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Blockierte Nation

Mit einem Antrag auf Vollmitgliedschaft in den Vereinten Nationen will die Palästinenserführung Bewegung in die Nahostverhandlungen bringen. Eine große Mehrheit in der UN-Generalversammlung wäre für Israel eine diplomatische Niederlage.

Von Clemens Verenkotte | 17.09.2011
    Kiryat Arba, eine der ältesten jüdischen Siedlungen im Süden des besetzten Westjordanlandes, Mitte dieser Woche: In einem Olivenhain vor den befestigten Absperrungen der rund 10.000 israelische Staatsbürger umfassende Ansiedlung gegenüber von Hebron proben israelische Sicherheitskräfte den "Ernstfall". Einige Dutzend Jugendliche der Siedlung haben sich als palästinensische Demonstranten verkleidet, schwenken die schwarz-grün-weiß-roten Fahnen der Palästinenser, rücken auf einen Kordon von israelischen Sicherheitskräften vor. Einer der Jugendlichen ruft den Reportern zu:

    "Wir führen hier eine Übung durch, um uns auf das vorzubereiten, was passieren wird!"

    Und was wird passieren?, fragt ein Journalist zurück.

    "Die Gewalt von den Arabern nach der UN-Ankündigung, nach deren UN-Ankündigung."

    Szenarien wie diese zeigen, wie angespannt die Stimmung unter israelischen Sicherheitskräften, Siedlern und Bevölkerung ist, jetzt, unmittelbar vor Beginn der entscheidenden Sitzungswoche der UN-Generalversammlung. Gleich an mehreren außenpolitischen Fronten hat die rechtsnationale Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, die auf die Umstürze in der arabischen Welt äußerst skeptisch und ablehnend reagiert, eine Serie von herben Rückschlägen hinnehmen müssen: Binnen weniger Tage erlebte Israels Öffentlichkeit die gewaltsame Stürmung ihrer Botschaft in Kairo, den vorübergehenden Abzug des Botschaftspersonals aus ihrer diplomatischen Vertretung in Amman - sowie die teilweise offenen Drohungen des türkischen Regierungschefs Erdogan, auf künftige israelische Militäraktionen gegen Gaza-Hilfsflottillenverbände aus der Türkei nicht mehr länger tatenlos zu reagieren.

    Außenpolitisch, so bilanzierte die ehemalige Chefin des israelischen Außenamtes, Oppositionschefin Tizpi Livni, habe Netanjahu das Land in einer beispiellosen Art und Weise isoliert, vor allem mit Blick auf das strategisch so wichtige Verhältnis zur Türkei. Die Vorsitzende der Kadima-Partei im israelischen Rundfunk:

    ""Die Regierungschefs müssten miteinander reden. Meiner Meinung nach haben sich die Beziehungen zwischen Israel und der Türkei auf sehr viel öffentliche Aufregung und Hetze von beiden Seiten beschränkt. So macht man keine Außenpolitik. So wahrt man nicht die Sicherheit Israels. Die Türkei riecht, dass Israel isoliert und schwach ist."

    In einer derartigen Situation hätte die Regierungskoalition schon vor Zeiten aktiv werden müssen, hätte die inzwischen äußerst fragilen Beziehungen zur Türkei nicht durch weitere nationalistische Breitseiten gegen Ankara belasten sollen, wie die Ex-Außenministerin zutreffend analysiert. Damit zielt Livni auf ihren Amtsnachfolger Avigdor Lieberman, der - von Netanjahu ungehindert - maßgeblich zur außenpolitischen Isolierung des Landes beigetragen hat.

    Die "nationale Ehre" verbiete es Israel, sich für den Tod der neun türkischen Aktivisten an Bord der Gaza-Hilfsflottille vor 15 Monaten zu entschuldigen, propagierte Lieberman und konnte sich damit gegen die weitaus pragmatischere Anforderung seines Kabinettskollegen Ehud Barak durchsetzen. Auch die verspäteten Bemühungen der amerikanischen und europäischen Diplomatie, das drohende außenpolitische Fiasko Israels in New York durch eine Kompromisslösung abzuwenden, suchte Lieberman in dieser Woche zunichte zu machen.

    Vor einer Landwirtschaftskonferenz in einem Kibbutz orakelte Israels Außenminister am vergangenen Mittwoch mit Blick auf den bevorstehenden UN-Antrag von Palästinenser-Präsident
    Mahmud Abbas:

    "Da gibt es keinen Raum für Drohungen. Aber ich kann mit Zuversicht sagen, dass falls sie eine einseitige Entscheidung treffen werden, dies schwerwiegende und harte Konsequenzen haben wird - und ich hoffe, dass wir diese Konsequenzen nicht ziehen müssen."

    Nicht allein in Reihen der ultranationalen Israel Beiteinu Partei Avigdor Liebermans dominieren regierungsamtliche Drohungen und Warnungen über den außenpolitischen Umgang mit den diplomatischen Ambitionen der Palästinenser. Nahezu sämtliche Likud-Minister sowie der langjährige Vertraute von Verteidigungsminister Barak, Zivilschutzminister Matan Vilnai, scheinen sich mit düsteren Prognosen übertreffen zu wollen:

    "Die Palästinenser machen einen schweren Fehler und das begreifen sie und deshalb gibt es bei ihnen eine Debatte über den Gedanken, via der Vereinten Nationen etwas zu erreichen. Sie werden nichts erreichen."

    Erst Ende dieser Woche entschied sich Ministerpräsident Netanjahu, selber nach New York zur UN-Generalversammlung zu reisen und nicht wie im vergangenen Jahr seinen Außenminister zu entsenden, um dort vor einem Forum, das der Regierungschef als ganz überwiegend voreingenommen und israelfeindlich betrachtet, seine Gründe für ein Nein zu einem Palästinenser-Staat auf dem UN-Wege darzulegen. Vor zwei Tagen bereitete dann Netanjahu seine Landsleute mit dieser Ankündigung auf die drohende diplomatische Niederlage in New York vor:

    "Ich weiß, dass die Generalversammlung nicht ein Ort ist, wo Israel eine faire Anhörung bekommt. Ich weiß, dass sich dort die automatische Mehrheiten stets zu einer Verurteilung Israels finden und die Wahrheit bis zur Unkenntlichkeit verdrehen. Aber ich habe mich entschieden, dort trotzdem hinzufahren."