildung müssen ganz dringend verbessert werden. Was ist mit den Fachkräften? Die Sache der menschlichen Gesellschaft insgesamt bei uns, also Betreuung und wie ist es mit den Älteren. Die deutsche Industriepolitik in einer Zeit der Globalisierung oder auch unsere Verantwortung, die Mitverantwortung als EU-Präsident gerade gewesen und G8-Präsident für eine soziale Entwicklung in der Welt. Themen haben wir genug auf der Tagesordnung und ich hoffe, dass wir bei der Klausur Ende dieses Monats das auch noch ein bisschen greifbarer machen und dann unverdrossen weiter arbeiten.

    Klein: Genug Themen haben Sie jetzt genannt, Herr Müntefering. Die Frage nach den Ergebnissen wäre dann eine andere. Aber unter dem Strich: Die Suche nach dem eigenen Profil rückt mit Blick auf die bevorstehenden Wahlen doch deutlich ins Zentrum der Aufmerksamkeit oder?

    Müntefering: Bei mir nicht, nein. Und ich hoffe bei den allermeisten nicht, weil dann würden wir zu viel Zeit vertun. Wir haben zwei Jahre vor uns. Das hat alles Zeit bis zum Frühjahr 2009. Wir müssen Probleme des Landes lösen: Energieprobleme zum Beispiel, Klimaschutzprobleme, aber auch soziale Probleme. Also dass immer ein Stück Parteipolitik durchschwingt - ich bin Sozialdemokrat -, das weiß jeder. Andere sind in anderen Parteien. Man will zum guten Schluss dann auch den Menschen sagen können, wir haben etwas Gutes geleistet. Das ist richtig. Aber wir müssen in der Koalition einiges zu Wege bringen und ich finde wir haben auch schon viel hingekriegt bei aller Streiterei, die dann zu Stande kommt, die manchmal kleinkariert ist. Wir haben eine ganze Menge hinbekommen und wir müssen uns da nicht verstecken. Wir haben 650.000, 700.000 Arbeitslose weniger als vor einem Jahr. Das ist eine Großstadt und keine Kleinigkeit. Wenn wir in Deutschland nicht so depressiv wären, würden wir uns richtig freuen über das, was wir erreichen.

    Klein: Herr Müntefering, vielen Dank für das Gespräch. - Das war Franz Müntefering, Vizekanzler, Bundesarbeits- und Sozialminister (SPD).