Blatter: Ich muss sagen, dass ich sehr beeindruckt war über die Art und Weise, wie die fünf Verbände mit ihren Delegationen dieses Prozedere – um nicht zu sagen Zeremonie – über sich haben ergehen lassen. Sie haben das mit viel Respekt gemacht, sie haben auch die Dokumente sehr schön eingefasst und präsentiert. Und in der halbstündigen Präsentationszeit, die ihnen zur Verfügung stand, haben die verschiedenen Leute der Delegationen, wie sie zusammengesetzt waren und auch noch Botschaften der Staatspräsidenten oder der Oberhäupter – also in Deutschland ist das der Bundeskanzler – überbracht. Und ich muss sagen, das ist schon etwas, was mir unter die Haut gegangen ist, weil es doch die Wichtigkeit des Fussballs einerseits, aber auch andererseits die Wichtigkeit dieses Weltpokals 2006 zeigt und das grosse Interesse, das hintendran steht.
DLF: Sie haben in der Vorbereitungszeit für diese Bewerbungsabgaben nie ein Hehl daraus gemacht, dass Ihre Sympathien bei Südafrika liegen würden. Das ist sicherlich eine sportpolitische Entscheidung. Glauben Sie nicht, dass Sie damit vielleicht Ihre Neutralität in dieser Position aufgegeben haben und möglicherweise eine kleine Beeinflussung ins Spiel gebracht haben?
Blatter: Ich bin so froh, Herr Fischer, dass Sie diese Frage aufbringen. Das gibt mir die Gelegenheit, einmal klarzustellen, was oft – gerade in den Printmedien – falsch interpretiert wurde. Ich habe mich stark gemacht seit mehr als einem Jahr jetzt schon – also als ich auch als Kandidat der FIFA-Präsidentschaft war –, dass Afrika den Weltpokal erhalten soll 2006. Und ich habe mich nie für ein spezifisches Land in Afrika ausgesprochen, auch nicht für Südafrika. Man hat mir dann das einfach zugedichtet. Und ich bin der Überzeugung gewesen – damals. Jetzt werde ich die Neutralität bewahren in der Hoffnung, dass in der Logik und in der Solidarität, die in der FIFA herrscht - in der Logik des Rotationsprinzips, dass alle Kontinente des Weltcup haben sollten -, dass auch Afrika einmal drankommt. Und nachdem wir jetzt diese Brücke zwischen den europäischen Verbänden und den amerikanischen Verbänden, also Süd oder Nord, die jetzt immer den Weltpokal durchgeführt haben, einmal durchschnitten haben oder durchbrochen haben, indem wir im Jahre 2002 nach Asien gehen, so hat die Logik - und ich sag es noch einmal -: Die Solidarität würde sagen: Wir gehen jetzt nach Afrika - aber ich habe immer gesagt, und das werde ich stets sagen: Immer nur, wenn einer der afrikanischen Kandidaten auch die notwendigen Voraussetzungen bringt. Aber wie Sie gesagt haben: Anfangs dieser Woche hatten wir ja diese Präsentationen offiziell in der FIFA aufgenommen, und ich habe das gesagt und darf es nochmal bestätigen: Von jetzt ab werde ich mich über die fünf Kandidaturen nicht mehr äussern. Ich kann nur noch sagen, dass jetzt alle fünf im Rennen sind und dass wir in drei verschiedenen Etappen bis zu Beginn Juli nächsten Jahres so weit nach vorne kommen, dass das Exekutivkomitee der FIFA, das sind 23 Personen plus der Präsident, dann ihren Entscheid treffen kann. Und diese drei Etappen – vielleicht ist es interessant auch für die Zuhörerinnen und Zuhörer, zu wissen –: Zuerst werden jetzt diese Dokumente mal intern angeschaut und auf den Inhalt geprüft. Später gibt es eine Inspektionsgruppe, die reist dann in alle Herren Länder, das heisst in die fünf Länder, auch nach Deutschland. Und dann wird ein Bericht erstellt, und der Bericht wird dem Exekutivkomitee zur Begutachtung - oder ich würde mal sagen zum Examen - unterbreitet. Das Exekutivkomitee hat dann anhand dieses Berichtes zu entscheiden.
DLF: Die Entscheidung über die Vergabe der Fussballweltmeisterschaft im Jahr 2006 wird im Juli fallen. Ursprünglich hatte man gesagt, dass der Entscheid im März erfolgen sollte. Nun hat man diese Frist verlängert. Herr Blatter, Sie haben expressis verbis immer gesagt, Sie wollen natürlich versuchen, die Kosten für die Bewerberländer möglichst niedrig zu halten. Nun ist klar, dass man vier Monate mehr Zeit hat und auch mehr investieren muss, um bei den kontinentalen Sitzungen der FIFA sich zu präsentieren. Also, vielleicht sind Sie mit Ihrem Wunsch oder mit Ihrem Gedanken, den Sie ursprünglich einmal geäussert haben, nicht richtig gelegen. Warum hat man von dem März auf Juli aufgestockt, denn man müsste doch sagen, dass auch bis März genug Zeit gewesen wäre, sich in entsprechender Form zu präsentieren und darzustellen?
Blatter: Ich glaube nicht, dass ich jetzt mit meinen eigenen Ansichten wegen weniger Geld ausgeben in Konflikt komme. Wenn ich gesagt habe, wir müssen drastisch verkürzen die Ausgaben, dann meinte ich, das ist die direkte oder indirekte Beeinflussung des Wahlgremiums – mit vielen Einladungen, mit vielen Geschenken. Wir haben ein Limit gesetzt, also wie eine Latte auf der Hochsprunganlage: 100 Dollar ist das Limit, das unsere Mitglieder in Geschenkform annehmen dürfen. Und das wissen auch die Kandidaten. Nun, ob Sie vier Monate länger oder weniger lang Ihr Kandidatenkarussel drehen müssen - oder dürfen in diesem Falle, weil der Entscheid des Exekutivkomitees dahin tendiert und tendiert hat und es jetzt auch so gemacht wird, dass alle Konföderationen – die FIFA ist zusammengesetzt auch sechs Konföderationen – die Gelegenheit erhalten, das Gute oder das weniger Gute der Kandidaten selbst beurteilen zu können, und deshalb, weil die Europäische Fussballunion ihren Kongress erst am 30. Juni in Luxemburg durchführt, und vorher kommen die fünf anderen dran, haben dann die Kandidaten – deren fünf es auch sind – bei jedem dieser Kongresse die Gelegenheit, ihre Kandidatur ganz kurz darzustellen. Das gilt also hier auch in der Demokratie der FIFA, dass alle die gleichen Voraussetzungen haben, also nicht nur die Kandidaten, sondern auch die Familie der FIFA, die eben in diesem Sinne in sechs Kontinente aufgeteilt ist.
DLF: Herr Blatter, Sie haben viel Kritik einstecken müssen in den letzten Wochen -vor allem aus Deutschland – wegen der Teilnahme der deutschen Fussballnationalmannschaft beim Konföderationscup in Mexiko. Diese Kritik kam auch schon vor dem Turnier. Natürlich könnte man sagen: Wenn Deutschland besser abgeschnitten hätte, wäre die Kritik vielleicht nicht so stark gewesen. Aber die Kritik kam auch schon vorher. Man fühlte sich in Deutschland - obwohl man nicht gezwungen war, an diesem Cup teilzunehmen – aber doch mehr oder weniger genötigt. Man sagte: ‚Wenn wir dort nicht spielen, brauche wir unsere Bewerbung für die Fussballweltmeisterschaft 2006 gar nicht abzugeben. Also, das war so ein sportpolitische Eiertanz, den man dort gemacht hat. Sowohl der DFB-Präsident Egidius Braun, ein guter Freund von Ihnen, als auch andere führende Leute haben die Teilnahme stark kritisiert, haben gesagt: Das ist ein sehr, sehr schlechter Zeitpunkt. Wie konnten Sie mit dieser Kritik umgehen?
Blatter: Also, ich bin Kritik gewohnt, denn Kritik muss ja nicht immer negativ sein, sie kann ja auch ab und zu aufbauend sein. Und die Kritik aus Deutschland – wie Sie richtig sagen: Hätte die Mannschaft besser abgeschnitten, wäre Konföderationsmeister geworden, hätte man applaudiert und gesagt: ‚Wir hatten die Gelegenheit, eine neue Nationalmannschaft aufzubauen‘. Aber man darf eben nicht vergessen, dass auch die anderen Nationen im Fussball immer besser werden, und die dominierende Rolle, die der deutsche Fussball in den letzten Jahren auf der Welt und in Europa spielte, hat sich jetzt eben gezeigt - seit 1990, als Deutschland Weltmeister wurde in Italien -, dass sich das Niveau nach oben, nicht nach unten, nach oben angenähert hat. Und – verstehen Sie – mit Kritik leben oder nicht leben: Wenn man in der Position des FIFA-Präsidenten ist und ein Fussballer ist wie ich bin und wie ich war: Das rieselt so leise meinen Rücken runter. Also, ich kann das schon vertragen.
DLF: Für die kommenden Wochen und Monate steht Ihnen auch ein – ich würde sagen – schwerer Kampf bevor, da die Asiaten mit einem Boykott der Weltmeisterschaft im Jahr 2002 drohen, falls Asien keinen fünften Endrundenteilnehmer zugesprochen bekommt. Es gibt eine Boykottdrohung des asiatischen Verbandes AFC. Glauben Sie, diesen Boykott noch abwenden zu können? Man hat ja ein Kompromissangebot gemacht, dass man zwischen Asien und Europa noch einen Teilnehmer sozusagen ausspielt, also einen ‚halben‘ Teilnehmer hat man ihnen zugestanden. Sehen Sie die Dinge wirklich so kritisch, wie sie in der Öffentlichkeit zum teil dargestellt werden?
Blatter: Nein, absolut nicht. Absolut nicht, und zwar, weil: Seit diesem Boykott sind verschiedene Konsultationen gemacht worden, Gespräche haben stattgefunden, und ich werde mich persönlich mit dem Präsidenten der Asiatischen Fussballkonföderation, dem Sultan Ahmad Shah aus Malaysien, hier in Zürich, wahrscheinlich noch vor Ende des Monats August, treffen. Und die Tendenz geht also schon jetzt in Verständnis – oder Unverständnis, je nach dem, auf welcher Seite man ist. Es war natürlich schlecht, mit einen Boykott zu drohen und die Institutionen des FIFA-Kongresses dazu zu missbrauchen. Und da kann ich nur anwenden, was im Fussball Gang und Gebe ist – und das werden auch hier die Zuhörerinnen und Zuhörer verstehen –: Wenn man das Spielfeld vor Ende des Spieles verlässt, hat man nie das Spiel gewonnen. Und das wissen nun die Asiaten auch. Ich bin überzeugt, dass nun die Asiatische Konföderation mit allen ihren verbänden an dieser WM 2002 teilnimmt, aber eines können sie nicht mehr verlangen: Sie bekommen nicht mehr, als diesen halben Platz, den man ihnen angeboten hat. Mehr können sie nicht bekommen, denn sonst würden beim nächsten Kongress mir die Afrikaner weglaufen oder die Amerikaner und würden sagen: Dann bekommen wir 6 oder 7 – oder was auch immer. Also, man darf nicht den FIFA-Kongress für Druckmittel benutzen. Und das haben die jetzt verstanden.
DLF: Und dann würde man möglicherweise in Zukunft mit 50 oder 60 Ländern spielen, und man hat ja schon in Frankreich gesehen, dass mit der neuen Teilnehmerzahl eigentlich das oberste Limit erreicht ist. Mehr geht eigentlich nicht.
Blatter: Absolut. Bei 32 sind wir an der obersten Grenze, nicht nur auf dem Gebiet der Organisation, sondern auch auf dem Gebiet der Verträglichkeit des Fussballs. Während mehr als einem Monat täglich Spiele zu sehen – da könnte dann auch die Leidenschaft oder die Emotion, die der Fussball bringt, etwas abflachen. Also, man muss es eher straffen, und wir werden die 2002-Weltmeisterschaft nur in 30 Tagen spielen, nicht in 33 Tagen, wie in Frankreich.
DLF: Dass Sie als FIFA-Präsident, der viele Ideen hat und auch bemüht ist, diese durchzusetzen auf demokratische Art und Weise, mit Kritik leben muss, ist klar – oder auch mal Gegenwind bekommt. Nun haben Sie in einer weiteren Massnahme nicht nur Beifall bekommen, als Sie mal die Idee in den Raum gestellt haben, eine Fussballweltmeisterschaft alle zwei Jahre auszurichten. War diese Idee, die Sie hatten, vielleicht zu wenig mit anderen wichtigen Experten abgesprochen? Oder haben Sie einfach nur gesagt: ‚Ich möchte mal einen Versuchsballon starten lassen, mal gespannt sein, wie die Reaktion darauf ist‘. Denn was da an Reaktionen – an ablehnenden Reaktionen – gekommen ist, vor allen Dingen von der UEFA, war doch schon sehr massiv.
Blatter: Ich danke für die Frage, und dass Sie Sagen: ‚...vor allem von der UEFA. Die Ablehnung kam ja nur aus dem Kreise von Europa und nur aus den Kreisen der UEFA, also der UEFA-Organisation in erster Linie. Die anderen Kontinente wären natürlich über einen 2-Jahres-Rhythmus sehr erfreut, weil es ihnen die Möglichkeit gäbe, vermehrt internationale Kontakte mit den besten Mannschaften aus Europa und Südamerika zu führen, was eben jetzt nur alle vier Jahre der Fall ist. Aber zurück zur Frage, ob das nur so eine Idee war. Nein, das war viel mehr. Das ist gebunden, diese Idee – alle zwei Jahre die WM – mit dem internationalen koordinierten Kalender. Den internationalen koordinierten Kalender hatte ich vor sechs Jahren aufgebracht, als ich noch Generalsekretär der FIFA war. Und dann wurde das abgeblockt; niemand wollte mehr darüber sprechen. Und es ist ein Muss, dass wir einen Kalender haben. Und die Idee, die Weltmeisterschaft alle zwei Jahre zu machen, hat dann hervorgerufen, dass wir jetzt in diesen Kalender mal einsteigen müssen. Und ‚die Weltmeisterschaft alle zwei Jahre‘ habe ich in einen kleinen Kasten eingeschlossen, also die Idee. Ich hatte einen Schlüssel und hab’s zugetan. Und wie in der deutschen Literatur gesagt ist - ...‘verloren ist das Schlüsselein, drum bleibst Du ewig drein‘, ungefähr so. Aber wir arbeiten jetzt auf diesem Kalender, und dieser Kalender wird es ermöglichen, dass die Clubs dann nicht jedes Wochenende Spieler abstellen müssen, sondern damit es genaue Wochenende gibt, wo in allen Kontinenten, in Europa, in Afrika, in Asien, in Amerika, gleichzeitig Nationalmannschaftsfussball gespielt wird. Und dann haben wir Ordnung. Wir werden versuchen, für die Ausscheidung 2002 das bereits einzusetzen.
DLF: Probleme könnte es möglicherweise auch mit dem Beginn des Termins der Fussballweltmeisterschaft im Jahr 2002 geben – wegen der Regenzeit, die dort im Juli herrscht. Hat man sich gedacht, dass man diesen Termin möglicherweise auf den 23. Mai vorzieht? Da sind aber auch wieder die Europäer Sturm gelaufen. Vor allem gab es wohl die heftigste Kritik aus England. Ist man jetzt von diesem Termin möglicherweise wieder abgekommen, gibt es da noch Überlegungen, oder fährt man da voll auf Konfrontationskurs von Ihrer Seite?
Blatter: Ich bin so froh, dass ich heute mal im Deutschlandfunk sprechen kann. Da kann ich einige Sachen klarstellen. Die Idee, die Weltmeisterschaft eine Woche vor dem Juni beginnen zu lassen – sonst ist immer, mit Ausnahme von Mexiko 86, im Juni gespielt worden –, ist von Korea und Japan vorgebracht worden, eben wegen dieser Regenzeit. Im Exekutivkomitee wurde dann darüber gesprochen, und Europa hat gesagt: ‚Für uns wird das ein Problem geben, aber wir gehen zurück und werden uns das anschauen‘. In der Zwischenzeit haben wir die Antwort von Europa: Das wird nicht gehen. Also spielen wir vom 1. bis 30. Juni die Weltmeisterschaft im Jahre 2002. Und alles andere ist ‚Sturm im Wasserglas‘ und es war in erster Linie keine blöde Idee des von England damals angeschossenen FIFA-Präsidenten, sondern es war nur eine Diskussion über einen von den Organisatoren der WM mit Berechtigung vorgebrachten Vorschlag. Und wieder einmal muss man sagen: Wenn die Solidarität überall spielen würde, könnte man ja auch einmal im Kontinent Europa die Meisterschaften etwas zurücksetzen oder vorsetzen, je nachdem, und auf so ein Gesuch eingehen.
DLF: Ein Problem, das der Fussball – wenn man ihn global betrachtet – immer noch nicht in den Griff bekommen hat, ist der Hooliganismus. Sicherlich ist dieses Problem kleiner geworden, aber es gibt es immer noch. Im letzten Jahr wurde ein spanischer Fan erstochen, vor nicht allzu langer Zeit gab es bei einem Freundschaftsspiel zwischen einer deutschen und einer holländischen Mannschaft Übergriffe von holländischen Hooligans auf diese deutschen Fans. Sind Sie bei der Bekämpfung des Hooliganismus – und ich denke da vor allem, wenn grosse Turniere stattfinden, Weltmeisterschaften, Europameisterschaften – in Zusammenarbeit mit den staatlichen Behörden auf einem guten Weg, und glauben Sie, dieses Phänomen in absehbarer Zeit fast ganz in den Griff zu bekommen? Ganz auslöschen wird man es wahrscheinlich nicht können.
Blatter: Man kann es nicht ganz auslöschen, und zwar aus dem einzigen Grunde, weil die Gewalt nicht im Fussball ist, die Gewalt ist in unserer Gesellschaft. Und wenn Sie Fussball mal beiseite lassen und sehen, was auf der ganzen Welt für Gewalttaten vollbracht werden, jeden Tag: In den Vereinigten Staaten wird herumgeschossen, in vielen, vielen anderen Ländern ist die Kriminalität sehr hoch. Dann gibt es sogenannte ‚fast kriegerische Schauplätze‘. Und der Fussball hat jetzt versucht in den letzten Jahren - insbesondere seit den Ausschreitungen 1985 im Heyzelstadion – dieses Phänomen in den Griff zu bekommen. Und wir sind so weit, und ich kann sagen: Fast ausschliesslich – also 100 Prozent – wird in den Stadien nicht mehr gestritten oder Hooliganismus gezeigt. Aber ausserhalb der Stadien sind sogenannte professionelle Schläger. Die benutzen dann die Popularität des Fussballs, um sich zu zeigen. Das hat man in Frankreich gesehen mit diesem fürchterlichen Angriff auf einen französischen Polizisten, der heute ein Krüppel ist. Das kann man eben nicht in den Griff bekommen, und insbesondere kann man das nicht nur dem Fussball zuschreiben. Der Fussball hat keinerlei Polizeigewalt, sei es ein Club oder ein Verband oder die FIFA. Also müssen wir mit den Behörden zusammenarbeiten, und gerade in einem grossen Event wird das grenzüberschreitend gemacht. Nicht nur mit der europäischen Polizei, sondern international wurde das gemacht, um auch in Frankreich Ruhe zu halten. Und mit einem Riesenaufgebot ist es trotzdem nicht gelungen, denn was ist passiert? Die Hooligans sind ja auf die Polizisten losgegangen, nicht mal gegeneinander. Also, ganz bringen wir es nicht weg. Aber man darf nicht dem Fussball den ‚Schwarzen Peter‘ zuschieben.
DLF: Ein Problem gilt es auch anzusprechen, das besonders in Europa in den letzen Jahren von sich Reden macht, und zwar die immens hohen Ablösesummen. Da wurden zu Beginn dieser Saison in Italien für einen Nationalspieler Christian Vieri, der innerhalb von Italien gewechselt ist, 90 Millionen Mark bezahlt. Wenn man sich anschaut, dass renommierte Vereine zum Beispiel in Spanien – und Vieri hat auch in Spanien gespielt – hoch verschuldet sind: Haben Sie nicht ein bisschen Angst, dass sich die Vereine mit ihrer Preispolitik selber in den Ruin treiben?
Blatter: Aber so lange sie Kredit bekommen von den Banken und anderen Instituten, weil man eben an den Fussball glaubt, wird sich die Spirale weiter nach oben drehen. Die Transfer innerhalb von Italien muss man auch etwas dezidierter oder differenzierter sehen, weil die dort nicht unbedingt den Wert bezahlen, den sie angeben, sondern das wird dann von einem zum anderen Club gutgeschrieben, das heisst: ‚Ich hab da noch ein Guthaben bei Dir – Du gibst mir dann mal einen Spieler‘, usw. Also das ist nicht so schlimm, wenn es innerhalb Italiens ist. Aber wenn jetzt ein fremder Club aus einem anderen Land diesen Vieri will, dann ist eben die Barriere so hoch angesetzt, dass man es nicht mehr bezahlen kann. Und das ist nicht gut. Aber das ist ein wirtschaftlicher Vorgang. Das ist das Gesetz des Angebotes und der Nachfrage. Und ich weiss nicht, ob wir überhaupt das Recht oder dann auch noch die Möglichkeit haben, dort hineinzuwirken.
DLF: Herr Blatter, abschliessend die Frage: Sie sind vor einem Jahr – vor Beginn der Fussballweltmeisterschaft in Frankreich – auf dem FIFA-Kongress zum neuen Präsidenten gewählt worden, haben sich kürzlich für Franz Beckenbauer als einen möglichen Nachfolger ausgesprochen. Nun glaube ich nicht, wenn man Sie so engagiert erlebt, dass Sie jetzt bereits nach einem Jahr amtsmüde sind. Sie denken an die Zeit nach Ihrer Präsidentschaft, und Sie haben sich ja auch ganz klar für nur noch zwei Legislaturperioden ausgesprochen, damit nicht ein Präsident – wie es früher schon mal war – über 20 Jahre da auf dem Thron sitzt. Könnten Sie sich Franz Beckenbauer in der Tat als idealen Nachfolger vorstellen?
Blatter: Also, ich könnte mir Franz Beckenbauer als einen sehr guten FIFA-Präsidenten vorstellen. Aber – ganz ehrlich jetzt gesagt: Wir sollten die Gremien des Fussballs, die Clubs, auch die Verbände oder die Ligen und dann eben auch die Konföderationen, wie die UEFA und dann die FIFA, wenn immer möglich, mit Fussballern besetzen, die eine Karriere gemacht haben als Dirigent, also man sagt in Deutschland: Als Funktionär, also als Präsident, und die auch gezeigt haben, dass sie den Fussball lieben. Und solche Leute haben auch die Glaubwürdigkeit des Fussballs. Verstehen Sie: Wenn ein Präsident – ich sage jetzt mal – wie der Franz Beckenbauer oder der Johann Cryff oder der Michael Planini, wenn die aufstehen und etwas über Fussball sprechen, dann glaubt man es ihnen, weil sie es gezeigt haben, wie man Fussball spielt, wie man im Fussball als Trainer tätig ist, wie man im Fussball auch als Funktionär tätig ist . . .
DLF: . . . wie man Fussball ‚lebt‘ . . .
Blatter: . . . lebt, ein Leben für Fussball. Und darum bin ich dafür, dass in Zukunft daran gedacht wird - auf lokaler, regionaler, nationaler und internationaler Ebene -, dass immer mehr Fussballer in diesen Gremien hineingehen. Dann würde vielleicht auch diese grossartige Spirale etwas aufhören, weil dann die Präsidenten der Clubs nicht nur aus Prestige – persönlichem Prestige –, oder weil sie sich andere Vorteile politischer Art, wie zum Beispiel Herr Berlusconi in Italien usw. erwünschen oder wirtschaftlich, weil sie in einem wirtschaftlichen Verband sind, dann würde der Fussball vielleicht wieder etwas in die Vernunft zurückkehren.
DLF: Sie haben in der Vorbereitungszeit für diese Bewerbungsabgaben nie ein Hehl daraus gemacht, dass Ihre Sympathien bei Südafrika liegen würden. Das ist sicherlich eine sportpolitische Entscheidung. Glauben Sie nicht, dass Sie damit vielleicht Ihre Neutralität in dieser Position aufgegeben haben und möglicherweise eine kleine Beeinflussung ins Spiel gebracht haben?
Blatter: Ich bin so froh, Herr Fischer, dass Sie diese Frage aufbringen. Das gibt mir die Gelegenheit, einmal klarzustellen, was oft – gerade in den Printmedien – falsch interpretiert wurde. Ich habe mich stark gemacht seit mehr als einem Jahr jetzt schon – also als ich auch als Kandidat der FIFA-Präsidentschaft war –, dass Afrika den Weltpokal erhalten soll 2006. Und ich habe mich nie für ein spezifisches Land in Afrika ausgesprochen, auch nicht für Südafrika. Man hat mir dann das einfach zugedichtet. Und ich bin der Überzeugung gewesen – damals. Jetzt werde ich die Neutralität bewahren in der Hoffnung, dass in der Logik und in der Solidarität, die in der FIFA herrscht - in der Logik des Rotationsprinzips, dass alle Kontinente des Weltcup haben sollten -, dass auch Afrika einmal drankommt. Und nachdem wir jetzt diese Brücke zwischen den europäischen Verbänden und den amerikanischen Verbänden, also Süd oder Nord, die jetzt immer den Weltpokal durchgeführt haben, einmal durchschnitten haben oder durchbrochen haben, indem wir im Jahre 2002 nach Asien gehen, so hat die Logik - und ich sag es noch einmal -: Die Solidarität würde sagen: Wir gehen jetzt nach Afrika - aber ich habe immer gesagt, und das werde ich stets sagen: Immer nur, wenn einer der afrikanischen Kandidaten auch die notwendigen Voraussetzungen bringt. Aber wie Sie gesagt haben: Anfangs dieser Woche hatten wir ja diese Präsentationen offiziell in der FIFA aufgenommen, und ich habe das gesagt und darf es nochmal bestätigen: Von jetzt ab werde ich mich über die fünf Kandidaturen nicht mehr äussern. Ich kann nur noch sagen, dass jetzt alle fünf im Rennen sind und dass wir in drei verschiedenen Etappen bis zu Beginn Juli nächsten Jahres so weit nach vorne kommen, dass das Exekutivkomitee der FIFA, das sind 23 Personen plus der Präsident, dann ihren Entscheid treffen kann. Und diese drei Etappen – vielleicht ist es interessant auch für die Zuhörerinnen und Zuhörer, zu wissen –: Zuerst werden jetzt diese Dokumente mal intern angeschaut und auf den Inhalt geprüft. Später gibt es eine Inspektionsgruppe, die reist dann in alle Herren Länder, das heisst in die fünf Länder, auch nach Deutschland. Und dann wird ein Bericht erstellt, und der Bericht wird dem Exekutivkomitee zur Begutachtung - oder ich würde mal sagen zum Examen - unterbreitet. Das Exekutivkomitee hat dann anhand dieses Berichtes zu entscheiden.
DLF: Die Entscheidung über die Vergabe der Fussballweltmeisterschaft im Jahr 2006 wird im Juli fallen. Ursprünglich hatte man gesagt, dass der Entscheid im März erfolgen sollte. Nun hat man diese Frist verlängert. Herr Blatter, Sie haben expressis verbis immer gesagt, Sie wollen natürlich versuchen, die Kosten für die Bewerberländer möglichst niedrig zu halten. Nun ist klar, dass man vier Monate mehr Zeit hat und auch mehr investieren muss, um bei den kontinentalen Sitzungen der FIFA sich zu präsentieren. Also, vielleicht sind Sie mit Ihrem Wunsch oder mit Ihrem Gedanken, den Sie ursprünglich einmal geäussert haben, nicht richtig gelegen. Warum hat man von dem März auf Juli aufgestockt, denn man müsste doch sagen, dass auch bis März genug Zeit gewesen wäre, sich in entsprechender Form zu präsentieren und darzustellen?
Blatter: Ich glaube nicht, dass ich jetzt mit meinen eigenen Ansichten wegen weniger Geld ausgeben in Konflikt komme. Wenn ich gesagt habe, wir müssen drastisch verkürzen die Ausgaben, dann meinte ich, das ist die direkte oder indirekte Beeinflussung des Wahlgremiums – mit vielen Einladungen, mit vielen Geschenken. Wir haben ein Limit gesetzt, also wie eine Latte auf der Hochsprunganlage: 100 Dollar ist das Limit, das unsere Mitglieder in Geschenkform annehmen dürfen. Und das wissen auch die Kandidaten. Nun, ob Sie vier Monate länger oder weniger lang Ihr Kandidatenkarussel drehen müssen - oder dürfen in diesem Falle, weil der Entscheid des Exekutivkomitees dahin tendiert und tendiert hat und es jetzt auch so gemacht wird, dass alle Konföderationen – die FIFA ist zusammengesetzt auch sechs Konföderationen – die Gelegenheit erhalten, das Gute oder das weniger Gute der Kandidaten selbst beurteilen zu können, und deshalb, weil die Europäische Fussballunion ihren Kongress erst am 30. Juni in Luxemburg durchführt, und vorher kommen die fünf anderen dran, haben dann die Kandidaten – deren fünf es auch sind – bei jedem dieser Kongresse die Gelegenheit, ihre Kandidatur ganz kurz darzustellen. Das gilt also hier auch in der Demokratie der FIFA, dass alle die gleichen Voraussetzungen haben, also nicht nur die Kandidaten, sondern auch die Familie der FIFA, die eben in diesem Sinne in sechs Kontinente aufgeteilt ist.
DLF: Herr Blatter, Sie haben viel Kritik einstecken müssen in den letzten Wochen -vor allem aus Deutschland – wegen der Teilnahme der deutschen Fussballnationalmannschaft beim Konföderationscup in Mexiko. Diese Kritik kam auch schon vor dem Turnier. Natürlich könnte man sagen: Wenn Deutschland besser abgeschnitten hätte, wäre die Kritik vielleicht nicht so stark gewesen. Aber die Kritik kam auch schon vorher. Man fühlte sich in Deutschland - obwohl man nicht gezwungen war, an diesem Cup teilzunehmen – aber doch mehr oder weniger genötigt. Man sagte: ‚Wenn wir dort nicht spielen, brauche wir unsere Bewerbung für die Fussballweltmeisterschaft 2006 gar nicht abzugeben. Also, das war so ein sportpolitische Eiertanz, den man dort gemacht hat. Sowohl der DFB-Präsident Egidius Braun, ein guter Freund von Ihnen, als auch andere führende Leute haben die Teilnahme stark kritisiert, haben gesagt: Das ist ein sehr, sehr schlechter Zeitpunkt. Wie konnten Sie mit dieser Kritik umgehen?
Blatter: Also, ich bin Kritik gewohnt, denn Kritik muss ja nicht immer negativ sein, sie kann ja auch ab und zu aufbauend sein. Und die Kritik aus Deutschland – wie Sie richtig sagen: Hätte die Mannschaft besser abgeschnitten, wäre Konföderationsmeister geworden, hätte man applaudiert und gesagt: ‚Wir hatten die Gelegenheit, eine neue Nationalmannschaft aufzubauen‘. Aber man darf eben nicht vergessen, dass auch die anderen Nationen im Fussball immer besser werden, und die dominierende Rolle, die der deutsche Fussball in den letzten Jahren auf der Welt und in Europa spielte, hat sich jetzt eben gezeigt - seit 1990, als Deutschland Weltmeister wurde in Italien -, dass sich das Niveau nach oben, nicht nach unten, nach oben angenähert hat. Und – verstehen Sie – mit Kritik leben oder nicht leben: Wenn man in der Position des FIFA-Präsidenten ist und ein Fussballer ist wie ich bin und wie ich war: Das rieselt so leise meinen Rücken runter. Also, ich kann das schon vertragen.
DLF: Für die kommenden Wochen und Monate steht Ihnen auch ein – ich würde sagen – schwerer Kampf bevor, da die Asiaten mit einem Boykott der Weltmeisterschaft im Jahr 2002 drohen, falls Asien keinen fünften Endrundenteilnehmer zugesprochen bekommt. Es gibt eine Boykottdrohung des asiatischen Verbandes AFC. Glauben Sie, diesen Boykott noch abwenden zu können? Man hat ja ein Kompromissangebot gemacht, dass man zwischen Asien und Europa noch einen Teilnehmer sozusagen ausspielt, also einen ‚halben‘ Teilnehmer hat man ihnen zugestanden. Sehen Sie die Dinge wirklich so kritisch, wie sie in der Öffentlichkeit zum teil dargestellt werden?
Blatter: Nein, absolut nicht. Absolut nicht, und zwar, weil: Seit diesem Boykott sind verschiedene Konsultationen gemacht worden, Gespräche haben stattgefunden, und ich werde mich persönlich mit dem Präsidenten der Asiatischen Fussballkonföderation, dem Sultan Ahmad Shah aus Malaysien, hier in Zürich, wahrscheinlich noch vor Ende des Monats August, treffen. Und die Tendenz geht also schon jetzt in Verständnis – oder Unverständnis, je nach dem, auf welcher Seite man ist. Es war natürlich schlecht, mit einen Boykott zu drohen und die Institutionen des FIFA-Kongresses dazu zu missbrauchen. Und da kann ich nur anwenden, was im Fussball Gang und Gebe ist – und das werden auch hier die Zuhörerinnen und Zuhörer verstehen –: Wenn man das Spielfeld vor Ende des Spieles verlässt, hat man nie das Spiel gewonnen. Und das wissen nun die Asiaten auch. Ich bin überzeugt, dass nun die Asiatische Konföderation mit allen ihren verbänden an dieser WM 2002 teilnimmt, aber eines können sie nicht mehr verlangen: Sie bekommen nicht mehr, als diesen halben Platz, den man ihnen angeboten hat. Mehr können sie nicht bekommen, denn sonst würden beim nächsten Kongress mir die Afrikaner weglaufen oder die Amerikaner und würden sagen: Dann bekommen wir 6 oder 7 – oder was auch immer. Also, man darf nicht den FIFA-Kongress für Druckmittel benutzen. Und das haben die jetzt verstanden.
DLF: Und dann würde man möglicherweise in Zukunft mit 50 oder 60 Ländern spielen, und man hat ja schon in Frankreich gesehen, dass mit der neuen Teilnehmerzahl eigentlich das oberste Limit erreicht ist. Mehr geht eigentlich nicht.
Blatter: Absolut. Bei 32 sind wir an der obersten Grenze, nicht nur auf dem Gebiet der Organisation, sondern auch auf dem Gebiet der Verträglichkeit des Fussballs. Während mehr als einem Monat täglich Spiele zu sehen – da könnte dann auch die Leidenschaft oder die Emotion, die der Fussball bringt, etwas abflachen. Also, man muss es eher straffen, und wir werden die 2002-Weltmeisterschaft nur in 30 Tagen spielen, nicht in 33 Tagen, wie in Frankreich.
DLF: Dass Sie als FIFA-Präsident, der viele Ideen hat und auch bemüht ist, diese durchzusetzen auf demokratische Art und Weise, mit Kritik leben muss, ist klar – oder auch mal Gegenwind bekommt. Nun haben Sie in einer weiteren Massnahme nicht nur Beifall bekommen, als Sie mal die Idee in den Raum gestellt haben, eine Fussballweltmeisterschaft alle zwei Jahre auszurichten. War diese Idee, die Sie hatten, vielleicht zu wenig mit anderen wichtigen Experten abgesprochen? Oder haben Sie einfach nur gesagt: ‚Ich möchte mal einen Versuchsballon starten lassen, mal gespannt sein, wie die Reaktion darauf ist‘. Denn was da an Reaktionen – an ablehnenden Reaktionen – gekommen ist, vor allen Dingen von der UEFA, war doch schon sehr massiv.
Blatter: Ich danke für die Frage, und dass Sie Sagen: ‚...vor allem von der UEFA. Die Ablehnung kam ja nur aus dem Kreise von Europa und nur aus den Kreisen der UEFA, also der UEFA-Organisation in erster Linie. Die anderen Kontinente wären natürlich über einen 2-Jahres-Rhythmus sehr erfreut, weil es ihnen die Möglichkeit gäbe, vermehrt internationale Kontakte mit den besten Mannschaften aus Europa und Südamerika zu führen, was eben jetzt nur alle vier Jahre der Fall ist. Aber zurück zur Frage, ob das nur so eine Idee war. Nein, das war viel mehr. Das ist gebunden, diese Idee – alle zwei Jahre die WM – mit dem internationalen koordinierten Kalender. Den internationalen koordinierten Kalender hatte ich vor sechs Jahren aufgebracht, als ich noch Generalsekretär der FIFA war. Und dann wurde das abgeblockt; niemand wollte mehr darüber sprechen. Und es ist ein Muss, dass wir einen Kalender haben. Und die Idee, die Weltmeisterschaft alle zwei Jahre zu machen, hat dann hervorgerufen, dass wir jetzt in diesen Kalender mal einsteigen müssen. Und ‚die Weltmeisterschaft alle zwei Jahre‘ habe ich in einen kleinen Kasten eingeschlossen, also die Idee. Ich hatte einen Schlüssel und hab’s zugetan. Und wie in der deutschen Literatur gesagt ist - ...‘verloren ist das Schlüsselein, drum bleibst Du ewig drein‘, ungefähr so. Aber wir arbeiten jetzt auf diesem Kalender, und dieser Kalender wird es ermöglichen, dass die Clubs dann nicht jedes Wochenende Spieler abstellen müssen, sondern damit es genaue Wochenende gibt, wo in allen Kontinenten, in Europa, in Afrika, in Asien, in Amerika, gleichzeitig Nationalmannschaftsfussball gespielt wird. Und dann haben wir Ordnung. Wir werden versuchen, für die Ausscheidung 2002 das bereits einzusetzen.
DLF: Probleme könnte es möglicherweise auch mit dem Beginn des Termins der Fussballweltmeisterschaft im Jahr 2002 geben – wegen der Regenzeit, die dort im Juli herrscht. Hat man sich gedacht, dass man diesen Termin möglicherweise auf den 23. Mai vorzieht? Da sind aber auch wieder die Europäer Sturm gelaufen. Vor allem gab es wohl die heftigste Kritik aus England. Ist man jetzt von diesem Termin möglicherweise wieder abgekommen, gibt es da noch Überlegungen, oder fährt man da voll auf Konfrontationskurs von Ihrer Seite?
Blatter: Ich bin so froh, dass ich heute mal im Deutschlandfunk sprechen kann. Da kann ich einige Sachen klarstellen. Die Idee, die Weltmeisterschaft eine Woche vor dem Juni beginnen zu lassen – sonst ist immer, mit Ausnahme von Mexiko 86, im Juni gespielt worden –, ist von Korea und Japan vorgebracht worden, eben wegen dieser Regenzeit. Im Exekutivkomitee wurde dann darüber gesprochen, und Europa hat gesagt: ‚Für uns wird das ein Problem geben, aber wir gehen zurück und werden uns das anschauen‘. In der Zwischenzeit haben wir die Antwort von Europa: Das wird nicht gehen. Also spielen wir vom 1. bis 30. Juni die Weltmeisterschaft im Jahre 2002. Und alles andere ist ‚Sturm im Wasserglas‘ und es war in erster Linie keine blöde Idee des von England damals angeschossenen FIFA-Präsidenten, sondern es war nur eine Diskussion über einen von den Organisatoren der WM mit Berechtigung vorgebrachten Vorschlag. Und wieder einmal muss man sagen: Wenn die Solidarität überall spielen würde, könnte man ja auch einmal im Kontinent Europa die Meisterschaften etwas zurücksetzen oder vorsetzen, je nachdem, und auf so ein Gesuch eingehen.
DLF: Ein Problem, das der Fussball – wenn man ihn global betrachtet – immer noch nicht in den Griff bekommen hat, ist der Hooliganismus. Sicherlich ist dieses Problem kleiner geworden, aber es gibt es immer noch. Im letzten Jahr wurde ein spanischer Fan erstochen, vor nicht allzu langer Zeit gab es bei einem Freundschaftsspiel zwischen einer deutschen und einer holländischen Mannschaft Übergriffe von holländischen Hooligans auf diese deutschen Fans. Sind Sie bei der Bekämpfung des Hooliganismus – und ich denke da vor allem, wenn grosse Turniere stattfinden, Weltmeisterschaften, Europameisterschaften – in Zusammenarbeit mit den staatlichen Behörden auf einem guten Weg, und glauben Sie, dieses Phänomen in absehbarer Zeit fast ganz in den Griff zu bekommen? Ganz auslöschen wird man es wahrscheinlich nicht können.
Blatter: Man kann es nicht ganz auslöschen, und zwar aus dem einzigen Grunde, weil die Gewalt nicht im Fussball ist, die Gewalt ist in unserer Gesellschaft. Und wenn Sie Fussball mal beiseite lassen und sehen, was auf der ganzen Welt für Gewalttaten vollbracht werden, jeden Tag: In den Vereinigten Staaten wird herumgeschossen, in vielen, vielen anderen Ländern ist die Kriminalität sehr hoch. Dann gibt es sogenannte ‚fast kriegerische Schauplätze‘. Und der Fussball hat jetzt versucht in den letzten Jahren - insbesondere seit den Ausschreitungen 1985 im Heyzelstadion – dieses Phänomen in den Griff zu bekommen. Und wir sind so weit, und ich kann sagen: Fast ausschliesslich – also 100 Prozent – wird in den Stadien nicht mehr gestritten oder Hooliganismus gezeigt. Aber ausserhalb der Stadien sind sogenannte professionelle Schläger. Die benutzen dann die Popularität des Fussballs, um sich zu zeigen. Das hat man in Frankreich gesehen mit diesem fürchterlichen Angriff auf einen französischen Polizisten, der heute ein Krüppel ist. Das kann man eben nicht in den Griff bekommen, und insbesondere kann man das nicht nur dem Fussball zuschreiben. Der Fussball hat keinerlei Polizeigewalt, sei es ein Club oder ein Verband oder die FIFA. Also müssen wir mit den Behörden zusammenarbeiten, und gerade in einem grossen Event wird das grenzüberschreitend gemacht. Nicht nur mit der europäischen Polizei, sondern international wurde das gemacht, um auch in Frankreich Ruhe zu halten. Und mit einem Riesenaufgebot ist es trotzdem nicht gelungen, denn was ist passiert? Die Hooligans sind ja auf die Polizisten losgegangen, nicht mal gegeneinander. Also, ganz bringen wir es nicht weg. Aber man darf nicht dem Fussball den ‚Schwarzen Peter‘ zuschieben.
DLF: Ein Problem gilt es auch anzusprechen, das besonders in Europa in den letzen Jahren von sich Reden macht, und zwar die immens hohen Ablösesummen. Da wurden zu Beginn dieser Saison in Italien für einen Nationalspieler Christian Vieri, der innerhalb von Italien gewechselt ist, 90 Millionen Mark bezahlt. Wenn man sich anschaut, dass renommierte Vereine zum Beispiel in Spanien – und Vieri hat auch in Spanien gespielt – hoch verschuldet sind: Haben Sie nicht ein bisschen Angst, dass sich die Vereine mit ihrer Preispolitik selber in den Ruin treiben?
Blatter: Aber so lange sie Kredit bekommen von den Banken und anderen Instituten, weil man eben an den Fussball glaubt, wird sich die Spirale weiter nach oben drehen. Die Transfer innerhalb von Italien muss man auch etwas dezidierter oder differenzierter sehen, weil die dort nicht unbedingt den Wert bezahlen, den sie angeben, sondern das wird dann von einem zum anderen Club gutgeschrieben, das heisst: ‚Ich hab da noch ein Guthaben bei Dir – Du gibst mir dann mal einen Spieler‘, usw. Also das ist nicht so schlimm, wenn es innerhalb Italiens ist. Aber wenn jetzt ein fremder Club aus einem anderen Land diesen Vieri will, dann ist eben die Barriere so hoch angesetzt, dass man es nicht mehr bezahlen kann. Und das ist nicht gut. Aber das ist ein wirtschaftlicher Vorgang. Das ist das Gesetz des Angebotes und der Nachfrage. Und ich weiss nicht, ob wir überhaupt das Recht oder dann auch noch die Möglichkeit haben, dort hineinzuwirken.
DLF: Herr Blatter, abschliessend die Frage: Sie sind vor einem Jahr – vor Beginn der Fussballweltmeisterschaft in Frankreich – auf dem FIFA-Kongress zum neuen Präsidenten gewählt worden, haben sich kürzlich für Franz Beckenbauer als einen möglichen Nachfolger ausgesprochen. Nun glaube ich nicht, wenn man Sie so engagiert erlebt, dass Sie jetzt bereits nach einem Jahr amtsmüde sind. Sie denken an die Zeit nach Ihrer Präsidentschaft, und Sie haben sich ja auch ganz klar für nur noch zwei Legislaturperioden ausgesprochen, damit nicht ein Präsident – wie es früher schon mal war – über 20 Jahre da auf dem Thron sitzt. Könnten Sie sich Franz Beckenbauer in der Tat als idealen Nachfolger vorstellen?
Blatter: Also, ich könnte mir Franz Beckenbauer als einen sehr guten FIFA-Präsidenten vorstellen. Aber – ganz ehrlich jetzt gesagt: Wir sollten die Gremien des Fussballs, die Clubs, auch die Verbände oder die Ligen und dann eben auch die Konföderationen, wie die UEFA und dann die FIFA, wenn immer möglich, mit Fussballern besetzen, die eine Karriere gemacht haben als Dirigent, also man sagt in Deutschland: Als Funktionär, also als Präsident, und die auch gezeigt haben, dass sie den Fussball lieben. Und solche Leute haben auch die Glaubwürdigkeit des Fussballs. Verstehen Sie: Wenn ein Präsident – ich sage jetzt mal – wie der Franz Beckenbauer oder der Johann Cryff oder der Michael Planini, wenn die aufstehen und etwas über Fussball sprechen, dann glaubt man es ihnen, weil sie es gezeigt haben, wie man Fussball spielt, wie man im Fussball als Trainer tätig ist, wie man im Fussball auch als Funktionär tätig ist . . .
DLF: . . . wie man Fussball ‚lebt‘ . . .
Blatter: . . . lebt, ein Leben für Fussball. Und darum bin ich dafür, dass in Zukunft daran gedacht wird - auf lokaler, regionaler, nationaler und internationaler Ebene -, dass immer mehr Fussballer in diesen Gremien hineingehen. Dann würde vielleicht auch diese grossartige Spirale etwas aufhören, weil dann die Präsidenten der Clubs nicht nur aus Prestige – persönlichem Prestige –, oder weil sie sich andere Vorteile politischer Art, wie zum Beispiel Herr Berlusconi in Italien usw. erwünschen oder wirtschaftlich, weil sie in einem wirtschaftlichen Verband sind, dann würde der Fussball vielleicht wieder etwas in die Vernunft zurückkehren.