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Blitzschlag
Millionen Regenwaldbäume sterben bei Gewittern

Ein US-amerikanischer Ökologe hat erforscht, wie oft Regenwaldbäume in Panama von Blitzen getroffen und zerstört werden. Das Ergebnis seiner Arbeit ist unerwartet. Offensichtlich spielen Blitzeinschläge eine wichtigere Rolle für das Ökosystem als angenommen.

Von Volker Mrasek | 16.12.2019
Bäume und Berge im Nationalpark Omar Torrijos in Panama
Bäume und Berge im Nationalpark Omar Torrijos in Panama (imago stock&people)
"Oh, wie schön ist Panama!" Das sagt nicht nur ein berühmter Kinderbuchautor. Das sagen auch Regenwaldforscher, die genau dort ihre Freilandstudien durchführen - wie Stephen Yanoviak, Professor für Biologie an der Universität Louisville in den USA:
"Panama hat den mit Abstand am besten untersuchten Flecken Regenwald auf dem ganzen Planeten!"
Die technische Infrastruktur vor Ort sei ausgezeichnet:
"Es gibt dort Beobachtungstürme, die durch das Kronendach stoßen. Sie sind 45 Meter hoch. Wir nutzen sie, um Blitze in Echtzeit aufzunehmen, mit Überwachungskameras."
Sieben dieser Türme sind es insgesamt, positioniert in einem großen Kreis, der rund 15 Quadratkilometer Regenwald umfasst. Die Kameras laufen ständig und speichern ihre Aufnahmen sieben Tage lang. Ein eigens entwickelter Computer-Algorithmus fischt regelmäßig die Sequenzen mit Blitzeinschlägen heraus. Weil aus verschiedenen Richtungen gefilmt wird, erfährt Stephen Yanoviak bei jedem Blitzschlag auch, welche Urwald-Riesen es in dem Meer aus Bäumen erwischt hat:
"Nach unseren bisherigen Beobachtungen werden im Durchschnitt fünf Bäume durch einen Blitzeinschlag getötet und weitere 17 im Umkreis geschädigt. In unseren Breiten trifft es in der Regel einzelne exponierte Bäume, im tropischen Regenwald dagegen ganze Baumgruppen."
Ein Blitz kann mehr als 100 Bäume gleichzeitig schädigen
Einmal sei ein einziger Blitz durch mehr als 100 Bäume gefahren, berichtete Evan Gora jetzt in Belfast. Der Ökologe schlug seine Zelte dauerhaft in Panama auf. Drei Jahre habe er inzwischen dort verbracht, so Gora:
"Wenn der Blitz einen Baum trifft, dann sehen wir: Die elektrische Ladung fließt durch seine Äste und springt von einer Krone auf die nächste über. Wir glauben, das liegt daran, dass Baumstämme eigentlich keine guten Stromleiter sind, sondern eher Isolatoren. Das erschwert die direkte Entladung zwischen Baumkrone und Boden. Der Blitz trifft auf geringeren Widerstand, wenn er sich erst einmal durch die Kronen benachbarter Bäume verzweigt. Auf diese Weise können bis zu 115 Bäume innerhalb einer einzigen Sekunde geschädigt werden, wie wir beobachtet haben."
Das Kronendach im Regenwald ist gar nicht so eben, wie sich das viele vielleicht vorstellen, im Gegenteil: Überall gibt es Bäume, die aus dem Dickicht herausragen. In der Testfläche treffe der Blitz häufig Dipteryx panamensis zuerst, wie Stephen Yanoviak sagt. Das ist der hochwüchsige Waldmandelbaum:
"Unsere Ergebnisse sind unerwartet. Wir haben nicht gedacht, dass Blitzeinschläge eine so wichtige Rolle für das Ökosystem spielen, wie es jetzt scheint. Blitze könnten die Todesursache für 40 Prozent der großen Bäume im Regenwald sein."
Die Zahlen aus Panama sind auf den Amazonas Regenwald übertragbar
Man könnte es auch anders formulieren: Vier von zehn Urwaldriesen werden demnach zeit ihres Lebens vom Blitz getroffen und getötet. Wobei Regenwaldbäume weit über tausend Jahre alt werden können, wie der US-Biologe sagt.
Yanoviak hält die Ergebnisse für übertragbar. Der Amazonas Regenwald zum Beispiel sei ganz ähnlich aufgebaut wie der in Panama.
Evan Gora hat inzwischen Blitz-Daten für die gesamten Tropen gesammelt. Sie stammen von Satelliten und Bodensensoren:
"Wir leiten daraus ab, dass in tropischen Regenwäldern jedes Jahr 60 Millionen Blitze einschlagen. Um die 1,1 Milliarden Bäume werden von ihnen getroffen, rund 350 Millionen sterben dadurch.
Vorerst seien das erst noch sehr grobe Abschätzungen, sagt Gora. Doch sicher scheint, dass viel mehr Regenwald-Bäume durch Blitze umkommen als vermutet. In Zukunft könnten es sogar noch mehr sein. Denn es wird erwartet, dass die Blitz-Aktivität in den Tropen zunimmt - als Folge des Klimawandels.