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"Blairs Entschuldungsinitiative nicht ausreichend"

Der Politologe Franz Nuscheler hält Tony Blairs Initiative zur Entschuldung der afrikanischen Länder für nicht ausreichend. Sie erstrecke sich nur auf die 18 ärmsten Staaten. Insgesamt seien etwa 50 Staaten von extremer Armut betroffen.

Moderation: Peter Lange |
    Peter Lange: Zehn Konzerte auf fünf Kontinenten, Live Aid hat am Samstag mobil gemacht: Lobby-Arbeit für die Ärmsten in Afrika - ein Spektakel von Rock- und Popstars vor dem G-8-Gipfel in dieser Woche in Schottland. Eine ehrenwerte Initiative - ganz sicher - die Afrika wieder ins Gespräch bringt. Und tatsächlich soll der Gipfel ja auch auf Vorschlag des Gastgebers Tony Blair den ärmsten Ländern die Schulden erlassen. Aber reicht das? Ist die Gesundung des schwarzen Kontinentes wirklich nur eine Geldfrage? Am Telefon begrüße ich Prof. Franz Nuscheler, er ist Direktor des Instituts für Entwicklung und Frieden an der Universität Duisburg. Guten Morgen Herr Nuscheler.

    Franz Nuscheler: Guten Morgen Herr Lange.

    Lange: Welchen Stellenwert hat denn jetzt die Initiative von Tony Blair für diesen G-8-Gipfel?

    Nuscheler: Ja, wir müssen mal die Zahlen ins rechte Licht rücken. Es geht doch hier um 40 Milliarden auf 40 Jahre zunächst für 18 Länder. Wenn man aber die Gesamtverschuldung der ärmsten Länder anschaut, liegt das etwa bei 550 Milliarden Dollar. Da macht diese Initiative eigentlich nur einen Bruchteil aus und sie stellt keine Rettung dar. Wir müssen einfach die Zahlen in Perspektive setzten. Es sind zunächst nur 18 Länder, die einfach nicht mehr bezahlen können. Es ist ein richtiger Schritt für diese Länder, aber es reicht nicht aus für die anderen etwa 50 Länder, die in ähnlicher Bredouille sind und die kaum in der Lage sind, tatsächlich in Entwicklung zu investieren.

    Lange: Es ist ja absehbar, dass die USA nicht ohne weiteres zustimmen werden, dass sie die finanziellen Hilfen, um die es ja auch geht - die Entwicklungshilfe soll um 25 Milliarden Dollar aufgestockt werden - dass sie das stärker an Demokratisierung und Liberalisierung knüpfen wollen. Wäre es nicht in der Tat fahrlässig, Geld zu geben, ohne politische Konditionierung?

    Nuscheler: Da stimme ich absolut zu. Den Fehler haben wir gemacht, dass wir über Jahrzehnte hinweg zu schnell Geld ohne Konditionen, also ohne Auflagen, vergeben haben und damit auch Strukturen gezüchtet haben, die absolut für uns hinderlich waren. Insofern ist es richtig, dass man solche Entschuldungsinitiativen bindet an Auflagen zur Demokratisierung, nicht gleich Marktliberalisierung. Es geht zunächst einmal um Hilfe von Rechtssicherheit, die auch Privatinvestoren eine Chance geben, in Afrika zu investieren. Es geht ja kein privates Geld nach Afrika, weil keine Rechtssicherheit gegeben ist. Und deshalb ist die Bindung an Auflagen durchaus sinnvoll, ja sogar notwendig. Eine weitere Auflage ist notwendig, dass dieses Geld, dass jetzt frei gesetzt wird durch diese Initiative, tatsächlich dorthin geht, wo die Armut am größten ist, also in Bildung und Gesundheit.

    Lange: Es hat 1999 schon einmal einen Schuldenerlass gegeben, damals auf dem Weltwirtschaftsgipfel in Köln. Hat das den betreffenden Ländern wirklich geholfen? Kann man das sehen?

    Nuscheler: Ja, es gibt verschiedene Beispiele. Es gibt ja immer gute Beispiele und schlechte Beispiele. Es gibt Beispiele, wie Mosambik, Kamerun, Kenia oder Tansania, wo tatsächlich die Länder in die Lage versetzt wurden, zum Beispiel Schulgebühren abzubauen. Damit wurde die Einschulungsrate deutlich erhöht und in Kamerun wurde es möglich, in Aids-Programme zu investieren. In Einzelländern hat es wirklich geholfen, tatsächlich mehr für die Bekämpfung der Armut zu tun, aber eben nicht ich allen Ländern. Da hängt das wieder von den inneren Strukturen ab. Und deswegen sind Auflagen notwendig, damit es dorthin geht, wo es dringend gebraucht wird.

    Lange: Nennen Sie doch mal ein schlechtes Beispiel.

    Nuscheler: Zum Beispiel Togo. Togo als mehr oder weniger persönliche Diktatur, war immer sehr befreundet, westlich orientiert, und dort ist das Geld nicht dorthin gegangen, wo es hingehen sollte, in die Armutsbekämpfung, sondern in die Bereicherung einer kleinen Elite.

    Lange: In diesen Tagen wird ja wieder mal die Sinnfrage gestellt. Sie haben es selbst ja schon angedeutet, selbst afrikanische Ökonomen sagen, das hilft nicht, diese klassische Entwicklungspolitik, das hilft nicht nur nicht, das schadet, weil das die Unselbständigkeit fördert und einheimische, vorhandene Wirtschaftsstrukturen zerstört. Warum wird das von uns nicht so richtig zur Kenntnis genommen?

    Nuscheler: Es ist richtig, dass Hilfe, und das hat sie getan, über Jahrzehnte hinweg die Fähigkeit und den Willen zu Eigenanstrengungen gelähmt hat. Da haben die Ökonomen vollkommen Recht. Aber wir müssen auch sehen, dass viele Länder nicht mehr in der Lage sind, ihre existentiellen Probleme zu lösen. Aber es geht eben nicht nur darum, mehr Geld im Sinne von klassischer Entwicklungshilfe, zu geben, wir müssen den Ländern sagen, sie in die Lage versetzen, aus eigener Kraft mehr Devisen zu erwirtschaften, aus eigener Kraft aus dieser Abhängigkeit heraus zu kommen. Das bedeutet aber auch, dass wir faire Handelsbedingungen brauchen, dass wir wirklich den Ländern mehr Chancen geben, ihre Exporte tatsächlich zu steigern, um aus eigener Kraft mehr Devisen zu erwirtschaften. Es geht aber auch darum, dass sie aus dieser Klemme rauskommen. Sie sind im Moment nicht in der Lage, diese hohe Schuldenbürde - ich darf eine Zahl nennen, dass die meisten afrikanischen Länder mehr an Schuldendienst leisten müssen, als sie zur Verfügung haben, zur Bekämpfung des Analphabetismus und der gravierenden Gesundheitsprobleme. Sie müssen erst einmal da rausgeholt werden und dann müssen sie auf eigenen Beine gestellt werden. Und das bedeutet, bessere Handelsbedingungen, faire Handelsbedingungen und es bedeutet auch, dass wir Ihnen das nicht kaputt machen, zum Beispiel durch die Subventionierung unseres Exportes in der Landwirtschaft. Wir ruinieren Millionen von kleinbäuerlichen Existenzen. Das muss verändert werden. Wir müssen die Länder in die Lage versetzen, aus eigener Kraft mehr zu erwirtschaften.

    Lange: Das heißt, wenn US-Präsident Bush sagt, "Wir wollen, dass alle Subventionen auf dem Agrarmarkt in Europa und in Amerika eingestellt werden", dann unterstützen Sie das?

    Nuscheler: Ja, unbedingt, unbedingt. Wobei, wir müssen auch ein bisschen daran denken, dass die Länder zum Beispiel bevorzugte Bedingungen gehabt haben auf dem europäischen Markt. Viele konnte diese Präferenzzölle nicht nutzen. Es geht auch darum, die innere Wettbewerbsfähigkeit zu stärken und da kommen wir wieder zurück auf den Ausgangspunkt: Es geht darum, mehr Marktwirtschaft herzustellen. Insofern kann man, was ich ungern tue, dem Präsident Bush schon zustimmen: Es muss mehr Rechtssicherheit für Privatinvestoren, es muss mehr Marktwirtschaft hergestellt werden, um die Länder in die Lage zu versetzten, mehr selber zu erwirtschaften.

    Lange: Es wird ja von den Afrikanern insbesondere immer auf das koloniale Erbe der Europäer abgestellt, dass ihnen da im Wege steht, wenn man das so sagen kann. Kann das heute noch als Rechtfertigung herangeführt werden, etwa für das, was jetzt in Darfour oder in Simbabwe passiert?

    Nuscheler: Nein, nein. Man kann es als Rechtfertigung anführen, weil sie Wirtschaftsstrukturen ererbt haben, die nur schwer zu verändern sind, also Monokulturen der Baumwolle, des Zuckers und so weiter. Es ist ganz schwierig, diese Strukturen zu verändern. Das sind Erben des Kolonialismus. Aber etwa diese Misswirtschaft der Eliten, das kann nicht zurückgeführt werden auf den Kolonialismus. Die Folge war, dass wir zu Beginn des Kalten Krieges diese Strukturen gezüchtet haben, die Eliten gezüchtet haben und eine Veränderung der Strukturen blockiert haben. Wir sind auch daran schuld, dass diese alten, kolonialen Strukturen erhalten wurden. Aber das ist zu billig, und das höre ich immer wieder, wenn ich mit Afrikaner zusammen bin: "Der Kolonialismus ist an allem schuld". Nein, es gibt auch Länder, die sich davon befreit haben, die Strukturen verändert haben, nur ein Beispiel, Botswana, Mauritius: Sie haben die ererbten Monokulturen verändert und sind erfolgreiche Schwellenländer geworden.

    Lange: Dankeschön, das war ein positiver Ausblick, ein positives Beispiel. Das war Franz Nuscheler, Direktor des Instituts für Entwicklung und Frieden an der Universität Duisburg.