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Blinde Harmonie

Die Bilder aus den WM-Stadien in Südafrika liefern ab morgen internationale Kamerateams. ARD-Regisseur Volker Drews vertraut auf diese eingespielten Teams und ihre Regisseure, die von circa 40 Monitoren die richtigen Bildsequenzen auswählen und zusammenstellen.

Volker Drews im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 10.06.2010
    Tobias Armbrüster: Szenen wie diese hier, die wir jetzt gleich hören, kriegen wir ab morgen wochenlang zu hören. – So klang das vor vier Jahren, beim WM-Spiel Deutschland-Argentinien. Millionen von Fernsehzuschauern saßen, standen oder lagen damals vor dem Fernseher, um sich dieses Drama anzusehen. Genau das wird ab morgen auch wieder so sein, wenn die WM in Johannesburg angepfiffen wird. Aber wie genau wird eigentlich aus einem Fußballspiel in einem Stadion ein Fernsehdrama, eine Geschichte also mit Naheinstellung, Kameraschwenks und Zeitlupen? – Darüber habe ich gestern mit Volker Drews gesprochen, einem Bildregisseur der ARD. Er ist zurzeit mit dabei in Südafrika und ich habe ihn zuerst mal gefragt, wer eigentlich genau darüber entscheidet, welche Bilder wir zu Hause auf dem Fernseher zu sehen kriegen.

    Volker Drews: Beim reinen Fußballspiel entscheidet das ein internationaler Regisseur. Es ist so, dass seit 2000 die Bilder bei Weltmeisterschaften von HBS produziert werden - Host Broadcast Service heißt das übersetzt -, eine Firma, die in Paris ansässig ist. Diese Firma plant die ganze Weltmeisterschaft technisch und kauft sich dann in den verschiedenen Ländern Regisseure und Kameraleute ein. So sind auch zum Beispiel bei dieser Weltmeisterschaft wieder zwei deutsche Kamerateams und Regisseure mit dabei, die sonst auch die Fußballbundesliga produzieren, sodass das ganze Fernsehbild auf einem internationalen Standard gesendet wird. Dieser Regisseur entscheidet im Prinzip darüber, was Sie dann zu Hause sehen.

    Armbrüster: Das heißt, kann ich mir das so vorstellen: Der sitzt da in einem Raum mit Mitarbeitern und mit mehreren Fernsehbildschirmen vor sich und sagt dann immer, diese Einstellung will ich jetzt haben und jetzt diese?

    Drews: Genau! Das sind Ü-Wagen, Übertragungswagen, die mobil sind. Dort sind bei dieser Fußballweltmeisterschaft bis zu 25 Kameras angeschlossen und demzufolge hat er eine Monitorwand mit deutlich mehr als 25 Monitoren, weil dann auch noch Zeitlupenmonitore da zu sehen sein werden. In der Regel sind es um die 40 Monitore, die der Regisseur beobachten muss. Er hat ein großes Bildmischpult vor sich mit ganz vielen Knöpfen. Ich vergleiche es mal ein bisschen, das ist wie Klavierspielen. Man guckt gar nicht mehr richtig hin, man weiß, welche Knöpfe welche Bedeutung haben, und dann versucht der Regisseur, das Spiel zu lesen und zu entscheiden, was ist wichtig. In der Regel natürlich die Totale, damit man den Überblick hat, aber natürlich auch, wenn sich an der Außenlinie etwas abspielt, dass man mit einer großen Kamera darauf geht, dass man die Spieler groß sieht. Und dann ist natürlich ganz entscheidend für die Zuschauer zu Hause die Zeitlupen, damit man dann noch mal sehen kann, wie schön das Tor auch gefallen ist.

    Armbrüster: Wir des da manchmal hektisch, zum Beispiel, wenn ein Kameramann nicht gerade genau das macht, was ein Regisseur haben will?

    Drews: Das sind natürlich wie gesagt eingespielte Teams. Deswegen achtet der französische Dienstleister darauf, dass er eingespielte Teams bekommt. In der Regel sind diese Teams aus England, aus Deutschland, aus Frankreich, die das ganze Jahr nichts anderes machen. Der Regisseur sucht sich natürlich die Kameraleute zu Hause aus, mit denen er einfach auch blind harmoniert, und da passiert in der Regel nichts Außergewöhnliches. Von daher wird es eigentlich auch nicht hektisch, weil das wirklich Profis sind.

    Armbrüster: Bei dieser Bildabfolge, gibt es da jetzt bestimmte Gesetzmäßigkeiten, an die man sich halten muss?

    Drews: Ja. Das hat sich im Laufe der Jahre schon eingespielt. Wie gesagt, lange bleibt man in der Totalen, damit man den Überblick hat. Wenn es an der Außenlinie dynamisch abgeht, hat man gerne Großeinstellungen. Wichtig sind zum Beispiel solche Situationen, Eckbälle oder Freistöße. Da versucht der Regisseur, schon eine gewisse Spannung zu erzeugen. Das heißt Hintertor-Einstellungen: Wie reagiert der Torwart, wie stellt er seine Mauer? Oder die Kämpfe bei Eckbällen im Strafraum: Wie schieben sich die Stürmer und Verteidiger hin und her. Da gibt es natürlich dann ein Mix zwischen den verschiedenen Kameraeinstellungen, damit da auch eine gewisse Dynamik gezeigt wird und damit da der Zuschauer zu Hause vielleicht einen Tick mehr sieht als der Zuschauer im Stadion.

    Armbrüster: Sie haben jetzt schon gesagt, das sind sehr routinierte Leute, sehr routinierte Arbeitsabläufe auch. Kann man denn trotzdem sagen, gibt es so etwas wie einen größten Fehler, den man als Regisseur bei so einem Spiel machen kann?

    Drews: Absolut! Passiert ab und zu mal und wird nicht gerne gesehen, zum Beispiel, wenn 11 Meter gepfiffen wird und der Regisseur ist noch auf Zeitlupen, weil er noch mal genau nachweisen möchte, war es nun ein 11 Meter oder nicht, und verpasst den Moment, wo der 11-Meter-Schütze anläuft und den 11 Meter schießt und das dann erst nachreichen kann. Das ist dann sage ich mal ein großer Fehler. Oder auch grundsätzlich, wenn einfach Zeitlupen laufen und man verpasst ein Tor in der Live-Situation und kann es dann auch wiederum nur als Zeitlupe nachreichen. Das sind Situationen, die hat kein Regisseur gerne.

    Armbrüster: Sie haben jetzt schon angedeutet, das sind internationale Teams, die da zusammenarbeiten bei der Bildgestaltung. Wie wird denn sichergestellt, dass die Kollegen immer das liefern, was man zum Beispiel auch hier bei uns in Deutschland gerne an Bildmaterial sehen möchte?

    Drews: Sicherstellen kann man das von ARD und ZDF zum Beispiel gar nicht, weil wir auf diese Regisseure angewiesen sind. Im Vorfeld wird natürlich mit den Verantwortlichen von HBS darüber gesprochen, was man erwartet. Es gibt auch jeden Tag eine Konferenz mit den Beteiligten, wo man dann rückblickend sagen kann, das hat uns so nicht gefallen, zum Beispiel sind die Zeitlupen zu kurz, weil man gerne mehr Vorlauf sehen möchte, oder die Bildführung ist zu total, man sieht ganz viel vom Stadion und Zuschauer eigentlich, das Spielfeld nicht. Das wird schon jeden Tag besprochen und dann versuchen die Kollegen, natürlich auch darauf zu reagieren.

    Armbrüster: Herr Drews, wir machen das jetzt im Deutschlandfunk, deshalb muss ich Ihnen ganz zum Schluss einen Satz sagen, den Sie bitte für mich vervollständigen.

    Drews: Ja.

    Armbrüster: Und zwar lautet der: Fußballübertragungen im Radio sind besser als im Fernsehen, weil ...

    Drews: ... , weil der Zuhörer sich selbst ein Bild macht und damit es wesentlich spannender ist. Das ist genauso, wie wenn man ein Buch liest und sich dazu die Gedanken macht, und nicht den Film sieht.

    Armbrüster: Herr Drews, wir werden Ihnen bei der Bildregie in den kommenden Wochen genau auf die Finger gucken. – Volker Drews war das, ARD-Regisseur bei der Fußball-WM in Südafrika. Vielen Dank für dieses Gespräch.

    Drews: Sehr gerne!