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Blinder Passagier unterm Gefieder

Zoologie.- Große Tierwanderungen ziehen das Interesse der Menschen nahezu an. Was dem Blick durchs Fernglas entgeht sind die blinden Passagiere, die die Tiere mitbringen: Viren, Parasiten, Bakterien. Nun fragen Forscher nach dem Zusammenhang zwischen Wanderverhalten und Infektionskrankheiten.

Von Volkart Wildermuth | 25.01.2011
    Es schnattert und quakt ohrenbetäubend, wenn sich Jahr für Jahr im Herbst Gänse, Enten, Schwäne an den wenigen Rastplätzen an den Feuchtgebieten auf ihrer Reiseroute treffen. Ideale Bedingungen auch für Krankheitserreger, meint Dr. Sonia Altizer von der Universität von Georgia.

    "Tiere können bei ihren langen Wanderungen Erreger über große Distanzen verbreiten. In Nordamerika gibt es nur einige wenige Rastplätze, an denen die Wasservögel in phänomenalen Zahlen zusammenkommen. Und dort wird das Vogelgrippevirus sowohl innerhalb einer Art als auch zwischen den Arten weitergegeben."

    Weltweit kein Einzelfall. Singvögel verbreiten das West Nil Virus entlang ihrer Zugrouten und das Ebolavirus kommt jedes Jahr mit wandernden Fledermäusen in den Kongo. Wale transportieren parasitäre Krebse, Lachse Flöhe, Gnus die Maul und Klauenseuche, Kröten bestimmte Pilze, Antilopen Würmer, die Liste hört nicht auf. Sonia Altizer selbst beschäftigt sich mit dem Monarchfalter. Diese großen, bunten Schmetterlinge ziehen jedes Jahr in riesigen Schwärmen vom Winterquartier in Mexiko Tausende Kilometer nach Norden. Die nächste Generation erreicht sogar Kanada, bevor es im Herbst wieder zurück in den Süden geht. Von den Monarchfaltern gibt es aber auch Populationen, die deutlich kürzere Strecken zurücklegen. Und in Florida sind die Bedingungen so gut, dass sie gar nicht wandern müssen. Sonia Altizer hat festgestellt, dass das Zugverhalten der Schmetterlinge einen großen Einfluss auf ihre Belastung mit Parasiten hat.

    "In Gegenden, wo die Monarchfalter sehr weit wandern müssen, sind die Schmetterlinge kaum von Parasiten befallen. In Regionen, in denen sie das ganze Jahr über bleiben können, ist die Infektionsrate dagegen extrem hoch. Wenn die Monarchfalter nicht wandern, sind zwischen 50 und 100 Prozent der Schmetterlinge befallen."

    Sesshaftigkeit macht es den Parasiten leicht. Umgekehrt hat die Wanderung der Falter eine positive Wirkung auf das Krankheitsgeschehen.

    "Monarchfalter mit Parasiten sind langsamer und fliegen nicht so weit wie gesunde Tiere. Die Wanderung ist für die Schmetterlinge zweimal im Jahr ein Marathon über sechs bis acht Wochen, kranke Tiere schaffen das nicht. Wanderungen entfernen infizierte Tiere aus der Population."

    Schlecht für den einzelnen Falter, gut für die Art. Wanderungen verhindern auch, dass sich in der Umwelt große Mengen von Parasiten ansammeln können, auch das ein positiver Effekt, der die Krankheitsbelastung senkt.

    Der Zusammenhang zwischen Zugverhalten und Infektionen ist komplex, in jedem Einzelfall muss untersucht werden, ob die Wanderung die Ausbreitung der Erreger fördert oder behindert. Fest steht, dass der Mensch Tierwanderungen massiv beeinflusst. Die Zahl der Feuchtgebiete nimmt ab, deshalb drängen sich noch mehr Vögel an den wenigen Rastplätzen, das kann die Ausbreitung der Vogelgrippe erleichtern. In manchen amerikanischen Nationalparks werden Bisons und Elche gefüttert, sie wandern nicht mehr, und bilden ein stabiles Reservoir für Bakterien, die dann auch auf Rinderherden übergehen können. Ähnlich bei den Flughunden in Australien und Asien.

    "Es hat sich gezeigt, dass Obstbäume in Städten den Flughunden eine sichere Nahrungsquelle bieten. Statt durch die Wälder zu ziehen bilden sie ganzjährige Camps. Dort ist die Belastung mit Nipah und Hendra Viren viel höher. Wenn die Fledermäuse nicht mehr wandern, steigt auch die Infektionsgefahr für Haustiere und Menschen."

    Sowohl in Australien als auch in Malaysia haben die Camps der großen Fledermäuse zu Ausbrüchen von Hirnhautentzündung in der menschlichen Bevölkerung geführt. Ein weiterer Grund für Sonia Altizer, das Zusammenspiel zwischen Tierwanderungen, Krankheitserregern und menschlichen Einflüssen genauer zu untersuchen.