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Blick durch die Verpackung

Technik. - Von chemischen Analysen hören wir vor allem, wenn es mal wieder irgendeinen Skandal gibt – Dioxin in den Eiern zum Beispiel. Dabei spielt die Analytik nicht nur in der Überwachung von Lebensmitteln und der Umwelt eine wichtige Rolle, sondern auch für Zoll und Pharmafirmen. Auf der Münchener Messe "Analytica" waren die neuesten Verfahren und Geräte zu besichtigen.

Von Hellmuth Nordwig | 19.04.2012
    Der Glaskasten am Messestand der Firma PANalytical könnte schon bald dabei helfen, gefälschte Medikamente aufzuspüren. Das Gerät ist so groß wie eine Waschmaschine, sein Herzstück ist aber in einem deutlich kleineren Metallzylinder verborgen: eine Röntgenquelle. Die Strahlen treffen auf den Inhalt einer möglicherweise gefälschten Tablettenschachtel. Einen sogenannten Blister, bei dem die Pillen durch eine Metallfolie versiegelt sind. Professor Klaus Jürgen Steffens von der Universität Bonn erklärt, warum er gerade Röntgenstrahlen benutzt, um festzustellen, ob es sich um das echte Medikament handelt.

    "Es gibt natürlich Konkurrenzmethoden, aber da muss man die Tabletten immer aus dem Blister herausnehmen. Die Röntgenstrahlung hat den großen Vorteil, dass sie auch durch den Aluminium-Anteil geht, was keine andere Methode in der Lage ist zu leisten. Es wird praktisch ein Fingerabdruck des Inneren der Tablette erzeugt. Wir haben bis heute keine nachgemachte Tablette gefunden, die den gleichen Fingerabdruck hätte wie das Original."

    Aluminium und Kunststoff sind für die Röntgenstrahlen durchsichtig. Doch an den winzigen Kristallen, die zu einer Tablette zusammengepresst sind, werden sie jeweils zurückgeworfen wie an einem Spiegel. Der Detektor zeichnet diese Vielzahl von Reflexionen auf. Aus der Größe und Form der Kristalle ergibt sich ein einzigartiges Muster, das für ein Medikament charakteristisch ist. Das kann ein Fälscher nie vollständig nachahmen, selbst wenn er dieselbe Wirksubstanz benutzt und zu Tabletten verarbeitet wie der Hersteller des Originals. Steffens:

    "Weil die übrigen Stoffe, die in der Tablette sind, anders sind, von anderen Herstellern kommen. Wirkstoffe, Hilfsstoffe und die ganze Herstellungsweise, auch der eventuelle Überzug der Tablette, die Farbe, all das trägt zu Veränderungen in diesem Röntgendiffraktogramm bei."

    So heißt das reflektierte Muster in der Fachsprache. Etwa nach fünf Minuten können die Fachleute eindeutig feststellen, ob sie es mit einem gefälschten Arzneimittel zu tun haben. Trotzdem steht das Gerät bisher weder am Frankfurter Flughafen noch in einem Landeskriminalamt – denn die Untersuchungen der Bonner Forscher sind gerade erst abgeschlossen worden, berichtet Dr. Detlef Opper von der Firma PANalytical.

    "Wir waren schon mit Zollbehörden im Gespräch. Es ist halt keine sehr simple Methode. Man muss schon ein bisschen Erfahrung mit den Geräten haben. Deswegen ist das bis jetzt noch im Anfangsstadium. Wir hatten gerade erst eine Demonstration in Holland, wo einer, der Medikamente aus dem Ausland importiert, Versuche gemacht hat. Die waren auch sehr vielversprechend. Es ist noch nichts, was standardmäßig angewendet wird. Aber die Möglichkeiten sind schon alle evaluiert, und man weiß, dass es geht."

    Auch der Preis von rund 150.000 Euro schreckt die potenziellen Anwender noch ab. Für die Pharmaindustrie ist diese Hürde kein Problem. Dort wird die Untersuchung mit den Röntgenstrahlen bereits eingesetzt – nicht um gefälschte Medikamente zu finden, sondern in der Forschung, berichtet Dr. Norbert Nagel vom Frankfurter Unternehmen Sanofi-Aventis.

    "Wirkstoffe können in verschiedenen Festkörperzuständen vorkommen, die dann auch eine unterschiedliche Wirksamkeit haben können. Aus diesem Grund ist es wichtig, schon in der Entwicklung und Forschung herauszufinden, welche davon ist die geeignetste Modifikation für das Arzneimittel."

    Auch da geht es um unterschiedliche Kristallstrukturen, die verschieden gut löslich sein können. Genau davon hängt es ab, wie gut ein Medikament vom Körper aufgenommen wird und wie lange es dort verweilt.

    "Man kann sich das so vorstellen, dass die Moleküle sich wie Untertassen aufstapeln, sie können sich aber auch fischgrätenartig anordnen im Festkörper. Man hat dann andere Wechselwirkungen, andere Kräfte zwischen den Molekülen, und das kann zu einer unterschiedlichen Bioverfügbarkeit führen."

    Die Röntgenstrahlen helfen den Forschern, die geeignete Kristallform für ein Arzneimittel zu finden. Keine ganz einfache Methode – aber sie ist in kurzer Zeit zur einem wichtigen Baustein der Medikamentenentwicklung geworden.

    Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version wurde die Firma PANalytical versehentlich als PANalytics bezeichnet. Redaktion und Autor bitten, das Versehen zu entschuldigen.